Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 04/2021
im Rahmen der digitalen Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,
Schade, dass wir uns wieder nicht treffen und sehen können!
Im Jahr 2021 setzen sich viele Entwicklungen aus dem vergangenen Jahr fort – politisch, gesellschaftlich und auch kirchlich. Vor Ostern war die Stimmung besonders aufgeheizt durch die Kölner Gutachten und die Skandale der Vertuschung von Fällen sexualisierter Gewalt in den vergangenen Jahrzehnten. Auch sehr viele in unseren Gemeinden und Verbänden waren und sind höchst verärgert. Der Religionssoziologe Detlef Pollack sagte in einem Interview mit Publik-Forum, in dieser Situation würden allerdings die positiven Erfahrungen von Millionen Katholiken unterschlagen. Über Ostern haben wir wieder erfahren, dass unser Glaube und unsere Kirche mehr sind, als die Skandale früherer und heutiger Kirchenleitungen, dass ‚wir Kirche sind‘ und die Dinge energisch selbst in die Hand nehmen müssen, denn wir, um es mit dem Buchtitel von Daniel Bogner zu sagen, lassen nicht zu, dass die Kirche kaputt gemacht wird, denn am Ende sind wir immer noch gemeinsam Kirche
Auch gesellschaftlich habe ich den Eindruck großer Erschöpfung nach über einem Jahr Corona-Pandemie. Allein in Deutschland sind es inzwischen über achtzigtausend Tote, weltweit gezählt fast drei Millionen - nicht gerechnet die, die gestorben sind, ohne dass je ein Arzt ihre Krankheit oder ihren Tod registriert hätte - etwa in Brasilien, wovon uns ja Bischof Bahlmann bei der letzten VV so eindrucksvoll berichtet hat. Die Corona- Maßnahmen bleiben wichtig und werden auch in unseren Gemeinden durch penible Einhaltung, aber auch durch kreative neue Ideen und viel soziale Hilfe beachtet. Ohne die vielen ehrenamtlich engagierten Frauen und Männer gäbe es weder ein so aktives Gemeindeleben, noch hygienekonforme Gottesdienste.
Zugleich hat ein spannendes Wahljahr begonnen, das seine Schatten auch auf den früheren parteipolitischen Konsens bei den Corona-Maßnahmen wirft. Die ersten beiden Landtagswahlen des Superwahljahrs haben schon stattgefunden. Zwei ZdK-Mitglieder, Winfried Kretschmann und Malu Dreyer, konnten die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg durch das Vertrauen in ihre Persönlichkeit überzeugend gewinnen; beiden habe ich – auch im Namen des ZdK - herzlich gratuliert. Und in der CDU/CSU freue ich mich, dass mit Armin Laschet ein Kanzlerkandidat antritt, der zwei Perioden lang Mitglied des ZdK war und - auch als früherer Chefredakteur einer Kirchenzeitung - mit unseren Themen bestens vertraut ist.
Auch im ZdK haben wir ein intensives Wahljahr vor uns: Im Juli wählt die AGKOD ihre neuen Delegierten und im November steht die Wahl unserer ZdK-Gremien auf der Tagesordnung. Und wir befinden uns gerade mitten in den Wahlen unserer neuen Einzelpersönlichkeiten - bereits an dieser Stelle möchte ich den so zahlreichen Kandidatinnen und Kandidaten für Ihre Bereitschaft danken, sich im ZdK zu engagieren! Die beeindruckende Zahl von 104 Kandidierenden zeigt, dass trotz des schlechten Bilds der Kirche in der Öffentlichkeit so viele bedeutende Persönlichkeiten bereit sind, sich bei uns – einer Laienorganisation - zu engagieren und für die Kirche zu wirken. Am liebsten hätte nicht nur ich 100 statt nur 45 Stimmen bei der Wahl gehabt. Ich hoffe sehr, dass die 59 Damen und Herren, die logischerweise nicht gewählt werden können, uns dennoch verbunden bleiben und wir auf ihren Rat zurückgreifen dürfen. Ich danke auch für die Form der Präsentation der Kandidatinnen und Kandidaten durch das Generalsekretariat. Ich würde mich freuen, wir könnten zu einem Verfahren kommen, das intern allen Mitgliedern solche Informationen zur Verfügung stellen kann.
Wir freuen uns darauf, in drei Wochen den 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt feiern zu können, auch wenn er coronabedingt so ganz anders stattfinden muss als gewohnt. Den Stäben gebührt großer Dank für sehr harte Arbeit in den letzten Monaten. Ich hoffe, dass dieser „ÖKT-digital und dezentral“ trotzdem wichtige Zeichen setzen wird. Und er wird eine starke Stimme sein für alle, die in Deutschland und weltweit durch die Corona-Pandemie noch stärker an den Rand gedrängt werden, die wirtschaftlich und sozial auf der Strecke bleiben, die besonders unter Ängsten und Einsamkeit leiden. Wir wollen als Christen unterschiedlicher Konfessionen gemeinsam hinschauen, dorthin, wo wir gebraucht werden. Ich möchte Sie alle bereits an dieser Stelle sehr herzlich einladen, diesen besonderen ÖKT digital und dezentral mit uns zu feiern: zu diskutieren, zu beten, zu erleben! Wir werden uns in dieser Vollversammlung ja noch näher damit beschäftigen.
Ringen um den richtigen Weg in unserer Kirche
In unserer Kirche stehen wir vor großen Herausforderungen: als ZdK befinden wir uns mittendrin im Reformprozess „Synodaler Weg“. Auch darauf kommen wir in dieser Vollversammlung ausführlich zu sprechen. Grundlage für diesen Synodalen Weg bleiben dabei die systemischen Gründe für Missbrauch in unserer Kirche, wie sie in der MHG-Studie im Jahr 2018 dargestellt wurden. Daher bin ich sehr froh, dass wir in der Online-Konferenz Anfang Februar mit Mitgliedern des neuen Betroffenenbeirates sprechen konnten und diesem Austausch Raum gegeben haben. Es war der dringende Wunsch bei allen Beteiligten spürbar, die Aufarbeitung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt in allen Bistümern zügig voranzubringen und auch so die zarte Pflanze „Vertrauen“ wieder zurückgewinnen zu können. Angesichts bleibender großer Probleme bei der Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt in unserer Kirche - wir denken da vor allem an das Erzbistum Köln - ist das eine schwere Aufgabe. Bitte beobachten und fordern Sie die rasche Bildung der Unabhängigen Kommissionen in den Bistümern und Ländern, wie sie im Sommer von der DBK mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, beschlossen und in einigen Ländern auch umgesetzt sind. Ich habe mich für einen jährlichen Bericht des Unabhängigen Beauftragten im Bundestag eingesetzt, um das Thema auf der politischen Agenda zu halten. Wie werden uns zudem stärker mit der Mitverantwortung auch von Laien als Täter oder Vertuscher dieser abscheulichen Taten intensiver befassen. Auch dazu später mehr.
In Kommentaren und Rückmeldungen zu meinen öffentlichen Äußerungen in den letzten Monaten wurde ich gelegentlich mit dem Vorwurf konfrontiert, zu wenig kritisch mit den Vorgängen in unserer Kirche zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs umzugehen, einen zu starken Schulterschluss mit den Bischöfen zu suchen und zu wenig das Leid der Betroffenen und Opfer in den Mittelpunkt der Aufarbeitung zu stellen. Dieser Vorwurf trifft mich zutiefst und ich halte ihn auch in der Sache für falsch. Einem polarisierenden, oft polemischen und hysterischen Debattenstil, wie er durch die so gar nicht sozialen social media befördert wird, möchte ich entschieden entgegentreten. Sicherlich passieren im Ringen um den richtigen Weg auch Fehler - selbstverständlich auch mir persönlich. Fehler und Schwächen sind aber nie ganz vermeidbar. Es ist wichtig, dass wir gerade in der jetzigen Situation um den richtigen Weg unserer Kirche inhaltlich und in der Sache ernsthaft gemeinsam streiten und ringen: Wie reagieren wir auf diese existentielle Krise unserer Kirche? Was ist der richtige Weg aus dieser Krise heraus? Wie können wir den Weg zu Reformen am besten gestalten? - immer verbunden mit dem Risiko, dass der Weg nicht erfolgreich ist oder sogar scheitert. Oder entziehen wir uns diesem Risiko des Scheiterns und treten aus der Kirche aus? Wahrscheinlich erleben Sie wie ich, dass nahe Verwandte oder Freunde in diesen Monaten aus der Kirche austreten. Der angekündigte Kirchenaustritt der Gründerin von Maria 2.0 hat mich erschüttert: Ich habe mit Frau Lisa Kötter gesprochen; sie hat sicher sehr verständliche Gründe, aber ich bin doch traurig darüber, dass in dieser Bewegung „für unsere Kirche“ nun wichtige Gründungspersönlichkeiten die kirchliche Gemeinschaft verlassen.
Mit Blick auf die zukünftige Gestaltung unserer Kirche bin ich aber fest davon überzeugt, dass wir mit dem Synodalen Weg auf dem strategisch richtigen Weg gehen. Und wir werden auf dem Synodalen Weg weiterhin mit starken Argumenten für unsere Überzeugungen eintreten und werben. Nur so können wir unsere Kirche erneuern und neue Glaubwürdigkeit nach innen und außen gewinnen. Dies setzt aber voraus, dass die konsequente Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in unserer Kirche voranschreitet. Wir haben dies zu einer Bedingung für unsere Teilnahme an diesem gemeinsamen Weg erklärt.
Alle Bistümer können aus den offensichtlichen Verfahrensfehlern, die im Erzbistum Köln überdeutlich geworden sind, mangelnden rechtlichen Regelungen und der mangelnden Rechtskenntnis lernen. Entscheidend ist nun, ob nicht allein in Köln mit diesem Gutachten weiter umgegangen wird und ob weitere interdisziplinäre Untersuchungen folgen. Allein auf juristische Expertise zu setzen, halte ich nach wie vor für einen Fehler. Es braucht hier Selbstkritik, die Beteiligung des Betroffenenbeirats und den Willen zur transparenten Kommunikation. Bislang ist da zu viel und zu oft etwas schiefgelaufen. Und die Vorgänge im Erzbistum Köln zeigen exemplarisch, dass es endlich die kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit braucht, die geordnete Verfahren mit Anklage und Verteidigung ermöglichen. Dass der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, den wir im Januar im Hauptausschuss zu Gast hatten, der Kirche ein gutes Zeugnis ausstellt, ist kein Freibrief. Wer jetzt nicht ehrlich und glaubwürdig mit den Betroffenen spricht, wer nicht Prävention, Anerkennung und Aufarbeitung intensiv betreibt, kann die große Vertrauenskrise nicht überwinden. Dies sehe ich auch als Auftrag für uns. Daher wollen wir als ZdK unsere eigene Verantwortung zur intensiven Begleitung der Aufarbeitungsprozesse sexualisierter Gewalt in unserer Kirche noch einmal stärken und haben dazu eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, die ihre bisherige Arbeit und ihren Auftrag unter TOP 7 dieser Vollversammlung vorstellen wird.
Intervention aus Rom
Aus Rom kam wieder einmal ein Störfeuer: die Antwort auf ein „Dubium“, also eine Anfrage zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Sie traf uns plötzlich und unerwartet. Schon in der Vollversammlung im Frühjahr 2013 hatten wir einen Beschluss zur Ermöglichung solcher Segnungen gefasst, und zuletzt verabschiedeten wir im November 2019 eine Erklärung „Segen schenken - Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare“. Wir haben eindeutig reagiert. Besonders die Begründungen erstaunen, wenn es um die Nähe von Segnung und Sakrament geht und empören, wenn sexuelle Akte außerhalb der Hinordnung auf Zeugung für sündhaft gehalten werden. Der Synodale Weg wird dadurch nicht eingeschränkt: Wenn es nur um die Bestätigung all dessen ginge, was in Katechismus und Verordnungen steht, brauchte es ja keine Reformdebatten, sondern nur eine Exegese, eine Vermittlung.
Vertrauenskrise in der Corona-Pandemie
Die kirchlichen Themen sind momentan sehr dominant. Genauso wichtig ist es aber, dass wir uns weiterhin engagiert in die aktuellen gesellschaftlichen Debatten zu den Krisen und Herausforderungen der Zeit einbringen. Wir streiten hier auch als Gesellschaft gerade an vielen Stellen um den richtigen Weg. Das politisch prägendste Thema bleibt auch in diesem Jahr die Corona-Pandemie, die weiterhin unseren Alltag bestimmt und viele Länder, auch Deutschland, in eine große soziale, wirtschaftliche und politische Krise geführt hat. Durch die derzeit vier zugelassenen Impfstoffe gibt es jedoch endlich Licht am Ende des Tunnels. Die Impfkampagne nimmt zunehmend an Fahrt auf. Die Hoffnung ist groß, dass im Herbst ein Großteil der Bevölkerung gegen Corona geimpft sein wird und wir dann wieder in eine, sicher andere Normalität zurückkehren können.
Zugleich befinden wir uns gerade mitten in der dritten Infektionswelle. Trotz des nunmehr über fast fünf Monate andauernden (Teil-)Lockdowns sind die Infektionszahlen aufgrund von Virusmutationen und Öffnungsschritten angestiegen, die Intensivstationen haben gerade ihre Belastungsgrenzen erreicht. Die Unlust und die Ungeduld in der Bevölkerung, die aktuellen Infektionsschutzmaßnahmen vollständig mitzutragen, ist zugleich hoch. Ursache hierfür ist einerseits eine große Pandemiemüdigkeit, viele Menschen sind erschöpft und an der Grenze ihrer finanziellen, familiären und seelischen Belastbarkeit angekommen.
In den 16 Bundesländern wird trotz ähnlicher Infektionslagen nach unterschiedlichen Maßstäben entschieden - dies hat viele Bürgerinnen und Bürger verärgert, verunsichert, obwohl der Föderalismus in einem so großen Land prinzipiell regional angemessene Entscheidungen ermöglicht. Es kommt nun darauf an, dass Versprechungen und Zusagen im politischen Krisenmanagement eingelöst und eingehalten werden. Bessere Kommunikation, transparente Entscheidungsfindung und pragmatische, praxisnahe Politik sind hier entscheidend! Und es braucht die gemeinsamen, demokratisch legitimierten Maßstäbe politischen Handelns, um dem schwindenden Vertrauen in das Krisenmanagement entgegenzuwirken.
Das diese Woche im Bundestag verabschiedete, veränderte Infektionsschutzgesetz ist dafür - bei aller Kritik an einzelnen Bestimmungen - ein wichtiger Baustein. Zugleich müssen Grundrechtsbeschränkungen zugunsten des öffentlichen Gesundheitsschutzes weiterhin sorgsam geprüft werden und juristisch standfest sein. Bundesweit einheitliche Kriterien und Maßstäbe für die Anwendung dieser Beschränkungen zu definieren, reicht dafür nicht aus. Dies gilt für Ausgangsbeschränkungen genauso wie für die viel diskutierte Aufhebung von Grundrechtsbeschränkungen von vollständig geimpften Personen.
An dieser Stelle möchte ich gerne auf das neue ZdK-interne Format „ZdK kompakt und kontrovers“ hinweisen, das auf Initiative des Sachbereichs 2 unter Federführung von Prof. Dr. Birgit Aschmann und Dr. Thomas Arnold, Direktor der katholischen Akademie in Dresden, entstanden ist, und das nächste Woche letzteres Thema unter dem provokanten Titel „Mehr Freiheit für Geimpfte?“ mit der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, und dem Juristen Christian Waldhoff aufgreifen wird. Dieses erfolgreiche und spannende Format findet nun bereits zum dritten Mal zu aktuellen ethischen Grundsatzfragen statt. Einen Ausbau dieses Formats zu Themenfeldern unserer anderen Sachbereiche empfehle ich ausdrücklich. Da haben sich durch die Gewöhnung an digitale Konferenzen neue spannende Möglichkeiten ergeben.
Um wieder für Vertrauen in die Politik und ihre politische Lösungskompetenz zu werben, brauchen alle Parteien überzeugende Konzepte für die Bewältigung der großen Herausforderungen, vor denen wir in Deutschland und weltweit stehen - dies betrifft die Folgewirkungen der Corona-Pandemie genauso wie die Bekämpfung des Klimawandels oder eine erfolgreiche Digitalisierung. Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie sind beträchtlich. Die Pandemiebekämpfung und die Abmilderung dadurch entstandener wirtschaftlicher und sozialer Nöte wurden mit der Aufnahme von Rekordschulden abgefedert, die in Zukunft vor allem von den jungen Generationen geschultert werden müssen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass sich durch Corona Armutsrisken verfestigt haben: besonders Menschen mit niedrigen Einkommen, Geringqualifizierte und Alleinerziehende haben durch Corona finanzielle Einbußen erlitten. Viele Erwerbstätige und Selbstständige in bestimmten Wirtschaftsbereichen wie der Gastronomie, im Handel oder in der Reisebranche, aber auch in der Kultur fürchten dauerhaft um ihre wirtschaftliche Existenz.
Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien leiden weiterhin besonders unter den Corona-Beschränkungen im Bildungs-, Sozial- und Freizeitbereich. Das Ungerechtigkeitsempfinden bei den Betroffenen und der Gesamtbevölkerung für diese soziale Schieflage steigen deutlich. Als Gläubige müssen wir diesen Lebensrealitäten noch mehr Beachtung schenken und uns für soziale Gerechtigkeit in unserem Land, insbesondere als Anwälte für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, engagieren. Dies ist die Grundlage, um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu ermöglichen und für eine solidarische Gesellschaft zu werben. Jedenfalls kann es nicht sein, dass von Teilen der Gesellschaft, die ohnehin besonders von der Pandemie betroffen sind, größtmögliche Flexibilität und Kreativität abverlangt wird, um Beruf, Familie und persönliche Gesundheit in einem guten Verhältnis auszubalancieren, während manche Wirtschaftsbranchen glauben, staatliche Auffanghilfen damit quittieren zu können, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Testangebote vorzuenthalten. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass die Bundesregierung die Verpflichtung für Unternehmen, Coronatests anzubieten, verschärft hat.
Solidarität weltweit
Diese gesellschaftliche Solidarität braucht es nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit! Bei der Entwicklung der Impfstoffe wurde in internationaler Zusammenarbeit Großes geleistet. Was uns aber fehlt, ist eine internationale Impfgerechtigkeit. Es ist ein bleibender Skandal, dass sich weiterhin etwa 90 Prozent der Impfstoffe auf etwa ein Dutzend Länder verteilen. Die EU und deren Mitgliedsstaaten müssen sich nachdrücklich für eine global gerechtere Verteilung der Impfstoffe einsetzen und die internationale COVAX-Initiative stärken. Für ein solidarisches weltweites Miteinander reichen die bisherigen Bemühungen noch nicht aus. Als global verfasste Kirche stehen wir in der Verantwortung, diese Solidarität zu fördern und uns gegen kurzsichtige Nationalismen in der Impfstoffverteilung zu stellen. Klar ist: In der Vergangenheitsform können wir über die Corona-Krise erst sprechen, wenn globale Impferfolge zu verzeichnen sind. Wir werden hierzu heute einen Antrag beraten. Ich danke denjenigen, die den Antrag eingebracht haben, für diese wichtige Initiative.
Corona- Pandemie als Sinn und Lebenskrise
Schließlich offenbart die Corona-Pandemie eine Sinn- und Lebenskrise, sie zeigt unsere Verletzlichkeit und wie sehr wir aufeinander angewiesen sind. Die Corona-Pandemie hat das Bewusstsein unserer Gesellschaft für das Leben und Sterben stark verändert. Die tragischen Folgen der Pandemie sind oft bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen oder ein schweres Sterben. Der Beistand für leidende und sterbende Menschen ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Wir müssen uns daher immer wieder neu fragen, wie „Leben im Sterben“ würdig möglich gemacht werden kann. Die gerade stattfindende „Ökumenische Woche für das Leben“ rückt diese Sorge um Schwerkranke und sterbende Menschen jetzt genau zur richtigen Zeit in den Mittelpunkt. Umso dramatischer ist es, dass derzeit viele Menschen auf den Intensivstationen noch immer ohne direkte Begleitung durch Frauen und Männer in Seelsorge oder sonstiger Sterbebegleitung, ja ohne alle Angehörigen sterben. Was können wir als ZdK und als Kirche tun, damit dieses einsame Sterben aufhört, und was können wir tun, um die medizinischen Berufe in dieser Lage zu unterstützen? Gerade die Seelsorge darf vor der Pandemie nicht zurückschrecken. Für ihr Engagement in der Hospizarbeit und für den Ausbau der Palliativversorgung nicht zuletzt in den vergangenen Monaten danke ich allen, die sich hier einsetzen. Ich zitiere aus dem kürzlich veröffentlichten Papier der Deutschen Bischofskonferenz zur palliativen und seelsorglichen Begleitung von Sterbenden: „Die Humanität einer Gesellschaft erweist sich nicht zuletzt in der Art, wie sie mit ihren Sterbenden umgeht“.
Zum Stand der Suizidbeihilfe
Diese Humanität einer Gesellschaft zeigt sich auch im Umgang mit dem Wunsch zur Beihilfe zum Suizid. Vor über einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzliche Regelung zum Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe in § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt. Die Richter betonen darin, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben und idealisieren somit die Selbsttötung zum Inbegriff menschlicher Freiheit und Selbstbestimmung. Seit diesem Urteil wird gesellschaftlich und politisch um eine Neuregelung der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe debattiert, auch in den Kirchen. In dieser Woche hat dazu eine erste, wichtige Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag stattgefunden, es liegen nun bereits zwei parlamentarische Gesetzentwürfe sowie ein Eckpunktepapier zur Neuregelung der organisierten Suizidbeihilfe vor. Ich habe mich dazu gestern auch bereits öffentlich geäußert. Angesichts dieser zeitlichen Dynamik haben wir uns als ZdK-Präsidium im Februar dazu entschlossen, eine ursprünglich gemeinsam geplante Stellungnahme mit der Deutschen Bischofskonferenz nicht abzuwarten und öffentlich mit einer Erklärung unter dem Titel „Selbstbestimmt leben bis zuletzt“ öffentlich Position bezogen.
Wir setzen uns darin für eine achtsame Kirche und Gesellschaft gegenüber Menschen mit Sterbewünschen ein. Für uns als Kirche und Gesellschaft müssen Achtung und Aufmerksamkeit zweifellos auch im Respekt vor der Letztverantwortung jedes Menschen für seine Lebensentscheidungen bestehen - im Letzten auch zum Suizid. Nur zwei Prozent der Selbsttötungen gehen nicht auf Erkrankungen zurück. Aber Gesellschaft und Kirche können sich auch da nicht aus ihrer Verantwortung zurückziehen. Letztverantwortung bedeutet nicht Alleinverantwortung; Mensch ist man nicht allein für sich und aus sich. Daher sprechen wir uns in unserer Stellungnahme ganz klar für Sterbebegleitung und Schutzräume vor geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe aus. Organisierte Suizidbeihilfe als Regelangebot darf es in katholischen Häusern - etwa in Senioren- und Pflegeheimen - nicht geben!
Für das vom BVerfG geforderte, übergreifende legislative Schutzkonzept erwarten wir, dass es den Schutz der Autonomie und den Schutz des Lebens abgewogen berücksichtigt und somit Einrichtungen das Offenhalten solcher Schutzräume gewährt! Darüber hinaus fordern wir vom Gesetzgeber ein Schutzkonzept, das „ethischen Mindestanforderungen“ genügt. Dazu zählen der Ausbau von suizidpräventiven Angeboten, eine verstärkte Investition in hospiz- und palliativmedizinische Angebote und ein allgemeines Verbot von Werbung für geschäftsmäßige Suizidbeihilfe. Es ist zu erwarten, dass uns diese wichtige Debatte über die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe voraussichtlich auch über die Bundestagswahl hinaus begleitet. Mit Blick auf die jetzt bereits vorliegenden rechtlichen Vorschläge zur Neuregelung der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe kommt das Eckpunktepapier der überfraktionellen Gruppe von Bundestagsabgeordneten um Ansgar Heveling (CDU), Stephan Pilsinger (CSU), Lars Castellucci (SPD), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Linke) unserer ZdK-Position sicherlich am nächsten. Wir werden die weiteren Debatten dazu als ZdK intensiv begleiten. Ein Sterben in Würde darf nicht den assistierten Suizid als Normalfall kennen, es muss darum gehen, ein würdevolles Leben bis zum letzten Atemzug zu ermöglichen. Bitte lassen Sie uns alle gemeinsam in der Öffentlichkeit und in Politik für diese humanitäre und christliche Position werben!
Zum Schluss
Liebe ZdK-Mitglieder, Schwestern und Brüder, ich komme zum Schluss. Ich sprach zu Beginn von den vielen Wahlen, die uns auch im ZdK in diesem Jahr bevorstehen. Wir werden im November auch das Präsidium neu zu wählen haben. Und da möchte ich mit einer persönlichen Mitteilung enden. Als Sie mich 2015 zum Präsidenten des ZdK wählten, hatte ich angekündigt, für die restliche Periode meines Vorgängers Alois Glück und eine weitere zur Verfügung zu stehen. Dann stehe ich vor meinem 70. Geburtstag. Trotz der vielen Prozesse, die vor sechs Jahren nicht absehbar waren, hat sich nichts an meiner damaligen Entscheidung geändert. Ich werde im Sommer nicht bei den AGKOD-Wahlen antreten und stehe somit für die Präsidiumswahlen im November nicht erneut zur Verfügung. Ich kündige das heute an, damit Sie ausreichend Zeit für die Nachfolgesuche haben. Für Worte des Abschieds und Rückblicks ist es aber viel zu früh. Ich freue mich auf die Beratungen auf der Vollversammlung!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Prof. Dr. Thomas Sternberg, ZdK-Präsident