„Rehabilitierung des Tanzes im kirchlichen Kontext“

Brasilianische Tanzchoreografin Lia Rodrigues erhält Kunst- und Kulturpreis der Deutschen Katholiken

Die brasilianische Tanzchoreografin und Sozialarbeiterin Lia Rodrigues (65) hat am Dienstag (28. September 2021) in Solingen den mit 25.000 Euro dotierten „Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken“ entgegengenommen, der zum zehnten Mal vergeben wurde. Die Verleihung fand im Theater und Konzerthaus Solingen im Pina-Bausch-Saal statt – die Preisträgerin kannte die gebürtige Solingerin Pina Bausch persönlich und ist von ihr bis heute beeinflusst. Der Preis wird gemeinsam von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ausgelobt.

Vor rund 300 geladenen Gästen aus Kultur, Kirche, Politik und Medien würdigte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, die Preisträgerin für deren mutige Haltung des Widerstands, die sich im Tanz ausdrückt, und sagte: „Lia Rodrigues und ihre Kompagnie stellen die vom globalen Norden diktierten (…) Denkschemata auf den Kopf. Sie tun das mit nichts anderem als mit ihren eigenen Körpern, (…) verletzlich und stark zugleich.“ Zugleich bedauerte Bischof Bätzing, dass das großartige Ausdruckspotenzial der Tanzkünste im kirchlichen Kontext zu lange nicht angemessen wahrgenommen worden sei. „Somit will die heutige Preisverleihung als kirchen- und kulturpolitisches Statement für die längst überfällige Rehabilitierung des Tanzes im kirchlichen Kontext verstanden werden“, so Bischof Bätzing. „Im Tanztheater begegnen uns essenzielle Themen wie ‚Anfang und Tod‘, ‚Schmerz und Erlösung‘, ‚Hoffnung und Verzweiflung‘, ‚Identität und das Andere‘ als ästhetisch-dringliche Pro-Vokation, also im Wortsinn als ‚Auf-Ruf‘, sich berühren und verändern zu lassen.“

Der Intendant der „Deutschen Welle“, Peter Limbourg, würdigte Lia Rodrigues in seiner Laudatio: „Das soziale Engagement der Preisträgerin ist wirklich herausragend! (…) 2004 traf sie eine Entscheidung, die mich sehr beeindruckt hat: Sie verlagerte ihre Tanz-Kompagnie in eine Favela. Maré heißt das Viertel im Norden Rios. 140.000 Menschen leben dort in teils großer Not, meist vollkommen unverschuldet Opfer organisierter Kriminalität, staatlicher Repression und gewaltsamer Übergriffe. (…) Lia Rodrigues will, dass Kultur für alle da ist, nicht nur für die Eliten. Das ist umso wichtiger, je polarisierter die Gesellschaften sind. Teilhabe und Integration, das ist es, was in diesen Zeiten mehr denn je gefragt ist.“ Peter Limbourg betonte, dass die Preisträgerin dafür plädiere, offen zu sein, zuzuhören. Ihr Ziel sei es, „Mauern einzureißen, und stattdessen gemeinsam Projekte zu verwirklichen, um die Welt ein Stückchen besser zu machen.“

Bei der Übergabe der Preisurkunde betonte Prof. Dr. Sternberg, Präsident des ZdK: „Mich hat (…) sehr beeindruckt, wie Frau Rodrigues sagte, sie sei mit ihrem Tanztheater-Programm nicht als Lehrende, sondern als Lernende in die Favela Maré gegangen. Vor diesem Hintergrund ist es absolut authentisch und berechtigt, dass Rodrigues – wie es auch unser Papst aus Argentinien immer wieder fordert – für die katholische Kirche die Vision hat, sie solle eine hörende Kirche sein, die nicht zuletzt auf die Stimme der Armen hört.“ Der Tanz habe viel mit Liturgie zu tun, so Prof. Sternberg: „Es geht um die Bewegung und Personen-Arrangements im Raum, um Ortswechsel, Schreiten, Knien, Stehen, gar am Boden liegen, Knie beugen, Hände falten oder erheben. Manchmal täte es unseren liturgisch Beteiligten gut, sich die Bedeutung der Gestaltung solcher Performances deutlicher zu machen. Aber natürlich geht es beim Tanztheater um eine extrem viel komplexere Kunst des Einsatzes der Körper und ihrer Bewegungen als Ausdrucksmittel.“

Lia Rodrigues dankte der Deutschen Bischofskonferenz und dem ZdK für den Preis: „Es ist wirklich wunderbar, eine solche Auszeichnung zu erhalten, besonders in diesen Zeiten großer Herausforderungen. Ich fühle mich sehr geehrt, zu den Empfängern zu gehören.“ Sie hoffe, in bescheidener Weise zur weiteren Entwicklung der Kunst in der Geschichte der Menschheit beizutragen. „Ich glaube, dass die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks der Schlüssel zur Begegnung mit der Transzendenz ist. Ich schätze es also, dass Sie meine Arbeit als eine dieser Möglichkeiten betrachten. Ich glaube, dass jeder von uns, der einen privilegierten Platz in der Gesellschaft einnimmt, die Pflicht hat, dazu beizutragen, dass wir in einer weniger ungleichen Welt leben können“, so Lia Rodriguez. Bei dem Festakt führte die ebenfalls aus Brasilien stammende Tänzerin Ruth Amarante – bekannt aus dem Kinofilm „Pina“ – auf Wunsch der Preisträgerin eine „getanzte Laudatio“ auf.

Die Jury unter Vorsitz der Tanz- und Theaterwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter (Berlin) betonte, dass Lia Rodrigues Tanztheater „aus der Gemeinschaft mit den durch Rassismus und Diskriminierung Ausgeschlossenen“ heraus entstehe. Rodrigues verstehe „Tanz als eine Grundform menschlicher Bildung, die für alle da ist“.

Der Kunst- und Kulturpreis wird seit 1990 abwechselnd alle zwei bis vier Jahre in den Sparten Literatur, Architektur, Musik, Film, Bildende Kunst und Theater verliehen; 2021 erfolgt die zehnte Vergabe. Unter den bisherigen Preisträgern waren Peter Zumthor (2011), Ralf Rothmann (2014) und Mark Andre (2017).

 

Hinweise:Die Ansprachen von Bischof Dr. Georg Bätzing und Prof. Dr. Thomas Sternberg sowie die Laudatio von Peter Limbourg bei der Preisverleihung finden Sie in der Anlage sowie nach Ablauf der Sperrfrist auf www.dbk.de und www.zdk.de.

Fotos der Preisverleihung stehen während und nach der Veranstaltung unterhalb der Pressemitteilung auf www.dbk.de zum Herunterladen bereit und können kostenfrei für die Berichterstattung verwendet werden. Bitte geben Sie bei Veröffentlichung den Bildnachweis an: © KNA/Julia Steinbrecht.

Weitere Informationen über den Preis, die Preisträgerin und die Jury stehen unter www.dbk.de auf der Themenseite Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken bereit.

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