Grußwort von Dr. Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der EKD

im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Sehr geehrter Herr Sternberg, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

herzlichen Dank für die Einladung, ein Grußwort zu sprechen. Ein schönes Zeichen für unser ökumenisches Miteinander! Es ist inzwischen geschätzte Tradition, dass der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zur Tagung der EKD-Synode eingeladen wird. Die Grußworte, die Ihr früherer Präsident, Herr Landtagspräsident a.D. Alois Glück vor den Synodalen gehalten hat, haben große Resonanz erfahren. Die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und die Synode der EKD haben ja auch vieles gemeinsam: sie sind die Orte in unseren Kirchen, in denen Veränderungen für unsere Kirchen besprochen werden und in denen Zeitansagen aus christlichem Verständnis formuliert werden. Gerade jetzt erscheint es mir wichtig, dass die christlichen Kirchen möglichst viel gemeinsam in die säkulare Gesellschaft hinein sprechen.

„Seht, da ist der Mensch“ (Joh 19,5)

Niemand kommt in diesen Tagen in Leipzig an diesem Satz vorbei.

Die vielen Katholiken nicht, die zur Vollversammlung und zum Katholikentag anreisen. Aber auch alle anderen Menschen nicht. Wie ein roter Faden zieht sich durch Ihre Versammlung hier aber auch auf dem Katholikentag das Angebot zum Dialog. Darin wird die Realität unserer Gesellschaft reflektiert: sie ist zunehmend säkular und multireligiös geworden. Diesen Dialog hier in Leipzig führen zu wollen, zeigt Ihr Engagement für die Verantwortung in der Welt.

Martin Luther übersetzt den Leitvers des Katholikentages so: „Seht, welch ein Mensch!“ Die Formulierung betont das Menschsein. Dieser Mensch sind wir alle mit unseren Freuden und Sorgen, sind wir in den Bedrängten, Bedrohten und Gedemütigten. In der aufwühlenden Beschreibung von Prozess und Vollstreckung lenkt er die Aufmerksamkeit ins Zentrum, auf die Gestalt Jesu. Jesus ist wirklich Mensch. Er leidet, wie wir leiden. Gott ist ganz Mensch geworden.

In den Nachrichten sieht man derzeit wenig einzelne Menschen. Eher Menschengruppen: auf Schlauchbooten im Mittelmeer, an Stacheldrahtgrenzen, das christliche Abendland auf Demonstrationen beschreiend oder in langen Autoschlangen auf die Kontrolle an wieder spürbaren Grenzen in Europa wartend.

Dankbar nehmen wir wahr, dass wir als katholische und evangelische Kirchen, als Christinnen und Christen, unsere Rolle gefunden haben und die Botschaft der Nächstenliebe in unserer Gesellschaft sichtbar machen.

Alle Fragen, die mit der Aufnahme und Integration der schutzsuchenden Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten zu tun haben, werden uns noch lange beschäftigen. „Seht, da ist der Mensch!“ Das sagt uns: Schaut auf den Einzelnen, es gibt gar nicht die Flüchtlingskrise,  -massen, -schwemme, sondern immer nur Aishe und Achmed. Und da sind Christen und Muslime uns gleichermaßen anvertraut.

Der Leitvers des Katholikentages sagt uns sicher auch, dass wir uns viel zutrauen können, wahrscheinlich mehr, als in der öffentlichen Diskussion sichtbar wird. Deswegen der große Dank auch an alle unter Ihnen, die Sie mithelfen, vor Ort, in den Organisationen, mit Geld und Spenden.

Auch in der Caritas und der Diakonie haben wir viel zu bieten. Hundertausende Ehrenamtliche engagieren sich im Rahmen ihres Auftrags aus dem Glauben. Ohne sie wäre die aktuelle Lage nicht zu bewältigen. Das sollte uns Zuversicht geben.

Natürlich müssen sich auch die kirchlich Engagierten die Frage stellen, wie die Grenze der Belastbarkeit durch die Integration von Zuwanderern beschrieben werden kann. Da sind die eher praktischen Fragen von Bedeutung: Wie kann eine ausreichende Zahl von Lehrern gewonnen werden? Wie schnell können Wohnungen für Menschen in prekären Wohnverhältnissen geschaffen werden? Wie gelingt die Integration in den Arbeitsmarkt? Da ist das Mutmachende „Wir schaffen das!“ eher geeignet, Kräfte freizusetzen als die ängstliche Frage „Wie sollen wir das schaffen?“

Es ist unsere Aufgabe als Kirchen Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu leben, aber auch darauf zu achten, dass diese Werte weiter Maßstab für das Handeln in unserer Gesellschaft bleiben. Wir sind aufgerufen mit Wort und Tat gegen Menschenfeindlichkeit einzutreten, uns nicht von fremdenfeindlichen Parolen treiben zu lassen. Vorurteile und rassistische Stereotypen müssen wir mit der Realität konfrontieren. Das ist mühsam, aber notwendig aus Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft. Natürlich müssen wir als Christen Besorgnisse und Ängste wahrnehmen – und das ist für Sie in Ihren Vereinigungen, Verbänden und Diözesanräten selbstverständlich. Aber mir hilft in dieser Zeit immer ein Wort aus dem zweiten Timotheusbrief „Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit (2. Tim. 1,7).

Seht, da ist der Mensch!

Es ist ein Satz, der unseren Blick auf Jesus Christus lenkt. Den Blick von Katholiken und Protestanten. In diesem Jahr beginnt das Reformationsjubiläum, das wir ökumenisch als Christusfest feiern wollen. Dabei gilt es auch, an die Trennungen und Wunden zu erinnern, die durch Reformation und Gegenreformation zwischen uns entstanden sind. Deshalb ist neben dem Reformationsjubiläum auch vom Reformationsgedenken die Rede. Es gilt aber auch sich darüber zu freuen, dass wir vieles gemeinsam tun können. So unternehmen im Herbst dieses Jahres katholische Bischöfe mit Mitgliedern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam eine Pilgerreise nach Israel. Noch bevor das Gedenkjahr mit seinen Hunderten von Veranstaltungen beginnt, sollen die gemeinsamen Wurzeln angesehen werden.

Als weiteren wichtigen ökumenischen Schritt wird es einen Versöhnungsgottesdienst am 11. März 2017 in Hildesheim geben. Dieser kann und soll von evangelischen und katholischen Gemeinden gemeinsam nachgefeiert werden. Es gibt dafür eine gemeinsame Liturgie, die von einer Arbeitsgruppe des Kontaktgesprächskreises zwischen katholischer Bischofskonferenz und Rat der EKD erarbeitet worden ist. Und es wird ein großes „Ökumenisches Fest“ am 16. September in Bochum geben, das gemeinsam mit dem ZdK und der DBK vorbereitet wird und die gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung herausstellt. Und dass das ökumenische Feiern und Gedenken auch auf dem Kirchentag in Berlin und den Kirchentagen „auf dem Weg“ nach Wittenberg seinen Platz haben wird, liegt auf der Hand.  Deshalb hoffe ich sehr, dass Sie auch vor Ort in Ihren Gemeinden und Diözesen mit ein wenig Spannung auf „500 Jahre Reformation“ sehen und sich einladen lassen.

Im Lauf meines Lebens habe ich immer wieder die Lebendigkeit und die Kraft der Laien und Laienbewegungen in der katholischen Kirche gespürt. Letzte Woche bei der Verabschiedung von Kardinal Lehmann wurde ich an die Gründung von „Donum Vitae“ erinnert, an der einige meiner damaligen Kolleginnen im Deutschen Bundestag maßgeblich beteiligt waren. Und jetzt sehe ich natürlich fasziniert und sehr gespannt, was den Ausgang betrifft auf die Bewegung hin zum Diakonat der Frauen in der katholischen Kirche, die Papst Franziskus Anfang Mai öffentlich befördert hat. Für diese Art, die Kirche zu bewegen und auch fortzubewegen, wird Papst Franziskus auch von uns Protestanten hoch geschätzt. Die Synode der EKD wünscht Ihnen, dass Sie bald diese Veränderung leben können.

Glauben braucht Gemeinschaft und Menschen, die diese erlebbar machen. Katholikentage strahlen aus, denn im Dialog von Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen entsteht Theologie, die in den Gemeinden verwurzelt und für die Zukunft der Kirche von unschätzbarer Bedeutung ist. Gottes Segen zum 100. Geburtstag!

 

Dr. Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der EKD

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