Das katholische Ehe- und Familienverständnis und die vielen Lebensentwürfe heute

Einführung von Birgit Mock, familienpolitische Sprecherin des ZdK, im Rahmen der Rätetagung

Sehr geehrte Damen und Herren Rätinnen und Räte,

mit ihrem Sprecherteam,

sehr geehrter Herr Prof. Laux,

lieber Herr Glück, Herr Wolf, Stefan Vesper,

 

ich danke Ihnen ganz herzlich für die Einladung nach Regensburg zu Ihrer Tagung und freue mich sehr, dass Sie das Familienthema auf der Tagesordnung haben: „Das katholische Ehe- und Familienverständnis und die vielen Lebensentwürfe heute.“

Mein Ziel als Sprecherin ist, dass wir im ZdK eine sachgerechte, angstfreie, würdevolle und authentische Debatte dazu führen können. Das würde dann auch weiter in die Kirche ausstrahlen!

Ihre Beschäftigung mit dem Thema ist für mich ein positives Beispiel dafür – ich freue mich sehr darüber! - und ich habe einige konkrete Fragen mitgebracht, über die ich mit Ihnen in diesem Sinne nachher gern ins Gespräch kommen würde.

 

Für den heutigen Impuls will ich mich auf die Felder beschränken, die im päpstlichen Familienfrage­bogen angesprochen wurden und zu dem wir Ende Januar die Antwort der Deutschen Bischofskonferenz erwarten. Besonders erfreulich in diesem Zusammenhang sind Antworten aus Diözesen, die man so nicht unbedingt erwartet hätte - nicht nur, weil sie veröffentlicht wurden, sondern weil sie auch die Unterschiede zwischen kirchlicher Lehre und kirchlicher Realität sehr deutlich benennen.

 

Als Zentralkomitee haben wir den Familienfragebogen ebenfalls beantwortet. Sie haben diesen Text in voller Länge in Ihren Unterlagen. Die Gliederung der ZdK-Antworten ist auch die Struktur der folgenden Punkte, die ich als Anstöße für unsere Diskussion vorstellen möchte:

  1. Familienpastoral im Kontext der Evangelisierung
  2. „schwierige Ehesituationen“
  3. Homosexualität und gleichgeschlechtliche Partnerschaften
  4. Erziehung von Kindern in „irregulären Ehesituationen“
  5. „Offenheit der Eheleute für das Leben“

 

 

1.    Familienpastoral und Evangelisierung

 

Ehepaare und Familien sind nicht nur Adressaten der Evangelisierung, sondern durch ihr Zeugnis und ihr Beispiel auch Akteure bei der Verkündigung der frohen Botschaft.

Sie leben ganz unmittelbar die zentrale Botschaft der Nächstenliebe vor, indem sie als Ehepartner sowie als Eltern und Kinder (über mehrere Generationen hinweg) füreinander Verantwortung übernehmen und in guten wie in schlechten Tagen solidarisch zusammenstehen.

Insofern dient der Evangelisierung das, was dem Lebensmodell von Ehe und Familie dient.

Und Familien benötigen eine Stärkung durch Kirche, Gesellschaft und Politik, damit das ver­letzliche Familienleben, das so vielen Einflüssen ausgesetzt ist, gelingen kann.

Soweit einige Auszüge aus der ZdK-Antwort.

Hier sind wir an einer sehr interessanten Schnittstelle zwischen Pastoral und Politik. Die politischen Begriffe, die in diesem Zusammenhang immer genannt werden sind: Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur!

 

Und der zweite Aspekt, der hier bereits aufscheint, ist die Bandbreite dessen, was mit Familie gemeint ist: Ehepartnerin/Ehepartner, Eltern, d.h. Väter und Mütter, aber auch die Großfamilie, also „Familie über mehrere Generationen hinweg“: Familie ist auch da, wo Großeltern für ihre Enkel oder wo Tanten und Onkel für ihre Neffen und Nichten Verantwortung übernehmen bzw. umgekehrt, wo die Jungen Verantwortung übernehmen für die Alten.

Wenn wir an dieser Stelle einen Blick in die Bibel werfen, vor allem ins Alte Testament, werden wir ebenfalls einen sehr weiten Familienbegriff vorfinden.

Sie alle also sind Akteure der Verkündigung, durch die Verbindlichkeit, mit der sie in Beziehungen leben, durch das generationenübergreifende Engagement und auch durch eine Geschwisterlichkeit im Glauben.

 

 

2.    „Schwierige Ehesituationen“

 

Ein Eheversprechen ist keine Garantie für den Dauerbestand menschlicher Liebe. Ehen können scheitern. Und das Scheitern einer Ehe ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Leichtfertigkeit und mangelnder Versöhnungsbereitschaft. Manchmal möchte man fast ergänzen: im Gegenteil. 

Das ZdK-Präsidium schreibt dazu:

„An dieser Stelle wird besonders deutlich und schmerzlich bewusst, dass in unserem Alltag oft eine große Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und der Lebenswirklichkeit vieler getaufter und gefirmter Katholikinnen und Katholiken besteht.

Die Wertschätzung der Unauflöslichkeit der Ehe wird bei Gläubigen, wie in der Gesellschaft insgesamt steigen, wenn die Kirche die unverbrüchliche Liebe Gottes auch bei einem tragischen und schuldvollen Scheitern lebensdienlich erfahrbar macht.

Der Weg einer begründeten, fundierten Gewissensentscheidung für den Sakramentenempfang hebt keineswegs den Grundsatz der Unauflöslichkeit der vor Gott geschlossenen Ehe auf. Im Vordergrund steht hier aber nicht das lehramtliche Gesetz. Zuerst kommt die Zuwendung Gottes zu den Menschen.

Viele Ehen sind heute stark belastet! Durch finanzielle Sorgen, durch Rollenneubestimmungen, durch „Care-Aufgaben“: so sorgt sich die mittlere Generation um Kinder, um kranke Eltern und ist gleichzeitig in einem Alter, in dem die eigene Berufslaufbahn Kraft und Einsatz verlangt.

Und trotz aller Schwierigkeiten: Für junge Menschen ist Treue in einer Partnerschaft einer der drei zentralen Wünsche. Das hat die Studie von Prof. Allmendinger zu „Lebensentwürfen von jungen Frauen und Männern“ unlängst wieder gezeigt. 2007 hatte sie 2000 16-29Jährige befragt und jetzt 500 von ihnen nochmals. „Treue“ meint für die Befragten dabei nicht nur die Erwartung, dass der Partner/die Partnerin nicht fremdgeht, sondern auch, dass man in schweren Zeiten zusammenhält.

Diese Wünsche junger Menschen (neben Treue auch Unterstützung und Unabhängigkeit) sind ein sehr positives Indiz dafür, dass verlässliche Familienformen nach wie vor attraktiv sind.

Es sollte uns also weiter beschäftigen, die Attraktivität von stabilen Beziehungen zu erhalten und zu fördern, stabile Beziehungen auch in Durststrecken zu begleiten, und dann, wenn Beziehungen scheitern, für die Menschen da zu sein.

Es lohnt sich auch, über einen weiteren Aspekt nachzudenken: Haben nicht alle verbindlichen Lebensformen, die vor dem Angesicht Gottes gelebt werden, ein Moment der Sakramentalität? Das kann uns auch hinführen zu neuen Möglichkeiten.

 

 

3.    Homosexualität und gleichgeschlechtliche Partnerschaften

 

„Es gibt unter den Gläubigen unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen zur Homosexualität. Den einen gilt sie als eine moralisch nicht erlaubte Form menschlicher Sexualität.“ – so steht es zumindest im Katechismus von 1992 –

„Viele andere sehen gleichgeschlechtliche Partnerschaften als Ausdruck und Form tiefer personaler Liebe, die moralisch nicht abgewertet werden sollte. Auch werten viele Gläubige die rechtliche Angleichung gleichgeschlechtlicher Lebens­partnerschaften an die Ehe nicht als Abwertung, sondern sogar als Wertschätzung und Bestätigung des Modells der Ehe von Mann und Frau.

 

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in einer auf Dauer und wechselseitige Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Verantwortung angelegten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft Werte wie in einer Ehe verwirklicht werden“.

 

Die Debatte in Baden-Württemberg um den Entwurf des Bildungsplans 2015 zeigt, welchen Tabus wir begegnen, wenn es um das Thema Sexualität bzw. Homosexualität geht. Ich persönlich möchte an dieser Stelle daher ausdrücklich dem Vorstand des Freiburger Diözesanrates danken, der in seinem Brief an Staatsminister Stoch dafür eingetreten ist, eine Sprachfähigkeit und eine Auseinandersetzung zu ermöglichen, die schon bei den jungen Menschen in der Schule (und im Übrigen auch in der Familie) beginnt.

 

Einige Passagen im Katechismus – nicht nur diejenigen zu Homosexualität, die sich im Kapitel über Keuschheit finden, sondern auch diejenigen über das sog. „Verhältnis“, in dem Mann und Frau ohne Ehe zusammenleben und deren Geschlechtsakt als schwere Sünde bewertet wird – sind in meinen Augen sehr problematisch. Ich verstehe es als Dienst an der Kirche, mit freundlicher Sturheit darauf hinzuweisen, dass hier ein Grund für die Entfremdung vieler Katholikinnen und Katholiken von der Glaubenslehre ihrer Kirche liegt und dass drängender Handlungsbedarf besteht.

Wir entwerten diese Positionen immer weiter, indem wir das so hinnehmen und nicht mehr darum ringen. Ich hoffe, dass auch die Bischofssynode dies zum Thema macht.

 

Parallel sind wir in der täglichen pastoralen Praxis gefragt und die Frage von rechtlicher Gleichstellung wird uns in Zukunft ebenfalls weiter beschäftigen.

 

 

4. „Erziehung von Kindern in irregulären Ehesituationen“ bzw. Umgang mit der Pluralität von Familienformen:

 

„Die Ehe ist unserer Überzeugung nach der beste, aber in Anerkennung der gesellschaftlichen Realität nicht der einzige Weg und die einzige Basis, Familie verantwortlich zu leben.“

„Nach wie vor sind bei der großen Mehrheit der Familien mit Kindern die Eltern verheiratet.“ Laut Familienreport 2012 sind von 8,1 Millionen Familien mit Kindern 5,7 Millionen ehebasiert (= 70%). „Die Verbindung von Ehe und Familie sollte als das mehrheitliche Lebensmodell in ihrer quantitativen und qualitativen Bedeutung keinesfalls kleiner gemacht werden, als sie tatsächlich ist. Doch zugleich ist auch festzustellen: Die gesellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland kann mit der Zuordnung zu den Kategorien „regulär / irregulär“ nicht angemessen erfasst werden.“

Die Ehe ist ein wunderbares Modell. Das kann ich auch nach fast zwanzig Ehejahren, nach guten und nach schweren Zeiten, für mich sagen. Ich würde sie jederzeit bewerben und dafür eintreten, dass sie eher an Attraktivität gewinnt und nicht verliert.

Es bietet sich an, sie zum Ausgangspunkt unserer familienpolitischen Fragestellungen zu nehmen.

 

Aber: Wir sollten aufhören, die Ehe moralisch zu überhöhen und auf ein Podest zu heben. Die Gefahr ist, dass sie dann umso tiefer fällt.

Und: Alle anderen Familienformen und -modelle sollten sich in unserer Betrachtung nahtlos anschließen. Wir sollten uns um eine Begrifflichkeit bemühen, die das anerkennt, was Menschen verantwortungsvoll leben. Wir sollten nicht vergessen, dass hinter der Sprache die jeweilige Haltung steht. „Irregulär“ wirkt in diesem Zusammenhang abwertend, ausgrenzend und ist als Begriff in keiner Weise angemessen.

 

 

5. „Offenheit der Eheleute für das Leben“

 

„Viele Gläubige können nicht nachvollziehen, dass jeder eheliche Akt auf die Zeugung hin offen sein muss. Sie sehen darin nicht den einzigen sinnstiftenden Aspekt menschlicher Sexualität. Insofern können sie auch die Unterscheidung zwischen erlaubten (natürlichen) und verbotenen (technischen) Methoden der Empfängnisverhütung nicht nachvollziehen.

Ein sehr großer Konsens herrscht in der Kirche allerdings darüber, dass sich alle Methoden der Empfängnisregelung daran messen lassen müssen, ob sie das Wohl und die Würde der Frauen und Männer gleichermaßen respektieren.

Die katholische Sexualethik ist aber bei weitem nicht der einzige relevante Bezugspunkt, wenn es um die Offenheit der Eheleute für das Leben geht. Nicht weniger aufschlussreich ist ein Blick auf die Motive und die Blockaden von jungen Paaren, wenn es darum geht, einen Kinderwunsch zu realisieren.“

80 % der unter 30jährigen wünschen sich laut Familienreport 2012 eine Familie. Trotzdem können (oder wollen) viele von ihnen wegen der strukturellen Rücksichtslosigkeiten gegenüber der Familie diesen Wunsch nicht verwirklichen.

Hier sind wir dann wieder bei den Herausforderungen Zeit, Geld und Infrastruktur und einer familienfreundlichen Haltung von Gesellschaft und Kirche.

 

Damit schließe ich und lade Sie für unsere Diskussion zu folgenden Fragen ein: 

- Was ist Ihnen zum Thema Familie wichtig?

- Was möchten Sie uns für die weitere Debatte im ZdK mitgeben?

- Was wollen Sie zum Thema Familie in Ihrem Umfeld angehen?

 

Herzlichen Dank!

Birgit Mock, familienpolitische Sprecherin des ZdK

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