Suizidbeihilfe
ZdK-Thema des Monats September 2023
Viele hatten darauf gewartet, doch das Gesetz blieb aus: Im Bundestag gab es Anfang Juli keine Mehrheit für die gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe. Was heißt das in der Praxis? Andreas Lob-Hüdepohl, Mitglied des Deutschen Ethikrats und Mitglied des ZdK, weiß genau, was auf dem Spiel steht, wer profitiert – und wer nicht. Der Theologe und Sozialethiker lehrt an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin. Er sagt: „Deutschland hat die liberalste Rechtslage der Welt. Trotzdem halte ich bestimmte Regulierungen für dringend geboten.“
Herr Lob-Hüdepohl, in Deutschland ist Suizidbeihilfe noch immer nicht gesetzlich geregelt. Der Bundestag konnte sich Anfang Juli für keinen der beiden Gesetzentwürfe entscheiden, die ihm vorlagen. Und dass, obwohl die Debatte seit 2020 läuft. Was nun?
Lob-Hüdepohl: Die derzeitige Rechtslage ist eindeutig: Jede Beihilfe zum Suizid ist grundsätzlich legal, wenn die suizidwillige Person ernsthaft und freiverantwortlich den Suizid begehen will und die Hilfe ausdrücklich begehrt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 gilt dies unabhängig von ihrer konkreten Lebenslage oder von ihrem Lebensalter. Damit besitzt Deutschland die liberalste Rechtslage der Welt. In den Niederlanden, in Belgien oder auch in der Schweiz ist die Reichweite legaler Suizidhilfe auf schwere Leidenszustände etwa am Lebensende begrenzt. Bei uns nicht. Trotz der eindeutigen Rechtslage halte ich bestimmte Regulierungen für dringend geboten.
Warum? Können das nicht einfach zwei Menschen – der Suizidwillige und sein Helfer oder seine Helferin – selbst mit sich ausmachen?
Lob-Hüdepohl: Man muss keine zusätzlichen Regulierungen vornehmen. Aber man sollte es für Kernbereiche der Suizidhilfe unbedingt tun. Immerhin ist die Feststellung von Ernsthaftigkeit und Freiverantwortlichkeit keinesfalls trivial. In der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates haben wir ausführlich die Kriterien entfaltet: hinreichende Kenntnis der entscheidungserheblichen Gesichtspunkte, hinreichende Selbstbestimmungsfähigkeit, hinreichend überlegte und ernsthafte Entscheidung, hinreichend eigenständige Entscheidung.
Was bedeutet das nun in der Praxis?
Lob-Hüdepohl: Auch heute schon ist keinesfalls alles möglich. Jeder Suizid zieht unausweichlich eine polizeiliche Ermittlung nach sich. Schließlich handelt es sich um eine unnatürliche Todesursache. Wenn die Ernsthaftigkeit und Freiverantwortlichkeit nicht zweifelsfrei feststehen, macht sich jede assistierende Person strafbar. Deshalb halte ich bestimmte Kriterien, die die Feststellung dieser beiden unverzichtbaren Voraussetzungen für alle transparent regulieren, für zwingend erforderlich.
Was bedeutet die nicht vorhandene gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe in Deutschland für Menschen, die beruflich in die Lage kommen könnten, auf den Suizidwunsch von Pflegebedürftigen reagieren zu müssen?
Lob-Hüdepohl: Aus der Suizidforschung wissen wir, dass sich ein ernsthafter und freiverantwortlicher Suizidwunsch erst allmählich aufbaut und oftmals sehr volatil ist. Wenn Personen einen Suizidwunsch äußern, ist großes Einfühlungsvermögen gefordert – ob von An- und Zugehörigen oder von professionellen Begleiter*innen. Keinesfalls dürfen solche Suizidwünsche beiseite gewischt oder tabuisiert werden. Sonst können die oftmals noch vorhandenen Lebensbindungen nicht gestärkt werden. Zudem zeigt sich erst in einer einfühlsamen Kommunikation, ob es sich tatsächlich um einen ernsthaften und freiverantwortlichen Suizidwunsch handelt. Erst wenn dieser sich verfestigt, stellt sich die Gewissensfrage für beruflich Betroffenen, ob sie Hilfe vermitteln oder sogar selbst anbieten.
Sehen Sie darin nicht eine grundsätzliche Überbelastung und Überforderung des Pflegepersonals?
Lob-Hüdepohl: Dass das Pflegepersonal mit Suizidwünschen konfrontiert werden, ist keinesfalls neu. Allerdings sind viele Pflegekräfte dafür nicht ausreichend vorbereitet und ausgebildet. Das sollte unbedingt verbessert werden – auch in kirchlichen Einrichtungen.
Wie sollen kirchliche Träger von Pflegeeinrichtungen – beispielsweise die Caritas – denn überhaupt reagieren? Können sie ihren Angestellten in Ausübung des Berufs Suizidhilfe verbieten? Oder sollten sie ihnen umgekehrt Hilfe zur persönlichen Entscheidung bieten?
Lob-Hüdepohl: Ob kirchliche Einrichtungen – wenn sie es wollen – die Suizidhilfe in ihren Räumen grundsätzlich untersagen können, ist rechtlich umstritten und müsste mindestens klargestellt werden. Was grundsätzlich ausgeschlossen werden müsste, ist die direkte Suizidhilfe durch Mitarbeiter*innen etwa einer Pflegeeinrichtung. Hier sollte es ein striktes Trennungsgebot geben – und zwar für alle Einrichtungen, unabhängig davon, ob sie kirchlich sind oder nicht. Die Beziehungen zwischen dem Pflegepersonal und Bewohner*innen sind in der Regel sehr dicht. Sie müssen über jeden Zweifel erhaben sein, dass die Bereitschaft zur Suizidhilfe von Seiten des Pflegepersonals die Entscheidung der Suizidwilligen beeinflusst.
Der Bundestag hat die Suizidbeihilfe nicht gesetzlich geregelt, hat sich aber für mehr Suizidprävention stark gemacht. Jetzt soll ein Präventionsgesetz entstehen. Wie lange wird das dauern?
Lob-Hüdepohl: Der fast einstimmig gefasste Beschluss des Bundestages zur nachhaltigen Stärkung der Suizidprävention ist tatsächlich ein Lichtblick. Denn diese muss im Vordergrund stehen. Freilich ist dafür ein umfangreiches Gesetzespaket erforderlich, dass nun von den zuständigen Ministerien im Bund und den Ländern entwickelt und in den Parlamenten beraten und beschlossen werden muss. Hoffentlich dauert dies nicht zu lange. Denn die liberale Rechtslage in Deutschland bezieht sich nicht nur auf Pflegebedürftige im fortgeschrittenen Stadium einer Erkrankung, sondern auf alle Suizidwillige. Deshalb bedarf es eines breiten Instrumentariums an Maßnahmen zur Suizidprävention. Auch darauf hat der Deutsche Ethikrat aufmerksam gemacht. Hier tut Eile tatsächlich Not.
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