Ein kritischer Versöhner

Trauerrede der ZdK-Präsidentin Dr. Irme Stetter-Karp beim Requiem für Prof. Dr. Dr.h.c. Hans Joachim Meyer in Potsdam-Babelsberg - es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte, liebe Frau Meyer, liebe Angehörige,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmer,

verehrter Herr Erzbischof Koch,

liebe Trauergemeinde,

 

wir verabschieden uns heute von einem Mann, dessen Leben mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung aufs Engste verbunden war. Prof. Hans Joachim Meyer, Katholik in der DDR, stand trotz aller Benachteiligungen durch staatliche Stellen zu seiner Kirche und zu seinem Glauben. Er engagierte sich als Christ – unter anderem als Mitglied der Dresdner Pastoralsynode in den 1970er Jahren und in den Jahren 1989/90 in hohem Maße für ein Miteinander der Katholiken in Ost und West. Im Frühjahr 1990 wurde er zum Vorsitzenden des Gemeinsamen Aktionsausschusses katholischer Christen in der DDR gewählt. Kurz darauf fand sein großer Wunsch Eingang in die sog. „Berliner Erklärung“ vom Mai 1990. Darin positionierten sich Katholikinnen und Katholiken aus ganz Deutschland zu ihrer gemeinsamen Zukunft. Seine Hoffnung floss ein in einen abschließenden Satz: dass „die neu gewonnenen Energien zur Verwirklichung von Demokratie, für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eingesetzt“ würden. Könnte er sich jetzt noch einmal zur Lage im Jahr 2024 äußern, wäre es ihm wohl ein Anliegen, alle Energien darauf zu verwenden, die neue Gefährdung all der großen Werte abzuwenden, für die er selbst einstand. 

Wer an ihn zurückdenkt, hat einen Mann vor Augen, der sich nicht beirren ließ in seiner Haltung. So erlebten wir ihn als Minister in Berlin, in den letzten Monaten der DDR, später als Sächsischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst. Nicht zuletzt aber als Präsident der katholischen Zivilgesellschaft in Deutschland. Er hat den Laienkatholizismus am Beginn des neuen Jahrtausends und an einem Wendepunkt deutscher Geschichte maßgeblich geprägt. 

Ich bin als Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken dankbar, dass ich ihn zu meinen Vorgängern zählen darf. Hans Joachim Meyer hatte das Amt, das ich heute bekleide, von 1997 bis 2009 inne. Er lebte und handelte aus einer engen Verbindung seiner politischen Überzeugungen und seines Glaubens heraus. Durch seine Geradlinigkeit und seinen in der Zeit der DDR erworbenen untrüglichen Sinn für die Achtung und den Respekt vor der Würde jedes Menschen erwarb er sich bei allen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Kräften in Deutschland höchsten Respekt. 

Dieser Respekt ermöglichte es ihm, in entscheidenden Situationen selbstbewusst für das einzutreten, was er wichtig fand. Hans Joachim Meyer wurde gehört – und gesehen. Ich denke ganz besonders an seinen Einsatz für die Schwangerenkonfliktberatung in Deutschland, für die Gründung von Donum Vitae. Ich denke aber auch daran, dass er zum ersten katholischen Präsidenten eines Ökumenischen Kirchentages in Deutschland wurde, 2003 – in Berlin. Und ich denke an seine gleichermaßen mahnenden und auffordernden Worte an die Deutschen in Ost und West, eine gemeinsame, geschichtlich gewachsene Identität nach 1989 weiterzuentwickeln und sich wechselseitig zu wertschätzen.  

Hans Joachim Meyer war ein kritischer Versöhner, gerade dort, wo die Wunden der über vierzig Jahren währenden deutsch-deutschen Teilung besonders zu spüren waren. Indem er alle kritisierte, wenn es ihm nötig schien, und gleichzeitig alle an der Vision eines neuen Miteinanders teilhaben ließ, war er tief glaubwürdig. Sein Glaube half ihm, herrschaftsfreie Räume zu schaffen und sie zu schätzen, wo er sie bereits vorfand. Für ihn zählte immer die Kraft des besseren Arguments. Wie gut wäre es, diese Haltung heute NEU als selbstverständliche Basis der Auseinandersetzungen in Politik und Gesellschaft zu erleben!

Wir trauern mit Ihnen, liebe Frau Meyer, mit Ihren Kindern und der ganzen Familie. Wir sind Hans Joachim Meyer für so vieles unendlich dankbar. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren und uns an den Mann erinnern, der uns als Ostdeutscher lehrte, wie wir gemeinsam und versöhnt in diesem Land in eine gute Zukunft gehen können. Mögen sich viele an seine Worte und Taten erinnern!

 

Dr. Irme Stetter-Karp, Präsidentin des ZdK

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