Tag der Verbände

Statement des Vorsitzenden der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann

anlässlich des Treffens der Deutschen Bischofskonferenz mit Vertretern von katholischen Personalverbänden am 29. Mai 2013 in Frankfurt-es gilt das gesprochene Wort.

Statement des Vorsitzenden der Jugendkommission
der Deutschen Bischofskonferenz,
Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann, anlässlich des Treffens der Deutschen Bischofskonferenz mit Vertretern von katholischen Personalverbänden
am 29. Mai 2013 in Frankfurt
1. Zeitansage
Die Sinus-Jugendstudie 2012 ( „Wie ticken Jugendliche? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland“) stellt fest, dass Jugendliche, und oft sind es auch schon die Kinder, unter einem hohen Erwartungsdruck stehen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Sie nehmen wahr, dass der Wert eines Menschen immer mehr an seiner Leistungsfähigkeit, an Nützlichkeit und Effizienz bemessen wird. Ihre Zukunft sehen viele junge Menschen von vielen Unsicherheiten geprägt: berufliche Optionen sind ungewiss, der Zeitpunkt für eine Familiengründung rückt immer weiter in die Ferne; klassische Sozialisationsinstanzen wie Familie oder Schule vermitteln leider oft nicht mehr das nötige Maß an Geborgenheit und Sicherheit.
In dieser Situation nehmen junge Menschen zunehmend eine pragmatische Haltung ein und widmen sich vornehmlich der Frage nach dem persönlichen Fortkommen. Da ist dann oft kaum noch Platz für weltanschaulichen Positionierungen, für die Frage nach Gott und dem Sinn für das eigene Leben. Jugendliche wachsen nicht mehr selbstverständlich in religiösen Zusammenhängen auf. Ihre religiösen Wissensbestände sind oft gering. Bei Jugendlichen in ländlichen Gegenden jedoch gibt es noch mehr Kontakt zur Kirche, weil, wie die Herausgeber der Studie feststellen, ein Großteil der Jugendarbeit dort noch kirchlich organisiert ist oder traditioneller orientierte Familienmitglieder wie beispielsweise die Großeltern noch Wert auf die Weitergabe von Glauben und kirchlicher Tradition legen.
Der tschechische Theologe, Philosoph und Soziologe Tomáš Halík beschreibt in seinem jüngsten Interview mit der Herder Korrespondenz die Schwierigkeit der jungen Menschen im Hinblick auf den Glauben wie folgt: Junge Menschen leben heute in einer komplett anderen Welt als ihre Eltern und Großeltern. Einen unreflektierten Glauben, der lediglich als Erbe der Älteren übernommen werden soll, können und wollen sie nicht akzeptieren. Die traditionelle Volkskirche hat daher nach seiner Auffassung nur noch geringe Chancen, in Europa zu überleben.
2. Die Rolle der Verbände
Vor diesem Hintergrund, der die Situation junger Menschen blitzlichtartig erhellt und dabei keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, fragen wir heute, welche Bedeutung den Verbänden angesichts einer schwindenden Bedeutung von Glauben und Kirche für die Lebensgestaltung und -ausrichtung junger Menschen - und als Jugendbischof spreche ich heute über unsere Jugendverbände – zukommen kann.
Die Verbände selbst sehen sich als „Träger kirchlicher Jugendarbeit“ (Beschluss: „Jugendarbeit“ der Würzburger Synode, 5.3.1.1) heute vor die Aufgabe gestellt, nach ihrem Auftrag und ihrem Selbstverständnis, nach ihrer Verortung innerhalb der Kirche und ihrem Beitrag für die Gesellschaft zu fragen: Was sind die Grundlagen, was sind die Ziele jugendverbandlicher Arbeit und wie sind diese letztendlich begründet? Wie können junge Menschen heute und in Zukunft für ein Leben aus dem christlichen Glauben und in der Kirche gewonnen werden?
Derzeit sind die Jugendverbände unter dem Dach des BDKJ im Begriff, ihren theologischen „Ort“ neu zu beschreiben und nach ihrer spezifischen Aufgabe und Rolle in Kirche und Gesellschaft zu fragen. Sie suchen nach Antworten auf die vielfachen Veränderungen innerhalb der Kirche und deren Auswirkungen insbesondere auf die Jugendpastoral. Die Jugendkommission sieht in dieser Initiative das ernsthafte Bemühen um eine ekklesiologische Standortbestimmung, die vielleicht auch für unsere Gemeindepastoral perspektiv-bildend sein kann und begleitet dieses Vorhaben daher mit großem Interesse.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich allen, die in den Jugendverbänden hauptamtlich, nebenamtlich oder ehrenamtlich Verantwortung tragen, für ihr großes und selbstloses Engagement danken. In den vergangenen Jahrzehnten haben unzählig viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen in den Verbänden Erfahrungs- und Begegnungsräume gefunden, in denen Glaube, Gemeinschaft und Kirche lebendig wurden. Mit ihren mehr als 600.000 Mitgliedern stellen die katholischen Jugendverbände eine starke und vitale Seite kirchlicher Jugendpastoral in Deutschland dar.
3. Neue Horizonte des Christseins - Grundlagen für ein Profil
3.1 Jesus Christus und sein Evangelium
Im Kontext des Konzilsjubiläums geraten - nicht zuletzt wegen ihrer sprachlichen und theologisch-inhaltlichen Ausdruckskraft – die immer wieder zitierten Einleitungsworte der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ in den Blick: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ (GS 1).
Dieses Leitwort für die Pastoral bildet den Hintergrund dafür, wenn wir gemäß dem Dreischritt Sehen-Urteilen-Handeln, jener ursprünglichen Evangelisierungsmethode der Arbeiterjugend unter Führung von Kardinal Cardijn, die „Zeichen der Zeit“ erkunden wollen, wenn wir sie im Lichte des Evangeliums interpretieren und deuten und die sich daraus ergebenden Handlungsprioritäten und Handlungsansätze entwerfen wollen.
Im Grundsatzprogramm des BDKJ (1999) stößt man auf eine bemerkenswert klare Beschreibung des Selbstverständnisses. Dort heißt es u.a.: Grundlage des BDKJ als Dachverband von katholischen Jugendverbänden sind Leben und Botschaft Jesu Christi. Im Glauben können Kinder und Jugendliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn ihres Lebens finden. Deshalb bietet ihnen der BDKJ in seinen Mitgliedsverbänden Möglichkeiten, die Lebenssituationen von Menschen und die Bedingungen ihres Zusammenlebens mit der Botschaft Jesu Christi zu konfrontieren und in Gemeinschaft Glauben zu erfahren und zu reflektieren. So können Kinder und Jugendliche Ziele, Werte und Normen für ihr persönliches Leben und ihr politisches Handeln finden.
Damit begibt sich die verbandliche Jugendarbeit zweifellos unter einen sehr hohen Anspruch: Erst im Blick auf Jesus Christus und seine Botschaft führt das umfassende Engagement der Verbände zu einer wirklich fruchtbaren Konfrontation von Existenz und Evangelium, zu einer Begegnung des Einzelnen und der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen und seiner Frohen Botschaft.
Es geht aber auch mehr denn je darum, diejenigen mit der Botschaft Jesu zu erreichen, die von ihm bislang nichts wissen oder wissen wollen, dass diese sie „mitten ins Herz“ trifft, wie uns die Apostelgeschichte von der Wirkung der Pfingstpredigt des Petrus auf seine damaligen Zuhörer berichtet (Apg 2, 37a).
3.2 Apostel für die Jugend
Das Leitwort des diesjährigen Weltjugendtages: „Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker der Erde“ (Mt 28,19) lädt dazu ein, den Auftrag der Verbände an der Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft genauer in Augenschein zu nehmen und nach ihrem Proprium fragen.
Ein Spezifikum verbandlicher Jugendarbeit bildet bekanntlich der Grundsatz, dass der junge Mensch selbst Träger von Seelsorge ist. In diesem Zusammenhang erinnere ich an einen Gedanken von Papst Paul VI., der in seiner Enzyklika Evangelii Nuntiandi von 1975 die Jugendlichen „Apostel für die Jugend“ (EN 72) nennt. Damit nimmt er einen Gedanken aus dem Dekret über das Laienapostolat (Apostolicam Actuositatem) auf: „Junge Menschen selbst müssen die ersten und unmittelbaren Apostel der Jugend werden und in eigener Verantwortung unter ihresgleichen apostolisch wirken, immer unter Berücksichtigung des sozialen Milieus, in dem sie leben“ (AA 12).
Wenn wir diese Impulse aufnehmen, dann ergeben sich für uns folgende Überlegungen:
Jugendverbände können solche Milieus bilden, in denen junge Menschen sich ganzheitlich angenommen wissen, wo sie Zuspruch und Ermutigung finden; Verbände lassen zugleich deutlich werden: Die Kirche traut es jungen Menschen zu - ausgestattet mit ihrer Taufgnade und gestärkt durch das Sakrament der Firmung – selber glaubwürdige Zeugen der Botschaft Jesu zu sein. Als Jünger Jesu kann für die jungen Menschen aber auch nichts oder nur wenig so bleiben wie es ist, wenn das Leben, das Handeln und Reden Jesu zum Maßstab eigenen Handelns werden (O. Fuchs); junge Menschen nehmen Teil am prophetischen Auftrag der Kirche, sie sind ein Teil des Gottesvolkes und haben dort einen eigenen Platz.
4. Jugendpastorale Perspektiven
Der Studientag, den die Jugendkommission (XII) für die Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 2006 durchführte, stand - in Anlehnung an ein Wort von Papst Johannes Paul II. - unter dem Motto: „Die Jugend hat der Kirche, und die Kirche hat der Jugend viel zu sagen“. In Anlehnung an die dort formulierten Abschlussgedanken möchte ich vier Schwerpunkte für die deutsche Jugendpastoral benennen, die die uns als bleibende Orientierung dienen können:
1. Es geht um eine Vernetzung aller Kräfte der Jugendpastoral
Wenngleich sich unsere Tagung mit dem spezifischen Auftrag der Verbände befasst, wollen wir hier nicht außer Acht lassen, dass es auch in den Jugendorganisationen der kirchlichen Bewegungen und neuen geistlichen Gemeinschaften viele engagierte und überzeugte junge Christen gibt. Jugendpastoral in ihrer Gesamtheit hat somit auch diese und die pfarr-gemeindlich angebundenen Jugendlichen - wie etwa Ministranten und Chormitglieder - als Akteure kirchlicher Jugendarbeit mit in den Blick zu nehmen. Die Verbände möchte ich ausdrücklich dazu ermutigen, ihrerseits nach Wegen einer fruchtbaren Kooperation zu suchen.
2. Es geht um eine Vertiefung der Jugendpastoral
Die Weltjugendtage und die Internationalen Taizé-Treffen machen in besonderer Weise deutlich, dass viele junge Menschen auch heute auf der Suche nach Gott, nach Sinn und nach einer eigenen Identität sind. Elemente des Weltjugendtages wie beispielsweise Wallfahrt, Vigil, Katechesen, Kreuzweg, Anbetung, Bußsakrament sind mittlerweile vielerorts zu prägenden Merkmalen von Jugendpastoral geworden. Die dort gelebte innere Einheit von Liturgie, Katechese und Diakonie können die Verbände ihrerseits fruchtbar machen.
3. Es geht um die Erfahrung weltweiter Gemeinschaft und die Bedeutung des Petrusamtes
Die Weltjugendtage haben ein nachhaltiges Bewusstsein für die Internationalität und Vielfalt, und für die Bedeutung der Einheit der Kirche mit ihrem Papst in Rom gefördert. Ich freue mich schon heute auf den kommenden Weltjugendtag in Rio de Janeiro und die Begegnung mit Papst Franziskus und unseren deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die sich zu diesem großen Fest des Glaubens aufmachen und wieder mit zutiefst spirituellen und menschlichen Erfahrungen in ihre Gemeinden und Verbände zurückkehren werden. 4. Es geht um eine wachsende Sensibilität für die Armen
Papst Benedikt XVI. betonte in seiner Antrittsenzyklika „Deus Caritas est“ (2005) die „unlösbare Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe“ (16) und sagte in diesem Zusammenhang: „Beide (Anm.: Gottes- und Nächstenliebe) gehören so zusammen, dass die Behauptung der Gottesliebe zur Lüge wird, wenn der Mensch sich dem Nächsten verschließt oder gar ihn hasst“.
Papst Franziskus hat mit der Wahl seines Namens deutlich gemacht, dass er der Option der Kirche für die Armen besondere Priorität einräumt. Von ihm werden wir diesbezüglich sicher noch manche Impulse erhalten. Es kommt auf das unaufgebbare „Ineinander von Hinwendung zu Gott und Zuwendung zu den Menschen“ an. Kirchliche und verbandliche Jugendarbeit darf sich daher nicht damit begnügen, bestimmte Milieus zu erreichen. Der diakonischen Jugendpastoral, wie sie ihren spezifischen Ausdruck zum Beispiel in der Jugendsozialarbeit findet, kommt mit Blick auf die Zukunft wachsende Bedeutung zu. Gerne unterstütze ich als Jugendbischof den alljährlich stattfindenden Josefstag und freue mich über diese Initiative.
5. Schlussgedanke
Unsere Verbände sind unverzichtbarer Bestandteil unseres kirchlichen Lebens. In dem Maße, in dem es ihnen gelingt, sich dem Anruf Gottes immer wieder neu zu öffnen, werden sie zu lebendigen Zeugen Jesu Christi und tragen entscheidend mit dazu bei, in heutiger Zeit die Botschaft von Gottes Herrschaft glaubwürdig zu verkündigen und erfahrbar zu machen.

 

Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann

 

 

 

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