Generationengerechtigkeit, Solidarität und Eigenvorsorge – Sozialethische Anforderungen an eine Alterssicherung in der Lebens- und Arbeitswelt von morgen
Beschluss der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
Die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen für das Miteinander der Generationen, für ein gutes Leben im Alter und eine auskömmliche Alterssicherung gehört zu den zentralen Herausforderungen der Sozialen Marktwirtschaft. Seit seinen Anfängen trägt der Laienkatholizismus in Deutschland – organisiert in gesellschaftspolitisch aktiven Verbänden und diözesanen Räten im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) – sozial-ethisch fundiert und ökonomisch kompetent zur Beantwortung der drängenden Fragen der Alterssicherung bei.
In der Tradition von Oswald von Nell-Breuning und BKU-Geschäftsführer Wilfrid Schreiber in den 1950er-Jahren sehen wir heute die Notwendigkeit, das Alterssicherungssystem auch mit Blick auf die Arbeitswelt von morgen weiterzuentwickeln. Die größte Herausforderung besteht aktuell darin, für alle Generationen, die in das Rentensystem einzahlen – vor allem auch für die heute jungen Menschen! –, eine verlässliche, auskömmliche und berechenbare Versorgung im Alter zu gewährleisten. Einkommenssicherheit im Alter ist ein wichtiges Fundament für den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft. Sie ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Menschen während ihres Arbeitslebens ohne Zukunftsangst Risiken eingehen können. Daher ist es eine zentrale politische Aufgabe, das Vertrauen der Menschen in eine stabile und angemessene Alterssicherung, insbesondere in die gesetzliche Rentenversicherung, zu stärken.
Die Rente im Alter ist ein Spiegelbild des Erwerbslebens. Unser Rentensystem verbindet Eigenvorsorge und (Generationen-)Solidarität, es gewährleistet Alterslohn für die erbrachte Lebensleistung. Die im Verlauf eines Lebens übernommene Verantwortung für Kindererziehung und Pflegeleistung ist eine für die Gesellschaft unerlässliche Leistung und muss daher maßgeblich einbezogen werden. Eine präventive Politik zur Vermeidung von Altersarmut muss zwar insbesondere bei den Erwerbschancen ansetzen. Doch gleichzeitig muss die Übernahme von Phasen der Sorgearbeit im Leben von Frauen und Männern ermöglicht werden, ohne dass sie zu einem erhöhten Altersarmutsrisiko führt. Eine gute und zukunftsweisende Arbeitsmarkt-, Familien- und Bildungspolitik bilden die Grundlage für eine zukunftsfeste Alterssicherung. Auskömmliche Löhne, möglichst lückenlose Versicherungsbiografien, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter, sehr gute Entfaltungschancen in Kindheit und Jugend, hochwertige Bildungsangebote sowie vielfältige Möglichkeiten der beruflichen (Weiter-)Qualifizierung sind die zentralen Voraussetzungen für eine verlässliche und auskömmliche Alterssicherung eines jeden Einzelnen.
Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel sowie demografische Veränderungen stellen das Alterssicherungssystem immer wieder vor neue Herausforderungen und machen Anpassungen notwendig. Angesichts der absehbaren demografischen Entwicklungen, veränderter Erwerbsbedingungen und -biografien in einer digitalisierten Arbeitswelt sowie einer Vervielfältigung von Lebensläufen und -entwürfen müssen wir die Alterssicherung so fortentwickeln, dass sie alle Generationen, insbesondere auch die Rentnergenerationen ab 2030, vor Altersarmut schützt und den erarbeiteten Lebensstandard verlässlich sichert. Sofern nichts unternommen wird, das bestätigen auch aktuelle Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums, könnte das Rentenniveau – das Verhältnis der Standardrente nach 45 Beitragsjahren zum Durchschnittsentgelt – im Jahr 2035 von heute 47,8 % auf unter 43 % fallen und im Jahr 2045 auf nur noch etwa 41,6 %. Die Kraft der gesetzlichen Rente, Altersarmut zu vermeiden und den Lebensstandard im Alter maßgeblich zu sichern, sinkt also, wenn immer mehr Menschen aus der Babyboomer-Generation das Rentenalter erreichen.
Wir fordern deshalb die politisch Verantwortlichen auf, die notwendigen Anpassungen im Alterssicherungssystem vorzunehmen. Die Menschen müssen in den Veränderungsprozess einbezogen und jederzeit umfassend informiert werden. Diese Veränderungen müssen einem roten Faden, einer klaren Zielbeschreibung und verlässlichen Gestaltungsprinzipien folgen. Nur so lässt sich Ängsten und Verunsicherung entgegengenwirken.
Die im ZdK versammelten katholischen Organisationen, Verbände und diözesanen Räte haben sich in den vergangenen Jahren wiederholt sehr engagiert und teilweise mit konkreten Reformvorschlägen für eine zukunftsfähige Gestaltung der Alterssicherung zu Wort gemeldet – so z. B. der Familienbund der Katholiken, die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands, die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, die Katholische Landvolkbewegung Deutschland und das Kolpingwerk Deutschland mit einem gemeinsamen Rentenmodell, aber auch der Bund Katholischer Unternehmer, der Katholische Deutsche Frauenbund, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend und der Deutsche Caritasverband.[1] Diese Reformvorschläge der katholischen Organisationen zeichnen sich durch die Orientierung am Solidaritätsprinzip sowie durch klare Maßstäbe der Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit aus. Auch das ZdK hat in seinen Erklärungen in der Vergangenheit wiederholt grundsätzliche Anforderungen an eine soziale Lebenslaufpolitik mit konkreten Reformvorschlägen in der Alterssicherung verknüpft.[2]
Im Hinblick auf die aktuelle politische Debatte ist es aus Sicht des ZdK geboten, für die heute drängenden Herausforderungen und aktuell diskutierten Reformvorschläge des Alterssicherungssystems erneut eine sozialethische Orientierung zu bieten. Zugleich darf die Perspektive eines umfassenderen Reformbedarfs nicht aus den Augen verloren werden. Das ZdK befürwortet grundsätzlich das derzeitige System der Alterssicherung. Denn die umlagefinanzierte und beitragsbasierte gesetzliche Rente, die durch die betriebliche und private kapitalgedeckte Altersvorsorge sowie die steuerfinanzierte Grundsicherung ergänzt wird, hat sich bewährt.
Damit dieses System auch in Zukunft seine Leistungsfähigkeit entfalten kann, bedarf es wohlbedachter Reformschritte, die das Vertrauen der Menschen in das System stärken und den sozialethischen Maßstäben der Solidarität und Subsidiarität sowie der Generationen-, Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit entsprechen. Ziel aller Reformen muss sein, Altersarmut zu vermeiden und die Sicherung des eigenen Lebensstandards im Alter zu ermöglichen.
Sozialethische Kriterien für die Alterssicherung
Das Solidaritätsprinzip der Christlichen Sozialethik verweist darauf, dass in unserer hochgradig komplexen und arbeitsteiligen Gesellschaft kaum jemand im Alleingang für das Alter vorsorgen kann: Die Bürgerinnen und Bürger moderner Gesellschaften sind in der Alterssicherung inter- und intragenerationell wechselseitig aufeinander angewiesen. Die Gesellschaft muss ihnen daher individuelle und kollektive Möglichkeiten der Altersvorsorge bieten. Menschen mit unsicheren und niedrigen Einkommensperspektiven benötigen mehr Unterstützung, um für ein ausreichendes Einkommen im Alter vorzusorgen, als Menschen mit hohem Einkommen, die in der Erwerbs- und Vorsorgephase finanziell stärker belastet werden können. Gerade für sie ist deshalb die auf dem Solidaritätsprinzip beruhende gesetzliche Rentenversicherung von grundlegender Bedeutung. Das System der gesetzlichen Rentenversicherung speist sich im Wesentlichen aus paritätisch geleisteten Versicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer/-innen und Arbeitgeber/-innen sowie Zuschüssen aus dem steuerfinanzierten Bundeshaushalt. Die solidarische Selbstversicherung der Arbeitnehmer/-innen in der gesetzlichen Rentenversicherung ist ebenso wie die ergänzende private Altersvorsorge Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips: Soweit möglich und zumutbar, sollen die Bürgerinnen und Bürger selbst zu ihrer Alterssicherung beitragen.
Der im Prinzip der Solidarität formulierte Anspruch, wechselseitig füreinander einzustehen, gilt auch zwischen den Generationen: Die Generation der heute Erwerbstätigen, die von ihren Eltern großgezogen und umsorgt wurde, steht nun ihrerseits vor der Aufgabe, den Älteren ein angemessenes Einkommen zu sichern. Die Beiträge zur Rentenversicherung sind gleichzeitig Anspruchsgrundlage für die eigene Rente und Finanzierungsgrundlage der Rente der Elterngeneration. Auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels und einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt kann das Einkommen der älteren Generation im Wesentlichen nur von der Generation der gerade Beschäftigten im eigenen Land erwirtschaftet werden. Zu hohe Beitragslasten sind sowohl für die Arbeitnehmer/-innen zu vermeiden als auch für lohnintensive Unternehmen, bei denen andernfalls Arbeitsplätze gefährdet wären. Generationengerechtigkeit in der umlagefinanzierten Alterssicherung hat vor allem zwei Dimensionen: Einerseits müssen die Generationen ihren Verpflichtungen aus der Generationensolidarität nachkommen, ohne dabei überfordert zu werden. Andererseits müssen sich die Erwerbstätigen und diejenigen, die sich zeitweise um Kindererziehung und Pflege von Familienangehörigen gekümmert haben, darauf verlassen können, im Alter ebenfalls über ein angemessenes Einkommen zu verfügen.
Für den Fortbestand des Gesamtsystems der Alterssicherung ist entscheidend, das Vertrauen in die Verlässlichkeit, Leistungsfähigkeit und Gerechtigkeit des Systems auch für die Zukunft zu erhalten. Deshalb wurden die Eigentums- und Mitgestaltungsrechte in der beitragsbasierten gesetzlichen Rentenversicherung durch die soziale Selbstverwaltung gestärkt. Ihre Orientierung am Äquivalenzprinzip korrespondiert mit dem sozialethischen Kriterium der Leistungsgerechtigkeit. Rentenbeiträge und Rentenzahlungen stehen zueinander in unmittelbarem Verhältnis: Beschäftigte, die viele Jahre hohe Beiträge in die Versicherung eingezahlt haben, sollen im Ruhestand eine höhere Rente erhalten als Menschen, die kaum oder nur in kurzen Phasen eingezahlt haben. Das Äquivalenzprinzip ist dabei nicht ausschließlich auf die vom Erwerbseinkommen gezahlten Rentenbeiträge zu beziehen. Auch die Leistungen für unbezahlte Sorgearbeit in der Kindererziehung und der Pflege werden bei der Berechnung der jeweiligen Rentenhöhe berücksichtigt. Für die Anerkennung dieser Leistungen, die für den Erhalt des Generationenvertrages und das Funktionieren des Systems zwingend notwendig sind, werden Zuschüsse und Beiträge aus dem Bundeshaushalt geleistet, die allerdings nur eine Teilfinanzierung darstellen.
Der Grundsatz der Äquivalenz ist nicht nur ein grundlegendes Konstruktionsprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern zugleich ein wichtiges Kriterium für das Alterssicherungssystem insgesamt: Dieses wird nur als fair und verlässlich wahrgenommen, wenn diejenigen, die viel zu diesem System beigetragen haben, im Alter über ein höheres Einkommen verfügen als solche, die kaum oder gar keinen Beitrag geleistet haben. Dabei wird in der gesetzlichen Rentenversicherung das Äquivalenzprinzip zu Recht durch das Prinzip des solidarischen Ausgleichs ergänzt.
Nur ein Alterssicherungssystem, das alle verlässlich und umfassend vor Altersarmut schützt, wird als gerecht wahrgenommen. Neben der Leistungsgerechtigkeit ist deshalb die Bedarfsgerechtigkeit ein wichtiger Maßstab. Daher ist die Grundsicherung im Alter ein wichtiger Bestandteil eines gerechten Alterssicherungssystems. Es gehört zu den zentralen Herausforderungen der Sozialpolitik, Bedarfsgerechtigkeit und Äquivalenzprinzip stets aufs Neue auszubalancieren. Einerseits soll Altersarmut verlässlich vorgebeugt werden, so dass für möglichst viele Menschen ein Absinken auf Grundsicherungsniveau vermieden wird. Andererseits müssen die Beiträge in das System und die aus ihm zu erwartenden Zahlungen in einem angemessenen und fairen Verhältnis zueinander stehen. Den Bürgerinnen und Bürgern muss die Sicherung des erarbeiteten Lebensstandards im Alter ermöglicht werden.
Herausforderungen für die gesetzliche Rentenversicherung
Ohne weitere Reformen wird die mit den Rentenreformen beschlossene Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente besonders ab 2030 zu einem höheren Anteil von Menschen führen, die eine Rente unterhalb des staatlichen Grundsicherungsniveaus erhalten. Lücken in der Versicherungsbiografie und langjährige Beschäftigung im Niedriglohnsektor sind hierbei die wichtigsten individuellen Risikofaktoren. Insbesondere längere Erwerbsunterbrechungen, die durch die Übernahme von Familienaufgaben bedingt sind, und Lücken in der Versicherungsbiografie durch Arbeitslosigkeit, Erwerbsminderung, Erwerbsphasen im Ausland ohne Versicherungspflicht sowie volatile Erwerbsverläufe mit Phasen der (Solo-)Selbstständigkeit ohne Beitragszahlungen führen typischerweise zu einer unzureichenden Alterssicherung.
Diese Versicherten werden im Alter – falls sie nicht über anderes Einkommen oder Vermögen verfügen – auf eine Aufstockung ihrer Rente aus der Grundsicherung angewiesen sein. Hier greift das Äquivalenzprinzip der Rentenversicherung nicht mehr, da ihre Leistungen in Erwerbsarbeit, Kindererziehung und Pflege in der Grundsicherung nicht mehr finanziell anerkannt und sichtbar werden. Die Vermeidung von Altersarmut und das Erreichen einer lebensstandardsichernden Rentenleistung wird vor allem eine Herausforderung für die jüngeren Generationen und weniger für die gegenwärtige Rentnergeneration und die bereits rentennahen Jahrgänge sein.
Das Vertrauen in die gesetzliche Rente als Pflichtversicherungssystem für abhängig Beschäftigte muss erhalten bleiben. Bei Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung müssen folgende Anforderungen erfüllt werden:
- Im Sinne des Subsidiaritäts- und des Äquivalenzprinzips muss es sich auch weiterhin lohnen, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Das System verliert seine Legitimität, wenn Versicherte nach langjährigen durchschnittlichen Beitragszahlungen am Ende Leistungen aus der staatlichen Grundsicherung beziehen müssen. Um eine Rente über dem Grundsicherungsniveau zu erhalten, müsste heute ein Rentner mit Durchschnittseinkommen ca. 28,4 Jahre arbeiten, im Jahr 2030 sind es 31,6 Jahre. Beschäftigte mit ca. 70 % des heutigen Durchschnittseinkommens müssten im Jahr 2030 sogar 45,2 Jahre arbeiten, um eine höhere Rente als die Grundsicherung zu erhalten.[3] Diese Entwicklung gefährdet die Akzeptanz des gesetzlichen Rentenversicherungssystems und darf daher nicht weiter vorangetrieben werden. Eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf ein Mindestsicherungselement, das Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit kombiniert, sollte geprüft werden.
- Eine solide Finanzierung auskömmlicher Renten wird am besten durch eine gute Arbeitsmarktentwicklung gewährleistet, die viele Menschen auf ein gutes Erwerbseinkommen und eine langjährige geschlossene Versicherungsbiografie zurückblicken lässt. Parallel muss dabei eine produktivitätsorientierte Lohnentwicklung und eine Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern hergestellt werden. Hier sind auch die Tarifpartner in besonderer Verantwortung. Um Lücken in der Versicherungsbiografie vorzubeugen, müssen die Mechanismen der gesetzlichen Rentenversicherung an die veränderten Erwerbsbiografien und an die verschiedenen Beschäftigungsrealitäten der jetzt lebenden Generationen angepasst werden. Mit Blick auf Einkommen, deren Höhe im Lebensverlauf stark schwankt, sollte auch die Konstruktion der Beitragsbemessungsgrenze überprüft werden. Bei denjenigen, die kontinuierlich hohe Arbeitseinkommen erzielen, leisten die betriebliche oder private Altersvorsorge größere Beiträge zur auskömmlichen Alterssicherung. Die sog. "Flexi-Rente" schafft Möglichkeiten, parallel zur Altersrente zusätzliche Rentenanwartschaften zu erwerben. In Entsprechung dazu sollten auch familiäre Pflegeleistungen, die parallel zum Rentenbezug erbracht werden, zu einer Steigerung der Rentenhöhe der Pflegenden führen. Hier bedarf es einer zeitnahen gesetzlichen Initiative.
- Der Grundsatz, dass die jeweilige RentnerInnengeneration an der Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards teilhaben soll, muss erhalten bleiben. Nachhaltigkeitsfaktoren in der Rentenformel, die eine Berücksichtigung der Veränderungen des Verhältnisses von Rentenempfängern zu Beitragszahlern bei der Berechnung der Rentenhöhe ermöglichen, sind so zu gestalten, dass ihre Wirkung nachvollziehbar und angemessen ausfällt. Dazu gehört die langfristige Zusicherung eines Mindestsicherungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung. Im geltenden Recht endet diese Zusage im Jahr 2030 – bei einem Rentenniveau von mindestens 43 %. Im Sinne der Generationengerechtigkeit muss die Gewährleistung eines Mindestsicherungsniveaus über 2030 hinaus fortgeschrieben werden. Das würde die Bereitschaft der jungen Menschen stärken, die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin durch ihre Beiträge zu finanzieren und zugleich eine Grundorientierung für ihre eigene Alterssicherung geben. Dabei sind auch die Grenzen der Belastbarkeit durch Sozialversicherungsbeiträge unbedingt zu beachten. Die Finanzierungsgrundlagen der Rentenversicherung können daher nicht nur durch Beitragsanhebungen gestärkt werden. Aus der Vielzahl an Reformvorschlägen sind hierbei insbesondere die Erweiterung des Versichertenkreises, die Einbeziehung aller Einkommensarten, die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen und die vollständige Steuerfinanzierung sog. versicherungsfremder Leistungen zu prüfen.
- Um der gesetzlichen Rentenversicherung eine stabile Grundlage zu geben, war es richtig, das gesetzliche Renteneintrittsalter schrittweise anzuheben. Im aktuellen Rentensystem war dies die einzige systemimmanente Möglichkeit, einer zunehmenden Anzahl von sich im Rentenalter befindlichen Menschen und einer geringer werdenden Anzahl von Beitragszahlerinnen und -zahlern gerecht zu werden. Eine Prüfung einer regelhaften Anpassung des Renteneintrittsalters über 2030 hinaus sollte die weitere Veränderung der Lebenserwartung der über 60-Jährigen berücksichtigen. Die Aufgabe, altersgerechte Arbeitsplätze zu gestalten und durch Weiterbildung die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer/-innen bis zum Renteneintritt zu erhalten, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Es ist unübersehbar, dass in einigen Berufen die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute vor Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden. Deshalb ist es eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein gesundes Weiterarbeiten bis zur Regelaltersgrenze zu ermöglichen. Hier sind insbesondere die Arbeitgeber in der Verantwortung. Es müssen verstärkt qualifizierte Maßnahmen zur Prävention, Rehabilitation und Wiedereingliederung ins Erwerbsleben angeboten werden. Zu prüfen ist eine An-hebung des Leistungsniveaus der Erwerbsminderungsrente. Dies trifft auch auf den Vorschlag zu, den Eintritt in die Rente von der Anzahl der Arbeitsjahre und nicht vom Lebensalter abhängig zu machen. Zudem ist zu beachten, dass in den letzten Jahrzehnten mit dem Ruhestand eine eigene Lebensphase entstanden ist, mit der besondere Chancen der persönlichen Entfaltung und der gesellschaftlichen Teilhabe verbunden sind. Das stellt eine sozialpolitische Errungenschaft dar, die auch bei neuen Regelungen des Renteneintritts berücksichtigt werden muss.
- Das Risiko, im Alter ungenügend abgesichert zu sein, ist mit typischen Mustern im Erwerbsverlauf verbunden. Zu den Risikogruppen im Alter gehören insbesondere Menschen, die in ihrer Erwerbsbiografie phasenweise sozialversicherungsfrei selbstständig tätig waren. Durch die häufiger werdenden Wechsel zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit und den wachsenden Anteil des Einkommens aus selbstständiger Arbeit am Lebenserwerbseinkommen fehlen ihnen im Alter wichtige Entgeltpunkte; selten können sie als Ausgleich privat oder betrieblich ausreichend vorsorgen. Bereits jetzt ist abzusehen, dass es zunehmend diskontinuierliche Berufsverläufe geben wird. Zur Vermeidung von Altersarmut und Grundsicherung ist daher eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige einzuführen, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen oder über berufsständische Versorgungswerke abgesichert sind. In diesem Zusammenhang ist die generelle Einbeziehung von Selbstständigen, die zeitweilig abhängig beschäftigt waren oder dies neben ihrer Selbstständigkeit sind, in die gesetzliche Rentenversicherung zu prüfen. Bei der konkreten Ausgestaltung muss auf die Vorsorgesituation der heute bereits selbstständig Tätigen Rücksicht genommen werden. Zugleich darf es zu keiner Überforderung der Selbstständigen in der Existenzgründungsphase kommen.
- Generell ist es dringend an der Zeit, die Pflicht zur Altersvorsorge auszudehnen. Dazu gehört die Verbreiterung des Versichertenkreises in der gesetzlichen Rentenversicherung auf alle selbstständigen und nicht selbstständigen erwerbstätigen Frauen und Männer, um dem Solidarpakt wieder eine beständige Basis zu geben.
- Heute haben Frauen ein im Schnitt um 60 % geringeres eigenständiges Alterssicherungseinkommen.[4] Sie sind deshalb weiterhin mehrheitlich auf die Alterssicherung durch ihren Ehepartner angewiesen. Auf absehbare Zeit werden Frauen weiterhin – vor allem durch vermehrte Teilzeitarbeit, Erwerbsunterbrechungen in der Familienphase oder durch die Pflege von Angehörigen sowie eine schlechtere Bezahlung sogenannter typischer Frauenberufe – einem größeren Armutsrisiko im Alter ausgesetzt sein. Das ZdK tritt mit Nachdruck für den weiteren Ausbau der eigenständigen Alterssicherung von Frauen ein. Neben politischen Anstrengungen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben und gleichberechtigter Beteiligung der Männer an der Familienarbeit sollte daher ein Ausbau des balancierten Splitting- oder Teilhaberentenmodells angestrebt werden. Die in einer Ehe oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gemeinsam erworbenen Rentenanwartschaften sollten zu einem permanenten Rentenanwartschaftssplitting während der Ehe oder Lebenspartnerschaft ausgebaut werden. Auch die Familienarbeit, die der Kinderziehung oder der Pflege von Angehörigen gilt, sollte sich entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts stärker und angemessen in der Alterssicherung niederschlagen. In einem ersten Schritt sollten für jedes Kind drei Jahre Kindererziehungszeiten in der Rente anerkannt werden. Die Mehrkosten müssen durch zusätzliche Steuermittel finanziert werden.
- Familien sind stark – und mit steigender Kinderzahl zunehmend – durch Sozialversicherungsbeiträge belastet. Während das Kinderexistenzminimum im Steuerrecht steuerfrei gestellt ist, wird es im Sozialversicherungsrecht in voller Höhe mit Beiträgen belegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Familien bei den Sozialversicherungsbeiträgen in Abhängigkeit von der Kinderzahl zu entlasten, da bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen sei, dass auch die kostenaufwendige Betreuung und Erziehung der Kinder einen konstitutiven Beitrag für die Sozialversicherung darstellt (sog. "generativer Beitrag").
Reformbedarfe in der betrieblichen und privaten Altersversorgung.
Die kapitalgedeckte ergänzende Altersvorsorge hat als betriebliche Altersversorgung im deutschen Alterssicherungssystem eine lange Tradition. Mit den Rentenreformen der letzten 15 Jahre hat sie einen neuen Stellenwert für eine insgesamt auskömmliche Alterssicherung erfahren.
Die betriebliche Altersversorgung hat sich durch die Einführung des Rechtsanspruchs auf Entgeltumwandlung in einigen Branchen von einer reinen Arbeitgeberleistung zu einem gemeinsamen Instrument der Altersvorsorge verändert. Wie bereits aus dem Alterssicherungsbericht 2012 hervorging, verfügen ca. 60 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten über eine aktive Betriebsrentenanwartschaft. Dabei bestehen große Unterschiede zwischen Frauen und Männern, Niedriglohnbeziehern und Gutverdienenden, Angehörigen des öffentlichen Dienstes und anderer Beschäftigten. Gerade Geringverdienende, die durch ihre niedrigen Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung auf eine zusätzliche Vorsorge besonders angewiesen wären, können nur selten auf eine betriebliche Altersversorgung zurückgreifen. Unterschiede gibt es auch zwischen Großbetrieben sowie kleinen und mittleren Unternehmen. Letzteren fällt es häufig schwer, ihren Mitarbeiter/-innen neben der Entgeltumwandlung in Direktversicherungen weitere, komplexere Varianten der betrieblichen Altersvorsorge anzubieten.
Aus Sicht des ZdK ist eine Stärkung der sozialen Ausgewogenheit der betrieblichen Altersvorsorge wesentlich. Dafür sind der Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung, die Höhe der erworbenen Anwartschaften und attraktive Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer/-innen und Arbeitgeber/-innen entscheidend. Reformen sollten sich an folgenden Leitlinien orientieren:
- Die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung muss als effiziente kollektive Form kapitalgedeckter Alterssicherung gefördert werden, um mehr Arbeitnehmer/-innen eine betriebliche Altersvorsorge zu ermöglichen. Eine Vereinfachung der betrieblichen Altersvorsorge und eine zielgenaue Förderung für Geringverdienende sind dazu notwendig. Gerade in einer flexibleren Arbeitswelt sind Portabilität der Betriebsrentenanwartschaften und Transparenz über das insgesamt erreichte Vorsorgeniveau entscheidend.
- Geringverdienende, die Sorge haben, im Alter eine Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus zu beziehen, verzichten wegen der dann drohenden Anrechnung meistens auf zusätzliche Vorsorge. Insbesondere für Geringverdienende muss der Abschluss einer betrieblichen Altersversorgung attraktiver gemacht werden. In diesem Zusammenhang sollte auch die Abschaffung der Rentenversicherungsbeitragsfreiheit der Entgeltumwandlung geprüft werden. Denn diese Beitragsfreiheit der Entgeltumwandlung, deren ursprüngliches Ziel eine Stärkung der Eigenvorsorge ist, kann dazu führen, dass der gesetzlichen Rentenversicherung Beitragszahlungen verloren gehen.
Neben der auf Erwerbsarbeit basierenden betrieblichen Altersvorsorge bilden die Riester- und die Rürup-Rente als staatlich geförderte private Vorsorge einen weiteren Baustein der kapitalgedeckten Alterssicherung. Die kapitalgedeckte private Vorsorge liegt in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Erwerbstätigen mit geringem Einkommen, bedingt durch niedrige Entgeltstrukturen oder aufgrund von Teilzeitbeschäftigung, fehlen jedoch häufig die verfügbaren Mittel für den Aufbau einer privaten Vorsorge. Auch hier sind Frauen und unter ihnen die Gruppe der Alleinerziehenden in besonderem Maße betroffen. Darüber hinaus meiden viele Menschen angesichts der aktuellen Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank und der Finanzkrisen entsprechende Kapitalmarktprodukte, auch wenn Kapitalmarktrenditen und Zinsentwicklungen immer langfristig und nicht nur kurzfristig zu betrachten sind. Insbesondere für die Riester-Rente als Angebot zur Vorsorge für Bezieher von niedrigen und mittleren Einkommen fehlen oft attraktive Produkte. Mehr als 16 Mio. Menschen haben zwar einen Vertrag abgeschlossen, aber 20 % dieser Verträge ruhen und werden nicht mehr angespart. Zugleich ist auch hier die Verbreitung unter Geringverdienenden als eine der zentralen Zielgruppen eher gering.
Das ZdK sieht in der privaten Vorsorge vor allem einen wichtigen ergänzenden Beitrag zur Lebensstandardsicherung im Alter, aber kein primäres Instrument zur Bekämpfung von Altersarmut. Es muss für alle Menschen, insbesondere auch für Geringverdienende, möglich sein, einen attraktiven und möglichst einfachen Zugang zu einer geförderten kapitalgedeckten Altersvorsorge zu erhalten. Dabei muss der Staat dafür sorgen, dass diese Produkte Transparenz und Sicherheit bieten, um das Vertrauen der Menschen in die private Vorsorge zu stärken. Neben staatlichen Zuschüssen ist auch eine weitere steuerliche Förderung zu prüfen.
Grundsicherung im Alter
Es bleibt eine kontinuierliche Aufgabe der Rentenpolitik, das Äquivalenzprinzip und die Bedarfsgerechtigkeit immer wieder aufs Neue auszubalancieren und die Zahl der Grundsicherungsempfänger/-innen so klein wie möglich zu halten. Ein bedarfsgeprüftes Grundsicherungssystem kann immer nur die letzte Auffangmöglichkeit sein. Sozialleistungen – wie die steuerfinanzierte Grundsicherung im Alter – sind anders als die auf eigenen Beiträgen basierenden Leistungen der Rentenversicherung keine Vorsorge fürs Alter. Jedoch wird auch eine präventive Strategie zur Vermeidung von Altersarmut und eine umfassende soziale Lebenslaufpolitik nicht vollständig verhindern können, dass es in einem lebensleistungsorientierten System der Altersvorsorge Menschen gibt, die im Alter auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Umso wichtiger ist es, dass die Grundsicherung armutsfest wird.
Die Grundsicherung im Alter garantiert den notwendigen Lebensunterhalt entsprechend dem soziokulturellen Existenzminimum. Notwendige Anpassungen sieht das ZdK bei der Berücksichtigung von Leistungen aus der betrieblichen und privaten Altersvorsorge (keine Vollanrechnung der Sicherungsleistungen) und der konkreten Ausgestaltung des Schonvermögens, z.B. bei der Anrechnung eines privaten PKW zur Gewährleistung von Mobilität im Alter oder den Karenzregelungen zum Umzug in eine neue Wohnung bei Verwitwung. Die Beibehaltung der so behutsam weiterentwickelten Grundsicherung im Alter ist ein wichtiger Baustein zur Vermeidung von Altersarmut.
[1] Auf die verschiedenen Konzepte und Vorschläge wird in einem Anhang zum Erklärungstext verwiesen.
[2] ZdK-Erklärung (2013): Soziale Lebenslaufpolitik. Zukunft wagen in einer Gesellschaft des langen Lebens, beschlossen von der ZdK-Vollversammlung am 22. November 2013; ZdK-Erklärung (2004): Acht-Punkte-Programm zur Zukunftsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Mut zu Reformen braucht ordnungspolitische Kontinuität und Klarheit, beschlossen von der ZdK-Vollversammlung am 19.11.2004.
[3] Quelle: Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen: www.sozialpolitik-aktuell.de/abbVIII54, entnommen am 16.06.2016.
[4] BMFSFJ (2011): Gender Pension Gap. Entwicklung eines Indikators für faire Einkommensperspektiven von Frauen und Männern. (Bearb.: Flory, Judith, Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik). Berlin (http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/gender-pension-gap,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf), zuletzt abgerufen am 20.09.2016.