Mehr Mitbestimmung ermöglichen
Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
Die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken hat am 20. November 2020 beschlossen, sich für mehr Mitbestimmung einzusetzen. Die Erklärung geht auf einen Antrag des BDKJ Bundesverbandes, des Diözesanrat Aachen und des Diözesankomitees Münsters zurück.
Freiheit als Grundmotiv
Die Freiheit ist ein Grundmotiv der jüdisch-christlichen Tradition. In zahlreichen Narrativen des Alten Testaments erfährt der Mensch das befreiende Einwirken Gottes in politische und soziale Verhältnisse: Diese Erfahrung wird besonders im Exodus-Geschehen offenbar. Darüber hinaus ist die Freiheit jeder Person im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Freiheit ist für uns nicht nur die Abwesenheit von Zwängen, sondern auch das Vermögen und die Macht, das Leben selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten. Zur Freiheit gehört somit auch die Möglichkeit der Teilhabe unbedingt dazu, denn Teilhabe ist Gestaltungsmacht. Politische Beteiligung kann im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen Formen erfolgen. Ein wichtiges Instrument der politischen Beteiligung sind die Wahlen von Repräsentant*innen in die jeweiligen Parlamente. Die Festlegung eines Wahlalters schließt Menschen aus und beschneidet sie in ihrer Freiheit.[1]
Kinder und Jugendliche haben eine Stimme
Das politische Interesse junger Menschen zeigt sich zunehmend. Der globale Einsatz für mehr Klimaschutz, die Demonstrationen gegen die EU-Urheberrechtsreform oder das Engagement für mehr Europa und gegen das Sterben auf dem Mittelmeer werden von jungen Menschen organisiert oder mitgetragen. Auch das Engagement junger Menschen für das Gemeinwohl, beispielsweise durch soziale Aktionen in den Jugendverbänden oder das bürgerschaftliche Engagement in den Freiwilligendiensten spiegelt einen verantwortungsvollen Umgang junger Menschen mit gesellschaftspolitischen Themen. Dass Menschen unter 18 Jahren auch in Form von Wahlen konkrete Politik mitgestalten wollen, zeigen die regelmäßig stattfindenden U18-Wahlen. Anlässlich der Bundestagswahl 2017 nahmen knapp 220.000 Kinder und Jugendliche an einer U18-Wahl des Deutschen Bundesjugendringes teil.[2] Das Engagement junger Menschen und die hohe Wahlbeteiligung bei den U18-Wahlen zeigen, dass Kinder und Jugendliche politikinteressiert sind und ihre Meinung vertreten wollen.
Eine Frage der Generationengerechtigkeit
Wahlen sind ein demographischer Spiegel der Gesellschaft – Menschen, die ihr Wahlrecht für sich wahrnehmen, repräsentieren auch ihre Alterskohorte. Das Problem liegt darin, dass ein Großteil der Gesellschaft, u. a. alle jungen Menschen, die zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht 18 Jahre sind, ausgeschlossen werden. Es ist davon auszugehen, dass bei der kommenden Bundestagswahl 2021 mehr als die Hälfte der Wähler*innen älter als 55 Jahre sein wird und somit diese Alterskohorte die absolute Mehrheit stellen könnte.[3] Diese Generation hat somit einen großen Einfluss auf die aktuellen und zukünftigen politischen Entscheidungen. Dem gegenüber bleiben die Bedürfnisse und Interessen der Menschen unter 18 Jahren bei Wahlen immer außen vor, obwohl sie von den Ergebnissen und Folgen massiv betroffen sind. Die Mitbestimmung junger Menschen ist mit Blick auf die Generationengerechtigkeit dringend notwendig.
Mitbestimmung als Grundlage
Aus Überzeugung sind die Strukturen des ZdK demokratisch organisiert. Echte Partizipation bedeutet für uns auch die Möglichkeit der Mitbestimmung. In unseren Verbänden und Gremien sind auch junge Menschen unter 18 Jahren selbstverständlich beteiligt. In den Verbänden wählen junge Menschen ihre Leitungsgremien direkt und können entscheidend Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung ihres Verbandes nehmen. Auch in der demokratischen Struktur der Lai*innenräte liegt die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht unter 18 Jahren.
Aus den genannten Gründen setzen wir uns für mehr politische Mitbestimmungsmöglichkeiten junger Menschen ein:
- Teilhabe junger Menschen am politischen Geschehen ermöglichen und das Wahlalter auf allen Ebenen auf mindestens 16 Jahre absenken. Die anstehende Wahlrechtsreform muss für die notwendige Änderung genutzt werden. Bereits bei einer möglichen Kommission zur Veränderung der Wahlordnung des Deutschen Bundestages müssen junge Menschen unter 18 Jahren beteiligt werden.Grundsätzlich darf eine Beteiligung junger Menschen und das aktive Wahlrecht aber nicht durch willkürliche Altersgrenzen eingeschränkt werden, sondern junge Menschen müssen aktiv in politische, gesellschaftliche und kirchliche Entscheidungsprozesse eingebunden werden und dazu befähigt werden, ihre Meinung einzubringen.
- Politik muss zugänglicher werden. Verstehen ist eine Grundvoraussetzung für Partizipation. Solange nicht alle Menschen die politischen Diskussionen verstehen können, ist ihnen auch eine Beteiligung und Teilhabe nicht in vollem Umfang möglich. Insgesamt braucht es wirksame, altersgerechte und bedürfnisorientierte Informations-, Beteiligungs- und Teilhabemöglichkeiten. Entsprechend müssen Politiker*innen und Parteien ihre Arbeit in verständlicher Sprache darstellen, sodass alle Menschen sie verstehen können. Außerdem ist politische Bildung sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich weiter zu stärken.
- Partizipation und Teilhabe nicht nur auf Wahlen beschränken. Auch an anderen Orten in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen müssen entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden, um den Mehrwert von echter Partizipation bereits in frühem Alter erfahrbar zu machen. Entsprechende Angebote müssen gefördert und gestärkt werden.
[1] Vgl. aej und BDKJ (Hrsg.), Gemeinsames Sozialwort der Jugend, S. 8-11.
[2] Vgl. https://www.dbjr.de/artikel/die-kinder-und-jugendwahl-u18/
[3] Vgl. Stiftung Marktwirtschaft, Demographie als Herausforderung für die Demokratie, S. 6.