Eine menschenwürdige Asylpolitik als Gemeinschaftsaufgabe der Europäischen Union

Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) fordert die politischen Verantwortungsträger in der Europäischen Union (EU) wie auch in Deutschland auf:

  • Sich für die Gewährung des internationalen Schutzes in Europa einzusetzen und durch ein menschenwürdiges europäisches Asylsystem zu unterstützen.
  • Das Gebot des Schutzes menschlichen Lebens als ersten Grundsatz an den       Außengrenzen der EU für alle dort ankommenden Menschen zu respektieren.
  • Wege des legalen und sicheren Zugangs zu internationalem Schutz auszubauen, etwa durch eine stärkere Beteiligung an den Resettlement-Programmen und humanitären Visa. Dazu gehört auch die Gewährung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte.
  • Das sogenannte Dublin-System zu reformieren, um innerhalb der EU solidarische und transparente Verteilmechanismen zu erreichen, an denen alle Mitgliedstaaten beteiligt sind.
  • In allen Mitgliedstaaten Zugang zu fairen und standardisierten Asylverfahren zu gewährleisten.

1.  Einleitung

Die Flüchtlingstragödien mit vielen Toten vor den Außengrenzen der EU und das fortdauernde Eintreffen von Flüchtlingen auf dem Gebiet der EU fordern die Mitgliedstaaten und alle zivilgesellschaftlichen Akteure zum Handeln auf. Besonders seit der Zuwanderung einer sehr großen Zahl von Menschen im Sommer 2015 zeigt sich, dass die Mitgliedstaaten beim Umgang mit geflüchteten Menschen nicht an einem Strang ziehen. Jedoch haben sie sich als Wertegemeinschaft verpflichtet, die Menschenwürde aller zu achten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Religion, ihrem sozialen Stand oder ihrem migrationsrechtlichen Status. Fundament hierfür ist die Einhaltung der Menschenrechte, wie sie in der Charta der Grundrechte der EU und anderen Instrumenten des Völkerrechts niedergelegt sind.

Diese Werte entsprechen auch unserer christlichen Überzeugung. Die Achtung der Menschenwürde begründen wir mit der Ebenbildlichkeit eines jeden Menschen mit Gott. Aussagen und Gleichnisse der Bibel fordern Christinnen und Christen auf, Nächstenliebe zu leben und sich den Fremden, Kranken, Benachteiligten und Schutzbedürftigen zuzuwenden.

Das Thema Flucht und Migration setzt sich aus unterschiedlichen Themenfeldern zusammen, von denen jedes diskussionswürdig ist. Hier konzentrieren wir uns auf den Regelungsbereich des Asylrechts der EU und ihrer Mitgliedstaaten.

Europa braucht ein die Menschenwürde achtendes Asylsystem, damit Menschen Zugang zu internationalem Schutz erlangen können. Er setzt sich zusammen aus dem Recht auf Asyl bzw. dem Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem subsidiären Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge.

2.  Legale und sichere Zugangswege zu internationalem Schutz

Es ist legitim, dass die EU als supranationaler Staatenverbund seine Außengrenzen sichert. Nur so kann die Ein- und Ausreise von Personen nachvollzogen und kontrolliert werden, gerade auch zum Schutz der Bevölkerung vor Terrorismus und schwerer Kriminalität. Für eine EU mit offenen Binnengrenzen im "Schengenraum" gilt dies in besonderer Weise. Allerdings muss die Grenzkontrolle völker- und menschenrechtskonform sein sowie den europarechtlichen Vorgaben folgen. Die in Art. 1 der Charta der Grundrechte festgeschriebene unantastbare Menschenwürde steht an erster Stelle und gilt auch an den Außengrenzen der EU für alle, die dort ankommen, sowie für Menschen, die in internationalen Gewässern, wie etwa dem Mittelmeer, in Seenot geraten. Sie müssen vor dem Ertrinken gerettet werden und dürfen nicht in ein Land zurückgebracht werden, in dem eine rechtsstaatliche Klärung ihres Schutzstatus‘ und eine menschenwürdige Behandlung nicht gewährleistet sind.

Bei der jetzt diskutierten Erweiterung des Kreises sicherer Drittstaaten und der verstärkten Zusammenarbeit mit ihnen, ist darauf zu achten, dass Schutzsuchende dort tatsächlich Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention als auch im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland erlangen können. Die Lage in dem Drittstaat muss auch in Bezug auf konkrete Gefährdungen im Einzelfall bewertet werden. Ansonsten droht eine Aushöhlung des Rechts auf Asyl in Europa.

Der Vorschlag, die Asylverfahren in Länder außerhalb der EU zu verlagern, ist auf absehbare Zeit nicht umsetzbar. Für die Durchführung europarechtskonformer rechtsstaatlicher Asylverfahren fehlen die notwendigen Voraussetzungen durch entsprechende völkerrechtliche Vereinbarungen. Der Abschluss notwendiger Vereinbarungen in naher Zukunft erscheint allerdings utopisch. Es müssten europarechtskonforme rechtsstaatliche Asylverfahren – mit der Möglichkeit auf Rechtsschutz – durchgeführt werden und zusätzlich praktische Probleme der menschenwürdigen und sicheren Unterbringung für die Dauer des Verfahrens gelöst werden, ohne Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung zu provozieren.

Legale Zugangswege zu internationalem Schutz in der EU sind sehr begrenzt. Dies führt dazu, dass viele Menschen auf "irreguläre" Weise versuchen nach Europa zu kommen, um Schutz zu finden. Dafür legen sie ihr Schicksal nicht selten in die Hände von Schleppern und Schleusern. Mit einem Ausbau sicherer und legaler Wege zum Schutz in Europa könnte bei vielen verhindert werden, dass sie sich dem zusätzlichen Risiko aussetzen. Die bereits jetzt vorhandenen Möglichkeiten müssen dringend ausgebaut werden. Dazu gehören Resettlement und Humanitäre Visa. Weitere Wege sind vorstellbar, wie z. B. Private- oder Community-based-sponsorships. Zusätzlich ist der Familiennachzug ein wichtiger legaler Zugangsweg. Dieses Recht darf nicht aus migrationspolitischen Erwägungen unterlaufen werden. Beim Ausbau legaler Zugangswege werden für die unterschiedlichen Personengruppen verschiedene Konzepte Anwendung finden müssen. Zugangswege über Kontingente sind eine Ergänzung des individuellen Rechts auf Asyl und dessen Verfahren.

Für eine höhere Zahl humanitärer Visa müssen insbesondere die Ressourcen in den jeweiligen diplomatischen Vertretungen vor Ort aufgestockt werden. Die Resettlement-Programme ermöglichen besonders gefährdeten Flüchtlingen auf legalem Weg aus einem Erstzufluchtsland in ein anderes Land zu kommen. Daran müssen sich die Mitgliedstaaten der EU verstärkt beteiligen – notfalls zunächst in einer Koalition der bereitwilligen Staaten. Gleichzeitig ist verstärkt an einem gemeinsamen Vorgehen zu arbeiten. Resettlement ist ein Schutzinstrument für besonders Schutzbedürftige.

3.  Elemente eines zukunftsfähigen europäischen Asylsystems

Solidarische Verteilmechanismen

Wir beobachten mit großer Sorge, dass die Aufnahme von Schutzsuchenden in der EU keine Selbstverständlichkeit ist. Einzelne Länder lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen generell ab oder beteiligen sich nicht an einer Lösung der Herausforderungen. Andere wiederum kommen ihrer Verantwortung nach und nehmen eine große Anzahl von Schutzsuchenden auf. Einige Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen stehen unter hohem Druck und verfügen oft nicht über die notwendigen Kapazitäten für die Durchführung fairer Asylverfahren. Sie müssen dringend entlastet werden.

Die EU gründet unter anderem auf dem Konzept des gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Solidarität zwischen ihren Mitgliedstaaten gehört zum Fundament der EU. Flüchtlingsschutz ist eine grundlegende gemeinsame Aufgabe der gesamten EU. Deshalb ist ein solidarischer Verteilmechanismus notwendig, der von allen Mitgliedstaaten eingehalten wird. Bis dies erreicht ist, ermutigen wir, den begonnenen Weg einer Zusammenarbeit zwischen den bereitwilligen Mitgliedstaaten weiterzugehen, damit politische Differenzen nicht auf dem Rücken der Schutzsuchenden ausgetragen werden.

Ablösung des bisherigen "Dublin-Systems" durch ein solidarisches System gemeinsamer Verantwortung

Auf mittlere Sicht müssen die Mitgliedstaaten der EU eine echte Reform des sogenannten "Dublin-Systems" auf den Weg bringen. Die geltenden komplexen Regeln und die Verpflichtung der Schutzsuchenden, ihren Antrag auf Asyl in der Regel in dem Land zu stellen, in dem sie zum ersten Mal die EU betreten, hält größeren Zuwanderungen aufgrund von Krieg oder Krisensituationen nicht stand und ist ohne eine gründliche Reform unsolidarisch. Das "Dublin-System" muss ersetzt werden durch ein solidarisches System der geteilten gemeinsamen Verantwortung für die Gewährung des Asylrechts in Europa auf die Mitgliedstaaten der EU.

Faires und standardisiertes Asylverfahren

Faire Asylverfahren sind unerlässlich. Sie sind dann fair, wenn sie den Schutzsuchenden ausreichende Möglichkeiten geben, die Gründe für das Schutzbegehren deutlich zu machen und wenn diese Gründe bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Dafür braucht es gut geschulte Entscheiderinnen und Entscheider sowie eine an der besonderen Schutzbedürftigkeit geflüchteter Menschen orientierte Standardisierung der Asylverfahren. Hierzu gehört u. a. die Einbindung qualifizierter Dolmetscherinnen und Dolmetscher und angesichts der Komplexität von Asylverfahren der Zugang zu Rechts- und Asylverfahrensberatung von Beginn an. Darüber hinaus müssen Asylverfahren in einem angemessenen Zeitrahmen bearbeitet werden.

Für Personengruppen mit zusätzlichen Bedürfnissen – etwa Minderjährige, Menschen mit Behinderung, Schwangere, allein reisende Frauen und Frauen mit minderjährigen Kindern oder unter Traumafolgen leidende Menschen – müssen die Ausgestaltung der Asylverfahren sowie die Aufnahmebedingungen (z. B. Unterbringung, Schutz vor Gewalt, Zugang zu medizinischer und psychosozialer Versorgung) entsprechend angepasst werden. Hierzu haben sich die EU-Mitgliedstaaten bereits durch die Aufnahme- und die Asylverfahrensrichtlinie verpflichtet. Jedoch ist die Umsetzung dieser Richtlinie – auch in Deutschland – unzureichend. Die Europäische Kommission sollte deshalb die Umsetzung dieser Bestimmungen einer genaueren Kontrolle unterziehen.

Vereinheitlichung der Entscheidungskriterien für die Anerkennung auf Asyl

Ein faires und standardisiertes Asylverfahren setzt voraus, dass es unionsweit ein gemeinsames, adäquates Verständnis von Schutzbedürftigkeit gibt. Daher bündelt das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) die auf EU-Ebene beschlossenen Instrumente mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Asylverfahren sowie des materiellen Flüchtlingsschutzes. Diese Standards sind einheitlich umzusetzen. Solange die angelegten Maßstäbe in den Mitgliedstaaten stark voneinander abweichen, führt das zu Verwerfungen. Menschen mit den gleichen Fluchtgründen oder der Zugehörigkeit zu derselben verfolgten Minderheit werden in einem Mitgliedsstaat als Flüchtling anerkannt und in einem anderen abgewiesen.

Nur eine Asylpolitik, die sich an der Menschenwürde und den Menschenrechten orientiert, hat auf Dauer Bestand.

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