Leben retten. Transplantationszahlen steigern. Freiwilligkeit der Spende gewährleisten.

Stellungnahme des ZdK-Hauptausschusses

Eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten hat kurzfristig eine Änderung des Transplantationsgesetzes zur Beratung und zur Beschlussfassung in den Deutschen Bundestag eingebracht. Im Zentrum steht eine neue gesetzliche Regelung für die „Voraussetzungen für die Entnahme“ sowie für das „Verfahren zur Klärung der Spendebereitschaft“. In Zukunft sollen grundsätzlich alle volljährigen und einwilligungsfähigen Erwachsenen als spendebereit gelten, die entweder in die Organ- und Gewebeentnahme eingewilligt oder ihr zumindest nicht widersprochen haben. Diese Widerspruchsregelung soll die bisher geltende Einwilligungslösung ergänzen. Von dieser Änderung erhoffen sich deren Befürworter*innen, die Zahl der postmortalen Organ- und Gewebetransplantationen in Deutschland substantiell zu erhöhen. Mit Blick auf diese Gesetzesinitiative unterstreicht das ZdK folgende Grundsätze:

 

1. Leben retten

Postmortale Organ- und Gewebespenden können Leben retten. Die Zahl von Patient*innen, die in Deutschland lange und teils vergeblich auf ein Spenderorgan oder -gewebe warten, ist besorgniserregend hoch. In der Regel geht es nicht allein um eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität, sondern um die Abwendung oder zumindest um die deutliche Reduzierung einer Todesgefahr. Das ist ein hohes moralisches Gut. Deshalb stehen die Gesellschaft und auch jede*r Einzelne in der Pflicht, alles Erforderliche und Zumutbare in die Wege zu leiten, um diesem beklagenswerten Zustand abzuhelfen. Das Schicksal tausender Patient*innen kann niemandem gleichgültig sein – weder aus allgemein menschlicher und noch weniger aus christlicher Sicht.

 

2. Transplantationszahlen steigern 

Bereits 2019 hat der Deutsche Bundestag mit dem Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende (GZSO) strukturelle Ursachen für eine unzureichende Identifikation von potentiellen Spender*innen, mangelhafte Prozeduren im Entnahmekrankenhaus (unzureichende Finanzierung der Organentnahme, mangelnde Freistellung bzw. Beteiligung von Transplantationsbeauftragten, Konsiliardienst bei der Hirntoddiagnostik usw.) sowie das Fehlen eines zentralen Melderegisters zu beheben versucht. Mit diesem Gesetz folgte der Bundestag einer empirisch gestützten und in der Fachwelt weitgehend geteilten Einschätzung, dass die geringe Zahl erfolgter Organspenden bzw. Transplantationen vor allem strukturelle Ursachen hat und nicht auf eine mangelnde Spendebereitschaft in der Bevölkerung zurückzuführen ist. Im Gegenteil, die grundsätzliche Bereitschaft ist mit empirisch erhobenen, über 80% der Bevölkerung erstaunlich hoch und eigentlich ausreichend. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) geht davon aus, dass in Deutschland weit über einem Drittel der in Frage kommenden Bevölkerung einen Organspendeausweis besitzen, der ihre Spendebereitschaft für bestimmte oder sogar alle Organe (beziehungsweise Gewebe) dokumentiert. 

Internationale Vergleichsstudien, die die Effekte eines Wechsels von Einwilligungs- zu Widerspruchsregelungen untersuchen, wiesen jüngst erneut darauf hin, dass dieser Wechsel keinerlei messbaren Einfluss auf die Zahl von Transplantationen hat. Die teils deutlichen Unterschiede in den untersuchten Ländern resultieren vielmehr aus den unterschiedlichen strukturellen Voraussetzungen zur Organ- bzw. Gewebeentnahme. Insofern erscheint der beabsichtigte Wechsel von der Einwilligungs- zur Widerspruchsregelung weder erforderlich noch geeignet, um die Zahl erfolgter postmortaler Entnahmen von Organen und Geweben signifikant zu erhöhen.

Wichtige Teile des 2019 beschlossenen Gesetzes konnten – auch bedingt durch die Corona-Pandemie – erst mit deutlichen Verzögerungen umgesetzt werden. Auch das zentrale Organspende-Register – ein unzweifelhaft wichtiges Instrument zur schnellen und sicheren Identifizierung von spendenbereiten Verstorbenen – befindet sich erst seit dem Frühjahr 2024 im Aufbau, der erst im kommenden Jahr abgeschlossen sein soll. Zudem ist der Zugang für Spendenwillige technisch anspruchsvoll und hoch. Insofern sollten Staat und Gesellschaft alles daransetzen, diese strukturellen Hemmnisse effektiv und nachhaltig zu beseitigen und damit eine signifikante Steigerung von Transplantationen zu ermöglichen.

 

3. Freiwilligkeit der Spende gewährleisten

Jede Spende ist ihrem Wesen nach an die ausdrückliche Freiwilligkeit der Spendenden geknüpft. Das gilt nicht minder für die postmortale Spende eines Organs oder Gewebe(-teils). Ansonsten handelte es sich faktisch um eine staatlich auferlegte Pflichtabgabe, der widersprochen werden kann. Viele Menschen mögen sich zu einer Spende moralisch verpflichtet fühlen. Dazu gibt es gerade mit Blick auf die postmortale Organ- oder Gewebespende gute Gründe. Sie tun dies aber aus innerer Einsicht und Überzeugung: Ihre Spende ist Ausdruck einer freiwilligen Solidarität mit dem Schicksal eines schwererkrankten Menschen. 

Mit ihrer Spendenbereitschaft stellen sie damit andere wichtige Aspekte ihres Sterbens, ihres Todes und des Umgangs mit ihrem Leichnam hintan. Auch für diese Aspekte gibt es gute Gründe – gerade im Hinblick auf ihre Hinterbliebenen. Möglicherweise überwinden manche mit ihrer Spendenbereitschaft auch ihre Vorbehalte, die sie gegenüber einem nicht sonderlich für alle transparenten System der Organentnahme und -verteilung hegen. Die in der Vergangenheit bekanntgewordenen Missstände und Skandale haben keinesfalls das Vertrauen in das System und in alle handelnden Akteur*innen der Transplantationsmedizin gestärkt. Gleiches gilt für die immer wieder aufflammenden Debatten um einen angemessenen Indikator für den Tod eines Menschen (Hirntod, anhaltender Herzstillstand), auch wenn diese Debatten aus medizinischer Perspektive durchaus nachvollziehbar und erforderlich sein mögen. 

Die Freiwilligkeit einer Spende kann deshalb nur durch ausdrückliche Erklärung gewährleistet werden. Alles andere wäre eine Abkehr vom medizinethischen Prinzip des „informed consent“, das für den Schutz der Patientenautonomie fundamental ist. Angesichts des vorhandenen Problemdrucks können zwar einwilligungsfähige Erwachsene immer wieder zu einer Entscheidung aufgefordert werden. Die Freiwilligkeit einer Spende aber als gegeben zu unterstellen, nur weil ein Mensch ihr nicht ausdrücklich formell oder gegenüber einem nahestehenden An- oder Zugehörigen widersprochen hat, missachtet den Kern einer freiwilligen Spende in dieser für alle Beteiligten existentiell bedeutsamen Lebensfrage. Dies ist bei allem Respekt für die Not der bedürftigen Patient*innen aus unserer Sicht unzumutbar. 

Unbeschadet der Kontroversen zu den unterschiedlichen gesetzlichen Regulierungen zur Feststellung der Spendenbereitschaft gilt: Für das gemeinsame Ziel, die Zahl der Organspenden wirksam zu erhöhen, müssen in den nächsten Jahren die strukturellen Hindernisse effektiv abgebaut werden.

Erklärung „Leben retten. Transplantationszahlen steigern. Freiwilligkeit der Spende gewährleisten.” als Pdf

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