Organspende nicht ohne freiwillige Zustimmung
Stellungnahme des Präsidiums des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
Die Entscheidung für eine Organspende verdient hohe moralische Anerkennung. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) teilt das Ziel, die Organspendebereitschaft und die Transplantationszahlen zu erhöhen, und befürwortet alle ethisch angemessenen Schritte zu seiner Realisierung. Denn die Organspende dient als Akt freiwilliger Solidarität den Lebenschancen schwer erkrankter Menschen, die auf ein Spenderorgan warten.
Bei der im Deutschen Bundestag anstehenden Neuregelung der Organspende spricht sich das ZdK für einen Ausbau der geltenden Entscheidungslösung und gegen die doppelte Widerspruchslösung aus. Voraussetzung für die Organentnahme muss weiterhin eine freiwillige Einwilligung des Spenders / der Spenderin oder, falls keine Einwilligung vorliegt, die Zustimmung der Angehörigen sein. Denn eine Organspende ist keine Frage der Verwertung eines Leichnams, sondern betrifft den Prozess des Sterbens. Dafür muss jede und jeder Einzelne ausdrücklich ihre oder seine Entscheidung treffen.
Als Vertretung der katholischen Frauen und Männer in Deutschland möchten wir im Respekt vor der unbedingten Würde jedes Menschen auf der Grundlage der Prinzipien christlicher Sozialethik einen Beitrag zu dieser Debatte von fundamentaler ethischer und gesellschaftspolitischer Bedeutung leisten. Wir begrüßen die Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit, mit denen diese Debatte in der Öffentlichkeit und in zwei Gesetzgebungsverfahren im Deutschen Bundestag geführt wird.2
1.1. Das Potenzial der Organspendebereitschaft besser ausschöpfen
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir sehr das bereits vom Deutschen Bundestag beschlossene "Zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende". Es konzentriert sich auf Maßnahmen, mit denen das vorhandene Reservoir der Organspendebereitschaft besser ausgeschöpft und die Zahl der Organentnahmen und anschließenden Transplantationen erhöht werden sollen. Zu nennen sind zum Beispiel die verbindliche Freistellung der Transplantationsbeauftragten und deren Finanzierung, die höhere Vergütung der Entnahmekrankenhäuser, die flächendeckende Bereitstellung neurologischer Konsiliardienste zur Feststellung des Hirntodes und eine verbesserte Angehörigenbetreuung.
In der Verbesserung der Strukturen sehen wir den wichtigsten Ansatzpunkt, um die vorhandene Bereitschaft zur Organspende besser zu identifizieren und so mehr Menschenleben durch eine Organtransplantation retten zu können. Denn wie eine Langzeitstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) belegt, sind fast 80 Prozent der Bevölkerung grundsätzlich bereit, Organe zu spenden - eine im Vergleich zu den tatsächlichen Zahlen der Organentnahmen beachtlich hohe Bereitschaft. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) verweist auf eine in den letzten Jahren leicht wachsende Zustimmungsquote, wenn Angehörige nach Feststellung des Hirntodes nach dem mutmaßlichen Willen des potenziellen Spenders / der potenziellen Spenderin gefragt werden. Beide Belege stützen die Annahme, dass es zur Erhöhung der Zahl der Organentnahmen und Transplantationen zuvorderst ihrer strukturellen Ermöglichung und Begünstigung im Gesundheitssystem bedarf – und nicht einer Abkehr von der freiwilligen, bewussten Entscheidung der Spenderinnen und Spender.
1.2. Freiwillige Zustimmung als Voraussetzung der Organentnahme
In der öffentlichen Debatte steht aber eine andere Frage im Zentrum, die in den nächsten Monaten mit fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen beraten und entschieden werden soll. Es wird vorgeschlagen, die Organentnahme künftig nicht mehr an die Zustimmung des Spenders / der Spenderin oder der Angehörigen zu knüpfen, sondern eine Organentnahme nach Hirntoddiagnostik nur dann auszuschließen, wenn von ihnen ein expliziter Widerspruch vorliegt. Demgegenüber sind wir der Überzeugung, dass die Organspende wissentlich gewollt, also Ausdruck freiwilliger Zustimmung sein muss, weil davon unausweichlich auch eine Entscheidung über das persönliche Sterben berührt wird. Es gibt gute und gerade aus christlicher Sicht sehr überzeugende Gründe, die es Menschen für sie selbst als persönliche Pflicht erscheinen lassen, ihr persönliches Sterben an der Lebensrettung anderer auszurichten. Es gibt aber weder eine moralische Pflicht zu dieser Solidarität, noch können auf ein Spenderorgan wartende Patientinnen und Patienten oder die Gesellschaft insgesamt ein moralisches Recht darauf geltend machen. Die Organspende ist ein freiwilliges Geschenk.
Eine (einfache oder doppelte) Widerspruchslösung übergeht diese Qualität einer postmortalen Organspende. Sie verwischt den Unterschied zwischen freiwillig und nicht freiwillig. Zwar lässt sie den Widerspruch zu einer Organentnahme zu und grenzt sich so von einer unfreiwilligen Zwangsabgabe ab. Aber bei einer Entnahme der Organe gemäß Widerspruchsregelung handelt es sich nicht um eine freiwillige Gabe, denn sie könnte stattfinden, ohne dass Spenderin und Spender oder ihre Angehörigen sich jemals dafür entschieden und darin eingewilligt hätten.
Dies erscheint uns mit dem Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht der sterbenden Patientinnen und Patienten nicht vereinbar. Denn bevor es zu der postmortalen Organspende kommen kann, sind Voraussetzungen zu erfüllen, die den Prozess des Sterbens beeinträchtigen. Zwar sind vor einer Organentnahme zwingend alle für das Weiterleben entscheidenden Hirnfunktionen unwiderruflich erloschen, so dass an ein Gesundwerden nicht mehr zu denken ist und alle weiteren kurativen Therapieversuche zwecklos sind. Zugleich bildet aber das Fortbestehen von Teilfunktionen des Körpers durch künstliche Beatmung die unverzichtbare Voraussetzung für jede Organspende und -transplantation. Die Beatmung setzt ihrerseits aber entsprechende medizinisch-therapeutische Maßnahmen im Sterbeprozess voraus, die sich von der ansonsten palliativen Therapie in der terminalen Phase des Sterbens unterscheiden können. Die Aufrechterhaltung körperlicher Grundfunktionen (künstliche Beatmung usw.) kann sogar in direktem Widerspruch zu einer Patientenverfügung stehen. Gerade weil der Patientenwille im Prozess des Sterbens unbedingt zu befolgen ist, wie der rechtliche Stellenwert von Patientenverfügungen zeigt, sollte dieser explizite Wille auch für die fremdnützige Weiterbehandlung des Patienten / der Patientin zur Vorbereitung einer Organentnahme ausschlaggebend sein.
- 3. Über Organspende informieren, reden und zur Entscheidung ermutigen
Da die freiwillige Entscheidung für oder gegen eine Organspende für uns eine herausragende Bedeutung hat, teilen wir das Anliegen, dass die Zahl der zu Lebzeiten dokumentierten Entscheidungen gesteigert werden sollte.
Dazu sind verschiedene Wege vorstellbar. Uns erscheint eine Variante sinnvoll, in der der Hausarzt / die Hausärztin regelmäßig eine (zu vergütende) ergebnisoffene Beratung schon zu einem Zeitpunkt anbietet, wenn die Patientin / der Patient nicht wegen einer schweren Krankheit in Behandlung ist. Denkbar wäre auch eine Vermittlung an ortsnahe medizinische Informationsstellen. Die Entscheidung sollte aber nicht zeitgleich mit der Information fallen, sondern zum Beispiel durch spätere Eintragung in ein Organspenderegister, auf das die Bürgerinnen und Bürger eigenständig zugreifen können.
Niemand soll zu einer Entscheidung gedrängt werden, aber allen soll bewusst sein, dass die eigene Organspendebereitschaft ernsthaft zu prüfen ist. Diese Frage zu verdrängen, hilft niemandem, aber schadet denjenigen, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind.
Erklärung “Organspende nicht ohne freiwillige Zustimmung” als PDF