Farbe bekennen für die Demokratie! Berliner Aufruf des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zum Wahljahr 2017
Beschluss der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
Was wir wollen
Die Menschenwürde, die Sorge um das Gemeinwohl und um die rechtsstaatliche Demokratie leiten auf der Grundlage unseres Glaubens unser Engagement als katholische Christinnen und Christen in Politik und Gesellschaft. Wir sind Mitglieder in verschiedenen Parteien und Bürgerinnen und Bürger ohne Parteibindung. In einer Krise der politischen Kultur verteidigen wir unsere parlamentarische Demokratie als Ordnung und als Lebensform der Freiheit. Wir wollen sie stabilisieren und stärken. Das verbindet uns mit allen Demokratinnen und Demokraten in unserem Land.
Worauf wir Antworten finden müssen
Für viele Menschen in Deutschland wird die Welt immer unübersichtlicher. Gefühle der Unsicherheit und der Bedrohung nehmen zu. Dafür gibt es Gründe.
Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten tiefgreifend gewandelt. Heute leben in unserem Land Menschen aus mehr als 180 Nationen. Immer mehr Kinder haben einen Migrationshintergrund. Die zunehmende kulturelle, religiöse und ethnische Pluralität wird nicht nur als Bereicherung und als Freiheitszuwachs erlebt. Sie erschüttert auch vertraute Gewissheiten.
Die Globalisierung im Sinne einer Entgrenzung und Beschleunigung ökonomischer Entwicklungen und des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts bietet Chancen und Wohlstandsgewinne. Sie verschärft aber auch ökonomische und soziale Gegensätze. Viele spüren die Risiken, Nachteile und Zumutungen einer weltweit vernetzten und globalisierten Wirtschaft bis in die eigene Lebens- und Arbeitswelt hinein.
Wir verdanken der Einigung Europas stabilen Frieden und größeren Wohlstand als je zuvor. Doch die Folgen der Finanzmarktkrise haben die Europäische Union bis in ihre Grundfesten erschüttert. Die Idee eines geeinten und solidarischen Europas steht auf einem harten Prüfstand. Die Auswirkungen des beschlossenen Austritts von Großbritannien aus der EU sind noch gar nicht absehbar.
International erleben wir statt der erhofften Ordnung einer friedlicheren Welt nach dem Ende des Kalten Krieges neue, oft religiös-ethnisch aufgeladene Konflikte und Kriege, in denen gegensätzliche regionale und weltpolitische Interessen mit brutaler Gewalt aufeinandertreffen. Ihre Lösung scheint nahezu unmöglich. Millionen Menschen sind deshalb auf der Flucht. Viele Flüchtlinge suchen in Europa Schutz und eine sichere Zukunft. Aber auch in den europäischen Ländern wächst die Furcht vor islamistischem Terror, dessen Opfer in vielen Ländern auch gezielt Christen und Angehörige von Religionsgemeinschaften sind.
Angesichts der Komplexität der Herausforderungen entsteht bei vielen das Bedürfnis nach schnellen Lösungen, nach Abschottung und nationalen Antworten auf die als bedrohlich empfundene Problemfülle. Davon profitieren populistische Kräfte. Sie schüren Ängste und gehen mit simplen Antworten und Botschaften auf Stimmenfang. Sie wollen unsere offene, liberale Demokratie grundlegend verändern. Mit einem fremdenfeindlichen und gegen den Islam gerichteten Programm propagieren sie einen neuen Nationalismus. Damit finden sie Zuspruch vor allem bei denjenigen, die sich von den demokratischen Parteien nicht mehr repräsentiert fühlen, die in der großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen einen Kontrollverlust des Staates sehen und sich fremd im eigenen Land fühlen.
Mit großer Sorge müssen wir feststellen, dass solche populistischen Positionen auch einen Widerhall in unseren Kirchengemeinden finden. Manche Christen sehen in rechtspopulistischen Kräften Verbündete beim Einsatz für den Lebensschutz, in ihrem Eintreten für ein Familienbild mit klaren Geschlechterrollen und in ihrer Ablehnung der Pluralität von moralischen Überzeugungen und von Lebensweisen. Dabei übersehen sie, dass der Preis für diese Allianz die Preisgabe der christlichen Überzeugungen von Nächstenliebe, Solidarität und der gleichen Würde aller Menschen als Geschöpfe Gottes ist.
Gegen die Angstmacher und Vereinfacher bekennen wir Farbe: für eine offene Gesellschaft und für unsere liberale Demokratie. Denn nur die Demokratie garantiert die Würde und die Freiheit der Einzelnen, allen voran ihre Religions- und Meinungsfreiheit – kostbare Güter, für die weltweit noch immer Menschen verhaftet, gefoltert und ermordet werden. Nur die rechtsstaatliche Dimension der Demokratie sichert die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Gleichheit vor dem Gesetz, ganz gleich woher jemand kommt, welches Geschlecht er hat und woran er glaubt. Keine andere Form ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern so viel Beteiligung an politischen Entscheidungen.
Haltung zeigen für eine starke Demokratie
Als katholische Christinnen und Christen verkennen wir nicht, dass unsere Gesellschaft konfliktreicher wird. Darauf müssen wir uns einstellen. Die Menschen erwarten zu Recht von unserem Staat den Schutz ihrer äußeren, inneren und sozialen Sicherheit. Das ist Aufgabe demokratischer Politik, für die wir uns als Christen engagieren. Wir müssen mit denen das Gespräch suchen, die enttäuscht sind. Ihre Sorgen nehmen wir ernst. Es geht nicht darum, störende Wirklichkeiten auszublenden oder sich moralisch zu entrüsten. Auch Werturteile müssen nachvollziehbar begründet sein.
Doch wir stellen uns entschieden gegen Vorurteile und Hass, auch wenn sie sich als Sorge tarnen. Wir beteiligen uns am demokratischen Wettstreit mit einer klaren Haltung und einem klaren Standpunkt.
Wir sagen Nein, wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens und ihrer Herkunft diffamiert und verächtlich gemacht werden.
Wir sagen Nein zur Verhöhnung demokratischer Politiker und Institutionen.
Wir sagen Nein zu gezielten Falschinformationen und zur Verleumdung freier Medien.
Wir sagen Nein zu Hetze gegen Andersdenkende und zu Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung.
Wir sagen Nein, wo immer im Namen Gottes Terror gerechtfertigt wird.
Wir sagen Ja zur Freiheit und gleichen Würde aller Menschen als Grundlage des friedlichen und solidarischen Zusammenlebens.
Wir sagen Ja zu unserem Grundgesetz, das diesen Geist atmet, nicht zuletzt durch das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte.
Wir sagen Ja zur Gleichstellung der Geschlechter und zu einer fairen Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit zwischen Männern und Frauen.
Wir sagen Ja zum Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung, zu nachhaltigem Wirtschaften und Klimaschutz.
Wir sagen Ja zu unserer Verantwortung für den demokratischen Rechtsstaat.
Wir sagen Ja zu unserer besonderen historischen Verantwortung als Deutsche und zu einer sensiblen Erinnerungs- und Gedenkkultur.
Wir sagen Ja zur Sozialen Marktwirtschaft mit der Weiterentwicklung zur Ökosozialen Marktwirtschaft, zu einem stärker zusammenwachsenden Europa und zu einer auf Fairness und Gerechtigkeit fußenden internationalen Zusammenarbeit.
Wir sagen Ja zu einem fairen Wettbewerb auf der Suche nach echten demokratischen Lösungen für die Herausforderungen in Deutschland.
Wir sagen Ja zu den demokratischen Beteiligungsstrukturen, wie sie in Verbänden, gewählten Räten und Organisationen geboten werden. Besonders den Jugendverbänden kommt dabei als Übungs- und Lernort demokratischer Regeln und Verfahren eine große Bedeutung und Chance zu.
Worauf es jetzt ankommt
Unsere Kultur und unsere rechtsstaatliche Demokratie sind stark, wenn wir sie entschieden vertreten und entschlossen verteidigen. Wir wissen aus unserer Geschichte, dass demokratische Freiheiten missbraucht werden können, um die Demokratie selbst zu zerstören. Und wir wissen auch, dass Demokratie durch eine schweigende Mehrheit in Gefahr geraten kann.
Als katholische Christinnen und Christen rufen wir deshalb dazu auf:
Sorgen Sie in Kirchengemeinden, Vereinen, am Arbeitsplatz oder in den Parteien für ein Klima, in dem offen und ehrlich über die Fragen und Sorgen der Menschen gesprochen werden kann!
Beteiligen Sie sich am fairen, argumentativen Ringen um die besten Lösungen auf der Basis gegenseitigen Respekts und gegenseitiger Achtung!
Widersprechen Sie mit aller Entschiedenheit jedem Versuch, auf die Herausforderungen unserer Gegenwart mit Ausgrenzung, Hass und Hetze zu reagieren! Parteien, die dies propagieren, sind nicht wählbar.
Bringen Sie Ihre Stimme für die Demokratie zu Gehör! Wir alle sollten nicht nur über die Bedrohungen und das, was besser werden muss, reden, sondern auch über den Schatz und das Potenzial einer über Jahrzehnte gewachsenen demokratischen Kultur in unserem Land.
Gehen Sie zur Wahl – für demokratische Programme und gegen die populistische Zerstörung unserer Demokratie!