„Wir werden angegriffen“
Krieg in der Ukraine
Der Krieg, lange befürchtet, ist da: Seit den frühen Morgenstunden des 24. Februar läuft der russische Angriff auf die Ukraine. Nicht nur der Osten, sondern das gesamte Land steht unter Beschuss. Das berichteten ukrainische Gäste eines Online-Veranstaltung am Abend des Kriegsbeginns. Eingeladen hatten Renovabis, die Konferenz der Diözesanverantwortlichen Weltkirche, die Katholische Akademie in Berlin und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken.
„Ich bin erschüttert und froh zugleich, dass unsere Veranstaltung an diesem Tag stattfinden konnte“, sagt die Präsidentin des ZdK, Irme Stetter-Karp. „Ich bin dankbar, dass ich ukrainische Zeugen hören durfte. Mir haben deren differenzierte Beiträge deutlich gemacht: Das militärische Vorgehen Russlands, das völkerrechtswidrig ist, zerstört das Leben von Millionen Menschen. Die Bevölkerung der Ukraine hat unsere Solidarität. Freiheit und Selbstbestimmung dürfen nicht missachtet werden.“ Es sei wichtig zu sehen, so Stetter-Karp weiter, dass auch eine russische Protestbewegung gegen das Vorgehen Putins existiere. „Hier ziehen Menschen über Ländergrenzen hinweg an einem Strang.“
„Was wir jetzt brauchen? Wir bitten um Ihr Gebet und Ihre Solidarität“, sagte Tetiana Stawnychy, Präsidentin der ukrainischen Caritas den mehr als 350 Zuhörenden und Mitdiskutierenden im Web-Gespräch am Donnerstagabend. Die Caritas bereite sich auf Massenfluchten vor. Unzählige Menschen hätten sich bereits auf den Weg gemacht, verließen vor allem die großen Städte und den Osten der Ukraine. Die Flucht werde aber über die Landesgrenzen hinausgehen, weil das gesamte Land von Russland angegriffen werde. „Wie rechneten seit letztem Sommer mit einer Aggression. Zum Jahreswechsel wurde klar, dass wir nun ernste Szenarios haben.“
Gemma Pörzgen, Chefredakteurin des Renovabis-Magazins „Ost-West. Europäische Perspektiven“ und Moderation des Abends, erinnerte daran, dass die Ukraine im Osten des Landes seit acht Jahren Krieg erlebe. Die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk, nun von Putin als unabhängige Staaten anerkannt, seien dem russischen Präsidenten aber nicht genug: „Die Souveränität der Ukraine wird von Putin nicht mehr akzeptiert.“
Denis Trubetskoy, Journalist und ukrainischer Staatsbürger, berichtete: „Ich bin heute Morgen um fünf Uhr von der Nachricht getroffen worden, dass wir angegriffen werden. Ich bin sofort in die Innenstadt von Kiew gefahren, um die Lage bewerten zu können. Die Straßen waren sehr leer, fast keine Autos. Im Verlauf des Tages hat sich das geändert.“
Aus dem Auto – und im kilometerlangen Stau auf der Autobahn, die aus der ukrainischen Hauptstadt hinausführt – nahm Pfarrer Ivan Sokhan, Diözesanökonom der griechisch-katholischen Erzeparchie Kiew, am abendlichen Gespräch teil. „Meine Frau und ich haben heute Morgen entschieden, dass wir Kiew verlassen und zu meinen Eltern fahren. Wir sind jetzt zehn Kilometer weit gekommen. Viele Menschen gehen zu Fuß, verlassen die Stadt.“ Es gebe Bombardement mit ballistischen Raketen, die von Weißrussland aus gestartet würden. „Am Militärflughafen hat es eine Explosion gegeben. Man kann sich nirgendwo sicher fühlen.“
Sergij Bortnyk, Mitarbeiter des Außenamts der Orthodoxen Kirche Russlands in Kiew, beschrieb eindrücklich die Rolle der Kirchen im Konflikt. Schnell wurde klar, dass zu kurz greift, wer davon ausgeht, dass die Haltung des russischen Patriarchen Kyrill, der hinter Putins Politik steht, in der Ukraine 1:1 umgesetzt wird. „Im Leben sind wir ziemlich frei und unabhängig. Russisch zu sprechen und in der orthodoxen Kirche zu sein, heißt nicht, pro-russisch zu sein. Die russische Seite überschätzt das. Unser Metropolit hat heute gesagt: Sprecht über die territoriale Integrität der Ukraine“, so Bortnyk. Ukrainer müssten nun „ihr Land verteidigen, über alle Unterschiede hinweg“. Bitter klang die Aussage Denis Trubetskoys: Der Moskauer Patriarch sei „ein Fall des politischen russischen Systems. Er hat uns seit 2014 kaum geholfen. Wir sind nicht mehr erstaunt, dass er schweigt zu unserer Situation in der Ukraine.“
Wie wird man weiterhin „die Wahrheit“ über den Kriegsverlauf in der Ukraine erfahren? Denis Trubetskoy, befragt nach den Chancen einer unabhängigen Berichterstattung, zeigte sich skeptisch: „Viele ausländische Redaktionen haben ihre Mitarbeiter abgezogen. Es ist schwer zu sagen, wo man klare Information bekommen kann, es herrscht Kriegsrecht. Das ist eine große Herausforderung für uns verbleibende Journalisten.“
„Russland mit seiner Bärenliebe, die uns zu Tode drückt“, so Ivan Sokhan, mache die Ukrainer seit Langem offen für den Westen. „Über sechzig Prozent sind für eine Integration in die Nato.“ Man erwarte jetzt deutliche Unterstützung: „Es wird nicht verstanden werden, wenn der Westen nicht mit scharfen Sanktionen auf Russland reagiert. Es muss ein sehr klares Zeichen gesetzt werden.“
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