Redebeitrag Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM)
im Rahmen des Hauptausschusses des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
Herzlichen Dank für die freundliche Einladung, die ich sehr gerne angenommen habe. Ohne Sie, ohne die katholischen Laien, ohne Ihre Unterstützung kann unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in Ihrer Kirche nicht gelingen.
Unabhängige Aufarbeitung braucht entschlossene Geistliche und dringend die Überwindung falsch verstandenen Institutionenschutzes. Unabhängige Aufarbeitung braucht aber auch Sie, engagierte katholische Laien, zur Haltungsbildung, zur Überwindung von Widerständen, für eine gelingende Aufarbeitung in den Diözesen und Ordensgemeinschaften.
Um es gleich zu Beginn zu sagen: Ich bin sehr froh, dass die Deutsche Bischofskonferenz – alle 27 Ortsordinarien - die von Bischof Dr. Ackermann, unseren Teams und mir erarbeitete „Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland“ im April 2020 akzeptiert und beschlossen hat. Dadurch wird unabhängige Aufarbeitung in der katholischen Kirche ermöglicht, die nun nicht mehr allein von den Ortsordinarien gesteuert werden kann, sondern von unabhängigen diözesanen Kommissionen, in denen die Vertretungen der Diözesen keine Mehrheit haben.
Damit ist ein starkes Fundament geschaffen worden, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, Transparenz und Akzeptanz zu erreichen.
Erlauben Sie mir Ihnen einen kurzen Hintergrund zu geben: Neben unserem Engagement für Verbesserungen bei Prävention, Intervention und Hilfen ist die Unterstützung von Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch ein Schwerpunkt meines UBSKM-Amtes. Die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in Familien, im Sport, in Schulen, aber auch in katholischen Zuständigkeitsbereichen und in evangelischen Kontexten.
In den letzten neun Jahren haben mein kleines Team und ich viel Zeit und Energie in die Ermöglichung strukturierter unabhängiger Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch gesteckt. Seit dem Jahr 2013 werden wir von Mitgliedern des damaligen Fachbeirats, dem auch bereits Betroffene angehörten, unterstützt. Dort haben wir das Konzept der späteren Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs erarbeitet. Seit 2015 erhalten wir 2 | 4 Unterstützung bei der Konzeption von unabhängiger Aufarbeitung für den kirchlichen Kontext von Mitgliedern des Betroffenenrates und seit 2016 Unterstützung durch die sieben Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.
Es hat viel Zeit, Nerven und Energie gekostet, auf Bundesebene Strukturen der Betroffenenbeteiligung und unabhängigen Aufarbeitung zu schaffen. Leider hat der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ in den knapp zwei Jahren seiner Arbeit von Anfang 2010 bis Ende 2011 die Frage der Betroffenenbeteiligung und unabhängigen Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch nicht beantwortet.
Für die Berufung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs haben wir dem Deutschen Bundestag 2015 einen unterstützenden Beschluss „regelrecht“ abgerungen. Damit hatten wir endlich eine Struktur auf Bundesebene, zwar ohne gesetzliches Fundament, aber seit genau fünf Jahren eine sehr agile von mir berufene Kommission mit herausragenden Expert*innen.
Eine Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, um Betroffene sexualisierter Gewalt aus familiären Missbrauchskontexten vertraulich anzuhören, aber auch Betroffene, denen solches Unrecht in Institutionen angetan wurde, auch in unterschiedlichen konfessionellen Bereichen. Mehr als 2.000 Betroffene sexualisierter Gewalt haben sich bis heute bei der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs für vertrauliche Anhörungen gemeldet, aus allen Kontexten, nicht nur aus kirchlichen Zusammenhängen, Mehr als 1.300 Betroffene wurden bisher angehört, über 450 haben schriftliche Berichte eingereicht.
Ein vielbeachtetes öffentliches Hearing zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Kontext hat im Juni 2018 in Berlin stattgefunden, veranstaltet von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Ganztägig teilgenommen haben Bischof Dr. Ackermann für die Deutsche Bischofskonferenz und Bischöfin Fehrs für die Evangelische Kirche in Deutschland. Das war drei Monate vor der Veröffentlichung der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ („MHG-Studie“).
Bereits seit dem Jahr 2012 stehen wir mit Bischof Dr. Ackermann in engerem fachlichen Austausch zunächst insbesondere zu Fragen der Prävention und Intervention, aber auch immer wieder zu Fragen der Aufarbeitung, Entschädigung und Anerkennung von Leid.
Spätestens nach der „MHG-Studie“ im September 2018 war klar, dass die Katholische Kirche in Deutschland Unterstützung bei der Organisation und Durchführung der unabhängigen Aufarbeitung braucht. Alleine und ohne Unterstützung kann die unabhängige Aufarbeitung nicht gelingen.
Die Katholische Kirche braucht vielfache Unterstützung, dringend auch die des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Sie beschreiten inzwischen zur Klärung wichtiger innerkirchliche Fragen den Synodalen Weg. 3 | 4 Ende des Jahres 2018 haben Bischof Dr. Ackermann und ich verabredet, dass wir unter Beachtung der staatskirchenrechtlichen Bestimmungen gemäß Art. 140 GG/137 WRV (Weimarer Reichsverfassung), die Erarbeitung einer Konzeption von Strukturen einer unabhängigen Aufarbeitung in den Diözesen starten wollen, mit dem Ziel der Einrichtung unabhängiger Kommissionen, umfassender Betroffenenbeteiligung, Sicherstellung von Transparenz und mindestens einem überdiözesanen Austausch. Das erfreuliche Ergebnis ist Ihnen bekannt: Die im Juni 2020 am Rande der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Berlin unterzeichnete Gemeinsame Erklärung.
Wo stehen wir heute bei der Umsetzung? Was läuft gut, was macht Probleme? Inwieweit sind das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und seine Mitglieder gefragt?
Mit mehr als der Hälfte der Diözesen, stehen mein Team und ich aktuell in einem konstruktiven Austausch, mit Generalvikaren, und anderen engagierten Vertretern der Ortsordinarien. Die Diözesen klären mit uns:
- Wie kommen wir jetzt schnell aus den Startlöchern
- Wie gewinnen wir unabhängige Expert*innen, als wichtige Mitglieder der Kommissionen
- Wie stellen wir Betroffenenbeteiligung sicher
- Wie integrieren wir unsere bisherigen Aufarbeitungs-Projekte, Expertisen und beauftragte Gutachten
- Wie organisieren wir gegebenenfalls überdiözesane Kommissionen, was spricht dafür, was dagegen.
Auch wenn Köln zu den Bistümern gehört, mit denen wir uns mit Blick auf die Umsetzung der „Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland“ auf einem guten Weg fühlen: Die Kölner Situation ist aktuell für das Gelingen und die Akzeptanz von unabhängiger Aufarbeitung im katholischen Bereich alles andere als hilfreich, diplomatisch ausgedrückt.
Die Deutsche Ordensobernkonferenz war an einigen Beratungen zur Gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz beteiligt. Die Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz, Sr. Katharina, und die Generalsekretärin der Deutschen Ordensobernkonferenz, Sr. Agnesita, suchen nach einem der Deutschen Bischofskonferenz vergleichbaren Weg zur unabhängigen Aufarbeitung, unter Beachtung der Heterogenität der Ordensgemeinschaften. Mein Team und ich waren bereits eingebunden, auch Betroffene sexualisierter Gewalt. Seit kurzem liegt uns ein Entwurf einer Regelung unabhängiger Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch vor, den wir in der ersten Jahreshälfte hoffentlich abschließend erörtern können. Mehrere Ordensgemeinschaften drängen schon.
Mich würde es für das Gelingen der unabhängigen Aufarbeitung im katholischen Kontext sehr freuen, wenn das Zentralkomitee der deutschen Katholiken die Starts und die Arbeit der diözesanen Kommissionen unterstützen könnte, Sie diesen Strukturen der unabhängigen Aufarbeitung jetzt eine Chance geben. Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken könnten die unabhängige Aufarbeitung auch mitgestalten, zum Beispiel könnten katholische 4 | 4 Laien Mitglieder der unabhängigen diözesanen Aufarbeitungskommissionen werden, als Vertretung der Kirche in den Kommissionen. Das ist durchaus vorgesehen, neben den Beschäftigten der katholischen Kirche.
Den immer wiederkehrenden Ruf nach einer staatlichen (Wahrheits-) Kommission finde ich aktuell eher hinderlich, verfassungsrechtlich meines Erachtens zudem nicht darstellbar. Eine solche Kommission würde die Verantwortungsübernahme der Diözesen mindern. Schon die Forderung nach einer staatlichen (Wahrheits-) Kommission untergräbt den jetzt verabredeten Prozess der unabhängigen Aufarbeitung. Zudem kann ich im Deutschen Bundestag einen mehrheitlichen politischen Willen für ein solches Vorhaben überhaupt nicht erkennen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit
Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM)