Vorstellung der Erklärung "Nein zu Hass und Hetze – Christen und Muslime gemeinsam gegen Islamfeindlichkeit" (Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick und Dr. Hamideh Mohagheghi)

im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Ihnen heute im Tandem mit Dr. Hamideh Mohagheghi die neue Erklärung unseres Gesprächskreises vorzustellen und hierzu im Anschluss mit Ihnen zu diskutieren.

Wie Sie im Film wahrnehmen konnten, ist der Text das Ergebnis eines gemeinsamen Arbeitsprozesses von 20 Personen, einschließlich eines paritätisch besetzten Redaktionsteams. Dies ist nicht nur hervorzuheben, weil damit ein wirklich ein christlich-muslimischer Text vorliegt, sondern auch, weil wir im Rahmen der Zusammenarbeit vielfach gespürt haben, wie wichtig auch unsere eigenen Verständigungsprozesse sind.

So finden Sie einen Text, der ein Spektrum von Positionen miteinander vermittelt. Dass am Ende alle unterzeichnen konnten zeigt, wie wichtig es ist, auch in schwierigen Situationen am selben Tisch zu bleiben und dafür möchte ich an dieser Stelle allen Beteiligten meinen herzlichen Dank aussprechen.

Doch ist eine solche Erklärung kein Selbstzweck. Sie versteht sich als ein interreligiös positionierter Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog: Vor zwei Jahren, als wir mit dem Text begannen, sahen wir die Notwendigkeit, dem immer stärkeren Anwachsen antimuslimischer Diskriminierung und der Zunahme von antimuslimischem Rassismus etwas entgegen zu setzen.

Der Titel „Nein zu Hass und Hetze – Christen und Muslime gemeinsam gegen Islamfeindlichkeit“ zeigt die Programmatik an: Aus unserem Glauben heraus und aufgrund unserer vielen und langjährigen Dialogerfahrungen möchten wir dem pauschalen „Feindbild Islam“ entgegentreten. Wir sprechen uns aus gegen islamfeindliche Denkmuster. Wir sprechen uns aus gegen Vorurteile und Hassrede.  Wir möchten jeder Form der systematischen Diffamierung einer ganzen Religionsgemeinschaft und aller ihrer Angehörigen etwas entgegen setzen. Und dies braucht unser aller Engagement: Denn sich für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft einzusetzen, kann nicht die Aufgabe allein der Betroffenen sein.

Islamfeindlichkeit ist keine Petitesse und sie beschränkt sich auch nicht auf rechtsextreme Kreise. Für zahlreiche Musliminnen und Muslime und für jene, die als solche wahrgenommen werden, durchzieht sie sehr viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.  Benachteiligungen bei der Wohnungssuche, Abwertungen im Laufe des schulischen Werdegangs, von Diskriminierungen bei Bewerbungen, am Arbeitsplatz, bei Behörden, durch Darstellungen in den Medien, Hatespeech im Internet und so weiter. Präsent sind muslimische Personen in den Talkshows meist als Expertinnen ihrer Religion, kaum aber zu anderen Themenfeldern, auch das prägt Muster.

Besonders hoch ist die Zahl der tätlichen Angriffe auf muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen. Fast jede von ihnen kennt herabsetzende Fragen, viele berichten, sie seien deswegen angespuckt, geschubst oder bedroht worden, anderen wurde das Kopftuch heruntergerissen, manchmal von Unbekannten, aber durchaus auch von Mitschülerinnen oder Menschen aus der Nachbarschaft. Immer wieder gibt es Brandanschläge oder Verwüstungen von Moscheen, islamischen Einrichtungen oder Geschäften muslimischer Personen.

Doch in dem Bild, das vielfach vom Islam gezeichnet wird, gibt es eine einseitige Fokussierung auf Muslime als Täter und Terroristen, auf fundamentalistische und extremistische Strömungen, die es in ihrer Passgenauigkeit zu diesem unserem Land und seinen Werten sorgsam zu inspizieren gilt.

Wir betonen daher, dass es notwendig bleibt, immer wieder islamisch-christliche Begegnungen zu initiieren, thematische Impulse zu setzen und die öffentliche Wahrnehmung der Vielfalt religiöser Lebenswelten zu befördern.

Nun kommt diese Erklärung in einer Zeit, in der nicht nur die „Islamdebatte“ hierzulande hoch spannungsgeladen und vielfach sehr vergiftet ist. Sie kommt auch in einer Zeit, in der angesichts der vielen brutalen Taten, zuletzt in Frankreich und anderenorts, vielfach verstärkt gefordert wird, „die Muslime“ müssten sich stärker von der Gewalt distanzieren.

Dies war das Thema unserer letzten Erklärung „Keine Gewalt im Namen Gottes!“, deren Aktualität leider gegeben bleibt.  Nehmen wir aber bitte wahr: Auch Muslime sind von Terrorismus betroffen! Und nehmen wir bitte wahr: Musliminnen und Muslime distanzieren sich!

 

Dr. Hamideh Mohagheghi

Die Aufforderung „Musliminnen und Muslime müssen sich distanzieren“, wird oft bei verschiedenen Gewalt- und Terrorakten an die Muslime gerichtet. Es wird hiermit bei den Musliminnen und Muslimen der Eindruck geweckt, dass damit die ablehnende Haltung gegen den Islam zum Ausdruck gebracht wird. Dies hieße, man distanziert sich von etwas, mit dem man in enger Beziehung steht- aber die enge Beziehung zu Gewalt und Terrorismus hat die Mehrheit der Muslime nicht und es gibt muslimische Stimmen, die sich laut und deutlich gegen Gewalt erheben und die Gewalttaten verurteilen.

Ebenso sind es Begriffe wie „Islamistische Terrorismus“, die einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Islam und Terrorismus herstellen. Während die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durchaus eine Trennlinie zwischen Islam und Islamismus ziehen können, werden beide Begriffe oft als Synonym verstanden und verwendet. Einige Beispiele sind mir persönlich bekannt, die diese Vermischung belegen und zu verheerende Annahmen führen. Diese können zu einer Haltung führen, die den Islam per se als eine Religion betrachtet, die den Terrorismus und die Gewalt legitimiert, religiös-politische Ambitionen hat und Werte unserer Gesellschaft nicht akzeptieren kann.  Es sind Worte und Begriffe, die Meinungen bilden und möglicherweise zu Taten führen, die es als notwendig erscheinen lassen, den Islam als Teil dieser Gesellschaft abzulehnen oder gar zu bekämpfen.

Einige verbreitete Ansichten über den Islam haben wir in unserer Erklärung exemplarisch aufgenommen, Meinungen, die uns seit Jahren bekannt sind, und wieder und wieder verwendet werden.

Zum Beispiel: „Die Muslime streben die „Islamisierung“ Deutschlands an“.

Oder: „Im Islam werden die Frauen unterdrückt.“.

Und neuerdings hört man auch die Meinung, in Deutschland wüchse der Antisemitismus durch die Anwesenheit muslimischer Geflüchteter. 

Wir nehmen diese pauschalen Behauptungen in unserer Erklärung auf, setzen uns damit auseinander. Die vermeintliche „Islamisierung“ Deutschlands z.B., die in politischen Diskussionen und in unterschiedlichen Medien immer wieder zur Sprache kommt, führt zu Unsicherheiten und beeinträchtigt den Umgang mit Muslim*innen. Nicht selten werden die Aktivitäten von - Muslim*innen mit Skepsis und Argwohn betrachtet mit der Unterstellung, dass sie damit ihr eigentliches Ziel – die Durchsetzung der Scharia in Deutschland – erreichen wollen. Dabei werden die Studien ignoriert, die belegen, dass die deutliche Mehrheit der Muslim*innen in Deutschland nicht nur die Rechtstaatlichkeit und Demokratie bejaht, sondern sie zudem ohne Einschränkungen für mit den islamischen Grundüberzeugungen vereinbar hält.

Ein anderes Beispiel ist die fehlende Religionsfreiheit in einigen muslimisch geprägten Ländern. Die Situation der religiösen Minderheiten, auch von Christ*innen, ist ein ernstzunehmendes Problem, das uns alle etwas angeht. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, auch hierauf aufmerksam zu machen und nach Lösungen zu suchen.  Die Schlussfolgerung jedoch, dass dies ein Problem im Islam sei, der keine Religionsfreiheit zulasse, ist weder theologisch noch religionsgeschichtlich haltbar. 

Eine immer wieder geäußerte Meinung ist, dass die Frauen im Islam unterdrückt und nur „Objekte“ seien, die ihren Ehemännern bedingungslos zu gehorchen haben. Das führt zu der Annahme, dass muslimische Frauen unbedingt Unterstützung und Hilfe zu ihrer Befreiung brauchen. Gewiss gibt es problematische Geschlechtervorstellungen AUCH unter Musliminnen und Muslime.  Für Gleichberechtigung der Geschlechter muss weiterhin gekämpft werden und es gibt zahlreiche muslimische Frauen und Organisationen, die sich dafür mit theologischer Begründung einsetzen. Diese Frauen zu unterstützen, ist wichtig und notwendig, Bevormundung ist aber auch eine Unterdrückung. Sichtbar wird die Haltung in unselige Kopftuchdebatte in unserer Gesellschaft, die meist an den muslimischen Frauen und ihren Argumenten vorbei geführt wird. 

Vermehrt wird auch der Eindruck erweckt, dass der Antisemitismus durch muslimische Geflüchtete nach Deutschland importiert sei. Auch hier dienen Adjektive wie „muslimischer" oder "islamischer“ dazu, den Antisemitismus als ein Problem des Islam zu erklären.  Der offene und aggressive Antisemitismus in Deutschland nimmt besorgniserregend zu und es ist unsere gemeinsame Aufgabe dagegen entschieden anzugehen: Wechselseitige Schuldzuweisungen helfen uns da nicht.  

Unser Anliegen in der Erklärung ist, die genannten Wahrnehmungen kritisch anzugehen, zugleich stehen wir gemeinsam für die sachliche und konstruktive Kritik ein, die für jede Religion notwendig und heilsam ist. Es ist keine Frage, dass alle diese Kritikpunkte auf Missstände hinweisen, die es unter den Musliminnen und Muslime gibt. Problematisch wird es, wenn diese Kritik pauschalisiert und gezielt angewandt wird, wenn es darum geht den Islam zu disqualifizieren und ihn als nicht kompatibel mit den westlichen Werten und den modernen Lebensweisen anzuprangern.

Die muslimische Antwort auf Kritik, dass „das alles nichts mit dem Islam zu tun hat“, ist genauso irreführend wie die Behauptung, dass alles kausal mit dem Islam zu tun habe. Beides sind essentialistische Zuschreibungen, die falsch sind, weil es viele Weisen gibt, in denen Musliminnen und Muslime ihren Glauben weltweit leben.  Wir plädieren daher für eine vernünftige, sachliche und konstruktive Auseinandersetzung mit kritischen Äußerungen und möchten so eine angemessene Auseinandersetzung mit problematischen Islambildern ermöglichen.

Die Erklärung ist zudem eine Selbstverpflichtung für uns, weiter an diesen Themen zu arbeiten. Das vorhandene Vertrauen zwischen den christlichen und muslimischen Mitgliedern im Gesprächskreis ist eine gute Basis, ohne Polemik und Schuldzuweisungen Themen aufzugreifen, die die Menschen in unserer Gesellschaft bewegen. Es sind ernsthafte und ehrliche Auseinandersetzungen und Antworten auf Kritik notwendig, die in Zusammenarbeit entstehen können und einen Beitrag für das gute und friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft leisten.

Und so bleibt es für uns notwendig, auf die Bedeutung der verbindenden religiösen Motive und gemeinsamen Werte hinzuweisen.

Und es bleibt auch notwendig, immer wieder islamisch-christliche Gespräche zu führen und sich gegenseitig einzuladen. Hier setzen wir auf Ihre Unterstützung, in Ihren Gemeinden, Verbänden und Institutionen und in Ihren jeweiligen Alltagskontexten.

Denn schließlich bleibt es auch hier notwendig, Nein zu sagen! Nein, nicht nur gegen Islamfeindschaft und rechte Parolen, sondern Nein! gegen jede Form von Hass und Hetze, die Menschen ausgrenzt und verletzt.

 

Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick, Dr. Hamideh Mohagheghi

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