Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 05/2019

im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Schwestern und Brüder,

die zurückliegenden Kar- und Ostertage waren in diesem Jahr für uns Christen von zwei Erschütterungen geprägt, deren Bilder noch gegenwärtig sind. Die Wochenzeitung „Christ & Welt“ dokumentierte sie in der Osterwoche mit Bildern der zerstörten Kirchenräume in Paris und Negombo auf Sri Lanka. Am Montag der Karwoche brannte die Kathedrale Notre Dame. Am Ostersonntag starben auf Sri Lanka über 250 Menschen bei Terroranschlägen islamistischer Attentäter, die meisten von ihnen während der Osterliturgie. Drei Kirchen in verschiedenen Teilen des Landes wurden angegriffen: in der Antonius-Kirche, der St.-Sebastians-Kirche sowie der Zionskirche starb der Großteil der Opfer.

Der Terror gegen unsere Glaubensgeschwister, die das höchste Fest der Christenheit feiern wollten, ist unerträglich. Sie wurden ermordet, weil und während sie ihren Glauben ausübten. Mit ihnen werden viele andere weltweit wegen ihres christlichen Bekenntnisses verfolgt und drangsaliert. Wir alle fühlen uns betroffen und fühlen die Trauer, Ohnmacht und Verzweiflung der Angehörigen, beten für sie und vergessen sie nicht.

Dass die islamistisch verblendeten Attentäter von Sri Lanka sich auf ihren Glauben berufen, ist eine Pervertierung ihrer wie jeder Religion. Es darf keine Gewalt im Namen Gottes geben. Wir wollen uns auch weiterhin gemeinsam mit frommen Muslimen der Pervertierung des Islam im islamistischen Terror entgegenstellen. Religionen dürfen nicht Grund für Terror, sondern müssen Medium seiner Überwindung sein!

Beim Brand der Kathedrale Notre Dame kam niemand zu Tode. Aber der drohende Verlust dieser wunderbaren Kirche erschreckte uns alle. Für die Europäer ist sie ein historisches, kunstgeschichtliches und religiöses Denkmal ersten Ranges. Der französische Staat und viele Spender waren spontan bereit, Verantwortung für den Wiederaufbau des Monuments zu übernehmen. Das ist eine eindrucksvolle Erfahrung nationaler und auch internationaler Solidarität. Zugleich gibt es Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass im laizistischen Frankreich alle Kirchen, die vor 1903 gebaut wurden, vom Staat unterhalten werden, während in Deutschland die Gläubigen selbst ihre Kirchengebäude pflegen und dies dank ihrer Kirchenbeiträge, der Kirchensteuer, auch können.

Synodaler Weg

Die Erschütterungen in unserer Kirche greifen jedoch weit tiefer. Noch nie habe ich eine Situation erlebt, in der die Empörung so weit in den Kern unserer Gemeinden reichte. Sie wurde ausgelöst durch die Veröffentlichung der Studie zum sexuellen Missbrauch im letzten Herbst. Aber das war wohl nur der Tropfen, der eine aufgestaute Verärgerung über ausbleibende Reformen der Kirche zum Überlaufen brachte. Bei unserer letzten Vollversammlung nahm dieses Thema breiten Raum ein.

Wir sind uns einig: Nach den Ergebnissen der so genannten MHG-Studie können die systemischen Ursachen des sexuellen Missbrauchs nicht mehr ausgeklammert werden. Aus der Mitte der Vollversammlung wurde ein Text eingebracht und mit großer Mehrheit beschlossen, der für uns die Richtschnur des Agierens in den letzten Monaten war.

Ich erinnere an verschiedene Stationen: Im Februar fand im Vatikan eine Kinderschutzkonferenz statt. In der Medienöffentlichkeit wurde diese wichtige Konferenz zunächst schlecht bewertet. Aber erst die Durchführung dieser Konferenz hat die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs auf die weltkirchliche Agenda gehoben. Es wurde deutlich, dass sexualisierte Gewalt ein globales Problem ist und nicht auf bestimmte Länder und einen bestimmten kulturellen Kontext hin reduziert und relativiert werden kann.

Dass offenbar in manchen Ländern und in nicht geringem Ausmaß auch Ordensfrauen Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, ist ein Skandal, den niemand in der Kirche auf sich beruhen lassen kann. Missbrauch gab und gibt es überall – und leider auch überall in unserer Kirche.

Das, was derzeit in vielen Ländern stattfindet, ist ein Kurswechsel und zugleich eine Kulturveränderung. Ich will mich hier ganz deutlich an die Seite der Bischöfe und Bistumsleitungen stellen, die begriffen haben: Es geht um grundlegende und einschneidende Veränderungen. Die katholische Kirche muss den Ehrgeiz haben, bei Aufarbeitung und Prävention zum Vorbild für andere zu werden. Wir sind noch nicht an diesem Punkt. So notwendig es aber ist, sexuellem Missbrauch mit lückenlosen Präventions- und Interventionskonzepten zu begegnen: Das reicht allein nicht aus! Es geht darum, unsere Kirche so zu verändern, dass sie keinen Nährboden für den Missbrauch bietet.

Fahrt aufgenommen hat seit der letzten Vollversammlung unsere dort bekräftigte, aber schon seit vielen Jahren erhobene Forderung, eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit zu errichten. Die Bischöfe haben sich dieses schon in der Würzburger Synode an sie adressierte Anliegen zu Eigen gemacht. Bei dieser Vollversammlung können wir den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts als Referenten zu diesem Thema begrüßen. Möglicherweise wird die Frage der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit eine der ersten sein, bei der wir erleben, dass die Bischöfe endlich vom Reden ins Handeln kommen. Es ist wirklich höchste Zeit!

Ich bekam die Gelegenheit, in Lingen als Gast am Studientag der Bischöfe teilzunehmen. Es ging, ausgehend von der Erschütterung durch die Studienergebnisse und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust, um die übergreifenden Fragen nach der Macht in der Kirche, nach der priesterlichen Lebensform und der katholischen Sexualmoral. Es war für mich sehr eindrucksvoll, nach den Referaten der eingeladenen Experten die Bischöfe im Austausch zu erleben. Bei der ganz überwiegenden Mehrheit konnte ich neben einer tiefen Betroffenheit feststellen, dass sie die gegenwärtige Situation als Zäsur wahrnehmen und zu Reformen bereit sind.

Betrachten wir exemplarisch nur das verminte Gebiet der kirchlichen Sexualmoral: Seit 50  Jahren, spätestens seit dem Erscheinen der Enzyklika „Humanae vitae“ 1968 mit dem Verbot der so genannten „künstlichen“ Empfängnisverhütung, hatte sie sich so weit von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt, dass sie kaum noch auf Akzeptanz stieß und stößt. Der Grund für diesen Autoritätsverlust war nicht die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Moraltheologie, wie leider ein merkwürdig verfehlter Blick zurück im Zorn des früheren Papstes insinuiert, sondern eine Hierarchie, die glaubte, restriktive Vorschriften für das Leben von längst selbstbestimmten Menschen machen zu können. Die Hierarchie hatte sich selbst ins Abseits manövriert.

Erst Papst Franziskus hat mit seiner Schrift „Amoris laetitia“ über die Freude an der Liebe in den Fragen von Sexualität und Partnerschaft erste Schritte der Wiederannäherung an das Lebensgefühl der Gläubigen gemacht. Vielleicht sollte das Lehramt zu diesen Fragen einfach eine Zeit lang schweigen und diese Themen der Theologie und dem Glaubenssinn der Gläubigen, vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ihren hoch geschätzten und wichtigen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen überlassen. Dann könnte es möglicherweise gelingen, im Bereich der Sexualität Vertrauen zurück zu gewinnen und wirkliche Hilfestellung zu geben.

Dies ist nur ein Beispiel für viele mögliche – daran haben wir ja eindrücklich mit dem Beschluss der letzten Vollversammlung erinnert. Als ich aus Lingen wegfuhr, fragte ich mich: Wie groß wird der Mut der Bischöfe sein, nun die notwendigen Schritte zu gehen? Nur wenig später wurde ich selbst für das ZdK mit dieser Frage konfrontiert. Kardinal Marx informierte mich, bevor er in die Abschlusspressekonferenz ging, über den einstimmigen Beschluss der Vollversammlung, einen „synodalen Weg“ mit dem ZdK gehen zu wollen.

Sie werden sich vorstellen können, dass ich dazu statt einer unmittelbaren Antwort erst einmal eine Reihe von Fragen hatte – und auch jetzt sind längst nicht alle beantwortet. Wir werden darüber heute Nachmittag noch ausführlich beraten. Es ist immer noch der Weg zu einem „synodalen Weg“, denn was das ist und werden kann, darüber müssen sich Bischöfe und Laien verständigen. Verbinden sollte uns die Forderung nach Konkreterem als nur einem Gesprächsprozess.

An dieser Stelle nur so viel: Die Ankündigung in der Pressekonferenz nach der Vollversammlung der Bischofskonferenz lautete, einen verfassten, transparenten und verbindlichen Prozess unter Mitverantwortung des ZdK zu beginnen, dessen Ergebnisse in der Kirche in Deutschland umzusetzen und weitere Themen in Rom gemeinschaftlich vorzutragen. Das ZdK kann sich als Vertretung der Laien dieser Anfrage nicht entziehen und muss sich aktiv und konstruktiv in diesen Prozess einbringen. Dafür stehe ich als Präsident, habe dafür das Votum von Präsidium und Hauptausschuss und erbitte in dieser Versammlung Ihre Zustimmung.

Befragung zu Frauen in Leitungspositionen

An dieser Stelle sei ein Projekt genannt, das uns seit der Zeit des überdiözesanen Gesprächsprozesses in den Jahren 2011 bis 2015 beschäftigt. Auf vielen Gebieten blieb dieser Prozess folgenlos, aber es gab auch Fortschritte – so in der Beteiligung von Frauen an kirchlicher Leitungsverantwortung. Bei der Vollversammlung in Lingen wurden die Ergebnisse einer Untersuchung vorgestellt, die zeigt, dass sich dank der strukturierten Anstrengungen in vielen Diözesen etwas getan hat – allerdings auch, dass noch viel Luft nach oben ist.

Für das ZdK, die Diözesanräte, katholischen Verbände, Organisationen und Gemeinschaften haben wir 2014 eine eigene Befragung durchgeführt – viele von Ihnen werden sich noch daran erinnern. Anfang 2019 fand eine Wiederholungsbefragung statt. Sie wurde im Auftrag und mit Unterstützung des Generalsekretariats von Frau Judith Otterbach durchgeführt, der ich dafür herzlich danke. Wir können Ihnen leider wegen der Themenvielfalt dieser Vollversammlung die Ergebnisse der Befragung nun doch nicht hier und heute vorstellen. Wir werden dafür einen geeigneten Rahmen finden, möglichst in einer Vollversammlung.

Die Befragung steht für einen von vielen kleinen Schritten auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Kirche. Denn Kirche, das sind nicht nur die Bischöfe mit ihren großen Bistumsverwaltungen. Das Gesicht unserer Gemeinden ist längst weiblich – ohne die Frauen läuft nichts. Aber Kirche, das sind auch wir in unseren Organisationen, und diese geschlechtergerecht zu gestalten, ist auch ein Auftrag an uns.

Ethische Streitfragen

Ich komme zu einigen nicht weniger drängenden gesellschaftspolitischen Fragen. Im Bereich des Schutzes der Menschenwürde und des Lebensrechts sind es aktuell vor allem drei Themen, die sich dynamisch entwickeln und die uns fordern.

Da ist zunächst die geplante Neuregelung der Organspende. In diese Debatte konnten wir uns im Februar dank unseres Arbeitskreises für politische und ethische Grundfragen unter Leitung von Bettina Jarasch mit einer Stellungnahme einbringen. Ich habe mich auf dieser Grundlage gegenüber den Abgeordneten des Bundestags für einen Ausbau der geltenden Entscheidungslösung und gegen die Einführung der doppelten Widerspruchslösung ausgesprochen. Voraussetzung für die Organentnahme muss weiterhin eine freiwillige Einwilligung des Spenders oder, falls keine Einwilligung vorliegt, die Zustimmung der Angehörigen sein. Die Organspende ist ein freiwilliges Geschenk und muss es bleiben!

Ich teile mit allen, die sich in dieser Debatte engagieren, das Ziel, die Organspendebereitschaft und die Transplantationszahlen zu erhöhen. Das wichtigste Medium hierzu ist das bereits in Kraft getretene neue Gesetz, das die Abläufe in den Kliniken, die Vergütung für Organentnahmen und -transplantationen sowie die Identifikation der Spender verbessert. Dazu gehört aber auch, die Zahl der zu Lebzeiten dokumentierten Entscheidungen für oder gegen eine Organspende zu steigern. Auf dieser Linie sehe ich den in dieser Woche vorgestellten Antrag einer fraktionsübergreifenden Gruppe um die Gesundheitspolitikerinnen Karin Maag (CDU), Ulla Schmidt (SPD), Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) und die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Katja Kipping (Die Linke).

Eine weitere ethische Streitfrage, zu der ich schon mehrmals öffentlich Stellung genommen habe, betrifft die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik. Ich habe hier vor der Normalisierung einer vermeintlich unkomplizierten Untersuchung gewarnt, die zur Folge haben kann, dass noch weniger Kinder mit dem so genannten Down-Syndrom geboren werden als es schon jetzt der Fall ist. Die Hauptgefahr liegt dabei nicht in dem Bluttest und dem Wissen, das durch ihn gewonnen werden kann. Man darf dieses Thema auch nicht auf die Frage nach der Bezahlung reduzieren. Das Problem ist vielmehr, dass es zu einem Automatismus kommen kann, die Schwangerschaft bei dem Befund Trisomie 21 nicht fortzusetzen. Solche Automatismen gilt es zu durchbrechen, zum Beispiel durch die stärkere Verknüpfung vorgeburtlicher Untersuchungen mit einer unabhängigen psychosozialen Beratung. Ich bin froh, dass es in den letzten Wochen immerhin gelungen ist, das mit den Untersuchungen verbundene ethische Dilemma in der Öffentlichkeit und im Bundestag zum Thema zu machen.

Große Sorgen bereitet uns die Entwicklung in der Diskussion über die organisierte Suizidbeihilfe. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Karwoche an zwei Tagen öffentlich über die Klagen gegen die 2015 beschlossene Neufassung des § 217 StGB verhandelt. Vor der damaligen Entscheidung des Gesetzgebers haben wir uns sehr stark in die Debatte eingebracht. Die evangelische und katholische Kirche in Deutschland haben sich in bemerkenswerter Einmütigkeit für das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz eingesetzt. Dieses Gesetz ist nach unserer Überzeugung keine übergriffige Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts, wie es häufig auch in den Medien dargestellt wird. Das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe schützt kranke, alte und schwache Menschen vor Fremdbestimmung und dem Druck, der droht, wenn die Suizidbeihilfe rechtlich und gesellschaftlich als normal bewertet wird.

Mich hat an der Verhandlung des Verfassungsgerichts erschreckt, dass es von den Befürwortern einer Liberalisierung und offenbar auch von einigen Richtern als Inbegriff menschlicher Freiheit gewertet wird, mit Hilfe von Ärzten, Sterbehilfevereinen oder gar staatlichen Behörden aus dem Leben scheiden zu können. Ja, jeder Mensch hat das Recht auf ein Sterben in Würde – aber die Vorstellung einer Gesellschaft, in der die Selbsttötung als Dienstleistung verfügbar sein muss, hat für mich nichts mit der Achtung der Menschenwürde zu tun. In einer solchen Gesellschaft wird der Menschenwürde ihre Unantastbarkeit genommen. Die Selbsttötung ist nicht der Gipfel der Autonomie, sondern deren Auslöschung.

Globale Gerechtigkeit

Ethische Herausforderungen stellen sich nicht nur am Anfang und am Ende des menschlichen Lebens. Schutz und Förderung des menschlichen Lebens müssen für uns auch auf allen anderen politischen Gebieten die Richtschnur sein. Papst Franziskus mahnt uns immer wieder, an der Seite der Armen zu leben.

Vor kurzem jährte sich zum sechsten Mal jene Katastrophe in Bangladesch, wo beim Einsturz einer Textilfabrik über tausend Menschen zu Tode kamen und viele weitere schwer verletzt wurden. Sie arbeiteten dort unter unvorstellbaren Verhältnissen, die gegen Menschenrechte verstoßen. Dort wurde hauptsächlich Kleidung für den Export produziert, auch für unsere europäischen Modefirmen – Kleidung, die wir kaufen und tragen.

Diese Katastrophe ist ein besonders markantes Beispiel dafür, wie unser Wohlstand nicht zuletzt durch Ausbeutung von Menschen in armen Regionen erwirtschaftet wird. Um daran etwas zu ändern, bedarf es eines langen Atems. Es geht um unser Konsumverhalten, um Bewusstsein für faire Produktionsbedingungen und es geht um die Verantwortung der Unternehmen für soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen entlang der gesamten Textil-Lieferkette.

Der Bundesminister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, unser Mitglied Gerd Müller, hat hier einen Schwerpunkt gesetzt. Ab dem kommenden Sommer soll man fair produzierte Kleidung am „Grünen Knopf", einem staatlichen Gütesiegel, erkennen können. Im Juli will der Minister zehn deutsche Firmen vorstellen, die als erste mit dem Nachhaltigkeitssiegel an den Markt gehen. Solche staatlichen Initiativen geben auch unseren kirchlichen Gruppen Rückenwind, die schon seit vielen Jahren auf diesem Gebiet arbeiten.

Darum war ich alarmiert, als vor einigen Wochen in der Haushaltsplanung des Bundes für die nächsten Jahre Kürzungen unter anderem in diesem wichtigen Bereich angekündigt wurden. Nach Jahren des mühsam errungenen Mittelaufwuchses, durch den Deutschland bei den Ausgaben für Entwicklungshilfe endlich der 0,7-Prozent-Quote nahekam, zeichnet sich nun ein Rückschritt ab. Ein Kurswechsel würde dafür sorgen, dass Gelder fehlen, die dringend zur Armutsbekämpfung und zur Schaffung von dauerhaften Perspektiven für die Menschen in den Ländern des globalen Südens benötigt werden. Wie schon oft in der Vergangenheit ist es leider wieder an der Zeit, dass wir die Einhaltung des 0,7-Prozent-Ziels anmahnen müssen. Nicht zuletzt handelt es sich dabei um einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge.

Diskussionsimpuls zur Reform der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik

Auch in der Landwirtschaftspolitik geht unser lokales Handeln mit globaler Verantwortung einher. Landwirtschaft ist in Deutschland zu einem gesellschaftlich hochstrittigen Themenkomplex geworden. Ich nenne als Stichworte nur Artenschutz, Tierwohl, Pestizide, Nitrat im Grundwasser, Milchpreisverfall, Höfesterben. Gleichwohl befinden sich die Stellschrauben für Veränderungen zum großen Teil nicht auf regionaler oder nationaler, sondern auf der europäischen Ebene.

Eine im Juli 2018 einberufene ZdK-Arbeitsgruppe unter der Leitung der Sprecherin des Sachbereichs „Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung“, Dr. Barbara Hendricks, hat anlässlich der Reform der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik einen Diskussionsimpuls „Für eine nachhaltige und gerechte Landwirtschaft“ erarbeitet. Diesen Text, dem der Hauptausschuss im März zugestimmt hat, haben Sie bereits erhalten. Ich danke den Mitgliedern der Arbeitsgruppe für dessen Erarbeitung. Frau Dr. Hendricks wird ihn im Anschluss an meinen Bericht kurz vorstellen.

Wir alle sind von der Arbeit der Landwirte in Europa abhängig. Daher halte ich es für besonders wichtig, den Frauen und Männern, die in der Landwirtschaft tätig sind, unseren Respekt auszusprechen. Im letzten Hitze- und Dürresommer wurden die großen Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft steht, unmittelbar spürbar. Und die Prognosen für den kommenden Sommer deuten auf ähnlich heiße Monate wie im vergangenen Jahr. Eine Anpassung an die Folgen des Klimawandels ist für die Landwirte wie für die Verbraucher von großer Bedeutung. Das Ziel muss eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Landwirtschaft sein.

In diesen Monaten erleben wir, wie die Sorge angesichts der Erderwärmung und der Ruf nach einer konsequenten Politik des Klimaschutzes viele junge Menschen mobilisiert und auf die Straßen bringt. Der Klimaschutz muss wie der Artenschutz in der künftigen Förderperiode der Europäischen Union stärkere Berücksichtigung erfahren.

Europa vor der Wahl

Die Agrar- und die Klimapolitik sind nur zwei Beispiele für die Rolle und Bedeutung, die die Europäische Union für unser Leben und unser Land hat. Wenn wir in zwei Wochen die neue Zusammensetzung des Europäischen Parlaments bestimmen, geht es auch darum, wie solche Sachfragen künftig behandelt werden. Wir werden im Anschluss noch ausführlich von der Weichenstellung hören, die diese Wahl für den künftigen Weg der Europäischen Union hat. Dies will ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen. Ich möchte nur auf zwei weitere offene Wunden in Europa hinweisen:

Auch wenn uns die Bilder kaum noch erreichen, ertrinken weiterhin Menschen auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Verfolgung und Hunger im Mittelmeer. Dies bleibt ein Skandal und darf uns nicht gleichgültig sein. Die politische Debatte über Flüchtlinge ist in den vergangenen Jahren oft erschreckend gewesen, und wir mussten gerade bei dieser Frage auch feststellen, wie die Staaten Europas sich fremd wurden und nicht solidarisch füreinander und für den gemeinsamen Anspruch der Menschenwürde einstehen. Was ist aus Italien geworden, wo man so lange vorbildlich geholfen hat und wo sich nun der Innenminister mit der Zurückweisung von Menschen in Seenot brüstet?

Wir, die christlichen Frauen und Männer in den europäischen Staaten, müssen uns weiterhin für eine humane und gerechte Lösung in der EU einsetzen, den Flüchtenden zu helfen und die Fluchtursachen zu minimieren. Dazu gehört auch eine ehrliche Debatte über die Verteilung der Asylbewerber in Europa. Wenn wir die Mittelmeeranrainer weiterhin mit dem Problem alleine lassen, öffnen wir Populismus und Extremismus die Tore. Den können wir nicht nur Osteuropa, sondern auch in Italien und jüngst in Spanien beobachten.

Eine Entfremdung ist im deutsch-polnischen Verhältnis festzustellen. Gerade die Aussöhnung mit Polen führte in den vergangenen 50 Jahren zu einer Annäherung, die nach 1945 völlig unvorstellbar erschien. Wir müssen uns alle nach unseren Kräften und Möglichkeiten dafür einsetzen, dass auch in einer politisch schwierigen Phase der Gesprächsfaden zwischen Deutschen und Polen nicht abreißt. Persönliche Kontakte sind die Grundlage. Hier sind wir als Katholikinnen und Katholiken in beiden Ländern besonders gefragt.

Es ist unsere Wahl in zwei Wochen, und es ist auch unsere Verantwortung, was aus dem gemeinsamen Europa wird!

Vorbereitung zum 3. ÖKT auf gutem Weg 

Wie Sie wissen, sind wir auf dem Weg zum Dritten Ökumenischen Kirchentag, der in zwei Jahren gar nicht weit von hier in Frankfurt stattfinden wird. Am 7./8. Dezember des letzten Jahres hat sich das Gemeinsame Präsidium in Frankfurt konstituiert. Die zweite Präsidiumssitzung folgte am 29./30. März in Siegburg. Inzwischen haben wir uns kennen gelernt und das Vertrauen zueinander verstärkt oder aufgebaut. In Siegburg haben wir uns grundsätzlich zum Thema „Abendmahl und Eucharistie“ ausgetauscht, ein Thema, das nicht nur unseren evangelischen Glaubensgeschwistern besonders wichtig ist. Wichtig bleibt, dass wir gemeinschaftlich auftreten. Dazu gehört für uns Katholiken auch die Anfrage: Wie wollen wir überzeugend ökumenisch sein, wenn wir im Innern unserer Kirche zerstritten sind? Ich denke da nicht zuletzt an die infamen Angriffe auf unseren Papst aus dem Vatikan und darüber hinaus.

Wir haben uns im Gemeinsamen Präsidium mit der Frage befasst, welche Hauptthemen das Programm prägen sollen. Wir sind zwar noch nicht zu druckreifen Formulierungen gelangt, aber wir können vier Richtungen benennen: Ein Schwerpunkt wird auf Fragen des Glaubens und der Spiritualität liegen. Das Zusammenleben zwischen Konfessionen, Religionen und Nationen, zwischen den Geschlechtern und Generationen im bunten Frankfurt wird ein weiterer sein. Ein dritter ist der Komplex der internationalen Verantwortung vom Klimawandel bis zum fairen Handel. Und ein vierter Themenschwerpunkt wird in der Finanzmetropole Frankfurt den Stichworten Geld, Herrschaft und Macht gewidmet sein. Im nächsten Gemeinsamen Präsidium im Oktober werden wir diese Themenbereiche in einem großen Themenkonvent weiter konkretisieren. Dann werden wir auch die Veranstaltungsformate festlegen und zu klären haben, wie wir die Expertise und den Mitgestaltungswillen der katholischen Räte, Organisationen, Gemeinschaften und Verbände integrieren können.

Eine besondere Form der Partizipation, zu der ich Sie hier und heute schon ermuntern möchte, wird die Suche nach einem Leitwort für den 3. ÖKT sein. An dem Verfahren, wie das ganz konkret geschehen soll, wird im Moment noch gefeilt. Sie werden in Kürze angeschrieben und um Vorschläge gebeten werden. Bitte beteiligen Sie sich!

Zum Schluss

Schwestern und Brüder, in den letzten Monaten hatten wir als Kirche aus nachvollziehbaren Gründen keine gute Presse. Zu den vielen belastenden Meldungen der letzten Zeit gehörte auch das Ergebnis einer Langzeitprognose über Mitglieder und Finanzen der Kirchen. Es deprimiert, wenn man hört, dass sich bis 2060 unsere Zahlen halbieren werden, wenn die Entwicklung so weitergeht, wie sie zurzeit läuft. So erschreckend aber die Zahlen sein mögen: Machen wir uns bewusst, dass wir uns letztlich nicht für einen Verein einsetzen, sondern Zeugnis geben für den Glauben an Jesus Christus, der unser Leben trägt und der über die Generationen nur erhalten wird in der Gemeinschaft der Glaubenden.

Und wenn wir einmal die Perspektive verändern und – wie wir das 2016 beim 100. Katholikentag in Leipzig getan haben – auf Aufbrüche achten, dann freue ich mich über die 50 Erwachsenen, die sich Ostern im Bistum Dresden haben taufen lassen. Sie geben Mut und Zuversicht, so wie die Vielen, Frauen und Männer, Laien und Kleriker, die sich engagieren in ihren Gemeinden und Verbänden, in sozialen Projekten und Einrichtungen, in Politik und Gesellschaft – die ihr Christentum als Dienst begreifen.

Wir wollen Menschen für unsere Kirche begeistern, evangelisieren. Wir wollen mitwirken an der Einheit dieser Kirche innerhalb unseres Landes und international. Evangelisieren kann aber nur eine zeitgemäße Kirche, eine Kirche der Partizipation, eine von Männern und Frauen gestaltete Kirche!

Lassen Sie mich abschließend einen Dank aussprechen: unser Generalsekretär Dr. Stefan Vesper hat sich auf meinen und den Wunsch des ganzen Präsidiums bereit erklärt, in dieser turbulenten Phase seinen Dienst über den angekündigten Termin hinaus bis zum Ende dieses Jahres fortzusetzen. Dafür danken wir ihm von Herzen! Und nun freue ich mich auf die Aussprache und danke für die Aufmerksamkeit.

 

Prof. Dr. Thomas Sternberg Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

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