Auf dem Weg zum 100. Deutschen Katholikentag Leipzig 2016
Dr. Stefan Vesper im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
100, meine Damen und Herren, da werden Sie mir zustimmen, ist eine besondere Zahl. Noch vor wenigen Jahren war es jeder Lokalzeitung mindestens eine Meldung mit Bild wert, wenn eine Bürgerin oder ein Bürger dieses "biblische" Alter erreichte. Wenn der Bäcker an der Ecke, ein Bankhaus oder ein international agierender Autohersteller auf 100 Jahre Firmengeschichte zurückblicken kann, dann sind dies ebenfalls Ereignisse, die im jeweiligen Rahmen größtmöglich gefeiert werden. Schließlich hat, wer heute ein solches Jubiläum begehen kann, vieles erlebt und oft auch manches durchlitten, was auch ein früheres Ende hätte bedeuten können. Für die hundertjährige Nachbarin waren dies zumindest zwei grauenvolle Kriege, vielleicht auch manch schwere Krankheit, von persönlichen oder familiären Schicksalsschlägen ganz zu schweigen. Ein Wirtschaftsunternehmen musste durch Krisen und Absatzschwankungen hindurch gesteuert werden, durch finanzielle Schieflagen vielleicht, die schnell auch das Aus hätten mit sich bringen können. Wer die 100 "geschafft" hat, darf also mit Recht froh und dankbar sein.
Auch wir, meine Damen und Herren, werden bald ein großes Jubiläum feiern können. Der nächste Katholikentag wird der hundertste sein. 100 Deutsche Katholikentage in einer dann genau 170 Jahre währenden Geschichte: Das macht uns so schnell keiner nach. Das wird uns wohl nie jemand nachmachen. Denn die Deutschen Katholikentage waren und sind ein Unikat. Nicht nur, was die Dauer ihrer Geschichte betrifft. Schon die Geburtsstunde des ersten Deutschen Katholikentages war außergewöhnlich. Deutschland hatte gerade eine Revolution erlebt, eine bürgerliche Revolution – geradezu ein Paradox. Katholiken nutzten die Gunst dieser Stunde und sie nutzten die Errungenschaften dieser Revolution geschickt, konsequent und zielstrebig. Sie schlossen sich in Vereinen zusammen, sie nutzten Koalitions-, Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit, gründeten Buch- und Zeitungsverlage, um sich gegen einen Obrigkeitsstaat zur Wehr zu setzen, der sie bis dahin drangsaliert und schikaniert hatte. Um ihre politische Schlagkraft noch weiter zu erhöhen, trafen sich diese katholischen Vereine im Herbst 1848 zu einer ersten Generalversammlung. Und nicht von ungefähr fand diese in Mainz am Rhein statt, nur wenige Kilometer entfernt von Frankfurt, wo in der dortigen Paulskirche zur selben Zeit die Nationalversammlung um eine neue deutsche Verfassung rang. Mehr als 1.000 Eingaben haben die Katholiken in Mainz in diesen Tagen formuliert und nach Frankfurt geschickt.
Wenn Sie es, sehr geehrte Damen und Herren, also nicht längst wussten: Die Deutschen Katholikentage waren von Anfang an politische Ereignisse von allerhöchstem Rang. Wären sie es nicht gewesen, so hätte auch der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck wohl kaum Notiz und schon gar keinen Anstoß daran genommen. Das Gegenteil war aber der Fall und deshalb klafft in der Geschichte der Katholikentage, die damals zunächst jährlich stattfanden, z.B. im Jahr 1878 eine erste Lücke. Das Zentralkomitee, 1868 gegründet, um die Katholikentage vorzubereiten, musste während des Kulturkampfes sogar regelrecht in den Untergrund gehen. Doch durch diese Zwangspause rückten engagierte katholische Vereine und katholisch motivierte Politiker in den Folgejahren nur noch dichter zusammen. Bis 1890 fand kein Katholikentag mehr statt, an dem nicht Ludwig Windthorst, der "kleine große Zentrumsführer", in den Schlusskundgebungen flammende Reden hielt. Auch nach dem 1. Weltkrieg, der eine zweite Unterbrechung mit sich brachte, knüpften die inzwischen viele Millionen zählenden katholischen Vereine an diese Tradition der Generalversammlungen an und machten sie zu wahren Heerschauen des Katholizismus, die – dies sei hier nicht verschwiegen – von manchem Bischof mit zunehmendem Argwohn beäugt wurden. Aber Schuld daran, dass 1933 die Folge der Katholikentage erneut und dieses Mal besonders lange unterbrochen wurde, trugen andere. Weil sich der damalige Präsident des Zentralkomitees der Katholiken strikt weigerte, den von ihm geforderten Treueeid auf Adolf Hitler zu leisten, wurde der für das Jahr 1933 bereits geplante Katholikentag kurzerhand verboten. Es folgten Jahre, die auch für weite Teile der katholischen Kirche und insbesondere für den organisierten Laienkatholizismus, zu den dunkelsten ihrer Geschichte werden sollten. Katholische Vereine wurden verboten, zwangseingegliedert, viele ihrer Mitglieder bespitzelt, verfolgt, gefoltert und in Gestapokellern oder KZs ermordet. Im sogenannten Tausendjährigen Reich sollte es keine Organisationsformen, weder politische noch kirchliche, mehr geben, die den weltanschaulichen Monopolanspruch der Naziideologie hätten infrage stellen können. Doch die Idee des Katholikentags hat auch dies überlebt – in den Köpfen von Männern und Frauen, die davon überzeugt waren, dass katholische Laien einen eigenen gesellschaftlichen Auftrag haben, der durch nichts und niemanden, auch nicht durch Priester und Bischöfe, ersetzt werden kann. 1948, ein Jahrhundert nach Gründung der Deutschen Katholikentage, traf man sich wieder - wieder in Mainz und wieder mit dem festen Willen, im Geist der katholischen Soziallehre beizutragen zur Gestaltung der Gesellschaft und mitzuwirken an einer friedlichen und gerechten Zukunft Deutschlands, in der jeder Mensch aufgrund seiner unveräußerliche Würde die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten hat.
Ich beende an dieser Stelle meinen kurzen historischen Rückblick, weil ich Ihnen allen unterstelle, dass Sie die Geschichte Deutschlands, die Geschichte der katholischen Organisationen und Institutionen und die Geschichte der Deutschen Katholikentage der Nachkriegszeit kennen oder zumindest eine Vorstellung davon haben, dass von hier aus weiterhin wesentliche Impulse sowohl in die Politik als auch in unsere Kirche ausgingen. Ich habe diesen historischen Rückblick aber sehr bewusst als Einstieg gewählt, weil es mir wichtig war, Ihnen allen dieses vor Augen zu führen: Katholikentage waren von Anfang an eine besondere Ausdrucksform eines gut organisierten, selbstbewussten, politisch positionierten Laienkatholizismus. In dieser Tradition stehen die Katholikentage bis heute, natürlich in ihren Formen immer wieder einem Wandel unterzogen - und mit ihren Themen (hoffentlich) immer auf der Höhe der Zeit.
Der kommende Katholikentag wird in dieser Reihe der hundertste sein. Das ist für uns, für uns alle, die wir heute hier sind und für die wir hier sind, eine große Chance, aber auch eine große Herausforderung. Wir werden den 100. Katholikentag in Leipzig feiern, in einer Stadt, in der etwa vier Prozent der Bevölkerung katholisch getauft sind und kaum mehr als zehn Prozent evangelische Christen sind. Wir hätten es – vielleicht – „leichter“ haben können, z.B. in einer Stadt im traditionell „katholischen“ Süden oder Westen Deutschlands. Aber wir wollten nach Leipzig! Wir wollten endlich wieder in einer ostdeutschen Diözese einen Katholikentag veranstalten, einen Katholikentag feiern.
Leipzig ist eine wunderbare Stadt. Es ist eine große, moderne Stadt, die in der Welt einen wohlklingenden Namen hat, eine Messestadt, eine Stadt der Bücher und Verlage, eine Stadt der Kultur. Hier haben große deutschen Musiker gewirkt; Thomaskirche und Gewandhaus haben Weltruf. Hier haben Goethe und Schiller gelebt und gearbeitet. Hier wohnten und wohnen die Künstler der Leipziger Schule. Leipzig ist eine Stadt der Wissenschaften, mit einer bedeutenden Universität. Leipzig ist eine traditionsreiche Stadt des Rechts, zum Beispiel hat hier das Bundesverwaltungsgericht seinen Sitz. Leipzig ist aber auch die Stadt, die uns zuerst vor Augen tritt, wenn wir an die politische Wende von 1989 denken. Montag für Montag haben sich Christen und auch Nichtchristen in der evangelischen Nikolaikirche versammelt, oft im stundenlangen Schweigen für einen Wandel der politischen Verhältnisse gebetet und dafür, dass dies ohne Blutvergießen geschehen möge. In ihren Montagsdemonstrationen haben die Menschen dieser Stadt größten Mut und außergewöhnlich Zivilcourage gezeigt und damit auf eine Art und Weise, die uns bis heute tief beeindrucken muss, mit dazu beigetragen, das SED-Unrechtsregime zu Fall zu bringen.
Wenn wir den 100. Deutschen Katholikentag in Leipzig feiern, dann soll all dies dort auch zur Sprache kommen und gewürdigt werden. Der Leipziger Katholikentag wird keine geschlossene Gesellschaft sein, so wie dies noch nie ein Katholikentag gewesen ist! Wir laden alle Menschen, die in Leipzig leben und arbeiten, ob an den Hochschulen, in den Einrichtungen von Wissenschaft und Forschung, in Industrie und Handel, in den vielen Kulturinstitutionen herzlich zum Katholikentag ein. Wir laden alle Christinnen und Christen, gleich welcher Konfession, ein, mit uns dieses Ereignis vorzubereiten und zu feiern. Wir möchten in Leipzig auch mit Menschen anderer Religionen ins Gespräch kommen und ausdrücklich auch mit jenen, die sich zu keiner Religion bekennen.
Wir wissen und haben es auch schon in den letzten Wochen erfahren, dass viele von ihnen uns mit großer Skepsis begegnen und in der Vorstellung leben, von einem Katholikentag könne für Leipzig wohl nicht viel Gutes ausgehen. Wir laden gerade diese Menschen ein, mit uns ins Gespräch zu kommen, den Vorbereitungsprozess des Katholikentags aufmerksam und kritisch zu verfolgen, aber sich auch aus nächster Nähe und in der persönlichen Begegnung ein eigenes Bild zu machen. Ja, der Leipziger Katholikentag wird eine Veranstaltung sein, die von engagierten Männern und Frauen vor allem aus der katholischen Kirche verantwortet wird, aber er wendet sich ausdrücklich an alle Menschen guten Willens, auch und gerade auch dann, wenn sie unseren Glauben und unsere Ansichten nicht teilen. Wenn wir als Katholikinnen und Katholiken einen Beitrag zur Humanisierung unserer Gesellschaft, für mehr Frieden in Europa und für mehr Gerechtigkeit weltweit leisten wollen, dann können wir dies nicht, wenn wir uns in die Pfarrsäle und kirchlichen Jugendheime der wenigen katholischen Leipziger Gemeinden zurückziehen. Ganz im Gegenteil: Katholikentage sind Orte des Dialogs, der kritischen und durchaus auch strittigen Auseinandersetzung mit allen relevanten Fragen unserer Zeit.
Leipzig liegt im Osten Deutschlands, Leipzig liegt in der katholischen Diaspora. Ganz sicher werden Katholikinnen und Katholiken aus den östlichen Diözesen in großer Zahl zum Katholikentag kommen. Aber es wäre deprimierend, wenn wir ihnen aus unseren anderen Landesteilen und Diözesen nicht ebenso zahlreich entgegenkommen würden. Der 100. Deutsche Katholikentag soll auch ein Ort der Begegnung werden. Aus diesem Grund lade ich Sie hier und heute noch einmal sehr herzlich, aber auch nachdrücklich ein: Kommen Sie nach Leipzig! Werben Sie für Leipzig! Machen wir gemeinsam diesen 100. Deutschen Katholikentag zu einem großartigen Ereignis, zu einem Fest von Christinnen und Christen aus allen Teilen unseres Landes und aus allen Konfessionen. Nehmen Sie diese Einladung, diesen Appell von dieser Vollversammlung mit hinein in Ihre Verbände, in Ihre Gemeinschaften, in Ihre Diözesen. Werden Sie Multiplikatoren für das Projekt "100. Deutscher Katholikentag". Machen Sie die Menschen, für die Sie heute hier sind, jetzt schon aufmerksam auf den 100. Deutschen Katholikentag. Laden Sie sie ein, dieses Jubiläum mitzufeiern. Niemand sollte im Frühjahr 2016 sagen können, er habe von diesem Termin nichts gewusst und deshalb die Zeit zwischen dem 25. und 29. Mai 2016 leider bereits anders verplant. Ab heute zählen wir auf Ihre vielfältige und engagierte Unterstützung.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken - und das sind wir alle -, ist der Veranstalter der Deutschen Katholikentage. Auf uns, auf Sie kommt es an, dass der 100. Deutsche Katholikentag ein Erfolg wird.
Vielen Dank.
Dr. Stefan Vesper