Die Kraft der Vielstimmigkeit – Kirche im Dialog mit Künsten und Kulturen
Beschluss der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
Zusammenfassung
Die christlichen Kirchen gehören zu den zentralen Akteurinnen des kulturellen Lebens in Deutschland. Kunst und Kultur sind in Europa maßgeblich durch die von Dialog und Vielstimmigkeit gekennzeichneten christlichen Traditionen geprägt und leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Selbstvergewisserung einer demokratischen Gesellschaft. Kunst und Kultur vermitteln insbesondere jungen Menschen die Erfahrung der Selbstwirksamkeit und sind ein wichtiges Instrument zur Stärkung von Teilhabe und Integration.
Vor diesem Hintergrund ruft das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) dazu auf, den freien und offenen Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen auf allen Ebenen zu fördern.
Das ZdK bekennt sich zur grundgesetzlich verbrieften Freiheit der Kunst als wesentlichem Element eines demokratischen Gemeinwesens und appelliert zugleich an den Respekt vor der Würde des Anderen und seinen religiösen Überzeugungen.
Das ZdK versteht Kunst und Kultur als Ausdruck von Humanität und warnt vor einer vorwiegend ökonomischen Betrachtung. Es spricht sich für den Ausbau eines kooperativen Kulturföderalismus aus, der die Länder und Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgabe bei der Förderung von Kunst und Kultur stärkt.
Das bestehende Urheberrecht soll an die Herausforderungen und Möglichkeiten der digitalen Welt angepasst und die Künstlersozialversicherung erhalten werden.
Mit Blick auf die Zerstörung jahrhundertealter Kulturgüter im Nahen und Mittleren Osten wird ein Verbot des Handels mit geraubten Kunstschätzen gefordert.
Die Kraft der Vielstimmigkeit – Kirche im Dialog mit Künsten und Kulturen
"In der Person des Menschen selbst liegt es begründet, daß sie nur durch Kultur, das heißt durch die entfaltende Pflege der Güter und Werte der Natur, zur wahren und vollen Verwirklichung des menschlichen Wesens gelangt." (Gaudium et Spes 53)
Mit dem Konzilsbeschluss "Gaudium et spes – Über die Kirche in der Welt von heute" hat die römisch-katholische Kirche vor fünfzig Jahren ihr Verhältnis zur Welt neu bestimmt und dabei den offenen Dialog gesucht. Künste und Kulturen wurden in ihrer Bedeutung für den Menschen und die Kirchen herausgehoben, ihre Anerkennung und Unterstützung eingefordert.
Die christlichen Kirchen gehören zu den zentralen Akteurinnen des kulturellen Lebens in Deutschland. Sie leisten in ökumenischer Verbundenheit wichtige Beiträge in nahezu allen kulturellen und künstlerischen Bereichen und bieten eine große Bandbreite kultureller Infrastruktur. Deswegen nimmt das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) das Jubiläum der Konstitution "Gaudium et Spes" zum Anlass, sich zu konkreten aktuellen Fragestellungen der Kulturpolitik in unserer Gesellschaft zu positionieren. Die vorliegende Erklärung knüpft dabei an die Position des ZdK "Kultur als Aufgabe für Staat und Kirche" aus dem Jahr 1999 an und baut auf ihren Grundaussagen auf.
Christlicher Glaube, Dialog und Kultur
"Auf ihre Weise sind (…) Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Verständnis des eigentümlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrungen bei dem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden" (Gaudium et Spes 62)
Die europäische Kultur ist wesentlich durch christliche Traditionen geprägt. Durch den intensiven Austausch mit anderen Kulturen hat sie ihre heutige Form gewonnen. Bibel und Christentum gehören zu ihren Grundlagen in Recht, Wissenschaft, Werten, Denk- und Verhaltensformen. Dies gilt nicht nur in einem weiten Begriff von Kultur, sondern auch für Kultur im engeren Sinne künstlerischer Ausdrucksweisen. Davon zeugt allein schon das materielle kulturelle Erbe – die Kunstwerke von Malern, Bildhauern und Komponisten, die im Auftrag der Kirchen entstanden sind. Die über Jahrhunderte wirksam prägende Kraft der Bibel, ihrer Sprach- und Bilderwelten, hat maßgeblich mit ihrer Vielstimmigkeit zu tun. Es gehört zu den Besonderheiten dieser Heiligen Schrift, dass sie dialogisch beschaffen ist – im Verhältnis der einzelnen Schriften und Stimmen zueinander, im Verhältnis altorientalischer, jüdischer und christlicher Überlieferungen, in der Spannung von göttlicher Offenbarung und menschlicher Rede. Das Nebeneinander als heilig geltender, einander aber durchaus auch widersprechender Texte ist in der jüdisch-christlichen Tradition eine dauerhaft wirksame Provokation gewesen, und sie ist es bis heute. Sie entfaltet besonders dann ihre Kraft, wenn historische Veränderungen eine neue Auseinandersetzung mit der Tradition erfordern. Eine von ihr geprägte Kultur ist daher vielstimmig und offen in Wort und Tat.
Von der Vielstimmigkeit her ist auch der oft spannungsvolle wie fruchtbare Dialog zwischen den unterschiedlichen christlichen Konfessionen wie mit den anderen Religionen bestimmt, der die europäische Kultur mitgestaltet hat und weiter mitgestaltet – mit dem Judentum und dem Islam, aber auch mit den religiösen Überlieferungen anderer Weltteile und zunehmend laizistischen Bewegungen. Das ZdK sieht im freien und offenen Dialog mit anderen Kulturen eine grundlegende Konsequenz aus der besonderen Beschaffenheit der durch Vielstimmigkeit geprägten eigenen Überlieferung. Und es versteht umgekehrt die biblische Überlieferung als identitätsstiftende, tragfähige Grundlage der interreligiösen und interkulturellen Dialoge.
Zu einer biblisch begründeten Kultur der Vielstimmigkeit und des Dialogs gehören auch die Wahrnehmung gegenwärtiger kultureller Entwicklungen und die ausdrückliche Ermöglichung künstlerischer Avantgarde – dort, wo sie fasziniert und verzaubert, ebenso wie dort, wo sie in Frage stellt und verstört. Die Transzendierung des Alltags im künstlerischen Erleben wie in der religiösen Erfahrung begründet eine natürliche Nähe zwischen Kunst und Religion. Die Kirchen eröffnen dem Dialog mit den Künsten einen weiten Raum: in Kirchengebäuden, in Museen und Bibliotheken wie in Akademien und Bildungseinrichtungen. Dieser Dialograum muss in Kooperationen und Vernetzungen weiter ausgebaut werden und offen für alle Gruppen der Gesellschaft gehalten werden.
Die grundgesetzlich verbriefte Freiheit der Kunst ist auch das Ergebnis der Erfahrung von Zivilisationsbruch und Diktatur in unserer jüngeren Geschichte. Wir haben gelernt, dass Kunst und Kultur konstitutiv sind für unsere Demokratie. Deshalb schützt sie der Staat, deshalb respektieren die Kirchen ihre Freiheiten. Kunst kann sich gegen Religionen und ihre Institutionen wenden, sie diffamieren und religiöse Gefühle verletzen. Das Aushalten von als beleidigend und blasphemisch empfundenen Äußerungen im Rahmen gesetzlicher Grenzen gehört zum Leben in einer freien Gesellschaft. Zugleich muss von den Künsten aber auch erwartetet werden, den Respekt vor der Würde des Anderen, vor Kulturen und Religionen zu wahren.
Besonders Orte von religionskonstitutivem Rang werden derzeit Ziel von Zerstörung – Jahrtausende alte Kulturstätten werden verwüstet, Kulturgüter zerstreut. Ihre Vernichtung beraubt ganze Völker bedeutender Teile ihres kulturellen Gedächtnisses und ihrer Identität. Der Handel mit geraubten Kulturgütern sollte daher auch in Deutschland geächtet und verboten werden.
Migration, Kultur und Religion
"[Die Kirche ist] an keine Rasse oder Nation, an keine besondere Art der Sitte, an keinen alten oder neuen Brauch ausschließlich und unlösbar gebunden. Sie […] vermag so mit den verschiedenen Kulturformen eine Einheit einzugehen, zur Bereicherung sowohl der Kirche wie der verschiedenen Kulturen." (Gaudium et Spes 58)
Menschheitsgeschichte ist seit ihren frühesten Anfängen Migrationsgeschichte. Faktoren wie Bevölkerungswachstum, Zugang zu Ressourcen, Suche nach Arbeit und Wohlstand sowie Familienbildung begründen durch Jahrtausende hindurch immer wieder die Mobilität von Einzelnen und von Gruppen, ebenso wie Naturkatastrophen, Krieg, politische Verfolgung, ethnische oder religiöse Diskriminierung. Auch das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland ist seit jeher kontinuierlich von Zu- wie von Abwanderung geprägt. Diese Menschheitskonstante gewinnt heute durch zunehmende Mobilität, Globalisierung und transnationale Flüchtlingsbewegungen eine neue Qualität und Pluralität, die uns die ethnische Vielfalt unserer Gesellschaft neu wahrnehmen lassen.
Ein wesentlicher Bereich der praktischen Arbeit von Christeninnen und Christen in allen Kirchen ist im Geiste eines biblisch bestimmten Dialogs die Auseinandersetzung mit gegenwärtig verstärkten Migrationsbewegungen. Diese Entwicklungen sind nicht nur als kulturelle und soziale Probleme wahrzunehmen, sondern auch und vor allem als Bereicherung und Öffnung des Horizonts. Gegen die in Teilen der Gesellschaft sichtbaren Ressentiments und Gewalttaten gegenüber als "fremd" Stigmatisierten müssen Christinnen und Christen Stellung beziehen und Ängsten entgegenwirken. Sie sind in besonderer Weise dazu verpflichtet, mit Einwandernden zusammen eine Praxis der Gemeinsamkeit, Offenheit und Vielstimmigkeit zu entfalten. Neben dem sozialpolitischen Engagement spielen auch hier Kunst und Kultur eine wesentliche Rolle: als Ausdruck von Traditionen der Vielstimmigkeit und des Dialogs, als Wege zur Erkundung gemeinsamer Grundverständnisse, als Ertüchtigung aller Beteiligten zum Dialog. Gerade in schwierigen Situationen kann die gemeinsame kulturelle Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung tragfähiger Grundlagen des Zusammenlebens leisten. Darüber hinaus ist die Begegnung von verschiedenen Kulturen ein bevorzugter, notwendiger Moment, in dem kreativ Neues entsteht. Den Familien kommt bei der Vermittlung kulturellen Wissens eine besondere Rolle zu. Neben Schulen, Theatern, Museen, Orchestern und anderen künstlerischen und kulturellen Einrichtungen sind die Pfarrgemeinden, katholische Verbände und Organisationen sowie andere kirchliche Institutionen gefragt. Eine gezielte interkulturelle Öffnung von Einrichtungen und Organisationen für ein kulturelles Miteinander bietet die Perspektive, mit verschiedenen Gruppen ins Gespräch zu kommen und andere Kulturen zu erfahren. Voraussetzung dafür ist ein stabiles Bewusstsein aller Beteiligten für die Herkunft aus der je eigenen Kultur.
Kreativwirtschaft, Ökonomisierung und Kulturförderung
"Aufgabe der öffentlichen Gewalt ist es nicht, die Kulturformen in ihrer besonderen Eigenart jeweils festzulegen, sondern günstige Voraussetzungen zu schaffen und entsprechende Hilfen zu gewähren, um das kulturelle Leben bei allen, auch bei nationalen Minderheiten, zu fördern. Darum muß man vor allem verhindern, daß die Kultur ihrem eigenen Zweck entfremdet und politischen oder wirtschaftlichen Mächten zu dienen gezwungen wird." (Gaudium et Spes 59)
Die Kultur- und Kreativbranche gehört zu den größten Wirtschaftszweigen in Deutschland. Kultur in ihren Institutionen und Veranstaltungen ist zu einem bedeutenden Standortfaktor geworden – vom Künstlerdorf bis zur Metropole. Kultur- und Kreativwirtschaft sind durch eine hohe Dynamik gekennzeichnet, sie sind kleinteilig organisiert und durch viele selbständig Tätige geprägt. Sie bilden ein wichtiges Betätigungsfeld der Wirtschaftspolitik von Bund, Ländern und Kommunen, ebenso wie der Europäischen Union.
Aber noch viel mehr ist Kultur Ausdruck von Humanität. Die Bedeutung der Kultur als Ausdruck der individuellen und gesellschaftlichen Artikulation und Verwirklichung der Menschen steht in erheblicher Spannung zu diesem ökonomisch geprägten Alltag von Kultur. Wirtschaftliche Zwänge können die existentielle Bedeutung von Kunst und Kultur verdecken, künstlerische Freiheit eingrenzen und kreative Impulse ersticken.
Alle Teile der Gesellschaft tragen Verantwortung für eine lebendige Kultur. Sie ist nicht allein Aufgabe des Staates, doch kommt ihm die besondere Pflicht zu, sie zu schützen und zu fördern. Pluralität und Dezentralität sind konstitutiv für das Verständnis von Kultur und Kulturpolitik in Deutschland. Zugleich wird Kulturpolitik gerade in den dafür originär zuständigen Ländern und Kommunen zunehmend marginalisiert. Kulturförderung gerät durch die Sparzwänge einiger öffentlicher Haushalte zunehmend unter Druck. Als sogenannte "freiwillige Leistungen" in den Kommunen kategorisiert, weckt diese Begrifflichkeit den Eindruck, dass auf Kultur verzichtet werden kann, ja auf sie verzichtet werden muss, wenn haushaltspolitische Vorgaben dies erfordern. Unterfinanzierung oder Schließungen von Einrichtungen, Personalabbau und Privatisierungen sowie Einschnitte in die Förderung der freien Szene gefährden die Vielfalt der Kultur und den Zugang zu ihr. Länder und Kommunen müssen durch den Ausbau des kooperativen Kulturföderalismus in die Lage versetzt werden, die kulturelle Infrastruktur aufrechtzuerhalten.
Armut, Kultur und Teilhabe
"[So] erinnert die Kirche alle daran, daß die Kultur auf die Gesamtentfaltung der menschlichen Person und auf das Wohl der Gemeinschaft sowie auf das der ganzen menschlichen Gesellschaft auszurichten ist. […] Da nämlich die Kultur unmittelbar aus der vernünftigen und gesellschaftlichen Anlage des Menschen hervorgeht, bedarf sie immer des ihr zustehenden Freiheitsraumes, um sich zu entfalten, und der legitimen Möglichkeit, den eigenen Prinzipien gemäß selbständig zu handeln". (Gaudium et Spes 62)
Kulturpolitik ist immer im sozialen Kontext zu sehen und muss für alle Menschen das Recht auf kulturelle Bildung und Teilhabe sichern. Nur so lassen sich die Chancen der Einzelnen zur Identitätsentwicklung und gesellschaftlichen Partizipation erhöhen, und zwar unabhängig davon, aus welcher sozialen Gruppe oder welchem kulturellen Milieu sie stammen. Kunst- und Kulturvermittlung übernimmt damit eine wichtige Funktion gegen Ausgrenzung. Erfahrungen mit partizipatorischen Kunst- und Kulturprojekten zeigen, wie neue Formen der Kommunikation befördert und Integrationsprozesse in Gang gesetzt werden können, Handlungsfähigkeit gestärkt und somit sozialer Diffusion entgegengewirkt wird. Notwendig ist eine bezahlbare, niederschwellige kulturelle Infrastruktur für alle Menschen von Anfang an. Bedeutende Kulturgüter müssen öffentlich zugänglich bleiben. Zudem gilt es, besonders bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche zu erreichen. Darauf zielt das von der Bundesregierung initiierte Projekt "Kultur macht stark", das außerschulische Angebote der kulturellen Bildung in lokalen Bündnissen fördert, an dem sich auch die kirchliche Bildungsarbeit beteiligt.
Künstler und Kreative sind zunehmend selbst von Armut bedroht. Sie stehen im Spagat zwischen unabhängiger Schaffenskraft und der Notwendigkeit, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Besonders freischaffende Künstlerinnen und Künstler leben häufig an der Armutsschwelle und sind gezwungen, zusätzliche Arbeiten anzunehmen, um – besonders außerhalb von Projektförderphasen – ihr Überleben zu sichern. Kulturarbeit wird häufig auf der Basis atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse geleistet – mit Honorar- oder Werkverträgen, mit geringen Löhnen oder gänzlich unbezahlt. Die Kirchen sollte als faire Auftraggeberinnen hier Vorbildfunktion übernehmen. Die Künstlersozialkasse sucht den besonderen Lebensverhältnissen von Künstlerinnen und Künstlern sowie ihrer Bedeutung für die Gesellschaft Rechnung zu tragen. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zu ihrer finanziellen Absicherung. Daher ist der Erhalt der Künstlersozialversicherung nachhaltig sicherzustellen.
Digitalisierung, Kultur und Medien
"Der Austausch zwischen verschiedenen Völkern und gesellschaftlichen Gruppen [macht] die Schätze verschiedener Kulturformen der Masse und den Einzelnen immer mehr zugänglich. So bildet sich allmählich eine universalere Form der menschlichen Kultur, die die Einheit der Menschheit umso mehr fördert und zum Ausdruck bringt, je besser sie die Besonderheiten der verschiedenen Kulturen achtet." (Gaudium et Spes 54)
Die Digitalisierung nahezu aller Aspekte unseres Lebens ist heute Realität, auch im Bereich von Kultur und Medien, deren Grenzen sich dabei zunehmend verflüchtigen. Digitalisierung ermöglicht aufregende neue Kunstformen und eröffnet Teilhabechancen. Digitale Kunst, Musik und Literatur haben sich längst als eigenständige Kunstform etabliert. Direkte Beteiligungsmöglichkeiten und größere Transparenz haben demokratische Impulse gesetzt und Kommunikation von Grund auf gewandelt. Der Zugang zum Internet ist zur Voraussetzung für die Teilnahme am kulturellen, politischen und sozialen Leben geworden. Daher bedarf es des Ausbaus einer angemessenen, flächendeckenden technischen Infrastruktur und der Bereitstellung von Zugängen auch für Menschen mit geringen finanziellen Mitteln.
Doch die Wirklichkeit des Digitalen bietet neben Chancen auch Gefahren, darunter in besonderer Weise einen Mangel an Datenschutz und eine umfassende Überwachung. Problematisch ist darüber hinaus, dass Kommunikationsdynamiken im Netz häufig nur schwer absehbar, Spielregeln noch nicht ausreichend etabliert sind. Digitalisierung braucht einen gesetzlichen Rahmen, der den respektvollen Umgang der Akteure miteinander regelt und den Einzelnen schützt. Auch für das Internet müssen Schutzregeln entwickelt und Werte verteidigt werden, wie sie in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens gelten.
Im Rahmen der Digitalisierung haben sich in den vergangenen Jahren die Zugangs- und Verwertungswege von Kunst und Kultur grundlegend verändert. Geistiges Eigentum muss auch im Internet einem besonderen Schutz unterliegen. Daher besteht die Notwendigkeit, das Urheberrecht an die Herausforderungen der digitalen Welt anzupassen. Kreative müssen angemessen an der Wertschöpfung aus ihren intellektuellen und künstlerischen Leistungen beteiligt werden. Der Schutz des geistigen Eigentums darf nicht dazu führen, dass alltägliche Kommunikation und kreative Schöpfungen in ihren zeitgemäßen Ausdrucksformen behindert werden. Ausdrücklich geht es dabei nicht um eine "Gratiskultur", sondern um eine rechtliche Absicherung gesellschaftlich-kultureller Praktiken von Collage und Zitat-verwendungen.
Baukultur, Kirchengebäude und Stadt
"Schon durch die Erfüllung der eigenen Aufgabe treibt die Kirche die menschliche und mitmenschliche Kultur voran und trägt zu ihr bei; durch ihr Wirken, auch durch ihre Liturgie, erzieht sie den Menschen zur inneren Freiheit." (Gaudium et Spes 58)
Ein Blick in die europäische Stadtbaugeschichte zeigt, dass Kirchbauten und ihre Umgebung maßgeblich die physische Struktur der Stadt bestimmt haben. Die Gestalt des europäischen Städtebaus ist ohne sie nicht denkbar. Nach wie vor spiegeln sich Machtverhältnisse im Bauprogramm der Städte wider, nur spielen die Kirchen dabei kaum noch eine entscheidende Rolle. Das sind nur die offensichtlichen Zeichen eines schon lange währenden Paradigmenwechsels in den Städten. Auch auf dem Land zeigen sich die sozialen Veränderungen, hier wird um den Erhalt von Kirchengebäuden gerungen. Es geht um eine weitere Verwendung der architektonischen Hülle und des besonderen Innenraums, nachdem der Kirchenbau als liturgischer Ort aufgegeben wurde. Auch danach bleiben die Kirchen bedeutende Kulturorte, um deren neue Bestimmung heftig gerungen wird. Diese Auseinandersetzungen zeugen von der bleibenden Bedeutung der sakralen Bauten. Kirchen sind immer architektonisch prägnante Orte, vor allem soziale Orte, besonders für die Gläubigen, aber auch für viele andere. Sie sind öffentliche Gebäude, die jeder rechenschaftslos nutzen kann und in die sich jeder auch alleine, zweckfrei zurückziehen darf. Mehr denn je sind sie Oasen der Ruhe in einer Stadt, in der nahezu jeder Platz – eher laut als leise – eine ökonomisierte Bestimmung hat. Deswegen werden die Kirchenbauten als Gegenpol zu den zweckgebundenen Räumen erst recht benötigt.
Die Stadt braucht beides: die Anonymität des Stadtkörpers ebenso wie einzelne Orte der Orientierung. Dazu gehören Kirchengebäude. Aktuellen Kirchenbau gibt es, wenn überhaupt noch, meist in neuen Siedlungsgebieten, an Stadträndern und in Ortserweiterungen. Es gibt allerdings Beispiele, die zeigen, dass besondere Plätze durch Kirchenneubauten entstehen. Dabei ringt man um eine architektonische Sprache, die angemessen und zugleich zeitgenössisch ist. Seit jeher bietet der Kirchenbau die Möglichkeit, Architektur neu zu interpretieren und zu erfinden. Die Chance, einen Beitrag zur zeitgenössischen Architektur zu liefern, müssen die Kirchen in ökumenischer Gemeinschaft mutig wahrnehmen. Hier Position zu beziehen mit dem Anspruch von Qualität und Langlebigkeit, bleibt auch in Zukunft die Aufgabe und Verantwortung der kirchlichen Auftraggeber. Als einem der wenigen Auftraggeber öffentlicher und sozialer Bauten in Städten und Siedlungen kommt ihnen auch in einer säkularen Gesellschaft eine besondere Verantwortung zu.
"Wie schön sind die Städte, die auch in ihrer architektonischen Planung reich sind an Räumen, die verbinden, in Beziehung setzen und die Anerkennung des anderen begünstigen!" (Evangelii Gaudium 210) In seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii Gaudium" hat Papst Franziskus, ausgehend vom Konzilsbeschluss "Gaudium et Spes", die Bedeutung der Vielfalt der Kulturen und ihrer kontinuierlichen Veränderungen für die Menschen betont. "Es geht um ein Abkommen für das Zusammenleben, um eine gesellschaftliche und kulturelle Übereinkunft." (Evangelii Gaudium 239) Im Dialog mit Künsten und Kulturen in ihrer Vielstimmigkeit können Christinnen und Christen an einer solchen Übereinkunft mitwirken und sich einsetzen für die Kultur in unserem Land.