Lasst uns reden!

Erklärung des Gesprächskreises "Juden und Christen" beim ZdK

Fassungslos blicken wir als Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken auf den Terrorangriff der Hamas auf Zivilisten in Israel am 7. Oktober 2023 zurück. 

Wie Menschen gut miteinander leben und Gesellschaft gestalten können, ist seit jeher eine Herausforderung. In der jüdischen Tradition hat man die Idee der sieben Gebote entwickelt, die Gott Noah gegeben habe: das Verbot von Götzenanbetung, das Verbot von Gotteslästerung, von Mord und Raub, das Verbot von unmoralischen sexuellen Handlungen wie Inzest und Vergewaltigung, das Verbot des Verzehrs von Fleisch von einem lebendigen Tier und die Etablierung von Gerichten und Polizisten als Ausdruck der Wahrung des Rechtsprinzips. Diese Vorschriften gelten im Judentum als das Minimum zivilisatorischer Moral. Jeder Mensch, der sich an diese Gebote hält, hat Anspruch auf einen Anteil an der kommenden Welt. Daher missioniert das Judentum auch nicht, denn man muss kein Jude sein, um ins Paradies zu kommen. Man muss nur menschlich sein.

Die Killerkommandos der Hamas haben bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober letzten Jahres all diese Gebote der Menschlichkeit gleichzeitig übertreten, ja sie haben sie aufs Grausamste in ihr Gegenteil verkehrt:

  • Es ist Götzendienst, eine Gottheit anzubeten, von der man annimmt, sie würde diese Gräueltaten gutheißen. 
  • Es ist Blasphemie für jeden gläubigen Menschen und insbesondere für jeden gläubigen Muslim, wenn man bei solch einer Barbarei auch noch „G‘tt ist groß“, „Allahu Akbar“ ruft. So versichern es uns die muslimischen Partner:innen, mit denen wir im Gespräch sind. Sie dürften für die allermeisten Muslime in Deutschland sprechen.
  • An jenem schwarzen Schabbat – der eigentlich ein Festtag der Freude am Judentum hätte sein sollen – haben wir Mord, Vergewaltigung und Raub gesehen. Sie sind in ihrer Grausamkeit und öffentlichen Zurschaustellung an Barbarei kaum zu übertreffen.
  • Das sechste Gebot verbietet es, Tiere zu verstümmeln. Was verboten ist, Tieren anzutun, wurde am 7. Oktober mit Menschen gemacht.
  • Und was die Wahrung des Rechtsprinzips angeht: Wir bangen weiter um das Leben von 100 Entführten. Und statt die eigene Bevölkerung zu schützen, benutzt die Hamas die Palästinenser:innen als menschliche Schutzschilde, um Israel vor der Welt als Aggressor dazustellen. 

Angesichts der unfassbaren Dimension dieses Grauens ist die Reaktion auf den 7. Oktober umso verstörender. Es gab keine breite Solidarität mit Israel und mit den Angehörigen der Ermordeten und Verschleppten. Sondern eine erschreckende Zunahme an Juden- und Israelhass. In Deutschland wurde der Terrorangriff teilweise zu einem (legitimen) Akt des Widerstandes gegen die Politik der israelischen Regierung umgedeutet und auf der Straße sogar gefeiert. Die Zahl antisemitischer Straftaten stieg auch hierzulande um ein Vielfaches. Mit ihrer Fassungslosigkeit, Trauer und Wut stehen Jüdinnen und Juden oft allein.

Als katholische Mitglieder des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim ZdK bedrückt uns der Schmerz unserer jüdischen Kolleg:innen und Freund:innen zutiefst. Viele haben Angehörige und Freunde in Israel, trauern um die Opfer, bangen mit den Familien der Geiseln. Die bohrende Frage ist: Warum lässt das Leid von Juden und von Israelis die Mehrheit in Deutschland so kalt? Warum stehen Christinnen und Christen nach einem solchen Menschheitsverbrechen nicht ohne Wenn und Aber an der Seite ihrer Geschwister im Glauben? 

Wir hören: Das sei nicht möglich angesichts der Folgen des Kampfes von Israel gegen den Terror. 

Dem widersprechen wir als Gesprächskreis „Juden und Christen“: 

  • Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, Empathie mit den Opfern des Krieges und mit den Menschen im Gazastreifen und im Libanon zu empfinden und Mitgefühl mit denen, die in Deutschland um palästinensische Verwandte und Freunde trauern und bangen. Genauso ist es ein Gebot der Menschlichkeit, Mitgefühl mit den Opfern des 7. Oktober 2023 und Solidarität mit Juden und Jüdinnen zu zeigen. In der Anerkennung des Leids der Menschen darf es kein Entweder-Oder geben.
  • Bei allem Mitgefühl mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und im Libanon und bei aller Diskussion um die gewählten Mittel im Kampf gegen den Terror darf niemals vergessen werden, wer für die derzeitige Eskalation der Lage im Nahen Osten verantwortlich ist und was der Auslöser war: der Terror vom 7. Oktober 2023.
  • Der Hamas, der Hisbollah, den Huthi-Milizen und dem Iran, der all diese Gruppen finanziert, ausbildet und auch steuert, geht es mitnichten um die Verbesserung der Lebensbedingungen für die Palästinenser:innen und deren Selbstbestimmung. Sie wollen erklärtermaßen Israel auslöschen und Hass gegen Juden und Jüdinnen weltweit schüren. Israel kämpft gegen Terrororganisationen und in der Auseinandersetzung mit dem Iran um seine Existenz.

Wer wirklich glaubt, dass Antisemitismus eine Sünde wider Gott und die Menschen ist, muss jetzt solidarisch an der Seite von Juden und Jüdinnen stehen. Wer wirklich für Gerechtigkeit und Selbstbestimmung für die Palästinenser:innen eintritt, muss entschieden den Kampf gegen die Hamas und die Hisbollah unterstützen, unter denen auch die Bewohner:innen des Gazastreifens und im Libanon seit Jahren leiden. 

Alle drei abrahamitischen Religionen verpflichten die Gläubigen darauf, sich für Frieden, Schalom, arabisch: Salām, für Gerechtigkeit, Tzedaka, arabisch: Sadaka, und für barmherzige Liebe, Rachamim, arabisch: Raḥmah einzusetzen. Als Gesprächskreis „Juden und Christen“ suchen wir deshalb auch das Gespräch mit unserem Nachbargesprächskreis „Christen und Muslime“. Wir können den Nahostkonflikt in Deutschland nicht lösen – aber wir können gemeinsam der Logik der Verfeindung hier entgegentreten und miteinander im Gespräch sein.

In der Bibel hat G’tt Noah und uns allen als Zeichen des Bundes den Regenbogen gegeben. Er ist nicht nur ein Zeichen der Harmonie, sondern mahnt uns auch, aktiv für diese Harmonie einzustehen. Auch wenn wir im Moment den Weg noch nicht sehen: Geben wir die Hoffnung nicht auf, dass Verständigung und Frieden möglich sind!

Für den Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim ZdK
Dagmar Mensink, Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama, Rabbiner Julian-Chaim Soussan

Erklärung „Lasst uns reden!” als Pdf

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