Angesichts geopolitischer Bedrohungen: Eine christliche Perspektive auf die neue Legislaturperiode

Erklärung der Initiative Christen für Europa

Die Europäische Union steht am Beginn einer neuen Legislaturperiode. Die Wähler haben im Juni 2024 ein neues Parlament gewählt; die neue Kommission nimmt ihre Arbeit auf. Währenddessen ist die internationale Ordnung im Umbruch und die EU befindet sich inmitten einer geopolitischen Polarisierung. Unter diesen Umständen muss die EU entschiedene Maßnahmen ergreifen, um ihre Position als gerechte Friedensvermittlerin zu stärken, die sich für eine regelbasierte internationale Ordnung einsetzt. 

Als gemeinsame Stimme der europäischen christlichen Laienverbände sind wir der katholischen Sozialethik sowie der Versöhnung und dem Frieden verpflichtet. Wir sprechen uns dagegen aus, diplomatische und militärische Mittel gegeneinander auszuspielen. Beide Elemente sind keine Alternativen, sondern zwei Hälften einer Strategie. Neben den militärischen Fähigkeiten muss die EU durch zivile Konfliktbearbeitung und multilaterale Verhandlungen Konfrontationen minimieren. Wir schätzen den Beitrag der Zivilgesellschaft, besonders die Rolle von Frauen, zur Konfliktlösung und zum Frieden.

Eine tiefere Europäisierung der Verteidigungspolitik 

In dieser Legislaturperiode muss die EU über den Ansatz des „Strategischen Kompasses“ hinausgehen, den wir als einen ersten Schritt betrachten. Wir fordern eine stärkere Europäisierung der Verteidigungspolitik sowie eine dauerhafte Unterstützung der gemeinsamen Beschaffung durch die Mitgliedstaaten, die derzeit bis 2026 begrenzt ist. Die gemeinsame Beschaffung fördert die Interoperabilität. Der Kommissar für Verteidigung hat bei diesen Aufgaben eine Schlüsselrolle zu spielen. Die Entwicklung dieser neuen Strukturen sollte einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegen.  

Wir unterstützen den Solidaritätsmechanismus der NATO vollumfänglich, erkennen an, dass 22 EU-Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich an diesen Vertrag gebunden sind, und wenden uns deutlich gegen alle Versuche, ihn zu schwächen. Wir fordern eine begrenzte militärische Kapazität der EU als europäischen Pfeiler in der NATO, die schrittweise aufgebaut werden soll. Wir sind überzeugt, dass die EU nicht nur eine wirtschaftliche und politische, sondern auch eine sicherheitspolitische Union sein soll.  


Unsere Werte gegen russische Aggression verteidigen 

Die Vertreibung der Menschen innerhalb der Ukraine seit dem russischen Angriff im Jahr 2014 und die von Russland im Zuge des massiven völkerrechtswidrigen Angriffs vorangetriebene militärische Eskalation seit Februar 2022 haben unermessliches Leid verursacht. Auch in der Vergangenheit hat Russland Kriege wie den in Syrien angezettelt und eskaliert, die Millionen unschuldiger Menschen dazu brachten, aus ihrer Heimat zu fliehen und in Europa Schutz zu suchen, wie es die internationale Charta der Menschenrechte garantiert. Die Ukraine und ihr Volk darf weder auf kurze noch auf lange Sicht aufgegeben werden. In der Ukraine werden die europäische Freiheit, die Demokratie und die Menschenrechte verteidigt. Wir wollen einen gerechten Frieden, aber nicht um den Preis von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. Die EU muss im engen transatlantischen Bündnis und mit ihren Partnern, dafür sorgen, dass sich die Ukraine und andere gefährdete Staaten gegen Angriffe verteidigen und ihre territoriale Integrität wiederherstellen. Die Ukraine verdient einen gerechten und dauerhaften Frieden, der auf den Grundsätzen des Völkerrechts, insbesondere der UN-Charta, beruht und ihre Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität respektiert. Russland darf weder den Krieg gewinnen noch einen neuen beginnen. Dies ist die geopolitische Priorität dieses Jahrzehnts. Sogenannte Vorschläge und Kompromisse für einen Frieden dürfen nicht auf Kosten eines Landes gehen, das Opfer einer militärischen Aggression ist. Eine dauerhafte Unterstützung der Ukraine sowie eine einheitliche Außenpolitik der EU-Mitgliedstaaten sind eine Herausforderung, aber unverzichtbar.  

Es ist keineswegs einfach, eine klare und gemeinsame Haltung in der Außenpolitik zu finden, wie das EU-interne Ringen um die Annahme und Durchsetzung von Sanktionen beweist. Wenn es Europa an Einigkeit in Sicherheitsfragen mangelt, wird der Weg für militärische autokratische Aggressionen geebnet. Wir befürworten daher die Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen im Rat für Auswärtige Angelegenheiten und fordern den Europäischen Rat auf, diese schrittweise unter Nutzung der Passerelle-Klauseln einzuführen. In einem ersten Schritt sollte die qualifizierte Mehrheit bei Sanktionen angewendet werden. Darüber hinaus sollte das Europäische Parlament eine stärkere Stimme in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik haben. Langfristig brauchen wir eine neue Friedens- und Sicherheitsarchitektur, in der Abschreckung, Rüstungskontrolle, Koexistenz und Kooperation gut austariert werden. 


Mehr strategische Unabhängigkeit für Europa 

Wir unterstützen den Abbau strategischer Abhängigkeit der EU, die zugleich ihre entschlossene Haltung zur Förderung der Menschenrechte beibehalten muss. Nach einer Debatte über die europäische strategische Abhängigkeit von China, die aus unserer Sicht gesenkt werden muss, sollte eine gemeinsame Strategie entwickelt werden. Die EU muss für ihr gemeinsames wirtschaftliches Interesse und die Menschenrechte eintreten, da wir schwächer sind, wenn wir gespalten auftreten. 

Die ökologische Krise bedroht uns letztlich alle. Die Dekarbonisierung führt zur Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen, reduziert fatale Energieabhängigkeiten und erhöht die Sicherheit, indem sie eine entscheidende Finanzquelle bestimmter autokratischer Systeme versiegen lässt. Wir sind überzeugt, dass sie daher nicht zuletzt auch ein geopolitisches Instrument ist. Um erfolgreich zu sein, muss eine ehrgeizige Klimapolitik eng mit der Armutsbekämpfung verknüpft sein und die internationale Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigen. Die Bepreisung von Kohlenstoff ist unerlässlich, um kurzfristige Nachteile auszugleichen. 


Für die Wahrheit aufstehen 

Während Nationalismus und Autokratien aufkommen und Demokratien erschüttern, muss Europa standhaft bleiben und wirksame Maßnahmen gegen Desinformation als eines der erosivsten Elemente ergreifen. Populisten schüren nur Probleme, manchmal erfinden sie sie sogar - Probleme lösen sie nie. Wir sind für ein starkes Europa, das in einer globalen Allianz der Demokratien handlungsfähig ist. Als Christen werden wir uns widersetzen, wo die Würde des Menschen angegriffen wird, und bleiben dem Kampf für das Gemeinwohl verpflichtet. 

 
Maria Carmen Aragonès, SPAIN, Teresian Association 
Josian Caproens, BELGIUM, Interdiocesan Pastoral Council (IPB) / European Forum of National Laity Committees (ELF) 
Raphael de Araújo Bittner, GERMANY, Zentralkomitee der deutschen Katholiken 
Isabelle de Gaulmyn, FRANCE, Semaines Sociales de France  
Dr. Stefan Eschbach, GERMANY, Zentralkomitee der deutschen Katholiken 
Dr. Fr Roman Fihas, UKRAINE, Institute of Ecumenical Studies, Lviv 
Janko Korošec, SLOVENIA, Socialna akademija 
Mary McHugh, UNITED KINGDOM, National Board of Catholic Women of England and Wales 
Petr Mucha, CZECH REPUBLIC, Czech Christian Academy  
Adela Muchova, CZECH REPUBLIC, Czech Christian Academy  
Luís Miguel Roquete, PORTUGAL, Conferência Nacional de Associações de Apostolado dos Leigos  
Sabine Slawik, GERMANY, ANDANTE. European Alliance of Catholic Women Associations 
Marie-Louise van Wijk-van de Ven, NETHERLANDS, Network of Catholic Women in the Netherlands 
Benoit Willemaers, BELGIUM, Jesuit European Social Centre (JESC) 
Henryk Woźniakowski, POLAND, Znak Christian Culture Foundation 

 
Die Initiative Christen für Europa (IXE) ist ein Zusammenschluss von Laienorganisationen und engagierten Christen aus verschiedenen europäischen Ländern. Allgemeines Anliegen von IXE ist es, ein lebendigeres Bewusstsein für ein vereintes Europa in die nationalen Debatten einzubringen. Ziel der Initiative ist es, die Begegnung von Christen in Europa zu fördern und die Soziallehre der Kirche voranzubringen, um ein besseres gegenseitiges Kennenlernen und Verständnis der historischen und kulturellen Unterschiede zu erreichen. Mehr Informationen finden Sie unter https://christiansforeurope.com/. 

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