Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 11/2019
im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herren,
nicht nur heute sind wir in einer besonderen Situation. Wir haben sehr bewegte Monate hinter uns und vor uns. Seit der letzten Vollversammlung im Mai in Mainz, als Präsidium und Hauptausschuss den Auftrag zur weiteren Vorbereitung eines Synodalen Wegs erhalten haben, wurde kontinuierlich an diesem Synodalen Weg, der eine kirchengeschichtliche Novität wäre, gearbeitet. Es ist daher angemessen, ihn heute auch zum Schwerpunkt dieses Berichts zu machen, bevor Sie heute Nachmittag endgültig darüber entscheiden, ob das ZdK diesen Weg in gemeinsamer Verantwortung mit den deutschen Bischöfen gehen wird.
Gleichwohl haben wir auch noch andere Aufgaben, die uns sehr wichtig sind und sein müssen, denn wir verstehen uns als die Vertretung der katholischen Frauen und Männer nicht nur in der Kirche, sondern zuvorderst in Gesellschaft und Staat. Auf einige dieser Aufgaben gehen wir im ersten Teil der Rede ein.
Gefährdungen der Demokratie
In diesem Jahr haben wir an mehreren runden Jahrestagen der politischen Weichenstellungen des letzten Jahrhunderts gedacht: 1919, 1939, 1949, 1989 seien hier genannt. Einige dieser Jahresdaten erfüllen uns mit dankbaren Erinnerungen, gleichzeitig mahnen sie uns aber alle zur Wachsamkeit und zum Schutz unseres demokratischen Gemeinwesens.
In die letzten Wochen fiel ein Ereignis, das uns alle erschüttert, schockiert und empört hat. In Halle wollte ein rechtsextrem verblendeter Attentäter am jüdischen Feiertag Jom Kippur einen Anschlag auf die Synagoge verüben und die dort versammelten jüdischen Gläubigen umbringen. Wir hätten uns noch vor wenigen Jahren ein solches Geschehen in einer deutschen Stadt nicht vorstellen können. Es hat sich daraufhin eine starke Solidarisierung mit unseren jüdischen Gemeinden ergeben. Wir stehen, im siebzigsten Jahr seit der Gründung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und verpflichten uns zu ihrem Schutz im Reden und Handeln. Wir helfen bei der Suche nach den Ursachen und Anknüpfungspunkten, solche Taten zu verhindern. Unser Gesprächskreis Juden und Christen beim ZdK setzt sich dafür in besonderer Weise ein.
Religiöses Leben in Deutschland muss geschützt werden. Das gilt nicht nur für uns Christen, sondern ganz besonders auch für unsere älteren Geschwister im Glauben, die jüdischen Frauen und Männer. Das ist unverzichtbarer Teil unserer Staatsraison. In den seit hundert Jahren gültigen, 1949 in das Grundgesetz aufgenommenen Religionsartikeln werden die Religionsgemeinschaften als Partner des freiheitlich-demokratischen Staates qualifiziert. Wir sind sehr dankbar, dass es jüdische Gemeinden in Deutschland gibt. Sie gehören zu unserem Land.
Wir erinnern uns auch an die Öffnung der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze vor 30 Jahren. Der Fall der Mauer war ein Sieg des auch in einem totalitären Regime nicht zu erstickenden Freiheitsdrangs der Menschen, der Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit und Frieden. Entgegen manch anderer Bilanz, die in diesen Wochen gezogen wurde, bleibt es für uns dabei, dass die friedliche Revolution, die ihr folgende staatliche Einheit und die Überwindung der Teilung eine Erfolgsgeschichte sind. Zur Überwindung der Trennung von Ost und West haben gerade auch mutige Christinnen und Christen beigetragen. Dafür sind wir dankbar, und dafür kann man nicht oft genug Anerkennung und Respekt zollen!
Die allermeisten Menschen haben durch die Einheit unseres Landes viel gewonnen, auch wenn viele – insbesondere im Osten – durch schmerzhafte Transformationsprozesse gegangen sind. Umso wichtiger ist es aber, in ganz Deutschland die ostdeutschen Länder und ihre Menschen mit ihrer Geschichte und ihren individuellen Geschichten wahrzunehmen. Das ist übrigens vor einigen Wochen in exemplarischer Weise gelungen durch die „Pastorale“ in Magdeburg. Diese Großveranstaltung ist gut für das Selbstbewusstsein der Katholiken in Ostdeutschland, die sich als gesellschaftliche Minderheit auf die Herausforderungen der Diaspora und einer Umgebung, in der alles Religiöse exotisch ist, einlassen.
Die Ergebnisse der letzten drei Landtagswahlen verlangen unsere Aufmerksamkeit. Vergessen wir nicht: Die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hat nicht die AfD gewählt. Doch sie ist aus den drei Wahlen jeweils als zweitstärkste Kraft mit deutlich über 20 Prozent der Stimmen hervorgegangen. Und wo sie gewählt wurde, geschah das nicht aus Versehen und nicht aus einer reinen Proteststimmung heraus. Das belegen Umfragen aus Sachsen und nicht zuletzt der Umstand, dass die Wähler der AfD in Thüringen sehr genau wissen müssten, wen sie mit dem dortigen Spitzenkandidaten gewählt haben. Ein hohes Wahlergebnis ist kein Ausweis von Seriosität. Wir haben in Deutschland schreckliche Erfahrungen machen müssen – Demokratien können sich selbst zerstören. Deshalb brauchen wir den Widerstand gegen eine Partei, die von Bürgerlichkeit spricht und das Gegenteil von bürgerlicher Verantwortung und Gemeinsinn praktiziert.
Vor einem Jahr hat unser Mitglied Prof. Heinrich Detering vor uns eine bemerkenswerte Rede über die Rhetorik der parlamentarischen Rechten gehalten. Prof. Detering hat sich zu Reaktionen auf die Rede so geäußert:
„Auf meine Rede habe ich Antworten erhalten, die in einer bizarren Weise bestätigten, was ich kritisiert habe. Auf den Vorwurf, sich der Sprache von Gangstern zu bedienen, antworten mir diejenigen, die sich angegriffen fühlen, mit der Androhung von Gewalt; auf den Vorwurf der Vulgarisierung und Verrohung antworten sie roh und vulgär; auf den Vorwurf eines Missbrauchs der deutschen Sprache antworten sie in einem Deutsch, das vom Gebrauch dieser Sprache nichts weiß.“
Lieber Herr Professor Detering, Sie bringen hier auf den Punkt, was alle kennen, die sich in solche Auseinandersetzungen begeben. Danke für Ihre so treffenden Worte!
Es sind Konsequenzen aus dem schrecklichen Attentat von Halle und den Wahlergebnissen zu ziehen: Es kann nicht sein, dass im Netz Hass und Hetze, Falschmeldungen und Aufwiegelung ungehemmt möglich sind! Auch wenn es unpopulär ist, wiederholen wir unsere Forderung: Wir brauchen eine Übertragung bewährter presserechtlicher Regeln auf das Internet, damit dort nicht das passiert, was im Moment stattfindet: übelste Hetze, Bruch aller Tabus, Hass-Mails – und das alles unter dem Deckmantel der Anonymität und der freien Meinungsäußerung. Hier sind Gesellschaft und Politik gefordert, Hass und Menschenverachtung Einhalt zu gebieten!
Genauso wichtig ist, dass auch in der analogen Welt die den gesellschaftlichen Zusammenhalt zersetzenden Stimmen nicht allein den Ton angeben. Wir brauchen dazu mehr denn je politische Bildung und die Ermöglichung ihrer Kontinuität. In der katholischen Kirche haben wir zahlreiche Träger der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung – Jugendverbände, Bildungswerke, Akademien und weitere Initiativen. Effektiver als immer neue befristete Programme und Projektförderungen aufzulegen, ist es, sie finanziell sicher auszustatten, damit sie mit ihrer kontinuierlichen Arbeit die zivilgesellschaftlichen Potenziale heben und stärken können. Diese Art politisch-sozialer Bildung muss weiterhin eine verlässliche Grundlage behalten.
Rentenpolitische Debatte
Wir kommen zu einem anderen Thema, das in den vergangenen Wochen in den Schlagzeilen weit oben war und das zu dieser Stunde auch beim Bundesparteitag der CDU intensiv diskutiert werden dürfte: dem Koalitionskompromiss zur so genannten Grundrente. Zunächst einmal ist zu würdigen, dass die Bundesregierung sich auf dem zentralen gesellschaftspolitischen Feld der Alterssicherung als handlungsfähig erwiesen hat – und das nach mehreren vergeblichen Anläufen in den letzten zehn Jahren. Dieser Kompromiss ist viel besser als sein Ruf. Der Appell der Bundeskanzlerin, die einfachen Leute nicht aus dem Blick zu verlieren, verdient über die von ihr angesprochenen Fraktionskollegen hinaus Unterstützung. Diese Menschen wollen ihre Lebensleistung in Beruf und familiärer Sorge anerkannt sehen.
Es lohnt sich aber, genau hinzusehen. Bei der Grundrente, die eigentlich eine Aufstockrente ist, handelt es sich um einen nicht unerheblichen Systemeingriff – aber sie ist kein Systemwechsel. Begünstigt werden langjährig Versicherte mit unterdurchschnittlichen Rentenanwartschaften. Aber nicht alle von einer künftigen Altersarmut bedrohten Gruppen werden zielgenau erreicht. Diejenigen, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen bleiben, profitieren, wenn überhaupt, nur in geringerem Ausmaß. Die Probleme der drohenden Altersarmut werden mit dieser Grundrente nicht gelöst. Es bleibt die Notwendigkeit einer armutsfesten Grundsicherung, die nicht stigmatisiert werden sollte. Außerdem ist im Koalitionsvertrag eine Altersvorsorgepflicht für prekär abgesicherte Selbstständige vorgesehen und noch nicht umgesetzt. Vieles davon ist auch nachzulesen in der rentenpolitischen Erklärung, die wir vor drei Jahren beschlossen haben.
Ebenso wichtig wie die soziale Gerechtigkeit in Deutschland ist uns seit langem auch die internationale Gerechtigkeit. Die Afrika-Konferenz, die in dieser Woche in Berlin stattfand, hat noch einmal die großen Aufgaben verdeutlicht. Wir freuen uns sehr, dass wir im Anschluss mit unserem Mitglied Gerd Müller über die Verantwortung von Unternehmen in Wertschöpfungsketten in den Austausch treten können.
Bioethische Fragen
Zwei bioethische Themen, die uns kontinuierlich beschäftigen, können wir heute nur streifen. Zur Neuregelung der Organspende steht die Entscheidung des Bundestages Anfang 2020 bevor. Wir haben uns frühzeitig mit einer Stellungnahme gegen die Widerspruchslösung und für eine erweiterte Zustimmungslösung an die Abgeordneten gewandt. Diese Haltung und die uns leitenden Argumente werden wir in den nächsten Wochen gerade gegenüber den noch nicht auf einen Gesetzentwurf festgelegten Abgeordneten bekräftigen. Wir wiederholen heute, was wir vielfach gesagt haben: Die Organspende ist ein freiwilliges Geschenk und muss es bleiben!
Zu ethischen Aspekten der modernen Fortpflanzungsmedizin hat jüngst die Gemeinsame Konferenz von Deutscher Bischofskonferenz und ZdK eine Stellungnahme beschlossen, die vom gemeinsamen Beirat Bioethik unter Leitung von Bischof Dr. Gebhard Fürst und Vizepräsident Dr. Christoph Braß vorbereitet wurde. Einige Mitglieder der Vollversammlung waren intensiv daran beteiligt. Ein wichtiger Aspekt der Stellungnahme, die zeitnah veröffentlicht werden soll, sind die Herausforderungen, die die Entwicklungen in der Pränataldiagnostik mit sich bringen. Im September dieses Jahres ist von dem zuständigen Gremium die Kassenzulassung eines nichtinvasiven Bluttests zur Feststellung von Trisomie 21 beschlossen worden. Wir befürchten, dass damit dieser Test zu einer Regeluntersuchung wird. Und es wird nicht bei einer Trisomiefeststellung bleiben: Eine Fülle von Erkrankungen wird prognostiziert werden können. Deshalb wird es in Zukunft noch wichtiger sein, die werdenden Eltern mit den Angeboten der unabhängigen psychosozialen Beratung zu erreichen. Die Expertinnen dafür sind auch in Beratungsstellen von Caritas, Sozialdienst katholischer Frauen und donum vitae zu finden. Möglichst schon vor der routinemäßigen Durchführung eines Tests sollten sich die Eltern mit den Folgen auseinandersetzen, die ein solches Testergebnis für sie haben kann. Und sie sollen wissen: Es gibt auch ein Recht auf Nicht-Wissen, das vielfach eine unbelastetere Schwangerschaft ermöglichen kann. In jedem Fall ist hier eine unabhängige psychosoziale Beratung wichtig!
Danke, Rita Waschbüsch!
In dem erwähnten Beirat sind unsererseits sowohl der Sozialdienst katholischer Frauen als auch donum vitae vertreten. Was uns aus gegebenem Anlass zu einem persönlichen Dank führt.
Vor 20 Jahren ist als Initiative aus der ZdK-Vollversammlung donum vitae entstanden. Seit der Gründung war eine Frau das Gesicht von donum vitae, unsere frühere Präsidentin Rita Waschbüsch. Liebe Frau Waschbüsch, Sie haben als Präsidentin des ZdK über lange Jahre den Kampf um den gesetzlichen Schutz des ungeborenen Lebens mit Nachdruck geführt. Als die deutschen Bischöfe gezwungen wurden, aus der Mitwirkung bei der gesetzlichen Beratungsregelung auszusteigen, haben Sie im Verein mit anderen mit der Gründung von donum vitae Verantwortung übernommen. Zwei Jahrzehnte lang haben Sie das Schiff dieses Vereins durch die manchmal sehr stürmische See navigiert und deswegen auch viele ungerechte Anwürfe ertragen müssen. Vor allem aber haben Sie durch Ihr Engagement mit den Beraterinnen von donum vitae vielen Menschen, die teils heute schon das Erwachsenenalter erreicht haben, ihr Leben ermöglicht. Jeder dieser geborenen Menschen ist ein Beweis der Richtigkeit der damaligen Entscheidung. Der Schutz des ungeborenen Lebens ist dann möglich, wenn wir auch Frauen, die eine Abtreibung erwägen, in ihrer Not helfen. Wir stehen mit allergrößtem Respekt vor dem, was Sie in diesen beiden Jahrzehnten geleistet haben. Wir alle sagen Ihnen: Vergelt’s Gott, liebe Frau Waschbüsch!
Donum vitae hat sich in all diesen Jahren zu einer anerkannten Beratungs- und Fachorganisation entwickelt. Das Bundesfamilienministerium hat Ihnen zum wiederholten Mal ein Modellprojekt anvertraut, um Wege zu Frauen zu finden, die mit den konventionellen Mitteln nur schwer zu erreichen sind. Nun haben Sie, liebe Frau Waschbüsch, auf dem hochseetüchtigen Schiff das Steuerrad weitergegeben.
Der neue Kapitän, Dr. Olaf Tyllack, ist seit langem Mitglied des ZdK. Und ebenso herzlich möchte ich in dieser Runde die neue Bundesvorsitzende des SkF, Frau Hildegard Eckert, begrüßen.
3. Ökumenischer Kirchentag 2021 in Frankfurt
Die Gründung von donum vitae war unser großes Thema vor 20 Jahren – auch damals – übrigens mit einem neuen Generalsekretär. Die Großprojekte, vor denen wir heute stehen, heißen Ökumenischer Kirchentag, Aufarbeitung und Überwindung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche und Synodaler Weg. Der Reihe nach:
Für den Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt am Main haben wir im Gemeinsamen Präsidium Ende Oktober nach einer intensiven Beratung das Leitwort beschlossen. „schaut hin“ – dieses dem Markusevangelium entlehnte Wort soll unseren Blick auf alles lenken, was uns in Kirche und Gesellschaft bewegt und herausfordert. „schaut hin“ – dazu haben sicherlich auch Sie in Ihren katholischen Verbänden und Organisationen, Räten und geistlichen Gemeinschaften etwas Sehens- und Beachtenswertes beizutragen. Unter dem Dach dieses Leitwortes wird sich in den kommenden Monaten das Programm entwickeln. Ein ökumenischer Themenkonvent mit 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat dafür die Richtung angegeben. Morgen werden wir weitere Informationen zum Stand der Vorbereitungen geben.
Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche
In der Frage der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche sind wir an einem kritischen Punkt angekommen. Vor einigen Wochen informierte Bischof Ackermann als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz in einer Pressekonferenz bei der Vollversammlung der deutschen Bischöfe über mögliche Entschädigungszahlungen der katholischen Kirche an von sexuellem Missbrauch betroffene Menschen. Dazu liegt den Bischöfen die Empfehlung einer von ihnen eingesetzten Arbeitsgruppe vor.
Aus dem 19-seitigen Papier wurde seit der Veröffentlichung beinahe nur eine Zahl zitiert: die als Option genannte Zahlung einer pauschalen Entschädigung in Höhe von 300.000 Euro. Diese Zahl steht in dem Papier, doch die verkürzte Wiedergabe und Fixierung auf eine Zahl schadet dem Anliegen, dass den von sexualisierter Gewalt Betroffenen endlich Gerechtigkeit widerfährt. Denn sie polarisiert die Debatte und erschwert die konstruktive, ergebnis-orientierte Verständigung auf ein tragfähiges Verfahren.
Belastet wird das Thema aber auch durch die berechtigte Frage nach der Herkunft der Mittel. Diese Frage gilt eigentlich immer, aber erst recht, wenn es um solche Summen geht. Und sie wird richtig virulent, wenn – so erste Informationen – das Geld auch aus unseren Kirchensteuern aufgebracht werden soll.
Wir erleben seit dieser Ankündigung eine wachsende Empörung bei vielen Katholikinnen und Katholiken. Es wäre verständlich, wenn bei einer Umsetzung dieser Entschädigungsoption die nächste schwere Akzeptanzkrise der Kirchensteuer im Kirchenvolk mit der Konsequenz vieler Kirchenaustritte ausbräche. Wir teilen diese Kritik und sagen entschieden: So geht das nicht!
Der Appell an eine Solidargemeinschaft geht an dieser Stelle ins Leere, denn unsere Solidarität gilt den Opfern – und nicht jenen Verantwortlichen und Institutionen, die nun nach Auswegen angesichts finanzieller Forderungen suchen. Es gibt keine Solidargemeinschaft mit den Tätern – und auch keine Haftungsgemeinschaft.
Priester und Bischöfe sind – nach ihrem klerikalen Selbstverständnis – Laien keine Rechenschaft schuldig. Sie sind vielmehr Teil eines Systems, das ihnen allein Vollmacht zuspricht und umgekehrt kaum Kontrolle und Transparenz vorsieht. Genau das problematisiert auch die MHG-Studie selbst. Deshalb soll es auf dem Synodalen Weg das Forum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ geben, das genau diese Zusammenhänge thematisiert und Änderungsvorschläge erarbeitet.
Wenn ich als Bürger für Verfehlungen staatlicher Akteure hafte, dann weil ich zumindest indirekt Einfluss auf die Inhaber der Macht habe: Ich kann sie abwählen oder mich selbst um die gleichen Ämter bewerben. In unserer Kirche sollen wir Laien jetzt für Straftaten von Klerikern verantwortlich gemacht werden, obwohl wir als Gläubige gegenüber der Kirchen-leitung praktisch keine politische und rechtliche Handhabe besitzen, um Machtmissbrauch zu verhindern.
Doch zugleich muss man sich als Kritiker einer Entschädigung aus Kirchensteuern fragen lassen, aus welchen Mitteln sie sonst zu bestreiten wäre. Der Vorschlag einer freiwilligen Abgabe aller amtierenden und emeritierten Bischöfe und Weihbischöfe mag nicht sehr weit führen. Die so gewonnenen Mittel, – das kann man leicht ausrechnen – decken nicht die Kosten, die bei diesen exorbitanten finanziellen Entschädigungsleistungen entstehen würden, aber immerhin hätten sie eine hohe symbolische Wirkung. Sie würden vor allem zeigen, dass diejenigen, die die Verantwortung tragen, auch bereit sind, sich dafür zur Rechenschaft ziehen zu lassen und Konsequenzen zu tragen.
Wenn es den Bischöfen ernst ist mit einer angemessenen Entschädigung der Betroffenen und zugleich damit, dass die Kirche ihre Aufgaben auch künftig in ganz Deutschland wahrnehmen kann, werden sie hier gemeinsam eine andere Lösung finden müssen – keine, die jetzt Laien in Regress nimmt, und keine, die einzelne Diözesen oder auch Orden finanziell ruiniert. Und es muss übrigens auch eine Lösung sein, die die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland gemeinsam vertreten können. Danach sieht es nach der jüngsten EKD-Synode aber ganz und gar nicht aus.
Es sind hier noch viel mehr Fragen offen als geklärt. Je länger man über – vom Kontext isolierte – Zahlen redet oder reden lässt, desto größer ist das Risiko, dass am Ende Betroffene ernüchtert, Erwartungen enttäuscht werden und Versöhnung verfehlt wird. Der Ständige Rat hat in diesen Tagen in Würzburg weitere Schritte bis Januar angekündigt. Zu einer ernsthaften Aufarbeitung des Missbrauchsskandals gehört auch eine aufrichtig gemeinte Entschädigung, die durchaus schmerzhaft für die beteiligten Akteure, nicht aber für die Laien in der katholischen Kirche sein darf.
Neben dieser dringlichen Aufgabe sei auch an die Errichtung einer kirchlichen Verwaltungs-gerichtsbarkeit erinnert, zu der wir bei der letzten Vollversammlung den eindrucksvollen Vortrag des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Prof. Dr. Klaus Rennert, gehört haben. Erzbischof Dr. Ludwig Schick zufolge soll eine Einführung im nächsten Jahr möglich sein. Das wäre dann ein echter Durchbruch, auf den wir seit vierzig Jahren warten und für den unser langjähriger Vizepräsident, Dr. Walter Bayerlein, immer wieder gekämpft hat – und wir machen gerne einen Knoten ins Taschentuch, um heute in einem Jahr nachzufragen!
Synodaler Weg
Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und die rechtlichen Konsequenzen sind aber nicht die Aufgabenfelder, in denen das ZdK die Hauptverantwortung trägt. Anders ist dies beim Synodalen Weg, zu dem wir jetzt kommen. Er hat uns im Präsidium, im Hauptausschuss, in der Gemeinsamen Konferenz und vor allem auch unser Generalsekretariat in den letzten Monaten sehr intensiv beschäftigt. In der letzten Vollversammlung haben Sie uns als Präsidium und Hauptausschuss beauftragt, den Synodalen Weg mit der Deutschen Bischofskonferenz weiter abzustimmen und vorzubereiten, und sich eine endgültige Zustimmung für die heutige Vollversammlung vorbehalten. Vieles ist seitdem geschehen, darunter auch manche organisatorische Festlegung, die trotz des noch bestehenden Zustimmungsvorbehalts getroffen werden musste, um, bei einem positiven Votum, am ersten Advent tatsächlich den Synodalen Weg bundesweit offiziell starten zu können.
Bevor wir auf einzelne Punkte eingehen, lassen Sie uns grundsätzlich feststellen: Wir haben in der Situation des Jahres 2019 ein vorher ungekanntes, hohes Maß an Einigkeit in der katholischen Kirche in Deutschland, zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem ZdK, bis auf wenige, allerdings sehr lautstarke Stimmen. Nur auf diesem Fundament des gegenseitigen Vertrauens und der Einigkeit waren die Fortschritte des letzten halben Jahres zu erreichen. Und wir lassen uns durch die wenigen, immer gleichen gegnerischen Stimmen – zumeist von Emeriti – ganz sicher nicht von unseren Hoffnungen und Überlegungen abbringen!
Was ist seit der Frühjahrsvollversammlung geschehen? Sie haben uns in Mainz den Auftrag gegeben, uns für ein viertes vorbereitendes Forum zum Thema des Zugangs von Frauen zu Weiheämtern einzusetzen. Dies konnten wir erreichen. Unsere Argumente haben die Bischöfe von der Sinnhaftigkeit dieser Forderung überzeugt.
Das vierte vorbereitende Forum „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ nahm aufgrund seiner Entstehungsgeschichte seine Arbeit erst im Sommer auf, während die drei anderen vorbereitenden Foren zu den Themen „Macht und Gewaltenteilung“, „Priesterliche Lebensform“ und „Sexualmoral“ bereits im Frühjahr mit ihrer Arbeit starten konnten. Diese vorbereitenden Foren haben sehr gute Grundlagen erarbeitet, auf denen die einzurichtenden Foren des Synodalen Wegs aufbauen können. Für die künftigen Synodalforen wurden die Titel leicht abgeändert.
Erschwert wurde der Start in den vorbereitenden Foren dadurch, dass bei ihrer von der Bischofskonferenz initiierten Einrichtung auf der ZdK-Seite ein hoher Handlungsdruck entstand. Als Präsidium mussten wir sehr schnell Vertretungen des ZdK für die Mitarbeit benennen, was bei einigen von Ihnen zu Verwunderung und Verärgerung geführt hat. Es bildete sich die in der Presse kursierende Legende, die Besetzung sei intransparent und unausgewogen gewesen. Dazu ist zu sagen, dass die Vertreterinnen und Vertreter des ZdK in den vorbereitenden Foren alle durch das von Ihnen gewählte ZdK-Präsidium nominiert wurden. Niemand ist unautorisiert in ein vorbereitendes Forum berufen worden. Es war in der Kürze der Zeit aber schlichtweg nicht möglich, ein gründliches Interessenbekundungs-verfahren durchzuführen, wie es ja jetzt für die Mitgliedschaft in der Synodalversammlung angewandt wurde. Dafür bitten wir um Verständnis.
In den vier vorbereitenden Foren konnte ein hohes Maß an Transparenz und Augenhöhe der Partner erreicht werden. Zunächst wurden die Namen aller Mitwirkenden der Foren auf unserer Homepage und der Homepage der DBK veröffentlicht, seit Mitte September auch die Arbeitspapiere, die in den vorbereitenden Foren erstellt wurden. Zu den Inhalten, die ja der Kern der Arbeit der vorbereitenden Foren sind, werden Sie sich heute Nachmittag in den Arbeitsgruppen austauschen. Wir sind gespannt auf Ihre Rückmeldungen und Einschätzungen zu dem bisher Erarbeiteten.
Wichtig für das Gelingen war auch die nachholende Bildung von Doppelspitzen in der Leitung der Foren. Das Forum zu „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ war von vornherein so angelegt, mit Prof. Dr. Dorothea Sattler und Bischof Dr. Franz-Josef Bode als Vorsitzende. Für die drei anderen Foren hat der Hauptausschuss im Juli 2019 Dr. Claudia Lücking-Michel, Stephan Buttgereit und Birgit Mock als Vorsitzende benannt. Sie nehmen die Leitung gemeinsam mit den Bischöfen Dr. Karl-Heinz Wiesemann, Dr. Felix Genn und Dr. Georg Bätzing wahr. Ihnen und allen Mitwirkenden in den vorbereitenden Foren danken wir sehr herzlich für ihre Bereitschaft mitzuarbeiten und für die Erstellung sehr guter und fundierter Texte in so kurzer Zeit.
Parallel zur Arbeit der vorbereitenden Foren nahm das Regelwerk des Synodalen Wegs allmählich Form an. Im künftigen Präsidium des Synodalen Wegs, das sich aus Kardinal Marx und Bischof Bode für die Deutsche Bischofskonferenz und aus Prof. Dr. Sternberg und Karin Kortmann für das ZdK zusammensetzt, wurde gemeinsam eine Satzung für den Synodalen Weg erarbeitet. Sie war in unterschiedlichen Entwurfsfassungen Gegenstand der Beratung in der Vollversammlung und dem Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz, im ZdK-Hauptausschuss und in der Gemeinsamen Konferenz. Neben der personellen Zusammensetzung war die Übereinstimmung mit den kirchenrechtlichen Vorgaben abzustimmen. Daraus ist in der medialen Beobachtung und in manchen internen Diskussionen der Vorwurf erwachsen, es sei die anfangs versprochene Verbindlichkeit der Beschlüsse einer künftigen Synodalversammlung aufgegeben worden. Wie mit den Beschlüssen umzugehen ist, sei in das Ermessen jedes einzelnen Diözesanbischofs gestellt. Diese Kritik wiegt schwer. Doch nicht die Satzung greift hier zu kurz, sie bildet lediglich ab, was das Kirchenrecht vorgibt. Und – das ist eine Lernerfahrung aus den letzten Monaten – sie muss diese Vorgaben getreu abbilden, wenn der ganze Prozess nicht auf tönernen Füßen stehen soll. Aber vertrauen Sie auch darauf: Wenn Sie heute Nachmittag diesem gemeinsamen Weg zustimmen, dann werden wir alles tun, um zu verbindlichen Beschlüssen und Voten in der Synodalversammlung zu kommen.
Wir konnten erreichen, dass die DBK das ZdK als Partner auf Augenhöhe anerkennt. Damit sind wir aber auch in der Mitverantwortung sowohl für das Gelingen als auch für das hoffentlich nicht eintretende Scheitern. Betonen möchten wir: Die Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, ist vertrauensvoll und gut. Er vertritt das gemeinsame Anliegen des Synodalen Wegs in der Weltkirche ganz entschieden, auch gegenüber teils haarsträubenden Unterstellungen, und genießt unser volles Vertrauen.
Es gibt eine hohe internationale Aufmerksamkeit für den Synodalen Weg und inzwischen auch schon eine internationale Ausstrahlung auf Entwicklungen in der Schweiz, in Österreich und Frankreich. Auch in Rom ist die Aufmerksamkeit groß, wie wir alle wissen. Der ermutigende Brief von Papst Franziskus an die Gläubigen in Deutschland ist ein historisches Signal der Wertschätzung und Unterstützung unseres Synodalen Wegs. Die Einheit mit der Weltkirche wird von keinem der am Synodalen Weg Beteiligten in Frage gestellt.
Der Brief von Kardinal Ouellet an Kardinal Marx mit dem kritischen Gutachten des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte zu einem unserer ersten Satzungsentwürfe erreichte die deutschen Bischöfe kurz vor der erweiterten Gemeinsamen Konferenz am 13. und 14. September 2019. Er führte zu hoher Medienwirkung – letzten Endes mit einer unserem Anliegen dienenden Wirkung. Die Sache ist längst durch ein Antwortschreiben von Kardinal Marx ausgeräumt. Auch Präsident Sternberg hat in Rom dazu Gespräche geführt.
Bei dieser erweiterten Gemeinsamen Konferenz mit insgesamt ca. 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden zentrale Weichenstellungen vorgenommen. Sie hat Bischöfe und Laien noch enger zusammenrücken lassen. Gemeinsam haben wir uns mit den Anfragen aus dem Vatikan auseinandergesetzt, und gemeinsam haben wir dem Heiligen Vater für seinen an uns alle gerichteten Brief gedankt und ihm geantwortet. Im gemeinsamen Beten und Singen, in der respektvollen Debatte, dem gegenseitigen Zuhören wurde bei dieser Konferenz konkret spürbar, dass der Synodale Weg ein geistliches Ereignis sein wird und schon ist.
Auf dem Synodalen Weg werden wir nicht alle kirchlichen Problemkomplexe der Gegenwart behandeln können. Die hochdifferenzierten Entwicklungsprozesse in den deutschen Diözesen haben sicherlich viele Berührungspunkte zum Synodalen Weg, aber wir werden sie nicht alle systematisch aufgreifen können.
Am Ausgangspunkt des Synodalen Wegs stehen der Glaubwürdigkeitsverlust der katholischen Kirche und die Erkenntnis systemischer Ursachen von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt. Unsere zentrale Aufgabe ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die katholische Kirche in unserem Land verlorenes und gefährdetes Vertrauen zurückgewinnen und rechtfertigen kann. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Kirche, können wir evangelisieren und unseren Auftrag, die evangeliumsgemäße Umgestaltung von Kirche und Welt, mit Gottes Hilfe erfüllen. Lassen wir uns nicht einen vermeintlich unvereinbaren Gegensatz von strukturellen Reformen und geistlicher Vertiefung einreden!
Wir gehen als ZdK nicht unvorbereitet auf diesen Weg. Viele der in den vier Foren zu führenden Diskussionen sind bei uns seit Jahren oder Jahrzehnten auf der Agenda. Vertrauen wir auch auf den Heiligen Geist, dass alle am Synodalen Weg Beteiligten die Offenheit besitzen, sich auf den Stuhl der jeweils anderen zu setzen und zu einem vertieften gemeinsamen Verständnis zu gelangen.
Der Synodale Weg ist für alle Beteiligten Neuland und er entwickelt sich tatsächlich erst beim Gehen. Gleichzeitig ist die öffentliche und innerkirchliche Beobachtung und Erwartungshaltung sehr anspruchsvoll. Alles, was noch nicht rund läuft, wird zum Gegenstand teils spöttischer Kommentare. Eine besondere Herausforderung wird die Beteiligung der kirchlichen Öffentlichkeit durch Kommentare und Vorschläge zu den in allen Phasen veröffentlichten Texten sein, die auf elektronischem Wege möglich sein wird.
Wir sind nach allen Gesprächen mit Bischöfen gewiss, dass es einen entschiedenen politischen Willen gibt, den erreichten Grad der Einigkeit zwischen den meisten Bischöfen und den meisten Laien nicht wieder aufzugeben und den Worten und gemeinsam verantworteten Beschlüssen auch Taten folgen zu lassen. Mit der Satzung haben wir eine Grundlage, auf die sich alle Beteiligten einlassen können und die den Rahmen für die kommenden zwei Jahre setzt.
Und wenn in den letzten Wochen vielleicht auch einiges vorschnell veröffentlicht wurde, ohne die heutige Abstimmung abzuwarten, dann bitten wir Sie um Verständnis. Es besteht hier ein hoher Zeitdruck und eine entsprechende Arbeitsbelastung, wenn der Synodale Weg am Ende der kommenden Woche starten kann und soll. Wir danken allen, die sich so intensiv engagieren – allen voran unserem scheidenden Generalsekretär Dr. Stefan Vesper, ohne dessen Engagement und Erfahrung die Vorbereitungen nicht möglich gewesen wären.
Wir danken den Ehren- und Hauptamtlichen für die unermüdlichen Planungsarbeiten und für die Hartnäckigkeit, die ermöglichen, dass dieser Weg nun bereitet ist und gegangen werden kann. Ich bitte Sie herzlich darum, die jeweils einstimmigen Voten des Präsidiums und des Hauptausschusses durch Ihre Zustimmung zu bestätigen.
Vieles mehr wäre zu berichten. Für den Augenblick danken wir für Ihre Aufmerksamkeit und freuen uns auf die Aussprache.
Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten Dr. Christoph Braß Wolfgang Klose Karin Kortmann Dr. Claudia Lücking-Michel in Abstimmung mit Präsident Prof. Dr. Thomas Sternberg