Erwartungen und Forderungen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) an die Abgeordneten des 19. Deutschen Bundestags

Beschluss des Hauptausschusses des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Nach den Wahlen zum 19. Deutschen Bundestag stehen wir vor den politischen Weichenstellungen für die nächsten Jahre. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken will als Zusammenschluss der in Politik, Gesellschaft und Kirche engagierten katholischen Frauen und Männer diesen Prozess auf der Grundlage der christlichen Sozialethik mitgestalten. Die hier vorgelegten zentralen Erwartungen für die neue Legislaturperiode konzentrieren sich auf ausgewählte Schwerpunkte, zu denen im ZdK politische Leitlinien (Teil 1) und konkrete Vorschläge für Gesetzesinitiativen (Teil 2) erarbeitet wurden.

 

 

Im ersten Teil werden zu neun für das ZdK grundlegenden bundespolitischen Handlungsfeldern politische Eckpunkte und Richtungsanzeigen benannt. Bei der politischen Gestaltung in diesen Handlungsfeldern bietet das ZdK den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der künftigen Bundesregierung den Dialog und die Zusammenarbeit an.

  1. Wir wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie als Lebensform der Freiheit stärken. Die sozialen, politischen und kulturellen Konflikte in unserer Gesellschaft sind jedoch von einer zunehmenden Schärfe und Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet. Populistische Kräfte schüren Ängste und locken mit simplen Antworten auf die komplexen Herausforderungen unserer Gegenwart. Wir bekennen Farbe für eine offene Gesellschaft. Kein Mensch darf wegen seiner politischen Überzeugungen, seines Glaubens, seiner Herkunft, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung diffamiert und verächtlich gemacht werden. Die Würde des Menschen ist und bleibt unantastbar. Wir appellieren an die Abgeordneten und politischen Verantwortungsträger aller Parteien und Fraktionen, dass auch in der neuen Wahlperiode Menschenwürde und gegenseitiger Respekt den unhintergehbaren Maßstab für die politische Kultur im Deutschen Bundestag bilden.

     
  2. Gerade in der aktuellen weltpolitischen Lage, in der alte Gewissheiten in Frage gestellt werden, brauchen wir eine handlungsfähige und starke Europäische Union für alle Aufgaben, die die Nationalstaaten alleine nicht lösen können. Die Europäische Union muss ihre Verantwortung in der Welt wahrnehmen und eine zukunftsfähige gemeinsame Migrationspolitik entwickeln. Deutschland ist hier ein wichtiger Impulsgeber. Die zukünftige Bundesregierung muss ihrer gewachsenen internationalen Verantwortung gerecht werden und bilateral sowie in den europäischen Gremien für ein solidarische, an den Menschenrechten orientierte Politik der Europäischen Union eintreten.

     
  3. Die Vereinten Nationen haben im September 2015 die „Globale Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" als neues Leitbild globaler Entwicklung verabschiedet. Wir erwarten deren konsequente Umsetzung im Rahmen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie auch in der neuen Legislaturperiode.
    Ein zentraler Baustein dafür ist der weitere Ausbau der am globalen Gemeinwohl orientierten internationalen Zusammenarbeit. Die Förderung von gerechten, menschenwürdigen und nachhaltigen Lebensbedingungen weltweit ist die Basis, um den Menschen in ihren Heimatländern eine Perspektive zu bieten und die für die Betroffenen oft gefährlichen Flucht- und Migrationsbewegungen zu vermindern. Neben der Stabilisierung der staatlichen Entwicklungsgelder in der Höhe von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens ist dazu eine weitere Intensivierung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Ländern des globalen Südens, insbesondere mit Afrika, notwendig. Zudem bedarf es dringend einer gerechten internationalen Finanzordnung, die z.B. Steuergerechtigkeit innerhalb und zwischen den Ländern schafft, sowie einer kohärenten und global gerechten Entwicklungs-, Agrar- und Handelspolitik. 

     
  4. Die Bekämpfung des globalen Klimawandels und die Anstrengungen zur Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius bleiben eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Das Pariser Weltklimaabkommen muss nun – trotz des Ausstiegs der USA – weltweit umgesetzt werden. Deutschland und die EU haben hier eine wichtige Vorbildfunktion und tragen eine besondere Verantwortung. So müssen die EU-Klimaschutzziele an die Maßstäbe des Pariser Weltklimaabkommens angepasst werden.

    Bisher ist die Bundesrepublik noch weit von den selbst gesetzten CO2-Reduktions-Zielen bis 2020, 2030 und 2050 entfernt. In der kommenden Legislaturperiode müssen zeitnah wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen werden, um das Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2020 zu erreichen, und weitreichende Weichenstellungen für die Klimapolitik der darauffolgenden Jahre vorgenommen werden. Alle Sektoren, insbesondere die Energieversorgung, die Gebäudesanierung, der Wärmemarkt sowie Verkehr und Landwirtschaft, müssen hierzu ihren Beitrag leisten. Auch politisch strittige Fragen wie der Ausstieg aus der Braunkohle müssen dringend angegangen werden.

     
  5. Wo das menschliche Leben und die Menschenwürde besonders verletzlich sind, am Anfang und am Ende des Lebens, müssen der Staat und die Rechtsordnung uneingeschränkt den Schutz garantieren. Die rasanten Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin und insbesondere in der Genchirurgie stellen uns vor große ethische und rechtliche Herausforderungen. Ob als Embryo, durch Krankheit und Behinderung eingeschränkt oder im Sterben – in keiner Phase darf das menschliche Leben verzweckt und nach seiner Nützlichkeit bemessen werden.

     
  6. Die Familie als partnerschaftliche und generationenübergreifende Verantwortungsgemeinschaft bildet das Rückgrat unserer Gesellschaft. Denn wo Menschen verbindlich füreinander Verantwortung übernehmen, werden der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und das Gemeinwohl gefördert. Wir treten für die strukturelle Berücksichtigung von Familienbelangen bei allen Gesetzesvorhaben und für die finanzielle Entlastung von Familien ein.

     
  7. Mit der Aufnahme vieler geflüchteter Menschen ist die Aufgabe der Integration verbunden. Wer in Deutschland bleibt, muss gute Sprachkenntnisse erwerben können, als Voraussetzung für Bildungsabschlüsse und Teilhabe an Erwerbsarbeit. Zur erfolgreichen Integration gehört, neben der Zustimmung zu den Grundwerten des Grundgesetzes, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft, das die Integrationsbereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft und der aufgenommenen Menschen voraussetzt.

     
  8. Unser Land braucht die Religionen als friedensstiftende, öffentlich präsente und die Gesellschaft stabilisierende Kräfte. Wir setzen auf den Dialog und die Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nach dem bewährten Vorbild des Verhältnisses der christlichen Kirchen zum weltanschaulich neutralen Staat.

    Für die Integrationspolitik in Deutschland wird die Integration der Muslime von entscheidender Bedeutung sein. Dazu müssen wir unter anderem den langen Weg zur Etablierung des islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen und der Lehrstühle für islamische Theologie zur Ausbildung deutschsprachiger Religionslehrkräfte und Imame weitergehen.

     
  9. Große Sorgen bereitet uns der Antisemitismus in Deutschland. Die Bekämpfung von Antisemitismus ist eine unverzichtbare Säule der Extremismusprävention. Zivilgesellschaftliche Träger in der Antisemitismusprävention benötigen Verlässlichkeit und Planungssicherheit für ihre Arbeit. Eine gute Abstimmung zwischen Bund und Ländern muss sichergestellt werden Daher schließen wir uns der Forderung nach der Schaffung einer ständigen Bund-Länder-Kommission an.

 

 

Im zweiten Teil richtet das ZdK auf der Grundlage seiner politischen Erklärungen und Stellungnahmen der letzten Jahre konkrete Forderungen und Erwartungen zu ausgewählten Themenfeldern an die Abgeordneten des 19. Deutschen Bundestages:

 

1.  Generationengerechte Reformen in der Rentenpolitik

 

Um das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Alterssicherungssysteme zu erhalten, müssen Reformen des Rentensystems zum Ziel haben, für möglichst viele Menschen Altersarmut zu verhindern und ihnen die Möglichkeit zu geben, den erarbeiteten Lebensstandard zu sichern. Reformen müssen besonders auf den demografischen Wandel und die veränderten Bedingungen der Lebens- und Arbeitswelt im 21. Jahrhundert ausgerichtet sein. Dazu fordern wir konkret:

 

a) Im Sinne der Subsidiarität muss es sich weiterhin lohnen, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Das ZdK spricht sich für eine doppelte Haltelinie im gesetzlichen Rentensystem aus. Dazu gehören sowohl die Zusicherung eines Mindestrentenniveaus über das bisher festgelegte Jahr 2030 hinaus als auch eine verbindliche Höchstgrenze für den Beitragssatz.

 

b) Das ZdK befürwortet die vorgenommene Anhebung des Renteneintrittsalters bis 2030 auf 67 Jahre und spricht sich für die kontinuierliche Prüfung einer weiteren Erhöhung unter Berücksichtigung der veränderten Lebenserwartung aus. Voraussetzung dafür ist, dass die Menschen auch bis zum Renteneintritt am Erwerbsleben teilnehmen können.

 

c) Zur Vermeidung von Altersarmut und Grundsicherungsbezug fordert das ZdK eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige einzuführen, die bisher nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen oder über berufsständische Versorgungswerke abgesichert sind. Dies ist ein erster, wichtiger Schritt zur Verbreiterung des Versichertenkreises in der gesetzlichen Rentenversicherung.

 

d) Das ZdK fordert – analog zur kürzlich beschlossenen so genannten Flexi-Rente – den Erwerb zusätzlicher Rentenanwartschaften für pflegende Angehörige zu ermöglichen, die während ihres Rentenbezugs Angehörigenpflege leisten.

 

e) Zur verbesserten Anerkennung von Familienarbeit und Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist insbesondere eine Entlastung der für ihre Kinder unterhaltspflichtigen Eltern bei den Sozialversicherungsbeiträgen notwendig.

 

2.  Familienfreundliche Arbeitswelt: Gesetzlichen Anspruch auf befristete Teilzeit-beschäftigung verankern

Zur verbesserten Vereinbarkeit der Sorgeverantwortung in Familien mit den Anforderungen der Erwerbsarbeit ist eine Weiterentwicklung des Teilzeitrechts erforderlich. Wir brauchen einen gesetzlichen Anspruch auf befristete Teilzeitbeschäftigung für Arbeitnehmer/innen, die Sorgeaufgaben in Kindererziehung oder Angehörigenpflege wahrnehmen. Damit muss das Rückkehrrecht auf den vorherigen Stellenumfang nach Phasen der Arbeitszeitreduzierung zugunsten von Sorgeaufgaben verbunden sein. Bei einer gesetzlichen Regelung können die begrenzten Möglichkeiten insbesondere von kleinen Betrieben angemessen berücksichtigt werden. Wir gehen davon aus, dass familienfreundliche Regelungen im Ergebnis allen Betrieben, die sie anwenden, dienen, da sie die Attraktivität der Arbeitsplätze erhöhen.

  

3. Schutz des Lebens: Nichtinvasive genetische Pränataldiagnostik gesetzlich strenger regulieren

Der Schutz des ungeborenen Lebens ist für uns seit vielen Jahrzehnten eine Frage von herausragender Bedeutung. Besondere Sorge bereitet uns zurzeit eine Entwicklung in der Pränataldiagnostik. Im Hinblick auf die Anerkennung und Inklusion von Menschen mit Behinderung darf der Gesetzgeber nicht zuschauen, wie sich genetische Tests in der frühen Schwangerschaft etablieren, die keinen therapeutischen Nutzen versprechen, sondern zur Selektion von Embryonen mit unerwünschten Eigenschaften (zum Beispiel Trisomie 21) führen. Es bedarf einer strikten Begrenzung genetischer Testverfahren auf echte Risikoschwangerschaften im  Sinne einer enggefassten medizinischen Indikation. Solche Verfahren sollten zudem im Rahmen eines erweiterten Schutzkonzeptes für das ungeborene Leben nur nach umfassender medizinischer Aufklärung und unabhängiger psychosozialer Beratung vor der Nutzung zum Einsatz kommen.

  

4. Migrationspolitik: Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ermöglichen

Für geflüchtete Menschen, denen der Familiennachzug erlaubt ist, sind die bürokratischen Hürden schon jetzt nicht leicht zu überwinden. Für subsidiär Schutzberechtigte gilt bis März 2018 die Aussetzung des Familiennachzugs. Wir appellieren an die Abgeordneten, auch für diese Gruppe den Familiennachzug wieder zu ermöglichen. Die Trennung von Ehepaaren und Familien auf lange Dauer ist aus menschenrechtlicher Perspektive nicht hinnehmbar. Der im Grundgesetz verankerte besondere Schutz der Familie gilt auch für nach Deutschland geflüchtete Menschen. Nicht zuletzt ist die Zusammenführung der Kernfamilie ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Integration.

 

5. Rüstungsexporte restriktiver regeln

Rüstungsexporte in Krisen- und Konfliktregionen können als Brandbeschleuniger wirken. Zusammen mit der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), die einen jährlichen Rüstungsexportbericht vorlegt, sprechen wir uns für ein Rüstungsexportkontrollgesetz aus. Mit ihm kann die Entwicklung zu einer gewachsenen Transparenz rüstungsexportpolitischer Entscheidungen verstetigt werden. Exporte in Drittstaaten außerhalb von EU, NATO und vergleichbaren Staaten, erst recht in Krisen- und Konfliktregionen, sollen nur in begründeten Einzelfällen erfolgen. In einem neuen Rüstungsexportgesetz müssen eine explizite Begründungspflicht der Bundesregierung verankert und die Kontrollbefugnisse des Bundestags verstärkt werden. Es muss nachvollziehbar sein und darf nicht der politischen Diskussion entzogen sein, welche außen- und sicherheitspolitischen Ziele die Bundesregierung mit dem jeweiligen Rüstungsexport verfolgt.

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