Gemeinsame Delegation von Maximilian-Kolbe-Werk und ZdK führt an Pfingsten Dialog in Polen
ZdK-Thema des Monats Juni 2023
Drei Orte, eine dreizehnköpfige Delegation und viele Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen – in einem Land, zu dem Deutschland ein herausforderndes, belastetes Verhältnis hat wie mit kaum einem anderen: „Wir konnten realistische Einsichten zur Situation in unserem Nachbarland gewinnen. Die Vielzahl der Gesprächspartner*innen hat es ermöglicht, vorhandene Bilder zu differenzieren und aktuelle, auch kritische Entwicklungen aufmerksam wahrzunehmen“, sagt ZdK-Präsidentin Dr. Irme Stetter-Karp am Ende der fünftägigen Polenreise, die das ZdK-Präsidium und der Vorstand des Maximilian-Kolbe-Werkes gemeinsam mit Pax Christi vom 25. bis zum 29. Mai 2023 durchgeführt haben.
Anknüpfend an eine Pax-Christi-Versöhnungsreise von 1964, die erste Reise katholischer Laien aus Deutschland ins Nachbarland im Osten, belebtedas ZdK-Präsidium seine Kontakte in Polen und trat in einen Austausch mit Episkopat, Zivilgesellschaft, Laienorganisationen und Politik. Zuvor war das ZdK-Präsidium zuletzt im Jahr 2017 nach Polen gereist. Diesmal drehten sich die Gespräche um die Kirche in beiden Ländern sowie um Klima-, Energie- und Sicherheitspolitik. In Auschwitz konfrontierte sich die Delegation mit den grausamen Spuren des Holocausts.
„Wir möchten die deutsch-polnische Verständigung der Laien wieder intensivieren und sind hier, um zuzuhören und Einsichten zu gewinnen“, betonte ZdK-Generalsekretär Marc Frings zu Beginn eines Runden Tisches mit sechs liberal ausgerichteten Laienorganisationen, zu dem der Klub der Katholischen Intelligenz (KIK) eingeladen hatte. Zbiegniew Nosowski, Chefredakteur der Zeitschrift Więź, setzt sich seit 2019 für Menschen ein, die in der Kirche sexualisierte Gewalt erlitten haben. Gemeinsam mit dem KIK wurde die Initiative „Wounded in the church“ gegründet, die auch eine Hotline für Betroffene anbietet. Eine Entschädigung erhalten sie nicht, Unterstützungsangebote oder strukturelle Antworten der Kirche fehlen gänzlich. KIK-Vizepräsident Piotr Cywiński betonte, dass der Missbrauch ein Desaster für die Betroffenen wie für die ganze Kirche ist. „Der Autoritätsverlust der Kirche ist offensichtlich“, schlussfolgerte Zbigniew Nosowski, der die Aufarbeitung mit preisgekröntem investigativem Journalismus voranbringt.
Die Gründe für die wachsende Abwendung von der Kirche sind komplex. Urszula Pawlik von der LGBT+-Organisation ”Wiara i Tęcza” / „Glaube & Regenbogen” betonte, dass momentan viele Jugendliche auch deshalb die Kirche verließen, weil sie queere Menschen ablehne. Für queere Menschen sei es schwierig, sich zu outen. Die Organisation möchte sichere Orte schaffen, die es in der Kirche bislang nicht gibt. Der Weg zur Öffnungsei noch sehr weit, sagte Pawlik; bislang dominierten Berührungsängste: „Viele Menschen fürchten, dass sie viel zu verlieren haben, wenn sie uns unterstützen.“ Irme Stetter-Karp bilanzierte: „Wir haben beeindruckende Christ*innen getroffen, die mit uns für Reformen in der katholischen Kirche stehen und deren Zukunftsmut wir teilen.“
Die Katholische Aktion ist mit 20.000 Mitgliedern die größte katholische Laienorganisation im Land, setzt aber andere Schwerpunkte: Die Vertiefung des Glaubens steht im Vordergrund und ist ihre dezidierte Antwort auf die kirchliche Krise. Zudem organisiert sie Bildungsarbeit für Patriotismus. Er sei wichtig für Polen, wurde im Gespräch mit der Delegation aus Deutschland erklärt – Polen sei immerhin mehr als 120 Jahre lang von der Landkarte verschwunden gewesen. Erklärtes Ziel der Katholischen Aktion ist es auch, am politischen Leben mitzuwirken – neunzehn Abgeordnete des Sejm sind Mitglieder der Aktion und zwei sind im Fernsehrat vertreten. Im Nachgang veröffentlichte die Katholische Aktion eine Pressemitteilung, in welcher sie suggerierte, sie habe im Gespräch mit der Delegation aus Deutschland Argumente gegen den Synodalen Weg vorgebracht. Die Verlautbarung stieß auf Resonanz in den deutschen Medien, obwohl das politische Engagement und die kirchlichen Positionen der KA die eigentlichen Themen des Gesprächs waren, während der Synodale Weg nicht thematisiert wurde. ZdK-Präsidentin Stetter-Karp reagierte im Nachgang der Reise mit einem Interview, geführt durch Domradio.de, auf die Pressemitteilung und schilderte ihre Eindrücke des Polenaufenthalts.
Der Erzbischof von Warschau, Kazimierz Kardinal Nycz, der die Delegation gleich am ersten Tag der Reise freundlich empfing, sieht die Herausforderung für die Kirche darin, in einer alternden Gesellschaft Wohlstand, Freiheit und Religiosität miteinander in Einklang zu bringen: „In Zukunft müssen wir den Katholizismus in kleineren Gruppen als bisher vertiefen, anstatt die Volksfrömmigkeit fortzuführen.“Mit Blick auf den Kurs der polnischen Regierung sieht er zustimmende und kritische Stimmen im polnischen Episkopat.
Im Gespräch mit Botschafter Dr. Thomas Bagger eruierte die Delegation in der Deutschen Botschaft in Warschau Fallstricke und Perspektiven der deutsch-polnischen Beziehungen. Der Botschafter sprach über seine Erfahrungen: „In Polen sind Politik und Gesellschaft enorm polarisiert. Das Land richtet seinen Blick nach Deutschland, spürt zugleich jedoch eine asymmetrische Wahrnehmung durch den westlichen Nachbarn. Für uns als Deutsche gilt: Den Schmerz der Polen müssen wir ernst nehmen. Ein Nicht-Verhältnis zu Polen kann sich Deutschland nicht leisten.“In einer weiteren Begegnung wies die Energieexpertin Dr. Aleksandra Gawlikowska-Fyk auf die Enttäuschung ob der Naivität hin, die insbesondere Deutschland energiepolitisch jahrelang demonstriert habe: „Die eingegangenen Abhängigkeiten Deutschlands und der Angriffskrieg gegen die Ukraine haben die Wahrnehmung genährt: Niemand hat uns zugehört.“ Es gebe Unterstützung für erneuerbare Energien in Polen; diese sei aber stärker geopolitisch als ökologisch motiviert. Konstantny Pilawa vom Think Tank Klub Jagielloński formulierte ein Ziel: „Wir brauchen in Polen wie in vielen anderen Ländern einen neuen Gesellschaftsvertrag, gerade angesichts der Energiewende.Außerdem müssen wir eine institutionelle Dezentralisierung vornehmen.“
Während der Atomausstieg in Deutschland im April vollzogen wurde, kündigte Polen in demselben Monat den Atomeinstieg an. Der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, David Gregosz, kommentierte das beim Besuch der Delegation so: „Polen möchte in die Atomkraft einsteigen und gleichzeitig die erneuerbaren Energien massiv ausbauen. Es ist zu einem veritablen Wettbewerber Deutschlands geworden, gerade in der Industrie. Das nehmen wir viel zu wenig wahr.“ Dennoch sind laut dem Journalisten Piotr Jendroszczyk berufliche Chancen weiterhin der Hauptgrund für die Emigration nach Westen: „Die junge Generation verlässt Polen vor allem aus ökonomischen Gründen.“ Angesprochen auf die Migration aus dem Osten hatte Kazimierz Kardinal Nycz bereits am ersten Tag der Reise gesagt: „Schon 2014, nach der militärischen Zuspitzung, hat Polen weit mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Mittlerweile kommen in einer Schule etwa 120 von 500 Schülern aus der Ukraine.“ Gerold König, Vizepräsident des Maximilian-Kolbe-Werks und Bundesvorsitzender von Pax Christi, bilanziert: „Der polnische Kraftakt für die vielen ukrainischen Geflüchteten hat unsere Reise geprägt. Wir haben in mehreren Gesprächen auch um sicherheitspolitische Fragen gerungen und uns gefragt, wie eine neue Friedensordnung für Europa aussehen kann.“ Am Auftaktabend mit den progressiven Laienorganisationen hatte die Publizistin Wanda Kaczor allerdings auch die gewaltvollen Zurückweisungen an den polnischen Grenzen angeprangert: „Die Pushbacks stellen einen Widerspruch zur kirchlichen Lehre dar.“
Die Stunden, in denen die Delegation am Pfingstsonntag durch das Stammlager und das später errichtete KZ Auschwitz-Birkenau lief, waren eine Erfahrung, nach der die Reisenden um Worte rangen. Dr. Manfred Deselaers empfing die Gruppe am Vorabend im Zentrum für Dialog und Gebet in Auschwitz. Als Priester ist er dort seit fast 33 Jahren tätig und stellte in seiner Einführung auch die Theodizee-Frage: „Wo war Gott?“ Zugleich fragte er:„Wo war der Mensch?Auschwitz ist noch eine offene Wunde. Fragen der Vergangenheit sprechen uns heute an. Sie haben einen Anspruch an uns. Wie hätte ich mich verhalten? Bleibe ich fähig zur Solidarität – auch dort, wo es mich viel kostet? Was heißt es, Verantwortung zu übernehmen?“ Peter Weiß, Präsident des Maximilian-Kolbe-Werks, äußerte sich ebenfalls: „Dieser grausame, unvorstellbare Zivilisationsbruch ist ein Auftrag für uns, alles zu tun, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Die Versöhnung ist eine Aufgabe, die bleibt.“
Reisende:
- Peter Weiß (Maximilian-Kolbe-Werk, Präsident)
- Gerold König (Maximilian-Kolbe-Werk, Vizepräsident)
- Christoph Kulessa (Maximilian-Kolbe-Werk, Geschäftsführer und Referent Polen)
- Dr. Irme Stetter-Karp (ZdK, Präsidentin)
- Prof. Dr. Claudia Nothelle (ZdK, Vizepräsidentin)
- Birgit Mock (ZdK, Vizepräsidentin)
- Wolfgang Klose (ZdK, Vizepräsident)
- Marc Frings (ZdK, Generalsekretär)
- Agnieszka Piotrowski (ZdK, Mitglied)
- Dr. Stefan Eschbach (ZdK, stellvertretender Sprecher für Europäische Zusammenarbeit und Migration)
- Claudia Gawrich (ZdK-Generalsekretariat, Abteilungsleiterin Kirche & Gesellschaft)
- Raphael de Araújo Bittner (ZdK-Generalsekretariat, Referent Kirche & Gesellschaft)
Pater Roman Brud (Erzdiözese Freiburg, Dolmetscher)
Claudia Gawrich & Raphael de Araújo Bittner, ZdK-Generalsekretariat
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