Einkaufen und feiern, wann ich will?

Impulsvortrag von Prof. Dr. Gerhard Kruip beim Symposium "Anstrengende Vielfalt. Kirche in der pluralen Gesellschaft" am 30. September 2019 - es gilt das gesprochene Wort

Aufbau meines Impulses

  1. Beispiele
  2. Unterscheidung zwischen dem „Guten“ und dem   “Gerechten“
  3. Tanzverbot während der „stillen Feiertage“
  4. Sonntag als allgemeiner Ruhetag
  5. Schlussfolgerungen

Beispiele für religiös begründete allgemeine Verbote in verschiedenen Ländern:

  • An einem Tag in der Woche fahren so gut wie keine öffentlichen Verkehrsmittel.
  • Es gibt keine alkoholischen Getränke zu kaufen, ihr Verzehr ist verboten.
  • Der Verzehr von Rindfleisch ist verboten.
  • Es ist verboten, sich in der Öffentlichkeit zu umarmen oder gar zu küssen.
  • Während der Gebetszeiten ist es verboten, Musik zu machen oder abzuspielen.


Unterscheidung von "Gerechtem" und "Gutem"
 

  • „Gerecht“: Regeln, die allen gegenüber mit Argumenten gerechtfertigt werden können und in der Regel in positives Recht umgesetzt und dort mit Sanktionen geschützt werden
  • „Gut“: individuelle oder partikular-kollektive Regeln, die auf Grund der Freiheit einzelner oder bestimmter Gruppen Toleranz beanspruchen.
  • Vorrang des „Gerechten“ vor dem „Guten“
  • Das „Gerechte“ und das Gemeinwohl
  • Partikulare Vorstellungen des Guten motivieren aber oft, sich wirklich an das „Gerechte“ zu halten
  • Die Unterscheidung zwischen dem „Gerechten“ und dem „Guten“ gibt es in allen Kulturen.
  • Die Grenzen zwischen dem „Gerechten“ und dem „Guten“ werden unterschiedlich gezogen und sind notorisch umstritten.
  • Auf jeden Fall „gerecht“: Menschenrechte, Grundrechte, insbesondere das allgemeines und gleiche Recht auf Religionsfreiheit, einschließlich des Rechts auf Freiheit von der Unterordnung unter religiöse Vorschriften
  • Neutralität des Staates
  • Keine Religion darf ihre Vorschriften zum allgemeinen staatlichen Gesetz machen      
    • Selbst dann nicht, wenn die Mehrheit einer Gesellschaft dieser Religion angehört
    • Außer diese Regeln lassen sich allen gegenüber mit Argumenten rechtfertigen

 

Tanzverbot während der "stillen Feiertage" 

  • Bestimmte Feiertage: „stille Feiertage“
  • Allgemeines Tanzverbot (teilweise auch Sportveranstaltungen) in Deutschland, vor allem am Abend des Gründonnerstag und am Karfreitag (teilweise auch Aschermittwoch, Fronleichnam, Totensonntag etc.)
  • Unterschiedlich strenge Regeln und Handhabung in Bundesländern
  • Offensichtlich gegründet in der christlich-religiösen Bedeutung dieser Tage (allerdings nicht beim Volkstrauertag)
  • Widerstand z. B. vom "Bund für Geistesfreiheit München„
  • Urteil des BVerG 2016: Widerspruch zum Recht auf Versammlungsfreiheit, kein generelles Verbot, Ausnahmen mit Auflagen müssen zulässig sein

Mögliche Lösung

  • Alle Menschen haben das Recht, ihre religiösen Überzeugungen zu leben und dabei auch von anderen respektiert zu werden, auch in der Öffentlichkeit
  • Faire Aufteilung des Raums der Öffentlichkeit unter den Anhängern verschiedener Religionen und Weltanschauungen
  • Kein Verbot von Aktivitäten, bei denen andere gar nicht gestört werden (wenn sie z.B. nicht in der Öffentlichkeit stattfinden)
  • Einführung von jüdischen und muslimischen Feiertagen
  • Letztlich immer eine schwierige Frage der rechten Balance und der wechselseitigen Anerkennung von Differenz
  • Christliche Kirchen können jedenfalls nicht mehr verlangen, dass sich alle anderen nach ihren Feiertagsvorstellungen richten

 

Sonntag als allgemeiner Ruhetag 

  • Sonntag offensichtlich zunächst aus christlich-religiösen Gründen („Tag des Herrn“) arbeitsfrei
  • Diente v.a. der Möglichkeit zum Gottesdienstbesuch
  • Erosion im 19. Jahrhundert, aber Wiederkehr durch sozialpolitische Anliegen, Gewerkschaften
  • § 139 Weimarer Reichsverfassung, Art. 140 GG: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“
  • Verfassungsgrundlage noch durch religiöse Überzeugungen und Praxis gedeckt? Gottesdienstbesuch zwischen 16,8% in Görlitz und 7,2% in Trier
  • Nicht-religiöse, allgemeine Rechtfertigung möglich:
  •  
    • Ein gemeinsamer freier Tag in der Woche dient der Möglichkeit des (religiös oder nicht-religiös motivierten) Zusammenkommens, der gemeinsamen Freizeitgestaltung, der Erholung, insbesondere in Familien und unter Freunden
    • Damit auch dem Gemeinwohl
    • Mahnendes Zeichen gegen Verzweckung und Beschleunigung
    • Dass dieser gemeinsame freie Tag dann der Sonntag sein sollte, ergibt sich aus der dominanten christlichen Tradition
    •  
  • Abwägung mit anderen wichtigen Bedürfnissen oder Notwendigkeiten: Sicherheit, Gesundheit, Gaststätten, Mobilität, Rundfunk, Bäckereien, Freizeitaktivitäten etc.
  • Einkaufen-Können als Freizeitgestaltung?
  • Bundesverwaltungsgericht 2014
  • Auch hier: notwendige Balance! Grauzonen!

Presseerklärung von DBK und EKD zum „Internationalen Tag des freien Sonntags am 3. März 2013“

„Gott hat den Menschen den siebten Tag der Woche als Ruhetag geschenkt. Für Christen hat der Sonntag seine herausragende Bedeutung als Tag der

Auferstehung Christi. Wir feiern den Sonntag als ‚Tag des Herrn’. Doch alle Menschen brauchen eine Zeit des Auf-Atmens, damit Körper, Geist und Seele zur Ruhe kommen können. Wir brauchen den Sonntag, damit wir Zeit für Familie, für Freunde und für uns haben. Der Sonntag bietet die Gelegenheit, eine Auszeit aus dieser pausenlosen ‚Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft’ zu nehmen. Der Sonntag macht deutlich: Arbeiten und Wirtschaften sind nicht alles im Leben.

Der Schutz des Sonntags dient der Gesellschaft im Ganzen. Die Kirchen sehen ihren Auftrag darin, für eine Werteorientierung einzutreten und Mitverantwortung für das gesellschaftliche Zusammenleben zu tragen. Deshalb unterstützen wir das Anliegen, den Sonntag als wichtiges Element unserer Kultur zu stärken.“

 

Schussfolgerungen

  1. Auch für die Religionen gilt der Vorrang des Gerechten vor dem Guten: Sie können ihr eigenes „Gutes“ nur leben, wenn es nicht der „Gerechtigkeit“ widerspricht. Und sie sollten es als eine vordingliche Aufgabe ansehen, nicht nur für eigene Interessen, sondern für die Gerechtigkeit in der Gesellschaft insgesamt einzutreten.
  2. Bisher religiös begründete Vorschriften können deshalb als allgemeine, für alle verbindliche Regeln nur dann durchgesetzt werden und als legitim angesehen werden, wenn sie sich auch allen gegenüber argumentativ rechtfertigen lassen. Die Begründung mit Hilfe je eigener religiöser Traditionen greift hier zu kurz.
  3. Für diejenigen Vorschriften, die kein allgemeines Gesetz sein können, können die Religionen in einem fairen Ausgleich mit den Ansprüchen anderer Toleranz und Respekt erwarten, solange sie auch selbst anderen gegenüber tolerant und respektvoll sind.
  4. Da es in all diesen Fällen Abwägungsprobleme und Grauzonen gibt, sollte kein Einzelaspekt als casus confessionis behandelt werden.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Prof. Dr. Gerhard Kruip

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