Aktuelle Entwicklungen, Rede der ZdK-Präsidentin 11/2023
im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
Einleitung
„Nie wieder ist jetzt!“ – mit diesem Schriftzug wurde das Brandenburger Tor beim Gedenken zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht angestrahlt. So wie nach Beginn der russischen Invasion gegen die Ukraine, blicken wir entsetzt auf den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 07. Oktober und das Leid, das er für Hundertausende Menschen bringt. In Deutschland und weltweit erleben wir heftige Auseinandersetzungen, die Politik und Gesellschaft vor teils schwere Zerreißproben stellen.
Angesichts der vielfältigen Friktionen und globalen Bedrohungen erscheint es fast kleinmütig, auf uns selbst zu schauen. Ich tue es für einen kurzen Moment dennoch: Vor 175 Jahren, am 3. Oktober 1848, trafen sich die katholischen Piusvereine zu ihrer ersten Generalversammlung. Die organisierte katholische Zivilgesellschaft, aus der die Katholikentage entstanden sind, nahm hier ihren Anfang. Wir wollten das in Form eines Festvortrags mit Prof. Tomáš Halík ein wenig feiern bei dieser Vollversammlung. Aber das, was in Israel passiert ist, ist deutlich größer und wichtiger und deshalb schauen wir gleich mit unseren Gästen noch einmal genauer auf die Entwicklungen in Nahost und weltweit.
In den innerkirchlichen Reformprozessen darf die Stimme des ZdK auch heute nicht fehlen. Ich blicke dankbar auf das konstituierende Zusammenkommen des Synodalen Ausschusses vor zwei Wochen in Essen zurück. Dafür wird morgen nochmal mehr Zeit sein! Auch, um die Satzung zu beschließen.
In der Politik wird das Eintreten des ZdK für Menschen in Not- und Konfliktsituationen sowie für gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die sichere Lebensgrundlagen bieten und Partizipation ermöglichen, dringend gebraucht. Das wird deutlich etwa in unserem Einsatz für Migration, in Fragen der Bioethik, der sozial-ökologischen Transformation oder in unserem Engagement für die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Lage in Israel und Auswirkungen in Deutschland
Der 7. Oktober markiert einen Zivilisationsbruch. In brutalster Art und Weise haben terroristische Hamas-Kämpfer tausende Raketen auf Israel abgefeuert und die Grenze zu Israel gestürmt – am Schabbat zum Ende des Laubhüttenfestes, am Fest der Freude über die Tora. Mehr als1200 israelische Zivilist*innen wurden getötet, unzählige weitere systematisch vergewaltigt und verschleppt. Der größte Massenmord an Jüdinnen und Juden nach dem Zweiten Weltkrieg! Wir als ZdK stehen an der Seite der Israelis. Wir stehen an der Seite der Jüdinnen und Juden. Sie wurden als Kollektiv getroffen. Das haben wir in unterschiedlichen Kontexten wiederholt zum Ausdruck gebracht. Hervorheben möchte ich die Erklärungen der beiden Gesprächskreise „Juden und Christen“ sowie „Christen und Muslime“, die beide eindeutig sind in der Verurteilung des Angriffes auf Juden und Jüdinnen in Israel und der erschreckenden Zunahme antisemitischer Übergriffe in Deutschland.
Wir haben finanziell, politisch und aktiv durch unsere Teilnahme die Israel-Solidaritätsdemonstration am 22. Oktober 2023 in Berlin unterstützt. In einem Dankesbrief schreibt der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, dass auch in den kommenden Tagen und Wochen die Solidarität für Israel wichtig bleiben wird.
Wir bleiben an dem Thema dran: Den Antisemitismus in Deutschland und die Lage in Israel und Gaza haben wir intern in zwei After-Work-Veranstaltungen zum Thema gemacht. Aus dem Hauptausschuss hat das Präsidium den Auftrag mitgenommen, die Themen nachzuhalten. Das ist zwischenzeitlich passiert: Aus dem Antisemitismus-Gespräch ist die Idee für einen Workshop für die ZdK-Mitglieder zu Israel-bezogenen Antisemitismus erwachsen, zu dem wir zeitnah einladen werden. Die Vorbereitungen laufen bereits. Damit reagieren wir auch auf den Wunsch aus den Reihen des ZdK, dass wir uns selbst mit der Lage in Nahost und den antisemitischen Übergriffen in Deutschland näher beschäftigen. Aus dem Workshop soll im Anschluss eine Positionierung des ZdK erwachsen, hinter der wir uns alle wiederfinden. Und wir sind froh, dass wir gleich mit Botschafter a.D. Shimon Stein, Heinrich Wefing von der ZEIT, Kristin Helberg und unserem Mitglied Dorothee Klüppel von Misereor über die Situation in Israel und Gaza sprechen können. Dabei ist es uns auch ein Anliegen, auf die dramatische Situation mit tausenden Toten in der Zivilbevölkerung im Gazastreifen hinzuweisen. Hier wird humanitäre Hilfe mehr als dringend benötigt!
Das Jubiläum des Gesprächskreises Juden und Christen, das für nächste Woche geplant war, können wir vor dem Hintergrund der aktuellen Lage nicht einfach so feiern. Zu tief geht die Traumatisierung, die unsere jüdischen Geschwister derzeit erfahren müssen. Statt des festlichen Symposiums lädt der Gesprächskreis zu Gedenken und Reflektion ein. Auf eine jüdisch-christliche Gedenkfeier folgt ein Impulsvortrag zur Bedeutung des Staates Israel auf dem Hintergrund der jüdischen Tradition. Ein Rabbiner aus dem Gesprächskreis gibt anschließend Einblick in die Situation in jüdischen Gemeinden in Deutschland nach dem 7,. Oktober. Daran anknüpfend stellt sich der Gesprächskreis anschließend gemeinsam mit seinen Gästen der Frage, was in dieser Situation der existentiellen Bedrohung unserer jüdischen Geschwister Aufgabe des jüdisch-christlicher Dialog sein kann. Ich lade Sie nachdrücklich ein, am 30. November der Einladung nach Frankfurt zu folgen und so jetzt erst Recht ein Zeichen zu setzen! „Nie wieder ist jetzt!“
Internationale Beziehungen, Krieg, Friedensethik
Heute vor 21 Monaten begann die verheerende russische Invasion in die Ukraine. Wir alle haben die Bilder deszerstörten Mariupol oder vom Massaker in Butscha im Kopf. Gezielte Angriffe auf zivile Infrastruktur, Deportationen, Vergewaltigungen, Zwangsrekrutierungen, Instrumentalisierung eines Atomkraftwerks, nukleare Drohungen: Das Unheil, das in diesem Krieg durch die russische Aggression angerichtet wird, ist von unfassbarer Grausamkeit. Wir dürfen uns an diese Gewalt, an diesen zermürbenden Stellungskrieg, nicht gewöhnen. Und wir dürfen nicht vergessen, wie prekär die Situation auch in Syrien und Afghanistan ist. Die Zahl der Geflüchteten ist so hoch wie nie zuvor: Wir müssen davon ausgehen, dass derzeit weltweit etwa 117 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Ein Drittel dieser Menschen stammt aus der Ukraine, aus Syrien oder aus Afghanistan. Viele von ihnen erreichen die Europäische Union nicht, sondern bleiben als Binnengeflüchtete in ihrem Heimatland.
Ich bin dankbar, dass sich die Sachbereiche 2 und 6 unter der Leitung von Frau Prof. Aschmann und Frau Kramp-Karrenbauer im September zu einem Studientag unter dem Titel „Wie kann der Frieden aussehen?“ in Fulda getroffen haben und an den Themen weiterhin arbeiten.
Migration
Zu den schrillsten Debatten in Deutschland und Europa gehört zweifellos der enthemmte Asylstreit. Die Diskurskultur ist in vielen Momenten unwürdig und verstörend.
Für mich steht trotz der gewachsenen migrationspolitischen Herausforderungen und bei allem Lob für die Verständigung auf eine Pro-Kopf-Pauschale fest: Der Asylkompromiss vom 6. November ist dreißig Jahre nach der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes eine Zäsur. Bund und Länder setzen auf das Abschreckungsprinzip und kürzen dabei nicht nur beim Geld, sondern auch bei der Integration.
Ebenso problematisch ist die neuerliche Verschleppung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte. Erst im Oktober hatten wir im ZdK-Hauptausschuss unser Votum erneuert, dass es beim Familiennachzug keinen monatlichen Deckel geben darf, unabhängig vom Schutzstatus. Die Einheit der Familie, in der Verfassung geschützt, ist nicht einmal mehr ernsthafter Teil der Verhandlungsmasse, sondern gerät auf die lange Bank!
Mit Blick auf die bevorstehende Reform des Europäischen Asylsystems haben wir gemeinsam mit dem Klub der Katholischen Intelligenz, unserem Partner in Warschau, markiert, dass Familien mit Minderjährigen an den EU-Außengrenzen unter keinen Umständen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden dürfen. In Europa, gerade in Deutschland, sollten wir aus den positiven Erfahrungen lernen, die wir bei der Aufnahme der ukrainischen Geflüchteten gemacht haben: Von Räumen, in denen Integration gelingen kann, profitiert letztlich die ganze Einwanderungsgesellschaft.
Eintreten für Menschenwürde und Demokratie - Aufstehen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Hetze
Unsere Demokratie erlebt derzeit eine reale Bedrohung! Ich kann es nur nochmal in aller Deutlichkeit betonen: Rechtsextremes, antisemitisches und menschenfeindliches Gedankengut kann niemals katholisch sein! Mit einer solchen Aussage macht man sich nicht nur Freunde– auch mit Blick auf den kommenden Katholikentag in Thüringen. Umso wichtiger ist es, dass wir hier immer wieder deutlich unsere Haltung als ZdK zeigen.
Da ist der unerträgliche Antisemitismus zu nennen, der ja immer da war, aber sich nun auch wieder breit öffentlich Bahn bricht als Israelhass und konkrete Bedrohung für Jüdinnen und Juden in Deutschland. Aber dass sich Debatten verschieben und Extremismus und Menschenfeindlichkeit zunehmend „normal“ werden, wissen wir nicht nur aus der Mittestudie der Uni Bielefeld, wir sehen es auch an der wachsenden Zustimmung zu populistischen Parteien wie der AfD. Wir erleben gerade, wie plötzlich das Thema Migration die politische Debatte beherrscht und wie aus Hetze gegen Geflüchtete erst eine Rhetorik und dann auch eine Politik der Ausgrenzung und Abschreckung entsteht, die besorgniserregend ist. Die ersten Wahlumfragen lassen befürchten, dass Demokratiefeindlichkeit, Populismus und Extremismus noch mehr Zustimmung erfahren werden – und das europaweit. Das jüngste Wahlergebnis in Polen ist in diesen Zeiten ein Lichtblick, auch für die Rechtsstaatlichkeit.
Ich begrüße es sehr, dass die Sprecher*innen der Sachbereiche und die Vorsitzenden der beiden Gesprächskreise einen Antrag in diese Vollversammlung eingebracht haben, der unter dem Titel „Eintreten für Menschenwürde und Demokratie“ deutlich macht: wir haben als ZdK die dringende Aufgabe, gemeinsam mit der immer noch großen, demokratischen Mehrheit in diesem Landeinzustehen für eine lebendige, wehrhafte Demokratie und Menschenrechte weltweit. Dieser Auftrag prägt nicht nur unsere politische, sondern auch unsere pastorale wie diakonische Arbeit, die politische Bildung genauso wie die Jugendarbeit oder die Migrationsberatung für Geflüchtete oder die Unterstützung für Menschen, die Armut und Ausgrenzung erfahren. Und mit Blick auf die laufende Satzungsreform des ZdK sage ich deutlich: wir brauchen eine Unvereinbarkeitsregel, denn AfD-Mitglieder haben im ZdK nichts verloren!
Klimapolitik
Meine Damen und Herren, wir befinden uns im wärmsten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Mit dem Klimaschutzprogramm 2023 hat die Bundesregierung zwar ein umfangreiches Programm vorgelegt, das den Pariser Klimazielen, dem European Green Deal und dem Bundes-Klimaschutzgesetz jedoch nicht gerecht wird. Mit diesen Maßnahmen kann die Lücke zwischen Zielen und tatsächlicher Emissionsreduktion bis 2030 verkleinert, aber nicht geschlossen werden. Es ist sehr enttäuschend, dass Deutschland klimapolitisch weiter auf einem Zielverfehlungskurs ist! Künftig muss in den einzelnen Sektoren erst dann nachgesteuert werden, wenn die Emissionseinsparungen in zwei aufeinanderfolgenden Jahren ungenügend sind. Geprüft wird also erst nach der Bundestagswahl 2025 – nach dem Ende der laufenden Legislatur.
Auch das Fiasko um die GEG-Novelle, die Verschleppung des Abbaus klimaschädlicher Subventionen und die ausbleibende Einführung des Klimagelds, das die steigende CO2-Bepreisung sozialpolitisch flankieren soll, zeigen, wie sehr bei der Ampel klimapolitischer Anspruch und Wirklichkeit auseinanderliegen.
Durch das gravierende Urteil, das das Bundesverfassungsgericht in der vergangenen Woche getroffen hat, fehlen der Bundesregierung zudem nun auf einen Schlag 60 Milliarden €. Es ist handwerklich bedenklich, dass die Bundesregierung nun mitten in den Haushaltsverhandlungen blamiert dasteht, da sie den Klima- und Transformationsfonds kurz nach ihrer Geburtsstunde verfassungswidrig mit ungenutzten Corona-Krediten aufgefüllt hatte. Die Ausgabensperre für diesen Fondstrifft zukunftsträchtige Vorhaben wie den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Es kann nicht sein, dass so wichtige Aufgaben in Nebenhaushalten verortet werden! Das Bundesfinanzministerium hat am Montag reagiert und vorerst alle sogenannten Verpflichtungsermächtigungen mit einer Haushaltssperre belegt. Weil die Ampel nicht weiß, welche Vorhaben sie in den nächsten Jahren tatsächlich finanzieren kann, müssen beauftragte Unternehmen um ihre Projekte bangen. Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine gesellschaftliche Verständigung darüber, wie staatliche Vorhaben verlässlich finanziert werden können. Zu dieser Debatte gehört die Schuldenbremse, aber auch die Frage, wie der Staat mehr Einnahmen generieren und überholte Ausgaben streichen kann - mit einem gerechteren Steuersystem und einer Beschränkung auf zukunftsfähige Subventionen.
Heute beginnen die Pre-Sessions der Klimakonferenz COP 28 in Dubai, die am Donnerstag eröffnet wird. Im Zentrum der Verhandlungen steht die sogenannte „Globale Bestandsaufnahme“, bei der die weltweiten klimapolitischen Fortschritte überprüft werden, sowie die große Aufgabe, den im vergangenen Jahr beschlossenen Loss-and-damage-Fonds tatsächlich auch mit einem massiven Finanzvolumen und unter Mitwirkung der Betroffenen einzuführen. Ich setze darauf, dass Franziskus mit einer starken Botschaft nach Dubai reist! In einem Antrag werden wir dieses Thema am Nachmittag aufgreifen.
Sozial-ökologische Transformation
Was braucht die Industrie?
Angesichts der von hohen Energiekosten getriebenen Inflation, der drohenden Abwanderung von Industriesektoren und der steigenden handelspolitische Abhängigkeiten mit China rang die Bundesregierung um adäquate Maßnahmen, auch in Reaktion auf das industriepolitische Gesetzespaket in den USA, den Inflation Reduction Act.
Vor zwei Wochen verständigte sich das Kabinett darauf, die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe mindestens zwei Jahre lang auf das europäische Minimum zu senken. Handel, Dienstleister und Privathaushalte werden weiterhin den höheren Steuersatz zahlen. Damit endete eine monatelange Hängepartie. Nicht nur die energieintensiven Konzerne, sondern auch viele mittelständische Unternehmen werden davon profitieren. Ob die Entscheidung mit Blick auf weniger solvente Haushalte steuerpolitisch gerecht ist, halte ich für fraglich. Außerdem drängt sich die Sorge auf, dass der sozial-ökologische Anpassungsdruck wesentlich abgeschwächt und bereits verschleppte Zukunftsinvestitionen in vielen Unternehmen weiter aufgeschoben werden.
Wohnungsbedarf, Bauen
Die zunehmende Verschärfung auf dem Wohnungsmarkt bereitet dem ZdK und mir große Sorge. Knapper Wohnraum in Ballungsgebieten und gebietsweise immer höher steigende Mieten, aber auch die Energie- und Inflationskrise verstärken die ohnehin schon angespannte Situation. Bereits im Januar hatte der Hauptausschuss einen Beschluss veröffentlicht, in dem kirchliche Immobilieneigentümer*innen dazu aufgefordert werden, sich ihrer sozialen Verantwortung bewusster zu werden und die Nutzung kirchlicher Immobilien verstärkt an sozialethischen Kriterien auszurichten. Wir arbeiten weiter darauf hin, dass der kirchliche Umgang mit eigenen Immobilien zu großen Teilen gemeinnützig orientiert sein muss – z.B. über eine Quote für sozialen Wohnungsbestand diözesaner Immobilien.
Kindergrundsicherung
Das ZdK war von Seiten des BMFSFJ sowohl zur Stellungnahme als auch zur Verbändeanhörung zur Kindergrundsicherung eingeladen. Nachdem wir bereits mit dem Referentenentwurf sehr unzufrieden waren, können wir auch am Kabinettsentwurf keine wirkliche “Grundsicherung” für junge Menschen und ihre Familien erkennen. Wir begrüßen, dass im Kabinettsentwurf u.a. der zuvor kritisierte sogenannte “Elterngeldüberhang” wegfällt. Die Kindergrundsicherung bleibt gegenwärtig nur ein bloßer Einstieg in eine bessere Familienpolitik. Besonders den Wegfall des Kindersofortzuschlags und die fehlenden erheblichen Verbesserungen für Getrennterziehende kritisieren wir deutlich.
Selbstbestimmungsgesetz
Im Rückblick auf die letzten 12 Monate freut mich immer noch die große Resonanz, die die ZdK-Lobbyarbeit zum Selbstbestimmungsgesetz erfahren hat.
Der Beschluss der ZdK-Vollversammlung im Dezember 2022 ebnete den Weg für zahlreiche Gespräche zwischen dem Generalsekretariat sowie Vertreter*innen der Politik. Eine echte Teamleistung und hier gebührt insbesondere der Abteilung Kirche und Gesellschaft unser Dank. Daraus haben sich verstärkte Kontakte u.a. zum BMFSFJ ergeben, die es uns auch ermöglichen, unsere Positionen zu anderen Themen, wie etwa Kindergrundsicherung, noch gezielter zu platzieren. Die Debatten im Vorfeld und auch nach der Beschlussfassung waren äußerst kontrovers. Nicht alle im ZdK haben den Beschluss in gleicherweise begrüßt. Ich sehe es jedoch sehr positiv, dass wir in der Lage sind, auch bei sehr umstrittenen Themen zu gemeinsamen, tragfähigen Positionierungen zu kommen. Diese Debatten- und Kompromisskultur sollte das ZdK sich unbedingt bewahren.
Bioethische Fragen
Mit großer Sorge blicke ich auf die Diskussion um die Neuregelung von §218 StGB. Die Stimmen, die eine Veränderung fordern, werden lauter – selbst in den Kirchen, wie die Stellungnahmen von EKD und Diakonie zeigen. Ich plädiere weiterhin für die aktuelle Regelung von §218 StGB, die ich für einen schwer errungenen wertvollen Kompromiss halte. Heute Nachmittag werden wir Gelegenheit haben mit Bundesministerin Paus darüber zu sprechen. Fragen von Eizellspende und Leihmutterschaft werden – wie § 218 - derzeit ebenfalls in der Kommission für reproduktionsmedizinische Fragen behandelt – wir behalten auch diese beiden Themen im Blick. Auch das Thema der Suizidassistenz lässt uns nicht los. Der Versuch eine gesetzliche Regelung für die Suizidhilfe zu finden, ist vor dem Sommer im Bundestag gescheitert. Ich bin weiterhin der Meinung, dass wir Menschen in existenziellen Situationen am Ende des Lebens nicht alleine lassen dürfen und dringend klare gesetzliche Regelungen brauchen. Wir werden das Thema weiterhin verfolgen und haben eine Ad-hoc AG zur Suizidhilfe und -prävention eingesetzt, um für eine Wiederauflage der Diskussion vorbereitet zu sein. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass wir derzeit in Deutschland gar keine Regelung hierzu haben!
Synodalität
Letzten Monat richteten sich unsere Blicke nach Rom. Thomas Söding hat als Berater an der Bischofssynode teilgenommen, ich selbst konnte bei meiner Reise nach Rom einige Eindrücke von der Synode vor Ort gewinnen. Die erste Bischofssynode mit stimmberechtigten Frauen und männlichen Laien. Am Ende standen wenige konkrete Beschlüsse, doch ein deutliches Votum: Es braucht einen Kulturwandel in der Kirche. Der Zwischenbericht verurteilt klar die systemische, sexualisierte Gewalt. Er fordert mehr Teilhabe aller Getauften, v.a.
von Frauen und marginalisierten Personen, mehr Transparenz und das Ende des Machtmissbrauchs. Ich hoffe, dass wir dies auch konkret sehen werden, in der Kirche vor Ort, überall auf der Welt. Es geht weiter! Auch hier in Deutschland. Das haben wir mit dem Synodalen Ausschuss gezeigt, der sich vor etwa 14 Tagen zu seiner Auftaktsitzung in Essen getroffen hat. Den Wendepunkt, den Papst Franziskus in seinem Motu proprio „Ad theologiam promovendam“ für die katholische Theologie als „mutige Kulturrevolution“ fordert, brauchen wir von der Theologie ausgehend für die gesamte Kirche. Es ist an der Zeit, mit den Worten des Papstes gesprochen, „die Gegenwart prophetisch [zu] deuten und neue Wege für die Zukunft“ [zu] suchen. Es ist höchste Zeit.
Zum Schluss: es ist kein Zufall, dass die politischen Themen heute überwiegen. Als ZdK sind wir in diesen fragilen Zeiten gefragt. Der innerkirchliche Reformprozess darf uns nicht an unserer ureigenen Aufgabe hindern, als Katholik*innen unsere Stimme einzubringen gegen die Spaltung unserer Gesellschaft und für den Erhalt der Demokratie!
Dr. Irme Stetter-Karp