Die Zukunft weltweit nachhaltig gestalten - Die Umsetzung der globalen Agenda 2030

Peter Weiß im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident Sternberg, liebe Mitglieder der ZdK-Vollversammlung, sehr geehrte Damen und Herren,

soeben haben wir einen kurzen Ausschnitt aus der eindrucksvollen Rede von Papst Franziskus vor der UN-Vollversammlung im September 2015 gesehen – kurz bevor dort die "globale Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" von allen Staats- und Regierungschefs verabschiedet wurde – eine Agenda, wie sie es vorher in ihrer Dimension, in ihrem Anspruch und in ihrer Reichweite auf internationaler Ebene noch nicht gegeben hat. Um es mit den Worten unseres deutschen Entwicklungsministers Dr. Gerd Müller zu formulieren: Die Agenda 2030 ist nicht mehr und nicht weniger als ein neuer "Weltzukunftsvertrag", der die Partnerschaft der Völker neu begründet. Sie steht für ein neues Leitbild globaler Entwicklung und verfolgt das Ziel, allen Menschen weltweit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, Hunger und Armut zu beenden und unsere Zukunft auf diesem Planeten nachhaltig zu gestalten. Sie ist – wie Papst Franziskus in seiner Rede gesagt hat – "ein wichtiges Zeichen der Hoffnung", um eine ganzheitliche, sich am Menschen und am Gemeinwohl orientierende Entwicklung zu verwirklichen.

Die Agenda 2030 umfasst insgesamt 17 globale Nachhaltigkeitsziele mit 169 Unterzielen. Mit der Agenda 2030 sollen

- Armut und Hunger weltweit beendet und  Ungleichheiten bekämpft werden;

- die Selbstbestimmung der Menschen gestärkt, Geschlechtergerechtigkeit und ein gutes und gesundes Leben für alle gesichert werden;

- Wohlstand für alle gefördert und Lebensstile weltweit nachhaltig gestaltet werden;

- die ökologischen Grenzen der Erde respektiert und der Klimawandel bekämpft, die natürlichen Lebensgrundlagen bewahrt und nachhaltig genutzt werden;

- die Menschenrechte geschützt werden, d.h. Frieden, gute Regierungsführung und Zugang zur Justiz in allen Ländern der Welt gewährleistet werden;

- und schließlich eine neue globale Partnerschaft aufgebaut werden!

Aber was ist nun das wirklich Neue an dieser Agenda 2030 und worin unterscheidet sie sich von bisherigen internationalen Gipfelerklärungen, Vereinbarungen und Verträgen? Es sind insbesondere folgende Aspekte, die dieser Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung eine neue Qualität und herausragende Tragweite geben:

Erstens: Die Agenda 2030 folgt zwar offiziell auf die im Jahr 2001 vereinbarten Millenniumsentwicklungsziele, sie gilt jedoch für Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer gleichermaßen. Ihre Zielvorgaben richten sich an alle Staaten der Weltgemeinschaft. Alle Länder sind aufgefordert, sich für die Agenda 2030 einzusetzen und aktiv daran zu arbeiten, dass sich die Situation der Menschen und der Umwelt bis 2030 in vielen zentralen Bereichen verbessert.

Zweitens umfasst sie alle Aspekte nachhaltiger Entwicklung – also ihre ökologische, ökonomische und soziale Dimension. Allen Ländern soll eine wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht werden, die gleichzeitig den Schutz unserer Umwelt gewährleistet und für soziale Gerechtigkeit sorgt.

Dieses Ziel der Agenda 2030 ist übrigens auch eine der zentralen Botschaften von Papst Franziskus in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung und viel mehr noch in seiner Enzyklika "Laudato Si“. Entwicklung, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit sind untrennbar miteinander verbunden! Dabei ist die "Sorge für unser gemeinsame Haus", d.h. unseren Planeten Erde, die Basis für eine integrale Entwicklung des Menschen und die Voraussetzung für globales solidarisches Handeln.

Und drittens: Durch die Verankerung der Menschenrechte in der Agenda 2030 ist eine zentrale Bedingung erfüllt, um die weltweite Akzeptanz und Umsetzung der Agenda 2030 zu ermöglichen und alle Staaten dazu in die Pflicht zu nehmen.

Angesichts dieser herausragenden Bedeutung der globalen Agenda 2030 für die Zukunft unserer Erde und der gesamten Menschheit liegt es auf der Hand, dass wir uns als ZdK ebenfalls intensiv mit dieser Agenda auseinandersetzen sollten. Der Sachbereich 6 "Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung" hat dies in den vergangenen Monaten bereits getan und das vorliegende Impulspapier erarbeitet, das neben einer inhaltlichen Einführung in die Agenda 2030 eine politische Einordnung vornimmt und deutlich macht, was die Umsetzung der Agenda 2030 für die deutsche Politik, für das Engagement der deutschen Gesellschaft und insbesondere auch für uns als Christinnen und Christen bedeutet.

Denn die Agenda 2030 wird nur praktische Wirkung entfalten, wenn alle Staaten und die gesamte Weltgesellschaft gemeinsam Verantwortung für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele übernehmen. Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele erfordert somit die Zusammenarbeit von Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Bürgern und muss international, national und lokal erfolgen!

Ich möchte nun kurz auf die wichtigsten Punkte eingehen, die für die Umsetzung der Agenda 2030 durch Deutschland eine zentrale Rolle spielen:

Grundsätzlich sollte Deutschland seiner internationalen Verantwortung gemäß eine Vorreiterrolle bei der konsequenten und umfassenden Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele übernehmen und sein nationales und internationales Handeln kohärent daran ausrichten. Daher muss die Bundesregierung die globalen Nachhaltigkeitsziele zügig und umfassend auf nationaler Ebene festschreiben und dabei drei Ziel- und Handlungsebenen berücksichtigen:

  1. Die globalen Nachhaltigkeitsziele müssen in der Entwicklung unseres Landes und somit für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung innerhalb Deutschlands eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehören die Schaffung von Bildungsgerechtigkeit, die Reduzierung von Armut und sozialer Ungleichheit sowie das Engagement für Geschlechtergerechtigkeit.
  2. Es braucht Ziele und Maßnahmen für einen nationalen Wandel, der zugleich Auswir- kungen auf Menschen in anderen Ländern hat. Dazu zählen beispielsweise die Reduzierung der Treibhausgasemissionen, die Verringerung des Ressourcenverbrauches oder die faire Gestaltung von globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten deutscher Unternehmen.
  3. Es gilt, die globale Partnerschaft und Kooperation auszubauen und zu stärken, um der internationalen Verantwortung Deutschlands und der Europäischen Union gerecht zu werden. Dazu gehört einerseits die Bereitstellung von zugesagten Finanzmitteln für die klassische Entwicklungszusammenarbeit (0,7 % des Bruttonationaleinkommens) oder die Klimafinanzierung. Andererseits geht es um die Veränderung globaler Strukturen hin zu mehr Nachhaltigkeit. Dazu gehören eine gerechtere Handelspolitik, eine faire Gestaltung der internationalen Finanzsysteme und die Vermeidung von Steuerflucht sowie eine friedensorientierte Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele ist somit eine Querschnittsaufgabe, für die alle Mitglieder der Bundesregierung gleichermaßen und gemeinsam verantwortlich sind: Es darf nicht mehr in erster Linie die Aufgabe des Entwicklungs- oder des Umweltministeriums sein, sich für eine nachhaltige Entwicklung und eine faire globale Partnerschaft einzusetzen! Dies ist die Aufgabe aller Ressorts!

Zugleich bedarf es einer engeren politischen Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Dort mangelt es bisher an einer kohärenten und vernetzten Zusammenarbeit sowie einer strukturierten Kooperation in der Nachhaltigkeitspolitik. Die Energiepolitik ist dafür ein gutes Beispiel.

Für eine kohärente und strategische Umsetzung der Agenda 2030 in Deutschland bietet sich die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung an. Denn mit dieser nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die 2002 erstmals formuliert und seitdem regelmäßig überprüft und fortgeschrieben wurde, gibt es bereits eine funktionierende institutionelle Struktur, die den neuen Anforderungen nun angepasst werden muss.

Die Überarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie ist bereits in vollem Gange. Ende Mai soll ein erster Entwurf zur öffentlichen Debatte und Konsultation vorliegen. An diesem Diskussionsprozess sollten wir uns als ZdK, aber auch unsere Verbände, Organisationen und diözesanen Räte aktiv beteiligen!

Einen großen Weiterentwicklungsbedarf für die nationale Nachhaltigkeitspolitik und ihre Managementstrukturen gibt es aus meiner Sicht vor allem in folgenden Punkten:

- Die internationale Dimension und die gerechtere Gestaltung globaler Strukturen muss zukünftig eine stärkere Rolle in der Nachhaltigkeitsstrategie spielen. Die Verminderung des Ökologischen Fußabdrucks, die Erhöhung des Anteils fair gehandelter Produkte oder die Reduzierung des Flächenrucksacks in der Landwirtschaft müssen darin unbedingt vorkommen.

- Als Teil der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie brauchen wir einen nationalen SDG- Umsetzungsplan, der festlegt und öffentlich macht, in welchem Ministerium und in welchem Zeitraum Maßnahmen zur Umsetzung der SDGs vorgenommen werden.

- Zugleich muss zur Überprüfung der politischen und gesellschaftlichen Fortschritte ein verbindliches System von Unterzielen und messbaren Indikatoren verabschiedet werden; ebenso ist eine regelmäßige, öffentliche Berichterstattung und Überprüfung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie unabdinglich.

- Grundlage für ein zukunftsorientiertes politisches Handeln ist auch eine nachhaltige Haushaltspolitik, die sich nicht allein auf das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts bezieht. Nachhaltige Haushaltspolitik bedeutet, dass sämtliche Haushalte auf allen Ebenen hinsichtlich ihres Beitrags zur Nachhaltigkeit überprüft werden müssen. Dies betrifft insbesondere die Ausgestaltung bestimmter Subventionen, zum Beispiel  zur Förderung bestimmter Verkehrsmittel.

- Für eine konsequente Umsetzung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist ebenso eine Stärkung der institutionellen Nachhaltigkeitsstrukturen, insbesondere des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung und des Rates für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung erforderlich!

Neben diesen Veränderungen der politischen und strukturellen Rahmenbedingungen richtet sich die Agenda 2030 aber auch an uns als Kirche und Zivilgesellschaft: Jeder muss zur Erreichung der Ziele seinen Beitrag leisten!

Als Christinnen und Christen sehen wir uns in besonderer Verantwortung für die Gestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft – bei uns in Deutschland, in Europa und auch weltweit! Durch unseren Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung, für globale Gerechtigkeit und für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen engagieren wir uns bereits jetzt für eine nachhaltige Lebensweise. Dieses Engagement sollten wir zukünftig mit der Umsetzung der globalen Agenda 2030 enger verknüpfen und zugleich verstärken!

Dazu müssen wir als katholische Kirche in Deutschland unsere nationalen und internationalen Perspektiven und Akteure besser zusammenführen und vernetzen. Die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele ist nicht nur eine Aufgabe und Herausforderung für entwicklungspolitische und weltkirchliche Organisationen. Auch die Verantwortlichen aus den Bereichen Soziales, Umwelt, Wirtschaft und Arbeitsleben mit eher innenpolitischem Fokus sind bei der Umsetzung der Agenda 2030 in Deutschland gefordert!

Zugleich müssen wir, wenn wir als glaubwürdiger Anwalt und Akteur für eine nachhaltige Entwicklung in Politik und Gesellschaft wirken wollen, auch in unserem eigenen Handeln und somit in unseren eigenen kirchlichen Institutionen und Einrichtungen vorbildlich vorangehen.

Die Etablierung von Umweltmanagementsystemen und nachhaltigen Beschaffungssystemen, die Gewährleistung von gerechten und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen sowie die Anlage kirchlicher Gelder nach ethisch-nachhaltigen Kriterien am Kapitalmarkt gehören unbedingt dazu. Diese Elemente müssen nun endlich flächendeckend in allen Diözesen und allen kirchlichen Einrichtungen eingeführt werden!

Ein weiterer Aspekt ist die dauerhafte Sicherstellung einer verlässlichen Grundfinanzierung aus Kirchensteuermitteln für weltkirchliche Aufgaben und zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung. Nur dann können wir unserer Rolle und unserer Verantwortung auch praktisch gerecht werden!

Durch Aktionen, Kampagnen und Projekte sollten wir die Ziele der globalen Agenda 2030 aufgreifen und die Bewusstseinsbildung für nachhaltige Entwicklung in unseren Verbänden, Organisationen und Gemeinden noch weiter voranbringen. Eine Orientierung des eigenen individuellen Lebensstiles am Leitbild eines "Gut leben statt viel haben" verlangt ein Umdenken im eigenen Konsum- und Mobilitätsverhalten!

Dabei fangen wir selbstverständlich nicht bei null an. Es gibt bereits viele Initiativen, Aktivitäten und Projekte, die genau dieses Ziel verfolgen. Was für die Politik gilt, gilt aber auch für uns: Wir wissen oft zu wenig voneinander und über die verbandlichen oder diözesanen Aktivitäten des anderen. Daher wollen wir nun heute diese Vollversammlung nutzen, um miteinander in Austausch zu kommen und im Rahmen von Tischgruppengesprächen über unsere Aktivitäten und Vorhaben zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele ins Gespräch kommen. Die Ergebnisse dieses Austausches werden wir als Sachbereich 6 intensiv auswerten und dann einen Vorschlag zur Weiterarbeit vorlegen.

Die Zukunft weltweit nachhaltig zu gestalten und somit auch Hunger und Armut zu beenden ist möglich – wir haben es in der Hand!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Peter Weiß, Sprecher des Sachbereichs 6 "Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung"

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