Wer ist Klaus Hemmerle für Sie und welche Zukunftsansätze und Impulse gehen vom Leben und Denken Hemmerles aus?

Rede von Dr. Claudia Lücking-Michel -es gilt das gesprochene Wort.

Spurensuche

Ich habe Bischof Klaus Hemmerle nur einmal selbst persönlich erlebt: als Prediger und Hauptzelebrant beim großen Jahrestreffen des Cusanuswerk im Jahr 1993. Zur Beantwortung Ihrer Frage mach ich mich deshalb zunächst auf Spurensuche. Klaus Hemmerle, seine Person, seine Gedanken und seine Theologie in meinem Leben? Ich finde deutliche Spuren, alle vermittelt, übersetzt durch andere mir lebens-wichtige Personen.

1. Der Geistliche Assistent des ZdK

Vor dem großen Sitzungssaal des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dessen Rektor und Geistlicher Assistent Hemmerle war, steht – etwa auf Augenhöhe – der bronzene Abguss seines Kopfes. Sein markantes und ausdrucksstarkes Gesicht schaut mich bei meinen vielen Terminen dort im Haus regelmäßig an. Und ich - übersehe es in der Regel. „Sein Kopf“  – im guten Sinne - zum Inventar.

Vielleicht ein Symbol für die Präsenz Hemmerles in und für die Arbeit des ZdK: Sein Namen fällt nicht mehr oft, Zitate und Verweise auf ihn kommen explizit kaum vor. Doch seine theologischen Ansätze, seine Schwerpunkte und seine Prägung unserer Arbeit sind nachhaltig, spürbar und weiterhin fruchtbar.

Am deutlichsten wird dies für mich in dem großen Ringen um gelebten Dialog in unserer Kirche. Der aktuelle Dialogprozess im Bereich der deutschen Bischofskonferenz, das Verständnis von Dialog und seine religionsphilosophischen Grundlagen wären nicht möglich ohne die Impulse von Klaus Hemmerle. Nicht zuletzt vermittelt durch die langjährige Vizepräsidentin des ZdK Annette Schavan und ihr Buch „Dialog statt Dialogverweigerung“ hat dies große Wirkung entfaltet.

2. Der Religionsphilosoph

Die Stunden, die ich als Studentin, als Doktorandin und als Mitarbeiterin von Prof. Peter Hünermann in seinem Arbeitszimmer an der Uni Tübingen verbracht habe, kann ich nicht zählen. Anspruchsvolle, fördernden und fordernden Gespräche, Dienstanweisungen, Oberseminare, Rückmeldungen zu meiner Dissertation. Für mich immer im Blick: Die Totenmaske von Bernhard Welte, die an der Wand hinter dem großen Schreibtisch hing. Wie oft haben ich deren Gesichtsausdruck erforscht, mir versucht den Menschen Welte vorzustellen, habe mich erschrocken vor dem Moment, der hier festgehalten wurde und mich gewundert, wie man sich so etwas in seinem Zimmer aufhängen kann.

Nicht nur der Mensch Welte war hier präsent, sondern vor allem auch seine Religionsphilosophie, seine phänomenologische Gedankenwelt durchtränkt von Heideggerschem Sprachspiel und in Abgrenzung von dessen Positionen. Präsent war sie durch sein Schülerteam Bernhard Casper, Peter Hünermann und Klaus Hemmerle, die jedes Jahr zusammen in den Skiurlaub fuhren, als Dreier-Kleeblatt wahrgenommen wurden – bei allem, was sie auch voneinander trennte bzw. unterscheidet.

Bei Hemmerle selbst ist die Bedeutung seiner Begegnung mit Bernhard Welte offenkundig. Dessen Religionsphilosophie, die er an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg kennenlernte, „legte in ihm diese Art des Sehens und Denkens frei, die offen war für jede Wirklichkeit. Sie schärfte seinen Blick gleichzeitig die Welt und für das Ideal der Einheit und dadurch für die Kirche.“ (Hagemann)

Ich zitiere meinen verehrten Lehrer heute selten, verweisen kaum einmal auf Welte, Hünermann oder Hemmerle, aber mehr als mir wahrscheinlich selbst noch bewusst ist, bin ich geprägt von ihrer Art Religionsphilosophie und Theologie zu denken und zu leben.

Ob das aber in der deutschen Theologie 2013 noch eine Rolle spielt? Ob ihre Art die Anstrengung des Begriffs, das Ringen um die Vereinbarkeit von Ratio und Fides voranzutreiben in den Gedanken heutiger Studierender noch eine Rolle spielt? Die Homepage zu Klaus Hemmerle bereitet auch sein wissenschaftliches Oeuvre gründlich und anspruchsvoll auf. Sie als Fokolare bemühen sich um die Rezeption und Wirkungsgeschichte seiner Gedanken, aber darüber hinaus? Ich weiß es nicht.

3. Der Bischof

1997 bin ich mit der ganzen Familie von Tübingen hier ins Bistum Aachen gezogen, da ich eine Aufgabe als Abteilungsleiterin bei Misereor übernommen habe. Beim Ankommen in dieser neuen kirchlichen Heimat, erlebte ich ein Bistum, dass zutiefst geprägt war von den pastoralen Impulsen Hemmerles:

Der Bischof mit dem Blick für die kleinen Leute, der Arbeiterbischof, der mit den Kumpels in den Schacht fährt, der Bischof mit der Menschen zugewandte, dialogischen Art – war aber sehr überraschend und schmerzlich viel zu früh und mitten aus dem Leben heraus verstorben. Trauer über den Verlust, Sorge, wie geht es jetzt weiter, welche Akzente setzt unser neuer Bischof und ganz neue Herausforderungen in Blick auf die Finanznöte und Personalknappheit, das alles war 1997 noch in keinem richtigen Maß.

Bischof Hemmerle ist nicht nur als Namensgeber für kirchliche Einrichtungen, Straßen und Preise weiterhin präsent. Nicht zuletzt, dass wir heute hier zusammen sind und über ihn reden, zeigt, dass auch er als Person mit seinen Anliegen weiter wirkt.

4. Der Seelsorger

Es liegt natürlich nicht nur an dem Einfluss Heideggers, sondern an dem Grundsatz einer Phänomenologischen Denk- und Sichtweise, dass bei Welte und dann bei seinen Schülern der Tod so eine große Rolle spielt. Hemmerle berichtet selbst über Welte:

„Ich kann mich erinnern, dass ich als junger Mann erschrak, wie radikal er vom Tod sprach und wie dabei so gar nichts mehr übrig blieb von meinen Hoffnungen auf Unsterblichkeit – scheinbar. Und erst nachdem ich mit ihm in dieser Vorlesung „den Tod gestorben bin“, wirkte die Stimme nicht mehr als Vertröstung. Sie sagte mir vielmehr, dass ich eigentlich im Nichts auf das hin höre, was als Geheimnis bleibt und mich versiegelt. Und dass eigentlich der, der „Ich bin“ sagt, dieses absolute Geheimnis des Nichts ist. Und wie darin, sondern in einer unableitbaren Weise des Vertrauens – die Hoffnung wächst.“

Einige von Ihnen wissen, dass mich Abschied und naher Tod gerade aktuell in meiner Familie beschäftigen. Vor allem aber prägt mich die Erfahrung einer eigenen lebensbedrohlichen Erkrankung. Ob so ein Gedanke, wir im oben von Hemmerle zitiert, trägt, wenn man in das CT geschoben wird und auf den Befund wartet. Wenn aus der Theorie des „Seins zum Tode“ dann existenzbedrohende Realität geworden ist? Im Augenblick selbst war ich leer, konnte nicht denken, nicht beten, kaum hoffen. Vorher und hinterher, konnte ich mich daran festhalten.

Schluss:

Sie fragen mich, was Klaus Hemmerle für mich bedeutet: Er ist für mich ein großer Theologe, mit dessen starken Worte - z.B. zum Tod - ich nicht fertigwerde.

Welche Ansätze und Impulse weiter von ihm ausgehen: Klaus Hemmerle ist ein wahrer Pontifex, der Brücken baut zwischen seiner eigenen religiösen Überzeugung, deren religionsphilosophisch/theologischer Durchdringung und der Aufgabe als Verantwortlicher unsere Kirche in Deutschland direkt und indirekt zu prägen und zu gestalten.

Zum Schluss wiederhole ich gerne einen Vorschlag, den ich an anderer Stelle schon als Generalsekretärin des Cusanuswerks gemacht habe:

Warum nicht einen Promotionspreis auf den Namen von Klaus Hemmerle vergeben? Ein Preis, der junge Wissenschaftler fördert, die sich für die Anliegen von Klaus Hemmerle einsetzen. Promovenden brauchen Unterstützung bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse, brauchen einen Verlag, wo sie publizieren können. Ich würde unsere Nachwuchswissenschaftler ermutigen, sich mit dem Werk Hemmerles auseinanderzusetzen.

Dr. Claudia Lücking-Michel

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