Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 11/2022
im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
Mit großer Vorfreude, in die sich zugleich etwas Wehmut mischt, habe ich mich gestern auf den Weg hierher nach Berlin gemacht. Die letzte physische Vollversammlung fand 2019 statt. Wie viel ist seitdem geschehen! Eine ist ausgefallen, zwei Vollversammlungen haben wir im digitalen Modus durchgeführt – zwei lange Jahre, die durch die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie geprägt waren. Mir hat diese ganz analoge Begegnung mit Ihnen sehr gefehlt! Wir alle haben schmerzlich lernen müssen, wie fragil unsere Lebenswelt ist und wir alle wissen: noch ist es nicht vorbei. Wir alle blicken Tag für Tag bang auf die steigenden Inzidenzwerte und Hospitalisierungsraten. Und doch: Heute sind wir hier. Wie gut es tut, in so viele Gesichter zu schauen, in die vertrauten, aber auch in diejenigen der Menschen unter uns, für die dies die erste ZdK-Vollversammlung ist, an der sie als neu gewählte Mitglieder teilnehmen. Sie möchte ich besonders unter uns begrüßen. Gleichwohl haben wir sehr kurzfristig diese Vollversammlung als hybride Veranstaltung umkonzipiert. So geht mein Gruß auch an jene, die sich von daheim zugeschaltet haben. Dass wir heute und morgen trotzdem gemeinsam tagen können, erinnert uns auch an die vielen Vorzüge der Digitalisierung.
Einen ebenso herzlichen Willkommensgruß möchte ich schon an dieser Stelle digital an Erzbischöfin Jackelén richten. Seit 2014 ist die aus Herdecke stammende evangelische Theologin Erzbischöfin in Uppsala und damit Oberhaupt der Schwedischen Kirche. Nach Bischof Bernhard Johannes Bahlmann aus Brasilien im letzten Jahr und Tomáš Halík aus Tschechien im April freue ich mich, dass wir mit Erzbischöfin Jackelén den „Blick von außen“ auf den Synodalen Weg im Rahmen unserer Vollversammlung fortführen können.
Im Verlauf dieses Treffens wird meine Nachfolge gewählt. So darf ich ein letztes Mal aktuelle Themen aus Gesellschaft und Kirche am Beginn dieses Treffens nennen, die für uns obenauf liegen, um darüber in einen Austausch mit Ihnen zu kommen. Da ist natürlich vor allem die Situation der Pandemie, die noch längst nicht bewältigt ist – weltweit und hier bei uns. Ängste, Sorgen, Überlastungen, Depressionen und Einsamkeitserfahrungen angesichts von etwas „Unverfügbaren“ sind nur Stichworte für Folgen der Pandemie, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, aber viele Menschen massiv bewegen. Die Tendenz zur Skandalisierung und die extreme Beschleunigung in den Medien lassen ruhigeres Nachdenken kaum zu. Eines unserer neuen Mitglieder Nora Bossong hat in ihrer Dankrede zur Verleihung des Thomas-Mann-Preises am 6. Juni behutsamen Formulierungen für Erfahrungen in der Pandemie gefunden: „Wir haben etwas erfahren über Angst und Verwundbarkeit, über Einsamkeit und Tod, wir haben gelernt über Arroganz und Überheblichkeit, auch über Freiheit und Solidarität. Leider vor allem dann, wenn sie ausblieben, und es uns widerfahren, dass das Sterben sich nicht so leicht in den Schatten rücken ließ, wie es unsere Gesellschaft eingeübt hat.“
Massiv von der Pandemie betroffen sind vor allem die Familien und neben anderen Berufen auch die freien Kulturschaffenden. In der aktuellen Ausgabe der Salzkörner macht der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, auf ihre Situation aufmerksam. Ich kann seine Ausführungen nur empfehlen. Und es freut mich, dass wir mit der brasilianischen Choreografin Lia Rodriguez eine Person mit dem Kunst- und Kulturpreis der Deutschen Katholiken ehren konnten, die sich sehr eindrücklich und beharrlich für die Verbesserung der Situation der Menschen in der Favela Mare in Rio de Janeiro einsetzt, die von der Pandemie besonders stark betroffen sind.
Ich komme zur Wahl zum 20. Deutschen Bundestag vor wenigen Wochen. Mit Blick auf das Wahlergebnis möchte ich zunächst hervorheben, dass bei der diesjährigen Bundestagswahl zum dritten Mal in Folge die Wahlbeteiligung gestiegen ist – konkret auf 76,6%. Das Wahlergebnis selbst könnte bunter kaum sein. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik hat die stimmenstärkste Partei weniger als 30% der anteiligen Zweistimmen auf sich vereinigen können. In unserem ZdK-internen Format ZdK Afterwork wurde von einem unserer Thüringer Mitglieder die Sorge vor der „blauen Dominanz in Mittel- und Ostdeutschland“ formuliert: Auch wenn der politische Flickenteppich in dieser Region vordergründig blau eingefärbt ist, sei darauf verwiesen, dass die AfD deutschlandweit spürbar Stimmen verlor und im Osten die Stimmenanteile stagnieren.
Aus den Reihen der ZdK-Mitglieder haben einige für ein politisches Mandat kandidiert. Wir freuen uns, dass unter anderen Frau Staatsministerin Prof. Monika Grütters, die Sprecherin unseres SB 4 Bildung, Kultur, Medien, wieder in den Bundestag gewählt wurde. Ich bedauere es, dass Armin Laschet, unser langjähriges Mitglied und profilierter Katholik so wenig Fortune hatteund hoffe auf seine Stimme auch in den kommenden Jahren. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist unser Mitglied Bettina Jarasch, ehemalige Sprecherin des Sachbereichs 2, wiedergewählt worden und schickt sich an, als Stellvertreterin der Regierenden Bürgermeisterin Verantwortung für die Bundeshauptstadt zu übernehmen. Herzlichen Glückwunsch!
Die Herausforderungen, die vor der künftigen Regierungskoalition liegen, sind gewaltig. Als ZdK haben wir unsere politischen Forderungen an die neu gewählten Abgeordneten zu Beginn der Sondierungsgespräche übermittelt. Dabei haben wir elf politische Eckpunkte formuliert, die grundsätzlich die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Verbesserung der Glaubwürdigkeit in die Politik fordern. - Ein klares Bekenntnis zum Schutz der Würde des menschlichen Lebens auch in lebens- und bioethischen Fragen wird von den Abgeordneten ebenso gefordert wie der Einsatz für die von der Pandemie stark betroffenen Familien in unserem Land. - Als ZdK setzten wir uns dafür ein, dass das Optionszeitenmodell für atmende Lebensläufe künftig der verbindliche rechtliche Rahmen für die Familien- und Sozialpolitik in der Bundesrepublik wird. Die Care-Arbeit, die oftmals von Frauen verrichtet wird, muss endlich als ein wesentlicher Beitrag zu einem menschenwürdigen Leben anerkannt werden. – Übrigens ein Thema, das schon lange ein besonderes Anliegen der neu gewählten Präsidentin des Deutschen Caritasverbands Eva-Maria Welskop-Deffaa ist, einer früheren Mitarbeiterin im Generalsekretariat des ZdK und heutiges ZdK-Mitglied, der ich an dieser Stelle schon sehr herzlich gratuliere. Du bist ja heute auch hier unter uns, liebe Eva!
Care-Arbeit - das betrifft auch die stationäre Pflege. Die einzige erfolgversprechende Strategie gegen den Mangel an Pflegekräften ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Attraktivität der Pflegeberufe, dazu gehört auch ihre öffentliche Wertschätzung. Dazu braucht es auch neben der bereits beschlossenen Tariftreue und den bundeseinheitlichen Mindestpersonalschlüssel für Pflegeeinrichtungen noch weitere Verbesserungen. Die Zeit der Pandemie führt uns vor Augen, wie prekär die Situation in den Kranken- und Pflegehäusern unseres Landes ist.
Deutlich betonen wir in dem Papier die Notwendigkeit der gemeinsamen Übernahme von Verantwortung auf europäischer Ebene. Europa muss angesichts der weltpolitischen Lage vorangehen. Wir fordern die Umsetzung der Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik und die Fortschreibung des Lieferkettengesetzes auf europäischer Ebene.
Die Resonanz ist durchaus vielfältig und positiv. Ich bin mir sicher, dass sich die neu gewählten Mitglieder der Gremien des ZdK den Gesprächen mit den politisch Verantwortlichen gern stellen werden. Zudem werden wir den Austausch schon heute suchen und haben Vertretungen der künftigen Koalitionsparteien zum Austausch eingeladen. Ich freue mich auf das Gespräch mit Stephan Thomae (FDP), N. N. (Grüne) und Carsten Schneider (SPD) am Nachmittag.
Eine weitere Forderung, die wir im Papier aufgreifen und die auch im Gespräch am Nachmittag thematisiert werden muss, ist die Bekämpfung des Klimawandels.
In der ersten Hälfte dieses Monats hat die Welt nach Glasgow geschaut. Dort wurde bei der Weltklimakonferenz erneut darum gerungen, endlich wirksame politische Wege zur Treibhausgasneutralität zu beschreiten. Vor sechs Jahren war das Ziel vereinbart worden, die globale Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu beschränken. Das Zeitfenster schließt sich, um das Überschreiten von Kipppunkten und das damit verbundene Sterben von Ökosystemen und Lebensgrundlagen zu verhindern.
Lichtblicke unter den Beschlüssen der Konferenz in Glasgow sind die vielfach unterzeichnete Verpflichtung zur Dekarbonisierung des Stromsektors sowie eine transatlantische Vereinbarung mit Südafrika, um die dortige Energiewende zu beschleunigen. Ich begrüße die Beteiligung der Bundesregierung an dieser multilateralen Initiative.
Die neue Bundesregierung muss von Zielen zu Handlungspfaden kommen. Es muss das Ziel sein, den Ausstieg auch aus der Braunkohleförderung deutlich vor der vereinbarten Zielmarke 2038 zu erreichen. Mit dem in diesem Jahr eingeführten CO 2-Preis auf nationaler Ebene hat die Bundesregierung ein Instrument in der Hand, dessen Wirkung bisher jedoch noch begrenzt ist. Hier braucht es schrittweise Anhebungen, damit die natürlichen Ressourcen nicht länger ein externer Faktor des Wirtschaftens sind.
Die großen Themen unserer Zeit – Flucht, Hunger, Klimakrise – sind eng miteinander verwoben. Papst Franziskus hat das in „Laudato Si“ besonders nachdrücklich formuliert. Wir müssen uns bewusst machen, dass ökologische und soziale Krise zusammenhängen. Scheitert der Klimaschutz, werden Millionen von Menschen um ihre Existenzen gebracht und zur Flucht gezwungen.
Auch deshalb braucht es endlich ein zukunftsfähiges europäisches Asylsystem. Die eklatanten Folgen mangelnder europäischer Abstimmungen zeigen sich gerade auf erschütternde Weise an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union. Eine Union, die bis heute kein gemeinsames Asylsystem hat, keine einheitlichen Standards, kein faires Verfahren im Umgang mit Geflüchteten, die ist und bleibt erpressbar. Das nutzt der letzte Diktator in Europa, Alexander Lukaschenko, gezielt aus und setzt Menschen auf perfide und abscheuliche Weise als Druckmittel ein, indem er sie unter falschen Versprechen ins Land lockt und sie an die Grenzen von Polen, Lettland und Litauen lotst. Momentan steht die EU vor der schier unlösbaren Aufgabe, die humanitäre Katastrophe an ihrer Außengrenze abzuwenden, ohne Unrecht mit Unrecht und Härte mit Härte zu beantworten. Dabei darf sie die Entscheidung, wann und für wen die Grenzen Europas geöffnet werden, nicht, wie es nun zu geschehen droht, einem Autokraten überlassen. Die Lage sollte jedoch nicht Anlass sein, das EU-Asylrecht jetzt ad hoc durch Sonderregelungen einzuschränken oder gar außer Kraft zu setzen. Sie muss vielmehr Ansporn sein, die bereits 2020 von der Kommission angestoßene Reform energisch voranzutreiben und endlich zu einem Abschluss zu bringen. Auch von Lukaschenko instrumentalisierte Migranten können schutzbedürftig sein. Unser EU-Grenzsicherungs- und Asylsystem muss in der Lage sein, mit ihnen menschenwürdig umzugehen und sie nicht der Gefahr unmenschlicher Behandlung auszusetzen. Das Mindeste ist es aktuell, Hilfsorganisationen und Medien den Zugang zu den Menschen an der Grenze zu gestatten. Es geht hier nicht nur um globale Machtspiele, es geht um Menschenschicksale! Wie ertragen diese zu Geiseln gemachten Menschen eigentlich die zunehmende Kälte des einbrechenden Winters? Wo haben sie eigentlich eine Unterkunft. Gibt es eingerichtete Lager für sie? Nachdem Unruhen aufgeflackert waren, hörte man in dieser Woche die Meldung: es sei ruhig an der Grenze. „Nichts ist ruhig an dieser Grenze!“ – Ich fordere die Politik auf, mit allen Mitteln der Diplomatie, der Sanktionen und der Isolierung des Diktators dieses Thema anzugehen.
Eine europäische Initiative, auf die ich heute mit Nachdruck aufmerksam machen möchte, ist der Europäische Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch, der auf Initiative des Europarates gestern bereits zum siebten Mal stattfand. Dieser Tag macht deutlich, dass der Schutz des Kindeswohl ein gemeinsames Anliegen aller ist und dass die Prävention alle Bereiche des Lebens umfassen muss. Wir wissen durch unfassliche Verbrechen in Münster, in Lügde und anderswo, dass gräßliche Übergriffe oft im engsten Familienkreis geschehen, aber auch anderswo und eben – und bis heute erschüttert uns das zutiefst – auch in unseren Kirchen. Hier sei auch ein Dank angebracht für die Menschen, die das ekelerregende Beweismaterial bei der Kriminalpolizei bearbeiten müssen, was die Grenzen der Belastbarkeit häufig überschreitet. - Wir dürfen und wollen nicht relativieren oder vom kirchlichen Missbrauch ablenken, aber die lückenlose Aufklärung der Fälle sexualisierter Gewalt bei uns muss auch zu unserem konsequenten Einsatz für den Kinderschutz überall führen. Die Bischofskonferenz hat festgelegt, dass der Gebetstag für Betroffene sexuellen Missbrauchs, den Papst Franziskus angeregt hat, in Deutschland aufgegriffen werden soll.
Zu Beginn meiner Amtszeit hatte ich nicht gedacht, wie sehr mich dieses Thema beschäftigen würde. Und auch ich habe einen Lernprozess durchgemacht und die Dimension dieses Themas erst schrittweise begriffen. Nach intensiver Beschäftigung damit wünsche ich mir allerdings auch eine differenziertere Wahrnehmung dessen, was in vielen Bistümern nicht zuletzt von engagierten Nichtgeweihten inzwischen geleistet wird.
Und wir schauen kritisch auf Strukturen und verfestigte Haltungen innerhalb der Kirche, die Missbrauch begünstigen können und wollen diese verändern. Das ist eine Aufgabe für das gesamte Volk Gottes, die nur in der Zusammenarbeit von Klerus und Laien gemeinsam bewältigt werden kann.
Einen wichtigen Beitrag im Blick dazu leistet der Synodale Weg, dessen Themenstellung sich aus der MHG-Studie ergeben hat und auf den Sie ja morgen intensiv eingehen werden. Ich blicke mit Erleichterung auf die ja erst zweite echte Synodalversammlung zurück. Es war das erste Treffen mit inhaltlichen Abstimmungen und das in einer sehr angespannten Atmosphäre zum Auftakt. Dass dies mit Zustimmungen zwischen 76 und 92 Prozent zu wichtigen Grundlagentexten möglich war, hat mir gezeigt, dass es einen breiten Willen zu Reformen gibt. Der „gute Geist von Frankfurt“ von der ersten Versammlung bestätigte sich wieder: es ist möglich, dass katholische Gläubige unabhängig von ihrem Rang in der Hierarchie als Getaufte und Gefirmte gemeinsam debattieren und entscheiden können. Die Konfliktlinien zwischen Reformern und Bewahrern verlaufen nicht zwischen „Laien“ und „Klerikern“. Wir durften erfahren, mit welch hohem persönlichen Engagement die Mitglieder dabei sind und dass in den meisten Fällen ein sachlicher Ton in den Debatten gefunden wurde.
Es wird nun darauf ankommen, dass es uns gelingt, unsere Erfahrungen mit dem Synodalen Weg in Deutschland in die Bischofssynode 2023 zum Thema „Synodalität“ einzubringen, die Papst Franziskus im April angekündigt hat. Es liegt nun an den Diözesanen Räten und den Synodalen in den Bistümern, die Ergebnisse des Synodalen Weges insbesondere aus dem Forum I – „Macht und Gewaltenteilung“ - in die Beratungen im Vorfeld einer Synode einzubringen, die allerdings wieder eine ausschließlich von Männern sein wird. Als ZdK halten wir nicht nur eine Einbeziehung der Laien im Vorbereitungsprozess für zwingend erforderlich, sondern wir erwarten auch von den Bischöfen, dass sie die Ergebnisse dieser Beratungen gemeinsam mit den Vertretungen ihrer diözesanen Gremien nach Rom kommunizieren. Vor allem können wir mit dem Synodalen Weg selbst, der nicht dem restriktiven und klerikalistischen Kirchenrecht entspricht, zeigen, was möglich ist: habt keine Angst vor echter Synodalität aller Gläubigen, Synodalität ist möglich!
Erlauben Sie mir, dass ich meinen Bericht zur Lage heute mit ein paar Rückblicken auf sechs Jahre abschließe. Die Kirche in Deutschland hat sich verändert:
- dass ich letzten Montag in Bremen Frau Kreidler-Kos als offizielle Vertreterin des Bistums Osnabrück und heute Nachmittag Frau Dr. Gilles als Vertreterin der Bischofskonferenz begrüßen darf, wäre vor sechs Jahren noch nicht möglich gewesen und zeigt Schritte auf dem Weg der weiblichen Partizipation, auch wenn noch sehr viel zu tun bleibt.
- Und die Internationalität unsere Kirche ist deutlich angewachsen; fast 16 % der katholischen Gläubigen sind in Gemeinden anderer Muttersprache engagiert und die Orthodoxie spielt heute eine bedeutendere Rolle. Deren Chancen für Integration und Antirassismus sind noch lange nicht ausgeschöpft. Der Blick über die nationalen Grenzen mit den Fragen der Internationalen Gerechtigkeit und der Internationalen Soziale Frage sind für das ZdK niemals nebenrangig.
- Aber auch die europäischen Kontakte sind mir besonders wichtig. Wenn der Papst von einer „heilsamen Dezentralisierung“ spricht, dann meint das sicher nicht die Ebenen der Bischofskonferenzen, sondern eher der Kontinente, wie sie Thema von Quaerida Amazonias sind. Das kleiner werdende Europa muss sich auch kirchlich, auch in den Laienvertretungen besser kennenlernen und zusammenraufen.
- Und da haben wir auch eine besondere Verantwortung nicht zuletzt angesichts unserer eigenen Tradition im Ausbau der Freundschaft mit Polen. Leider hat die Pandemie weitere Besuche in Polen verhindert, wie wir sie bis 2019 mehrmals gemacht haben. Es wäre gut, wenn es eine strukturierte, zweisprachige Zusammenarbeit mit polnischen Gläubigen gäbe, wie uns das im Blick auf Tschechien die Ackermann-Gemeinde vormacht.
- Ökumenisch sind wir nicht zuletzt durch das so unerwartet ökumenisch ausgerichtete Reformationsjubiläum 2017 ein deutliches Stück weiter gekommen – Fortschritte, die wir trotz des nur digital möglichen 3. ÖKT in Frankfurt, über den ich noch gar nicht gesprochen habe, auch deutlich gemacht haben. Wir haben die gegenseitige Gastfreundschaft die in unseren Familien und Gemeinden alltäglich gelebt wird, auf theologisch reflektierter Grundlage öffentlich verdeutlicht. Und die Katholikentage werden künftig noch offener für andere Christen sein, wie es auch die evangelischen Kirchentage sein werden. An dieser Stelle ein herzlicher Glückwunsch an die neue Ratsvorsitzende der EKD Annette Kurschus, die ich als Westfale kenne und sehr schätze und dem gerade gewählten Präsidenten des DEKT in Nürnberg 2023 Dr. Thomas de Maizière, mit dem ich seit Studientagen verbunden bin: beiden Glück und Segen für ihre Aufgaben.
- Katholikentage sind Kernbereich der ZdK-Aktivitäten. Mein erster Katholikentag als Präsident war der 100. in Leipzig – ein wichtiges und wegweisendes Ereignis in einer säkularen Umgebung. Dann der 101. in meiner Heimatstadt Münster, der zu einem großen Fest des Friedens wurde. Und nun die Vorbereitungen auf den 102. in Stuttgart im nächsten Mai unter dem Leitwort „leben . teilen“, auf den ich mich dann als Gast freue.
In meiner Bewerbungsrede habe ich vor 6 Jahren einige Punkte genannt, die mir besonders wichtig sind. Gleich zu Beginn hatte ich als Ergänzung des so unverzichtbaren Dialogs Christen – Juden die Zusammenarbeit mit Muslimen genannt. Zu den wichtigsten Texten, die in den letzten Jahren von uns publiziert wurden, gehören die beiden Stellungnahmen des Gesprächskreises Christen und Muslime beim ZdK. Sie tragen die Titel „Keine Gewalt im Namen Gottes“ und der zweite „Nein zu Hass und Hetze“ – sie sind angesichts eines verbreiteten subkutanen Islamhasses und der Sorgen vor der Pervertierung des Islam im Islamismus so wichtig, dass eine neuerliche Publikation in anderer Form zu überlegen ist. Nicht zuletzt in diesen Tagen, zehn Jahre nach der Aufdeckung des mordenden NSU sind die Aktivitäten des Gesprächskreises besonders wichtig.
Wir standen 2016 am Ende des Gesprächsprozesses „Im Heute glauben“, der auch deshalb so unverbindlich war, weil es keine Vertretung von Laien gab, die einen Anspruch auf Repräsentativität stellen konnten. Inzwischen hat das ZdK seine Stellung als Vertretung und Sammlung der katholischen Gläubigen festigen können. Im Synodalen Weg ist die Erkenntnis, dass wir nur gemeinsam Kirche sein können, Praxis geworden. Diese Veränderung hat sicher auch mit der guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden der DBK Bischof Georg Bätzing und seinem Vorgänger Reinhard Kardinal Marx zu tun, denen ich hier besonders danken möchte.
Mit Kardinal Marx hat es auch eine Beruhigung des früher so gespannten Verhältnisses der Bischofskonferenz zu unsrem Zusammenwirken mit Donum Vitae gegeben, das uns heute nicht mehr belastet, zumal die Aufgaben eher dringlicher geworden sind und nur gemeinsam angegangen werden können.
Die Gläubigen sind selbstbewusster geworden und lösen sich von der Fixierung auf das Amt – es gibt die positive wie die negative Form von Klerikalismus auch unter den Gläubigen! – Sie müssen nicht zuletzt angesichts des gravierenden Priestermangels zunehmend dazu kommen, dass sie vor allem vor Ort „Kirche selber machen“.
Als ZdK wird es aber bleibend darauf ankommen, dass es sich nicht in den innerkirchlichen Problemen so aufreibt, dass es unseren Auftrag der politischen und gesellschaftlichen Positionierung aus den Augen verliert.
Manchmal, so denke ich angesichts mancher so sehr interner, aber öffentlich geführter Debatten, genügte es auch schon, die Kirche einmal von außen zu sehen. Es ist ein Wechsel in die Perspektive der Mehrheit. Papst Franziskus sagt uns das immer wieder. Er warnt uns in seinem Brief an uns alle aus dem Juni 2019 davor, der selbstgenügsamen „Versuchung, die dazu führt, das Volk Gottes auf eine erleuchtete Gruppe reduzieren zu wollen“ nachzugeben. Die Stellungnahmen und Einmischungen des ZdK und der Kirche insgesamt müssen so gut sein, dass sie unabhängig von der Mehrheit oder Minderheit beachtet und diskutiert werden.
Im Innenblick auf unser ZdK habe ich zunächst die Finanzen, die etwa ein Drittel Promille der Kirchenbeiträge ausmachen, klären können. Ein anderes großes Thema war der Beschluss zum Umzug von Bonn nach Berlin 2019: es war richtig zum Zeitpunkt des Ausscheidens so vieler leitender Mitarbeiter und nicht erst später die Frage eines Ortswechsels zu stellen. Der Generationswechsel im Generalsekretariat wurde gut bewältigt und nun steht der Umzug nach Berlin in den kommenden Wochen bevor. Das Generalsekretariat bezieht Büroräume im ehemaligen Teresienstift der Herz-Jesu-Kirche im südlichen Prenzlauer Berg. Die Veränderungen, die ein solcher Beschluss bedeutet, sind massiv: 22 Mitarbeitende haben das ZdK aus ganz unterschiedlichen Gründen verlassen; viele Neue wurden begrüßt. Ein solcher Umzug hat somit neben den rechtlichen, finanziellen und logistischen Seiten auch eine sehr emotionale Dimension.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich danken: den ausgeschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – allen voran Stefan Vesper für Jahre guter Zusammenarbeit; und danken den vielen neuen hoch engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die unter so schwierigen Umständen den Ortswechsel häufig genug nur aus dem Home-Office erleben.
Auch unter ihnen darf ich hier einmal besonders Marc Frings danken, dessen Einsatz und Engagement gepaart mit einer großen kommunikativen Kompetenz (wie man das wohl heute nennt) besonders zu loben ist. Seine ersten beiden Jahre als Generalsekretär waren extrem hart und haben ihm und seiner Familie viel abverlangt – „Vergelt es Gott“ darf man da wohl einmal im vollen Wortsinn sagen! Das ZdK ist mit neuer Mitarbeiterschaft an neuem Ort gut aufgestellt und kann jetzt – wie das Katholikentagsmotto 2012 in Mannheim lautete, getrost „einen neuen Aufbruch wagen!“
Liebe Mitglieder, Schwestern und Brüder, 24 Jahre ZdK gehen heute für mich zu Ende (– es fällt mir schwer, bei der Nennung von Zukunftsaufgaben das „wir“ zu vermeiden). Etwas bewegt mich am Ende dieser Zeit besonders: die recht schwache Wahrnehmung unserer politischen Positionierungen und Debattenbeiträge und noch mehr der weitgehende öffentliche Ausfall der Frage nach dem Trost des Glaubens in den nun schon 21 Monaten der Pandemie. Es muss uns beunruhigen, wenn wir als Katholiken nur noch abgehandelt werden unter der Frage der Gottesdienste für uns als gesellschaftliche Gruppe – so wichtig das ja ist. Aber dass offenbar niemand in den Medien zum Thema Pandemie eine kirchliche Stimme hören will, sagt das nur etwas aus über das Maß an Vertrauensverlust, dem wir uns gegenüber sehen? Oder hängt es mit der Verdrängung der Religion ins ganz Private zusammen? Oder ist es gar das Zeichen einer „Gottvergessenheit“, wie Johann Baptist Metz das ausdrückte? Das sei als Fragen gestellt. Vielleicht sind es auch Fragen des angemessenen Sprechens vom Glauben, das nicht im Gestus des Wahrheitsbesitzers, sondern eher suchend und tastend sein sollte.
Ich komme zum Schluss: Das Leitwort des 3. so anderen Ökumenischen Kirchentags im Mai lautete: „schaut hin“. Was gibt es denn zu sehen? Jesus gibt im Evangelium eine bemerkenswerte Antwort auf die Frage eines offenbar zweifelnden Johannes, ob er denn wirklich der Messias, der Christos, sei: „Berichtet ihm, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder, Lahme gehen, Aussätzige werden rein; Taube hören, Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium - eine frohe Botschaft - verkündigt.“ (Lk 7,22). Die Heilsverheißungen des Propheten Jesaja sind das, woran man Jesus und die ihm nachfolgen erkennt.
Und das ist uns als Christgläubige aufgetragen: den Menschen zu dienen, Not zu lindern, die Güte und Menschenfreundlichkeit unseres Gottes zur Tat werden zu lassen. Sehen, welche Ungerechtigkeiten, welche Not und Nöte unter uns und weltweit existieren. Schaut hin! - ist der Auftrag für uns. Wir erkennen im Hinsehen, was es zu tun gibt, welche Aufgaben vor uns liegen! Wir Gläubige werden gebraucht! - Es werden Menschen gebraucht, die mit den Suchenden suchen, die nicht mit der Bibel in der Hand, aber mit ihrem Leben Zeugnis geben von einem Leben, das mehr als Selbstoptimierung, Produzieren und Konsumieren ist und das von der Freude des Glaubens trotz allem erzählen kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Prof. Dr. Thomas Sternberg, ZdK-Präsident