Verleihung des Peter-Wust-Preises an Herrn Alois Glück
Laudatio von Prof. Dr. habil. Hans-Georg Gradl - es gilt das gesprochene Wort
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Glück,
lassen Sie mich mit einem Einblick in die Schreibstube beginnen, in der diese Laudatio entstand.
Da liegt auf dem Schreibtisch der Lebenslauf von Alois Glück, der 1940 in Hörzing im Landkreis Traunstein beginnt. Er wächst zusammen mit zwei Schwestern – nachdem der Vater schon 1944 gefallen ist – als Halbwaise auf. Die älteste Schwester ist aufgrund von Kinderlähmung an den Rollstuhl gebunden. Schon mit 17 Jahren übernimmt Alois Glück die Verantwortung für den elterlichen Hof. Er engagiert sich in der katholischen Landjugendbewegung, wird freier Mitarbeiter, unter anderem beim Bayrischen Rundfunk, bildet sich in politischen und gesellschaftlichen Fragen fort und wird – schon mit 30 Jahren – Mitglied des bayrischen Landtags.
Er führt 15 Jahre die CSU Landtagsfraktion, bekleidet zwischen 2003 und 2008 das Amt des Präsidenten des bayrischen Landtags und ist zum Zeitpunkt seines Ausscheidens 2008 mit 38 Mandatsjahren der dienstälteste Parlamentarier in Deutschland.
Aber die Vita mündet damit nicht in die Beschaulichkeit. 2009 wird Alois Glück Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dem er schon seit 1983 angehörte. Er ist Vater zweier erwachsener Kinder. Ein Sohn ist schwerstbehindert. Immer bleibt die Biographie geerdet: regional und national, in kleinen Arbeitskreisen und großen Gremien.
Neben dem Lebenslauf liegen die Veröffentlichungen von Alois Glück. Da sind nicht nur strategische Positionspapiere der CSU oder das Grundsatzprogramm der Partei vom Jahr 2007, die er maßgeblich mitgeprägt hat. Auch Monographien sind da, etwa: „Verantwortung übernehmen“ (aus dem Jahr 2000), „Warum wir uns ändern müssen. Wege zu einer zukunftsfähigen Kultur“ (erschienen 2010) oder ein 2012 veröffentlichtes Buch, das ein Gespräch mit Erzbischof Zollitsch nachzeichnet über die Bedeutung der Kirche.
Neben der Vita, den Veröffentlichungen bedecken zahllose Zeitungsberichte, Artikel, Interviews und Kommentare den Schreibtisch: Rückblicke anlässlich seines 75. Geburtstags im vergangenen Januar, Stellungnahmen in seiner Funktion als Präsident des Zentralkomitees zur Sterbehilfe, zum Dialogprozess oder zur Weltbischofssynode.
Und nochmals daneben findet sich eine Aufstellung des ehrenamtlichen Engagements und der Referententätigkeit. Um nur einiges zu nennen: Alois Glück ist Vorsitzender des Netzwerks Hospiz im Heimatlandkreis, stellvertretender Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung, Mitglied von Donum Vitae, Ehrenvorsitzender der Bergwacht Bayern und bemüht um die Verbindung von ehrenamtlichem Hospizdienst und Palliativmedizin.
Und schließlich liegt noch ein Auszug aus dem neuen Statut zur Verleihung des Peter-Wust-Preises vor mir:
„Der Preis soll verliehen werden an eine Persönlichkeit, die sich durch ihr wissenschaftliches oder künstlerisches Werk oder durch ihr privates oder öffentliches Engagement verdient gemacht hat um die Verwirklichung des christlichen Selbst- und Weltverständnisses im Sinne Peter Wusts.“
Sollte ich das Gefühl beschreiben, dass sich beim Lesen und Studieren der Dokumente, beim Verfassen dieser Laudatio einstellte: Noch selten bin ich mir bei einer Aufgabe so überflüssig und unnötig vorgekommen. Denn all das spricht ja für sich: mehr kann man nicht machen, vielseitiger kann man sich kaum engagieren!
Kurzum: Um von der Richtigkeit der Preisträgerwahl überzeugt zu sein, muss man nicht aus Bayern stammen (wobei sich gerade die bayrische Seele darüber freut). Man muss eigentlich nur ein einigermaßen interessierter Zeitgenosse und Mitbürger sein, dann leuchtet die Wahl ganz selbstverständlich und unmittelbar ein.
Damit könnte ich eigentlich schon schließen. Aber ich möchte Ihnen doch – nicht als Begründung, denn die ist längst abgegeben, eher im Sinn einer Konkretisierung – drei mit Leuchtstift unterlegte Erkenntnisse weitergeben, die mich – über das allseits bekannte hinaus – in den letzten Wochen eigens bewegt haben:
Ein Erstes: Da ist die Kultur- und Zivilisationskritik von Peter Wust, die er – prophetisch genug und erstaunlich aktuell – früh äußert. Wust warnt vor einem Fortschritt um jeden Preis – ohne Wertbindung und Folgenabschätzung. Damit wir uns richtig verstehen: Er malt Kultur und Gesellschaft nicht einfach schlecht. Wust ist kein Kulturpessimist, aber bleibt doch – Zeit seines Lebens – ein kritischer Beobachter und Mahner. Nicht alles, was machbar ist, ist auch sinnvoll, tut dem Menschen in seiner Entwicklung und für seine Selbstbefreiung gut.
Alois Glück spricht von „Freiheit und Verantwortung“. Beides gehört zusammen. Es geht nicht um eine egoistische, haltlose Selbstverwirklichung. „Nicht jeder Fortschritt macht die Welt humaner“ – schreibt er an einer Stelle. Es braucht auch ein Abschätzen, Wägen und verantwortliches Handeln. Das betrifft etwa – vor dem Hintergrund der medizinischen Entwicklung – Fragen des Lebensschutzes, gerade an den Rändern des Lebens, bei der Geburt und angesichts des Sterbens. Von Anfang an waren Sie, sehr geehrter Herr Glück, in der Umweltpolitik engagiert und das zu einer Zeit als dieses Betätigungsfeld nicht schon Allgemeingut der Parteienlandschaft war, sondern noch ein grünes „Geschmäckle“ hatte. Sie waren Mitglied der Ethikkommission für die sichere Energiegewinnung und lassen sich überhaupt von der Suche nach einem Lebensstil begeistern, der langfristig tragfähig ist. Einmal sagen Sie: „Ich fände es faszinierend, ein neues Wohlstandsmodell aus christlicher Perspektive zu entwickeln – eines, das nicht alles am Bruttosozialprodukt misst“. Der kritische Kultur- und Zivilisationsbeobachter Peter Wust hätte seine Freude daran! Ihre beiden Stimmen ergänzen sich!
Ein Zweites: Für Wust bleibt das Leben ein Wagnis, ist brüchig und zweideutig. Von der „Insecuritas“, der Ungesicherheit des Lebens – in allen Bereichen – spricht Wust. Nun kann man auf diese Welterfahrung verschieden reagieren: verdrängen, verschweigen, sich zurückziehen, resignieren, heile Gegenwelten ermauern oder in Angst versinken.
Ihre Antwort auf die „Insecuritas“ des Lebens lautet: Aufbruch, Dialog, suchen, ringen und – wiederum – verantwortlich handeln.
Wiederholt zitieren Sie einen Satz von Martin Buber: „Gott spricht zum Menschen durch die Ereignisse und Menschen, die er ihnen in den Weg schickt.“ Veränderungen, Widerwärtigkeiten und die „Insecuritas“ des Lebens beinhalten eine Botschaft. Sie sind kein Hindernis, sondern Gestaltungsauftrag. Selbst Kontroversen – Kinder der Zweideutigkeit des Lebens – bezeichnen Sie einmal als „Weg des Heiligen Geistes“. Wir bräuchten mehr Menschen, die in den Veränderungen nicht angstvoll Bestehendes zu verwalten trachten, sondern sich mutig ans Gestalten wagen: Leben, Welt und auch die Krise konstruktiv als Chance begreifen!
Ein Drittes: Zeit seines Lebens wurde Peter Wust für seinen christlichen Standpunkt, die christliche Prägung seiner Philosophie getadelt. Nicht neutral genug – sei das doch alles! Doch für ihn war der Glaube nicht eine austauschbare Zutat, sondern ein fragloser Stand- und Startpunkt und auch ein Gebot der Ehrlichkeit: Weil es ihm um den ganzen Menschen ging, musste auch die religiöse Dimension Beachtung finden in seiner Philosophie, in seinem Blick auf Leben und Welt.
Wie man so hört, haben Sie mehrfach abgelehnt bayrischer Ministerpräsident zu werden, aber – obwohl der Ruhestand schon lockte – die Wahl zum Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken angenommen. Ganz fraglos steht für Sie der Glaube im Zentrum. Und Sie messen ihm eine soziale, gesellschaftspolitische Bedeutung zu: Er gehört nicht ins stille Kämmerlein, sondern ins Leben, in die Gesellschaft, unter die Leute. „Vom Auftrag der Christen in unserer Welt“ handelt Ihr neues, eben erst erschienenes Buch. Kirche und Glaube das sind nicht beliebige Zutaten, kein „functional food“, nicht nur dann gut, wenn es krankt. Glaube ist nicht Medizin, sondern Lebens-Mittel, Grundnahrungsmittel – vollkostig und vitaminreich.
Eines betonen Sie dabei besonders: Wichtig ist das Glaubensleben, das nicht von einer mitleidigen Selbstbeschäftigung oder selbstverliebten Nabelschau erdrosselt werden darf. Es geht um den Einsatz, den selbstlosen Dienst in der Welt und für die Gesellschaft, um ein christliches „pro vobis“ – das Sie in ihrer eigenen Biographie vielfach ausbuchstabiert haben.
Drei Eindrücke aus der Schreibstube, die den inhaltlichen Dialog, die Verbindung mit Peter Wust veranschaulichen mögen.
Das besonders Schöne daran: Bei der Beschäftigung mit Alois Glück wurde es nie laut, nie hektisch, nie polternd in der Schreibstube. Ich vernahm kein tagespolitisches Säbelrasseln, sondern eine durchwegs besonnene, integre, authentische, sich nicht in den Mittelpunkt drängende Stimme: keinerlei Starallüren.
Als ein solcher Mensch war Ihnen, sehr geehrter Herr Glück, die Laudatio wohl auch ein geduldforderndes, etwas peinlich berührendes Muss, mit der wir Ihnen aber unsere allseits aufrichtige Anerkennung aussprechen möchten. Von Herzen darf ich Ihnen gratulieren und danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.
Prof. Dr. habil. Hans-Georg Gradl, Trier