Impulse von Father James Martin SJ
im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
Guten Tag,
Ich bin Father Jim Martin. Ich bin Jesuitenpriester und Editor-at-large bei America Media hier in New York City. Ich fühle mich sehr geehrt, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Zunächst einmal entschuldige ich mich dafür, dass ich nicht live bei Ihnen sein kann. Aber ich befürchte diese Konferenz findet um 3:15 Uhr morgens New Yorker Zeit statt. Daher danke ich für die Gelegenheit, dies im Voraus aufzeichnen zu können. Ich hoffe, dass es zu einigen guten Gesprächen führen wird. Ich denke, dass die deutsche Kirche eine so wunderbare Arbeit geleistet hat in Antwort auf den Aufruf von Papst Franziskus zur Synode. Die deutsche Kirche ist weltweit eine echte Anführerin für andere Kirchen und andere Länder. Vielen Dank dafür!
Ich wurde eingeladen, über den priesterlichen Dienst an LGBTQ-Personen, lesbische, schwule, bisexuelle, transgender und queere Menschen in der Kirche zu sprechen. Nun, viele Leute denken, dass dies etwas Neues ist und dass wir auf zeitgenössischen Druck oder auf die Medien reagieren, uns diesen Gruppen von Menschen in unserer Kirche zuzuwenden. Aber was ich heute gerne kurz tun möchte, ist, drei Erzählungen anzuschauen, die uns verstehen helfen, wie Jesus während seiner Verkündigung Menschen erreicht hat, die am Rande stehen und was uns das in Bezug auf LGBTQ-Menschen heute zu sagen hat. Als erstes möchte ich drei Erzählungen aus den Evangelien ansehen. Die erste ist die Geschichte des römischen Hauptmanns (MT 8, 5-13). In Kafarnaum hat Jesus während seiner Zeit eine feste Anlaufstelle in Galiläa. Es gab einen römischen Hauptmann, den wir aus den Evangelien kennen. Nun, Kafarnaum ist keine Stadt, die unserem katholischen Bewusstsein besonders präsent ist. Wir alle kennen natürlich Jerusalem und Bethlehem und Nazareth, aber Kafarnaum, darüber denken wir nicht allzu viel nach. Und doch war Kafarnaum ein sehr wichtiger Ort im öffentlichen Wirken Jesu. Wie gesagt, es war seine Basis für seinen Dienst in Galiläa. Dort geschahen so viele Wunder: die Heiligung des Besessenen in der Synagoge, die Heilung von Petrus‘ Schwiegermutter sowie die Berufungen von Matthäus, Petrus, Andreas und Jakobus und ebenso die Brot des Lebens-Unterweisung in Johannes. Es ist also eine sehr wichtige Stadt für uns.
Und eines Tages kommt ein römischer Hauptmann zu Jesus und bittet um Heilung für seien Diener. In den Worten, die uns allen sehr vertraut sind, sagt er: „Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird mein Diener gesund“. Das ist interessant, nicht wahr? Dass die Worte, die wir jeden Tag im Gottesdienst wiederholen, dass sie nicht von Josef oder Maria oder von einem anderen Heiligen stammen. Sie kommen von einem Außenstehenden. Der Hauptmann sagt also, du musst nicht zu mir nach Hause kommen, denn ich bin ebenfalls ein Mann, dem andere Menschen unterstellt sind. Sage ich zu einem Mann: „Geh“, dann geht er; sage ich zu einem anderen Mann: „Komm“, dann kommt er. Ich sage zu einem anderen: „Tu dies“ und er tut es. Alles, was du tun musst, ist, das Wort auszusprechen. Jesus ist erstaunt über den Glauben dieses Mannes und lobt seinen Glauben vor den Jüngern. Und dann wird der Diener des Mannes geheilt.
Nun, was ist die traditionelle Interpretation dieser Erzählung? Es ist so, dass Jesus Macht über Krankheit hat, was wahr ist – sehr wichtig über Jesu Macht zu wissen. Ebenso: Jesu Wort hält, was es aussagt. Jesus muss nur das Wort sagen und der Mann ist geheilt. Es ist vergleichbar mit dem Wort Gottes im Buch Genesis. Gott sagt: „Es werde Licht“. Und da war Licht. Es bedarf keiner Zauberformel oder einer Beschwörung oder eines Zaubertranks. Jesus hat nichts zu tun, außer ein Wort zu sprechen. Jesus ist natürlich das Wort Gottes, der Logos, das Wort dieses Gottes. Jesus hat also Macht über Krankheit und Jesu Wort tut, was es sagt. Aber es gibt einen anderen Teil der Erzählung, den wir außer Acht lassen. Schauen Sie, wer der römische Hauptmann war. Er ist kein Jude. Er glaubt nicht einmal an den einen Gott. Wahrscheinlich glaubt er an die römischen Götter. Vielleicht hat er sogar einen kleinen Schrein aus Rom mitgebracht, vor dem er seine Götterstatuen anbetet. Er ist ein Heide. Aber beachten Sie, wie Jesus ihn behandelt. Sagt er: „Geh weg von mir“? Sagt er, „Du sündige Person“? Sagt er: „Komm zurück, wenn du Jude geworden bist“? Sagt er: „Ich werde nicht mit dir sprechen, weil du Mitglied der Besatzungsarmee bist“? Nein! Er behandelt ihn mit großer Würde, Respekt und Mitgefühl. Es ist ein frühes Zeichen dafür, wie Jesus jemanden am Rande behandelt. Und er lobt den Glauben des Mannes. Manchmal, wenn ich an LGBTQ-Menschen denke, denke ich darüber nach, wie sie trotz Ablehnung, Ausgrenzung und wirklich hasserfüllter Dinge auch Kirchenführern durchhalten in dieser Kirche. Ich zitiere die Worte Jesu, der sagt: „Wie groß Ihr Glaube ist! Noch nie habe ich einen Glauben wie diesen gesehen.“ Also lobt er den Glauben dieses Mannes und dann tut er ihm einen großen Dienst, indem er seinen Diener heilt. Es ist also ein frühes Zeichen dafür, wie Jesus jemanden am Rand behandelt. Jemand völlig außerhalb des jüdischen Milieus dieser Zeit, einen absoluten Außenseiter.
Die zweite Geschichte ist die Erzählung der Samaritanerin am Brunnen (Joh 4, 1-42). Nun, wie wir wissen, hatten Samariter und Juden viele Konflikte. Warum? Aus religiösen Gründen. Die Samariter [sic!] glauben, dass der Ort der Anbetung Gottes in Jerusalem ist, im Tempel, dem Allerheiligsten. Die Samariter glauben, dass es auf dem Berg Garizim ist. Wir sehen die Spannung in der Erzählung vom barmherzigen Samariter. Jetzt denken wir natürlich alle, dass wir barmherzige Samariter sein müssen – was wahr ist – aber in dieser Erzählung geht es um die Person, die als „anders“ betrachtet wird, wer als „anderer“ gedacht wird, der tatsächlich die gute Tat tut. In der Tat, die Rettung des geschlagenen Mannes am Straßenrand hängt davon ab, wie hier Anders-sein gedacht wird. In jedem Fall, Jesus geht durch Samaria und er hält an einem Brunnen an und er trifft dort eine Frau. Nun sagt uns das Johannesevangelium, dass es 12 Uhr am Mittag ist. Warum interessiert uns das? Die meisten Perikopen sprechen nicht über die Zeit. Wir wissen, dass Jesus um 12 Uhr mittags gekreuzigt wurde und um 15 Uhr starb. Wir hören manchmal, dass er einen Sturm beschwichtigt nachts während der dritten und vierten Wache. Aber normalerweise wissen wir nichts über die Zeit. Aber das Johannesevangelium sagt, dass es 12 Uhr ist. Warum ist das wichtig? Und warum ist die Frau am Brunnen um 12 Uhr, zur heißesten Zeit des Tages wichtig? Wissen Sie ich habe in Ostafrika mit Flüchtlingen gearbeitet und ich sah sie oft frühmorgens Wasser an der Pumpe holen, als es noch kühl war. Warum sollte eine Frau um 12 Uhr dort sein? Nun, wir finden es in der Erzählung heraus, als Jesus anfängt mit ihr zu reden. Die Frau war fünfmal verheiratet und lebt mit einem Mann zusammen, der nicht ihr Ehemann ist. Wahrscheinlich wurde sie der irregulären sexuellen Verhältnisse wegen ausgegrenzt und geächtet. Also sollte Jesus, dem Recht nach, eigentlich nicht mit ihr reden, oder? Aus einer Reihe von Gründen: Sie ist eine Samariterin. Sie hat diese seltsame sexuelle Vorgeschichte. Einigen Bibelforschern zur Folge – darum wird diskutiert – sie ist eine alleinlebende (herrenlose) Frau. Aber was tut Jesus? Nun, das Johannesevangelium zeigt, dass er eine der längsten Unterhaltungen in den Evangelien insgesamt mit ihr führt. Sie spricht über ihren Hintergrund. Dann sagt er, er hat Wasser, wenn sie davon trinken würde, dass sie niemals wieder durstig wäre. Sie fragt: „Darf ich davon haben?“ Und er offenbart sich selbst als dieses lebendige Wasser. Sie missversteht zuerst ein wenig, aber dann wird er als das lebendige Wasser erkannt. Und dann lässt sie ihren Wasserkrug hinter sich – ein sehr starkes Symbol, ihr leerer Krug – und geht und verkündigt die Frohe Botschaft unter den Samaritern. Die Bibelwissenschaftlerin Sandra Schneiders vergleicht das damit, wie Petrus seine Netze zurücklässt. Also lässt Petrus seine Netze hinter sich, um Jesus nachzufolgen. Die Frau am Brunnen lässt ihren leeren Wasserkrug der Verkündigung wegen zurück. Sie wird zu einer Apostelin, jemandem der gesandt ist – keine der 12, aber ausgesandt. Was also ist die traditionelle Interpretation dieser Erzählung?
Nun, Jesus ist das lebendige Wasser. Er ist derjenige, der uns nährt. Es ist ein schönes Zeichen und eine schöne Identifikation für Jesus, eine der großen Bezeichnungen für Jesus im Johannesevangelium: Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Ich bin das Tor. Ich bin der gute Hirte. Ich bin das lebendige Wasser. Es ist Jesus als das lebendige Wasser. Aber ein weiterer Teil dieser Erzählung ist, wie er jemanden am Rand behandelt. Beachten Sie, wie er jemanden in irregulären sexuellen Beziehungen behandelt. Er sagt nicht: „Geh weg von mir, du sündige Person“. Er sagt nicht: „Ich spreche nicht mit dir, weil du Samariterin bist“. Er sagt nicht: „Ich rede nicht mit dir, weil du bereits fünfmal verheiratet warst“. Nein, er hört ihr zu. Er begegnet ihr. Er behandelt sie mit großem Respekt und Würde und dann beauftragt er sie, die Frohe Botschaft zu verkündigen – ein zweites Zeichen, wie Jesus Menschen am Rand behandelt.
Eine dritte Möglichkeit, wie wir auf Jesus im Umgang mit Menschen am Rand schauen können, ist die Erzählung von Zachäus im Lukasevangelium (19, 1-10). Es ist eine wunderschöne Geschichte und ich möchte, dass Sie in dieser besonderen Erzählung ein Abbild der LGBTQ-Personen in der Kirche sehen. Dieses Abbild ist Zachäus. Also, wenn uns erzählt wird, dass Jesus durch Jericho geht, die die am längsten durchgehend bewohnte Stadt der Welt. In Jericho lebt ein Mann namens Zachäus. Er ist der oberste Steuereintreiber. Nun, zu der Zeit hat das bedeutet, dass viele Leute ihn ausgeschlossen haben, weil er mit den römischen Behörden zusammenarbeitete. Also hat er vielleicht andere Freunde, aber die Mehrheit der Leute werden ihn nicht gemocht haben wegen seiner Tätigkeit als Zöllner. Jetzt möchte ich, dass Sie an Zachäus als Sinnbild der LGBTQ-Personen denken. Es ist ein sehr starkes Symbol. Zunächst einmal wird Zachäus als „von geringer Statur“ beschrieben. Jetzt bin ich nicht sicher, ob das ins Deutsche übersetzt wird, aber im Englischen bedeutet es, Statur zu haben, auch eine gewisse Autorität zu haben. Zachäus jedoch ist kleinwüchsig. Wie oft sind LGBTQ-Personen „von geringer Statur“? Sie haben nicht viel Standing in der Kirche. Nun das Evangelium sagt uns, dass Zachäus Jesus wegen der Menge nicht sehen konnte. Wir verstehen, dass Zachäus nicht über die Köpfe der Menge hinweg sehen konnte, weil er zu klein war. Aber wie oft geschieht es, dass sich die Menge zwischen diejenigen „mit geringer Statur“ und Gott stellt? Wie oft sind wir diese Menge? Wie oft geraten wir zwischen jemanden „von geringer Statur“ und Gott. Was muss Zachäus also tun? Wie Sie wissen, muss er auf einen Baum klettern, der berühmte Maulbeerfeigenbaum, weil er sehen wollte, wer Jesus war. Das wollen LGBTQ-Menschen. Sie wollen sehen, wer Jesus ist. Aber die Menge stellt sich ihnen in den Weg. Also klettert Zachäus auf den Baum. Jesus geht durch Jericho und wen ruft er heraus? Nicht den Oberrabbiner, sondern Zachäus: Komm schnell herunter! Ich soll heute dein Gast sein! Zachäus kommt mit Freude herunter. Denn wir freuen uns immer, wenn wir in die Gemeinschaft aufgenommen sind. Im Griechischen heißt es dann im Text: er steht da (statheis dè). Er bleibt standhaft. „Statheis“ (von „histämi“) heißt es im Griechischen. Warum bleibt er standhaft? Sie denken, wenn Jesus Sie gerufen hat, bräuchten Sie sich nicht behaupten? In einigen der wichtigsten Worte dieses Evangeliums, begannen alle, die dies sahen, sich zu empören. Menschen Barmherzigkeit zu erweisen, die an den Rändern leben, macht immer einige Leute wütend – in der Zeit Jesus und in unserer Zeit auch. Jemandem Barmherzigkeit zu erweisen, der „von geringer Statur“ ist, macht Menschen wütend. Aber Zachäus bleibt standhaft. Und dann sagt er, wenn ich jemanden betrogen habe, werde ich es ihm vierfach zurückzahlen. Und ich werde die Hälfte meines Geldes den Armen spenden. Es ist eine Art Bekehrung.
Aber wissen Sie, was sehr interessant ist? Vor nur wenigen Monaten las ich diese Erzählung, bin in den griechischen Text gegangen und prüfte einige Bibelkommentare. Es stellte sich dabei heraus, dass Zachäus in der Gegenwartsform spricht. Er sagt: „Ich gebe die Hälfte meines Geldes an die Armen“. Die Bekehrung, die vielleicht stattfindet, ist also, dass dieser Mann der Menge als jemand vorgestellt wird, der bereits großzügig ist. Wie oft sind LGBTQ-Menschen bereits großzügig und leben bereits ein von Liebe erfülltes Leben? Die Gemeinschaft muss das verstehen. So ist die traditionelle Interpretation dieser Erzählung eben die gleiche Deutung, auf die ich schauen möchte: Jesus wendet sich jemandem am Rand zu, holt ihn in die Gemeinschaft, trotz der Empörung der Menge. Er holt ihn hinein, denn tatsächlich gibt es für Jesus kein „Wir“ und „Die“. Es gibt niemanden, der „Wir“ ist und andere, die „Die“ sind. Es geht darum ein „Wir“ zu erschaffen. Also gibt es für Jesus kein „Wir“ und „Die“ – für uns sollte es kein „Wir“ und „Die“ geben. Und ich denke, das ist einer Ihrer Standpunkte. Und ich denke, wenn wir an diesen Dienst denken, gibt es zwei Möglichkeiten des Standpunktes. Wir können mit der Menge stehen, die sich empört und die wütend ist, weil Barmherzigkeit größer gelebt wird, denen gegenüber, die „von geringer Statur“ sind. Oder wir stehen mit Jesus und strecken die Hand zu denen am Rand aus.
Also meine Brüder und Schwestern, ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie mich willkommen geheißen haben! Ich möchte diese drei Geschichten nur empfehlen. Die Geschichte des römischen Hauptmanns: jemandes völlig außerhalb der jüdischen Welt, den Jesus willkommen geheißen und mit Respekt, Mitgefühl und Sensibilität behandelt hat. Die Frau am Brunnen: jemand mit einer irregulär gelebten Sexualität, die Jesus mit großer Würde behandelt und sie beauftragt, eine Apostelin zu sein. Und schließlich Zachäus: die Person „von geringer Statur“, der nichts sehen kann, weil die Leute ihn daran hindern, zu Jesus zu kommen, den Jesus aber willkommen heißt. Also, drei Geschichten zum Nachdenken, zum Disktieren und für Ihr Gebet. Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben – Danke schön! Gott segne Sie!
Father James Martin SJ