SYNODALITÄT Strukturprinzip kirchlichen Handelns
Die grundlegenden Kapitel 1. und 2. wurden durch den Ständigen Arbeitskreis im Sachbereich Pastorale Grundfragen verfasst.
1. Die Aktualität der Thematik
1.1 Was erwartet Gott von der Kirche Jesu Christi im dritten Jahrtausend? Papst Franziskus antwortete auf diese weitreichende Frage in seiner viel beachteten Rede am 17. Oktober 2015 anlässlich der Feier des 50-jährigen Bestehens der Generalsynode der Bischöfe nicht mit inhaltlich bestimmten Aussagen, sondern mit einem Hinweis auf die Form der Entscheidungsfindung, die aus seiner Sicht dem Wesen der kirchlichen Mission heute angemessen ist: "Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und ihr zu dienen, wir berufen sind, erfordert von der Kirche eine Steigerung der Synergien in allen Bereichen ihrer Sendung. Es ist dieser Weg der Synodalität, welcher der Weg ist, den Gott von der Kirche im dritten Jahrtausend erwartet."[1]
Synodalität ist ein Strukturprinzip des Handelns der Kirche. Der Blick richtet sich dabei nicht allein auf besondere Ereignisse in formalisierter, organisierter Gestalt (Generalsynoden der Bischöfe, Synoden auf der Ebene der Bischofskonferenzen oder der Metropolien, Diözesansynoden, Gesprächsprozesse oder Foren mit entsprechenden Geschäftsordnungen). Mit Papst Franziskus geht die Kirche ganz grundlegend einen Weg in die Zukunft, auf dem es gilt, Zutrauen zu den Gaben des Geistes Gottes zu haben, die sich in der Gemeinschaft der Getauften immer wieder als wirksam erweisen. Als Strukturprinzip betrachtet, ist Synodalität als eine Grundhaltung bei Beratungen sowie in Entscheidungsfindungsprozessen zu betrachten, durch die die Kirche als die erfahrbar und erlebbar wird, die sie ist: eine Gemeinschaft von Menschen, die nach Antworten auf ihre Lebensfragen suchen und angesichts von Sünde und Tod auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen. Synodalität bedeutet, einen Weg zusammen zu gehen. Dies ist eine von Gott geschenkte Bereicherung der Glaubensexistenz, die immer zugleich ein persönliches Wagnis bleibt.
1.2 Angesichts der offenkundig kulturell sowie biographisch bedingten Unterschiede in den Grundüberzeugungen der Menschen lässt sich auf universalkirchlicher Ebene nur in ergebnisoffenen kommunikativen Prozessen miteinander beraten, was dem Evangelium Gottes auf der Handlungsebene entspricht. In Aufnahme der theologisch begründeten Wertschätzung der Erkenntniskraft des Glaubenssinns der Glaubenden (sensus fidelium) in den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils[2] haben insbesondere die Päpste Paul VI. und Franziskus synodale Beratungen in regionalen sowie gesamtkirchlichen Bereichen gefördert. Papst Paul VI. hat die Impulse des Konzils aufgegriffen und zu synodalen Prozessen auf allen Ebenen ermutigt. Papst Franziskus setzte ein wichtiges Zeichen, als er sein Dienstamt mit einem kollegialen Rat verbunden hat. Die von ihm initiierten und weltweit viel beachteten Prozesse der umfassenden Partizipation an den Beratungen über die "Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute" (2014 und 2015)[3] sowie das Apostolische Schreiben "Amoris Laetitia"[4] haben erkennen lassen, wie wertvoll synodale Gespräche gerade auch dann sind, wenn am Ende nicht Beschlüsse stehen, vielmehr offene Fragen erfahrungsnah miteinander bedacht werden.
1.3 Nach dem 2. Vatikanischen Konzil haben im weltweiten Kontext bisher einige wenige Synoden auf kontinentaler Ebene (mit Schwerpunkt in Lateinamerika), ca. 30 Synoden im Jurisdiktionsbereich nationaler Bischofskonferenzen (mit Schwerpunkten in Asien, Afrika und Lateinamerika) sowie ca. 900 Diözesansynoden getagt und Beschlussdokumente vorgelegt.[5] In Deutschland haben (im Westen) die Gemeinsamen Synode der Bistümer in Würzburg sowie (im Osten) die Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der DDR in Dresden bald nach dem 2. Vatikanischen Konzil nachhaltige Wertschätzung erfahren.
In formaler Hinsicht zeichnete sich verstärkt seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts (vor allem in Frankreich, Italien und Deutschland) die Tendenz ab, durch die Vereinbarung von Gesprächsprozessen, die nicht den kirchenrechtlichen Bestimmungen einer Diözesansynode unterliegen, weitere Möglichkeiten der Partizipation von vielen Laien an den Beratungen sowie bei der Themenwahl zu erproben. Ziel dieser Prozesse ist es bei solchen Ereignissen vorrangig, in der Versammlung der Glaubenden Gottes Geist wirksam zu erfahren, den Austausch der authentischen Meinungen wertzuschätzen sowie die gemeinsame Suche nach dem Weg in die Zukunft der Kirche in Erinnerung an die Geschichte des Christentums in jeder Gegenwart neu zu beginnen.
Universalkirchliche Ereignisse, regionale Prozesse auf der Ebene von Bischofskonferenzen, diözesane Vorgänge und Beratungen in den Pfarrgemeinden sowie in den Verbänden haben unterschiedliche Strukturen und unterliegen je eigenen Dynamiken. Viele der kontrovers diskutierten Themen, die Menschen auch konkret vor Ort bewegen, sind mit universalkirchlichen Bestimmungen verbunden, durch die ortskirchliche Entscheidungen normiert sind. Dennoch begeben sich in vielen Diözesen Menschen auf einen gemeinsamen Weg, im Rahmen der Gegebenheiten nach der besten pastoralen Praxis zu suchen. Dieser Aufgabe sieht sich auch das Dokument "Gemeinsam Kirche sein"[6] der Deutschen Bischofskonferenz verpflichtet, in das wichtige Anliegen vorausgehender Gesprächsprozesse mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken[7] Aufnahme gefunden haben.
1.4 Bei Reflexionen über die synodalen Beratungen nach dem 2. Vatikanischen Konzil sind von kirchlich engagierten Christinnen und Christen neben Aspekten der Zustimmung auch Problemanzeigen formuliert worden, deren Wahrnehmung den Ruf nach Reformen im Synodalwesen verstärkt, um einen hohen Qualitätsstandard der Beratungen zu sichern und das Enttäuschungspotential zu mindern.
Formale und inhaltliche Aspekte lassen sich dabei zwar unterscheiden, jedoch letztlich nicht voneinander trennen.
Im Blick auf die Gestalt synodaler Beratungen (formale Ebene) stellen sich folgende kritische Fragen: Welche Möglichkeiten zu einer entscheidungsrelevanten Partizipation von Laien gibt es bei der Initiierung, der Vorbereitung, der Durchführung und der Ergebnissicherung synodaler Prozesse? Wer entscheidet im Hinblick auf die Auswahl der Personen, die als Synodale berufen werden? Sind ergebnisoffene Kommunikationsprozesse vorgesehen? Gibt es eine von den kirchenamtlich Verantwortlichen unabhängige Prozessbeobachtung? Sind transparente Regularien zur Begleitung von Konflikten – möglicherweise auch mit externer Expertise – vereinbart worden? Wer verantwortet die öffentliche, medial zugängliche Präsentation des synodalen Prozesses? Welcher Umgang mit nach den Beratungen noch verbleibenden Kontroversen ist vorgesehen? Werden verbindliche Vereinbarungen zur Fortsetzung der Gespräche getroffen? Wer trägt Sorge für die Sichtung der Rezeption der Ereignisse?
Bezüglich der Gegenstände der Beratungen (inhaltliche Aspekte) ist zu bedenken: Ist es angemessen, nur solche Themen zu beraten, die auf ortskirchlicher (diözesaner) Ebene entschieden werden können? Werden die allgemeinen theologischen Zusammenhänge in den Blick genommen, die sich auf der pastoralen Ebene konkret auswirken? Welche Erkenntnisse auch von nicht-theologischen Wissenschaften werden im synodalen Prozess berücksichtigt? Werden die Ergebnisse der Beratungen zu vergleichbaren Themenkreisen, die an anderen Orten bereits geschehen sind, präsentiert und diskutiert? Wer prüft die theologische Qualität der Beratungen? Wie ist das Verhältnis zwischen der Aufnahme binnenkirchlicher Themen und der Wahrnehmung der gesellschaftspolitischen Situation, in der die synodalen Gespräche stattfinden?
Zu den Themen, die viele der kirchlich engagierten Menschen heute ergebnisoffen unter synodalen Rahmenbedingungen besprechen möchten, gehören vor allem:
(1) der Zuschnitt der pastoralen Räume in Achtung der Ämter von ordinierten und nicht-ordinierten getauften Christinnen und Christen; (2) die Diskrepanz zwischen der römisch-katholischen Lehre und der gelebten Praxis im Blick auf das Beziehungsleben der Menschen mit seinen biographisch bedingten Wandlungen;
(3) Wege, die bei der Suche nach Gott unter missionarischer Perspektive hilfreich sind; (4) geeignete Formen der Liturgie, die einladend sind und für die Lebenswirklichkeit der Menschen einen Resonanzraum eröffnen; (5) die diakonische Dimension kirchlicher Existenz; (6) Fragen der christlichen Ökumene und des interreligiösen Dialogs; (7) die sozial-politische und ökologische Verantwortung der christlichen Gemeinden.
Im Gesamt zeigt sich: In vielen synodalen Prozessen steht die Frage nach der angemessenen institutionellen Gestalt der Kirche zunächst im Vordergrund, die Suche nach neuen Wegen der Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute wird erst in einem zweiten Schritt – und in der Regel verbunden mit großer Ratlosigkeit – thematisiert.
1.5 Viele Christinnen und Christen sind aus ihrem Glauben heraus in vielfältigen Zusammenhängen politisch und gesellschaftlich engagiert. Hier erfahren sie sich als aktive Bürgerinnen und Bürger in demokratisch verfassten Strukturen, die etwas bewirken können und deren Engagement wertgeschätzt wird. Hier treten sie für christliche Werte ein – beispielsweise im Hinblick auf das Lebensrecht von Flüchtlingen – und werden öffentlich als aktive Glieder der christlichen Kirchen wahrgenommen. Diese Formen bürgerschaftlichen Engagements sollten seitens der Kirchen noch viel mehr gefördert und wertgeschätzt werden als bisher.[8] Umgekehrt bedarf es innerhalb der Römisch-katholischen Kirche noch großer Anstrengungen, um Menschen, die auf allen Ebenen nach Formen der Partizipation und demokratischen Strukturen suchen, diesen Freiraum auch innerhalb der kirchlichen Strukturen zu bieten.
2. Theologische Grundlagen
2.1 Die Thematik "Synodalität" hat Bezüge zu vielen Teilbereichen der Theologie und beschränkt sich keineswegs auf die Frage nach angemessenen Strukturen in kirchlichen Beratungs- und Entscheidungsfindungsprozessen. Grundlegend für alle weiteren Überlegungen ist die Tragweite des großen Zutrauens Gottes zu den Fähigkeiten des Menschen zu bedenken: Als "Bild Gottes", als Mann und Frau, hat der Mensch Sorge zu tragen für die Bewahrung der gesamten Schöpfung (vgl. Gen 1,26f). Auf vielfältige Weise kommt in den biblischen und nach-biblischen Zeugnissen zum Ausdruck, dass Gottes Geist die Menschen zu Einsicht und Erkenntnis führt, ein guter Ratgeber ist, dem menschlichen Urteil Kraft verleiht, Frieden bewirkt und Gerechtigkeit walten lässt (vgl. Jes 11 in der Rede vom Anbruch der messianischen Zeiten). Nach christlicher Überzeugung ist in Jesus Gottes Wort Mensch geworden (vgl. Joh 1); mit diesem Bekenntnis ist zuinnerst die Suche nach der Erkenntnis der Weisungen Gottes für das Leben seiner Geschöpfe verbunden. Gutheißung des gesamten Daseins, Barmherzigkeit mit Sündern und Sünderinnen, Hoffnung auf Leben auch angesichts des Todes – dies ist das Evangelium, das die Kirche in Zeit und Raum zu verkündigen hat. Synodale Beratungen stehen im Dienst dieser Aufgabe, die Gott der Gemeinschaft der an ihn Glaubenden anvertraut hat.
2.2 Die biblischen Schriften bezeugen auf vielfältige Weise, dass die schöpfungstheologisch begründete Wertschätzung des Lebens in Form eines menschlichen Gegenübers mit Sprachfähigkeit, Reflexionskraft und Beziehungswilligkeit (vgl. Gen 2,18-23) sich in Formen der gemeinschaftlichen Vergewisserung über Gottes Wege mit seiner Schöpfung in der irdischen Geschichte auswirkte. Ein Urbild für diesen Prozess ist in dem Geschehen der Begründung des Osterglaubens zu sehen: Wer dem auferstandenen Christus begegnet ist, empfindet den Impuls, davon zu erzählen; Jüngerinnen und Jünger suchen nach einer Bestätigung ihrer Erfahrung und finden erst in der Gemeinschaft zur gläubigen Gewissheit (vgl. exemplarisch die Emmausjünger [Lk 24,33-35] sowie Maria von Magdala [Joh 20,18]). Immer wieder wird in den biblischen Schriften von gemeinschaftlichen Beratungen über den weiteren Weg der Glaubensgemeinschaft berichtet, in deren Hintergrund Konfliktsituationen zu vermuten sind. Gewiss sind die konkreten Situationen, in denen damals Entscheidungen zu treffen waren und es heute sind, nicht leicht zu vergleichen. Als Beispiele für gemeinschaftliche Beratungen können erinnert werden: (1) der "Landtag zu Sichem" (vgl. Jos 24), auf dem sich alle Stämme Israels nach dem Tod von Mose versammelten, um das bisherige Handeln Gottes wirkmächtig zu erinnern und das Vertrauen in Gottes Weggeleit zu erneuern, sowie (2) das "Apostelkonzil" (vgl. Gal 2; Apg 15), bei dem Paulus mit den Verantwortlichen der Urgemeinde in Jerusalem – unter ihnen Petrus – über die Bedingungen nachdachte, unter denen auch Heiden Teil haben an der Gemeinschaft der erwählten Gottesfürchtigen. Angesichts unterschiedlicher Traditionen und Kulturen (Juden und Heiden) war es möglich, kontroverse Positionen zu tolerieren. Bereits in biblischen Zeiten waren es immer wieder Krisenphänomene in Entscheidungszeiten, die Beratungen notwendig machten.
2.3 Die Geschichte des kirchlichen Synodalwesens ist auf engem Raum kaum angemessen zu beschreiben. Oft verengt sich der Blick auf die Ebene der Diözesen und Gemeinden. Wichtig ist es jedoch, auch die Ordensgemeinschaften und die kirchlichen Verbände mit ihren eigenen Ordnungen und Erfahrungen bei synodalen Entscheidungen zu berücksichtigen. Manche Konfliktgeschichten sind überliefert, manche andere bleiben verborgen. Auch bei Entscheidungen, die auf synodalem Weg getroffen wurden, sind Verletzungen zu beklagen. Im historischen Bewusstsein bleibt oft nur die Geschichte der Sieger in Erinnerung. Die eschatologische Hoffnung auf Versöhnung aller mit allen hat auch Bedeutung für das Leben in einer Gemeinschaft, die nach dem rechten Weg sucht.
In den Anfangszeiten wurden viele der christlichen Gemeinden kollegial geleitet; die Kirche vor Ort kann daher als der erste Erfahrungsraum für Synodalität gelten. Persönliche Entscheidungen wurden insbesondere in Zeiten der Bedrohung und Verfolgung gemeinsam verantwortet. Beratungen mit anderen Gemeinden wurden zwar durch die Kommunikationswege erschwert, sind jedoch von frühester Zeit an bezeugt. Vom 4. Jahrhundert an wächst die Bedeutung synodaler Beratungen im überregionalen Raum. Christologische Streitfragen waren zu klären. Die politischen Herrscher hatten Interesse an einer Verständigung zwischen den zerstrittenen christlichen Parteien. Im christlichen Altertum haben einzelne der vielen regionalen Synoden angesichts der Rezeption ihrer Erkenntnisse Bedeutung gewonnen (beispielsweise die Versammlungen in Karthago 418 n.Chr. und Orange 529 n.Chr. im Hinblick auf den Gnadenstreit). Acht universale Kirchenversammlungen haben im ersten Jahrtausend den Ehrentitel "ökumenisches Konzil" erhalten. Zahlreiche Versammlungen von Bischöfen fanden im Mittelalter auch im regionalen Raum statt. Die theologische Kontroverse, ob ein allgemeines Konzil oder der Bischof von Rom die letzte Lehrautorität hat, wurde zunächst zugunsten des Konziliarismus und später zugunsten des Papalismus entschieden. Im Reformationszeitalter kam es insbesondere im Kontext der Stadtreformation (in Süddeutschland und der Schweiz) zu einer engen Verbindung zwischen den politischen und den kirchlichen Räten bei Beratungen über das Wohl der Gemeinschaft. Die Ausbildung des formalisierten Synodalwesens hat in den Kirchen der Reformation zu einer großen Vielgestalt von Ordnungen geführt, bei denen die lokalen Gegebenheiten Berücksichtigung fanden. Auch aus reformatorischer Sicht entscheiden nicht Mehrheiten und Minderheiten in Versammlungen von Delegierten über die Wahrheit des Glaubens. Zugleich können die evangelischen Traditionen (Anglikaner, Reformierte, Lutheraner und täuferische Bewegungen) auf einen reichen Schatz an Erfahrungen verweisen, die belegen, dass die gemeinschaftliche Suche nach dem rechten Verständnis des Evangeliums der Erkenntnis der Wahrheit näher bringt. Auch in der orthodoxen Kirchentradition haben Synoden auf unterschiedlichen Ebenen eine sehr hohe Bedeutung. Die langjährigen Vorbereitungen und der Verlauf des panorthodoxen Konzils belegen gegenwärtig die ungebrochen große Wertschätzung der Heiligen Synode und zugleich die Schwierigkeiten bei ihrer konkreten Gestaltung.
Auf universalkirchlicher Ebene stellt sich die Frage, ob die Konzile im 2. Jahrtausend als "ökumenische" zu betrachten sind, da lediglich Bischöfe aus dem westkirchlichen Jurisdiktionsbereich als Entscheidungsträger anwesend waren. Das 2. Vatikanische Konzil setzte sich für eine Stärkung des synodalen Wesens der Kirche ein: "Diese Heilige Ökumenische Synode wünscht, dass die ehrwürdigen Einrichtungen der Synoden und Konzilien mit neuer Kraft aufblühen; dadurch soll besser und wirksamer für das Wachstum des Glaubens und die Erhaltung der Disziplin in den verschiedenen Kirchen, entsprechend den Gegebenheiten der Zeit, gesorgt werden"[9]. Die Erneuerung des kirchlichen Gesetzbuchs in der nachkonziliaren Zeit[10] berücksichtigte dieses Anliegen und erweiterte den Kreis der Synodalen über die Gemeinschaft der Bischöfe hinaus.
2.4 Aus systematisch-theologischer Perspektive ist an das gegenwärtige Kirchenverständnis zu erinnern, das im Sinne des 2. Vatikanischen Konzils unter dem Leitgedanken der "Communio" – der Gemeinschaft aller Christgläubigen – steht. Auf der Grundlage der Überzeugung vom gemeinsamen Priestertum aller Getauften (vgl. LG 9-13) sowie der Rede vom "sensus fidelium" (LG 12) sind angemessene Formen der Partizipation an Entscheidungsfindungsprozessen zu gewährleisten. Dabei ist das Verhältnis zwischen dem Amt aller Getauften und dem Dienst der Ordinierten zu beachten: Der Dienst der Ordinierten besteht darin, die entsprechend qualifizierten Laien in ihrem Amt zu fördern, indem sie Charismen entdecken und zum Handeln ermutigen.
Es gibt thematische Bereiche, bei denen das 2. Vatikanische Konzil zu einer hohen Wertschätzung der Expertise der Getauften rät, die durch ihre fachliche Ausbildung sowie aufgrund beruflicher Erfahrung dazu befähigt sind.[11] Die Konzilsväter verweisen in diesem Zusammenhang vor allem auf das Wirtschafts- und Finanzwesen, auf die Präsenz der Kirche in der medialen Öffentlichkeit sowie auf das Erfahrungswissen der Laien bei der Gestaltung von Beziehungen in der Ehe und in den Familien. Nach dem Konzil sind Themenbereiche wichtig geworden, die damals noch nicht im Blick waren – vor allem ökologische Anliegen mit der Zielsetzung der Bewahrung der Schöpfung; die Sicherung des Friedens und die Errichtung gerechter gesellschaftlicher Strukturen erfordern tiefe Einblicke in die politische Dimension des Lebens; es gibt bioethische Fragestellungen, die durch den enormen Erkenntnisgewinn in den vergangenen Jahrzehnten an Dringlichkeit gewonnen haben; mit den Stichworten Generationengerechtigkeit, Altersarmut, Pflege sowie Sterbebegleitung sind weitere Aspekte benannt, in denen Laien mit ihrem Erfahrungswissen die Qualität kirchlicher Äußerungen zu den angesprochenen Fragestellungen sichern.
Das 2. Vatikanische Konzil hat den Blick geöffnet für Berufungen von Laien in den kirchlichen Dienst, die unmittelbar durch die Beziehung zu Jesus Christus begründet sind.[12] Das Apostolat der Laien dient der Verkündigung des Evangeliums. Vor diesem Hintergrund ist es nicht angemessen, die Expertise von Laien lediglich in "weltlichen" Bereichen zu achten. Als Subjekte in den liturgischen Feiern, als Handelnde im diakonischen Bereich sowie als Zeuginnen und Zeugen für Jesus Christus haben die Getauften eine spezifische Verantwortung in allen Bereichen des kirchlichen Daseins.
3. Konsequenz: Votum für eine synodale Kirche
Beschlossen durch die Vollversammlung des ZdK am 19. November 2016.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken spricht sich dafür aus, Synodalität als Strukturprinzip auf allen Ebenen des Handelns in der Römisch-katholischen Kirche zu leben. Bei den erforderlichen Konkretisierungen sind regionale Eigenarten auf der Ebene der Bischofskonferenzen zu berücksichtigen. Die Fortsetzung der Gespräche mit den deutschen Bischöfen und weiteren theologischen Expertinnen und Experten über die Thematik Synodalität ist sehr gewünscht. Folgende Leitgedanken sind für die Römisch-katholische Kirche in Deutschland aus Sicht des Zentralkomitees der deutschen Katholiken wichtig:
(1) Es besteht eine gemeinsame Verantwortung aller Getauften (der sakramental Ordinierten wie auch der Laien) im Hinblick auf die Erkenntnis der Zeichen der Zeit und die entsprechende Gestaltung des christlichen Glaubenslebens in der Gegenwart.
(2) Die durch das 2. Vatikanische Konzil umschriebene Autorität der Bischöfe der Römisch-katholischen Kirche wird durch Beratungen mit Räten, Verbänden, Expertinnen und Experten vor Entscheidungen gestärkt. Der Leitungsdienst der Bischöfe gewinnt in dem Maße an Wirksamkeit, wie die Entscheidungsfindungsprozesse öffentlich bekannt und transparent sind.
(3) Die Wahl des Bischofs ist angesichts des römisch-katholischen Kirchenverständnisses von sehr hoher Bedeutung. Verlässliche Formen der Partizipation an der Auswahl geeigneter Kandidaten sind auch um der Wahrung der Autorität der Bischöfe willen zu begrüßen.[13]
(4) Auf formaler Ebene sind verlässliche Strukturen zu stärken oder zu bilden, die es ermöglichen, ein hohes Maß an Partizipation bei kirchlichen Entscheidungsfindungsprozessen auf allen Ebenen zu gewährleisten. Bereits das Gespräch über die zu etablierenden Gesprächsformen hat in einem synodalen Prozess zu geschehen. Die Teilhabe von Männern und Frauen aller Generationen an den Beratungen ist zu sichern. Die Bandbreite der fachlichen Qualifikation aller Delegierten ist in alle Beratungsprozesse einzubringen, um sachlich fundierte Gespräche zu führen. Eine qualifizierte externe Prozessbegleitung empfiehlt sich.
(5) Es bedarf eines Gremiums, das aus von der Bischofskonferenz gewählten Bischöfen und aus repräsentativen Laiendelegationen besteht, in dessen Verantwortung es liegt, in regelmäßigen Gesprächen über Erfordernisse synodaler Entscheidungen zu beraten. Die nach der Gemeinsamen Synode der Bistümer in Deutschland in Würzburg eingerichtete "Gemeinsame Konferenz" zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist ein bewährtes Instrument der Beratung, dessen Befugnisse im Einvernehmen erweitert werden sollten.
(6) Für Themen, die sinnvollerweise gemeinsam von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken bearbeitet werden, sollten gemeinsame Arbeitsstrukturen entwickelt werden. Es ist zu prüfen, auf welche Doppelstrukturen gegebenenfalls auch verzichtet werden kann.
(7) Jede Institution, die an synodalen Prozessen beteiligt ist, hat selbstkritisch darauf zu achten, ob die synodalen Prinzipien zur Geltung kommen. Auch im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das demokratisch verfasst ist und nach diesen Grundsätzen arbeitet, sollen synodale Prinzipien zum Tragen kommen.
(8) Die Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken tragen Sorge dafür, dass regelmäßige Evaluationen bezüglich der Realisierung der Konsequenzen aus den Leitgedanken 1 bis 7 durchgeführt werden.
Die Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sehen sich in der Pflicht, an der Konkretisierung dieser Leitgedanken zu arbeiten und für ihre Umsetzung mit Sorge zu tragen.
Anmerkungen:
[1] Ansprache von Papst Franziskus bei der 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode (17. Oktober 2015), in: Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute. Texte zur Bischofssynode 2015 und Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2015 (Arbeitshilfen Nr. 276), S. 25. Hervorhebung im Original.
[2] In der Kirchenkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils "Lumen Gentium" (LG) ist als Lehrmeinung festgehalten: "Das heilige Gottesvolk nimmt auch teil an dem prophetischen Amt Christi, in der Verbreitung seines lebendigen Zeugnisses vor allem durch ein Leben in Glauben und Liebe, in der Darbringung des Lobopfers an Gott als Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen (vgl. Hebr 13,15). Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie 'von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien' ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert. Durch jenen Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der Wahrheit geweckt und genährt wird, hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen treuer Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes empfängt (vgl. 1 Thess 2,13), den einmal den Heiligen übergebenen Glauben (vgl. Jud 3) unverlierbar fest. Durch ihn dringt es mit rechtem Urteil immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn im Leben voller an" (LG 12). Das Zitat im Zitat verweist auf eine Schrift des Augustinus.
Die Interpretation des Begriffs des bei der Wahrheitsfindung unverirrlich (infallibel) wirksamen "sensus fidei" (Glaubenssinn des Volkes Gottes) sowie das Verhältnis dieser Erkenntnisquelle zum lehramtlichen Handeln war nach dem 2. Vatikanischen Konzil Gegenstand zahlreicher theologischer Studien: vgl. Internationale Theologenkommission, Sensus fidei im Leben der Kirche, Rom 2014.
[3] Vgl. Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung. Texte zur Bischofssynode 2014 und Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz (24. November 2014), Bonn 2014 (Arbeitshilfen, Nr. 273); Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute. Texte zur Bischofssynode 2015 und Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz (2. November 2015), Bonn 2015 (Arbeitshilfen, Nr. 276).
[4] Vgl. Nachsynodales Schreiben AMORIS LAETITIA des Heiligen Vaters Papst Franziskus über die Liebe in der Familie (19. März 2016), Bonn 2016 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 204).
[5] Da es keine leicht zugängliche Statistik in kirchenamtlicher Trägerschaft zu den synodalen Prozessen weltweit gibt, ist eine verlässliche Übersicht erschwert. Hilfreich ist: Arnaud Join-Lambert [Hg.), Synodes diocésains, "parasynodes" et conciles particuliers dans l’église catholique depuis le concile Vatican II. Liste, bibliographie, ressource, Louvain-la-Neuve / Paris / Quebec 2011. Vgl. auch www.pastoralis.org.
[6] Vgl. "Gemeinsam Kirche sein". Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral (1. August 2015), Bonn 2015 (Die deutschen Bischöfe, Nr. 100).
[7] Vgl. Von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam herausgegebene Publikation: "Das Zusammenwirken von Charismen und Diensten im priesterlichen, prophetischen und königlichen Volk Gottes – Arbeitsthesen des Beirates `‘Priester und Laien` der Gemeinsamen Konferenz", Bonn im Juli 2012
(www.zdk.de/veroeffentlichungen/erklaerungen/detail/Das-Zusammenwirken-von-Charismen-und-Diensten-im-priesterlichen-prophetischen-und-koeniglichen-Volk-Gottes-203u/).
[8] Vgl. Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Erklärung "Demokratie in Bewegung. Neue Formen der politischen Beteiligung als Herausforderung für engagierte Christinnen und Christen", Bonn im Mai 2013.
[9] 2. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche, "Christus Dominus", Nr. 36.
[10] Codex Iuris Canonici (CIC) von 1983 im Vergleich zu CIC 1917: Während CIC / 1917 die Diözesansynode als Versammlung des Klerus zur Beratung des Diözesanbischofs vorsah, definiert CIC / 1983 die Diözesansynode als "Versammlung von ausgewählten Priestern und anderen Gläubigen der Teilkirche" (Can. 460). Zu beachten ist die römische Instruktion von 1997, die vor dem Hintergrund der vielen außer-kodikarischen Formen von Diözesanversammlungen die Einhaltung der Bestimmungen des CIC / 1983 einschärft.
[11] Das 2. Vatikanische Konzil hat sich mehrfach zur Thematik der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten geäußert. Leitend ist dabei ein Gedanke in der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes": "Wenn wir unter Autonomie der irdischen Wirklichkeiten verstehen, dass die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und Werte haben, die der Mensch schrittweise erkennen, gebrauchen und gestalten muss, dann ist es durchaus berechtigt, diese Autonomie zu fordern. Das ist nicht nur eine Forderung der Menschen unserer Zeit, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muss. Vorausgesetzt, dass die methodische Forschung in allen Wissensbereichen in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben" (2. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes, Nr.36).
[12] "Die im Volk Gottes versammelten und dem einen Leibe Christi unter dem einen Haupt eingefügten Laien sind, wer auch immer sie sein mögen, berufen, als lebendige Glieder alle ihre Kräfte, die sie durch das Geschenk des Schöpfers und die Gnade des Erlösers empfangen haben, zum Wachstum und zur ständigen Heiligung der Kirche beizutragen. Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst. Zu diesem Apostolat werden alle vom Herrn selbst durch Taufe und Firmung bestellt. (…) Außer diesem Apostolat, das schlechthin alle Christgläubigen angeht, können die Laien darüber hinaus in verschiedener Weise zu unmittelbarerer Mitarbeit mit dem Apostolat der Hierarchie berufen werden, nach Art jener Männer und Frauen, die den Apostel Paulus in der Verkündigung des Evangeliums unterstützten und sich sehr im Herrn mühten (vgl. Phil 4,3; Röm 16, 3ff). Außerdem haben sie die Befähigung dazu, von der Hierarchie zu gewissen kirchlichen Ämtern herangezogen zu werden, die geistlichen Zielen dienen" (2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium, Nr. 33).
[13] Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat bereits 2007 konkrete Vorschläge zu Formen der Mitwirkung an der Bischofsbestellung vorgelegt. (Zur Mitwirkung des Gottesvolkes bei der Bischofsbestellung, Erklärung des Hauptausschusses, 19. Oktober 2007, (www.zdk.de/veroeffentlichungen/erklaerungen/detail/Zur-Mitwirkung-des-Gottesvolkes-bei-der-Bischofsbestellung-163u/ ).
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