Tag der Verände
Impulsreferat des Vorsitzenden der Kommission für Ehe und Familie der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst
anlässlich des Treffens der Deutschen Bischofskonferenz mit Vertretern von katholischen Personalverbänden am 29. Mai 2013 in Frankfurt -es gilt das gesprochene Wort.
Befasst man sich aus der Perspektive der Kommission für Ehe und Familie mit der Thematik dieses Nachmittags: „Neue Horizonte des Christseins. Wie kann das gesellschaftliche Engagement der Verbände profiliert werden?“, dann fällt der Blick zunächst auf Ehe und Familie und auf deren Bedeutungswandel in unserer spätmodernen Gesellschaft. Stellt man sich die Frage, wie die kirchliche Lehre von Ehe und Familie sich zu diesem Bedeutungswandel verhält, so lässt dies Rückschlüsse darauf zu, in welcher Weise die katholischen Verbände in diesem Feld Profil gewinnen können.
Der bis in die neunziger Jahre hinein von vielen Gesellschaftswissenschaftlern prognostizierte Tod der Familie ist in keiner Weise in Sicht. Eingetreten ist stattdessen ein deutlichwahrnehmbarer Wandel von Ehe und Familie – sowohl was deren gesellschaftliche Stellung und Funktion betrifft, als auch was die Erwartungen anbelangt, die die Menschen an Ehe und Familie haben. Ohne hier eine groß angelegte Analyse dieses Wandels darlegen zu können, lassen sich doch einige Aspekte benennen.
Die Familie ist heute nicht mehr unbedingt der schicksalhafte Verbund, in den die individuelle Person, einmal hineingeboren, zeitlebens eingebunden bleibt, im Guten wie im Bösen. Aus den ausdifferenzierten gesellschaftlichen Strukturen ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, die Zugehörigkeit zur Herkunftsfamilie und zu einer selbstgegründeten Familie sehr unterschiedlich zu gestalten. Niemand muss heute mehr eine Familie gründen, um damit seine eigene individuelle Altersversorgung abzusichern, um nur ein Beispiel zu nennen. Zugleich haben diese individuellen biographischen Gestaltungsmöglichkeiten die Familie nicht in ihrer Bedeutung geschmälert. Sie ist im Gegenteil bei jungen Menschen beachtlich hoch im Kurs und stellt geradezu ein Sehnsuchtsziel dar, weil sie statt für ökonomische jetzt für emotionale und beziehungsmäßige Absicherung des eigenen Daseins steht. Sie ist zum Inbegriff eines „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“ geworden und damit vielleicht sogar etwas mehr zu sich selbst gekommen.
Eine Kehrseite dieser Entwicklungen ist ein deutliches Aufweichen aller Konventionen, die sich mit der klassischen bürgerlichen Familie verbanden, einschließlich der Ehe, die von vielen als bloßes Element dieser bürgerlichen Konventionen betrachtet wird. Hier wird man kritisch fragend ansetzen müssen.
Ein anderes Problem, das sich mit dieser neuen Bedeutungsakzentuierung von Familie verbindet, ist die Gefahr, dass sie immer weniger dem Bereich der „harten“, ökonomisch und damit unabdingbar bedeutsamen, weil existenznotwendigen Lebensfakten zugerechnet wird, sondern, zumindest tendenziell mehr und mehr dem Bereich der „weichen“, zwar bereichernden, aber eben nicht zwingend notwendige Dinge des Lebens.
Entsprechend wird davon ausgegangen, dass Familie in jenem Zeitfenster der „Freizeit“ anzusiedeln ist, das die Berufstätigkeit als einzig verbliebener ökonomisch bedeutsamer Bereich übrig lässt. Familie ist in dieser sich neu herausbildenden Konvention „nebenher“ zu realisieren: Eine sehr sinnvolle und beliebte Freizeitbeschäftigung, die zudem der Stabilisierung der Berufswelt dienen kann, aber eben eine Freizeitbeschäftigung. Auch hier ist eine kritische Sichtweise erforderlich.
Nimmt man nun vor diesem Hintergrund die kirchliche Lehre von Ehe und Familie in den Blick, dann zeichnet sich ab, dass viele Entwicklungen aus dieser Perspektive unproblematisch oder sogar hoch erfreulich sind, andere fordern uns heraus, in der Pastoral die so veränderte Lebensweise der Menschen neu wahrzunehmen. Damit zeigen sich auch Tendenzen, bei denen aus dem Kernbestand der christlichen Botschaft heraus eine kritische Haltung angeraten ist.
Das zweite Vatikanische Konzil hat bekanntermaßen insbesondere die personale Dimension von Ehe und Familie herausgestellt, die Ehe als „eigentümlich menschliche Liebe…in frei bejahter Neigung von Person zu Person“ (GS 49) bezeichnet und die Familie als „Schule reich entfalteter Humanität“ (GS 52). Die personale Liebensbeziehung der Eheleute hat unter dem Aspekt der Sakramentalität die Bedeutung eines lebendigen äußeren Zeichens für die ihr innewohnende und sich in ihr realisierende Liebe Gottes zu den Menschen. Zugleich eröffnet sie den geeigneten Schutzraum, um Leben weiterzugeben und Kinder zu erziehen.
Viele Zeitströmungen treffen sich sehr gut mit diesen Leitvorstellungen für Ehe und Familie, so etwa die Vorrangstellung der personalen Beziehungen vor den Aspekten der ökonomischen Versorgung. Andererseits ist jedoch zeitkritisch festzuhalten, dass die Ehe nicht einfach nur den bürgerlichen Konventionen zuzurechnen ist, mit denen die vor- und frühmoderne Gesellschaft das familiäre Leben überfrachtet hat. Vielmehr ist sie vom Grundsatz her als eine jener Rahmenbedingungen zu betrachten, die ein Gelingen des Lebens in Paarbeziehung und Elternschaft ermöglichen und die sich nicht beliebig verändern lassen.
Deutlicher als zu früheren Zeiten steht uns jedoch auch die Gefahr des Scheiterns von Ehe und Familie vor Augen, nicht zuletzt deshalb, weil die Menschen unserer Zeit mehr Möglichkeiten haben und auch nutzen, im Falle des Scheiterns das eheliche und familiäre Zusammenleben auch zu verlassen und aufzugeben.
Die Kirche steht hier auch vor der Aufgabe, mit diesem Scheitern in geeigneter Weise umzugehen. Dennoch ist auf die Gesellschaft hin kritisch die Frage zu stellen, ob nicht die tendenzielle Verschiebung des Familienlebens in den Randbereich des Alltagslebens und seine tendenzielle Instrumentalisierung zu einer Überforderung der Menschen und zur Destabilisierung von Ehen und Familien führen.
Fragt man vor dem Hintergrund dieser, hier nur knapp umrissenen, Überlegungen zu Ehe und Familie nach den Möglichkeiten für die Schärfung des Profils katholischer Verbände, dann ergeben sich aus meiner Sicht folgende praktische Optionen:
1. Einsatz für den Eigenwert von Familie
Familien müssen in den katholischen Verbänden Unterstützung und Interessenvertretung finden, wenn es um den Eigenwert des Lebens in Familie und um dessen Schutz geht. Einer Tendenz zur Kolonialisierung der familialen Lebenswelt durch die Ökonomie muss immer wieder neu entgegengesetzt werden, dass Familien nur dann ihre nach wie vor unverzichtbaren und existentiellen Aufgaben für die Gesellschaft wahrnehmen können, wenn das Familienleben als selbstzweckhaft und nach eigenen Gesetzen sich entfaltender Lebensbereich ernstgenommen wird. Das Familienleben ist deswegen nicht einseitig an das Berufsleben anzupassen, sondern in mindestens gleicher Weise sind auch die Erfordernisse der Berufswelt so anzupassen, dass sie dem Begriff der Familienfreundlichkeit tatsächlich gerecht werden.
Eine Familienpolitik, die maßgeblich unter dem Anforderungsdiktat des Arbeitsmarktes steht, ist längerfristig kontraproduktiv. Hier bedarf es des gemeinsamen verbandlichen Einsatzes, um solchen Tendenzen wirkungsvoll zu widersprechen. Und es bedarf auch der gemeinsamen Arbeit zusammen mit den Familien, etwa im Bereich der Familienbildung, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten von Familien zu stärken.
2. Einsatz für Gestaltungsspielräume für Familien
Damit Familien die verschiedenen Aufgaben, Bedürfnisse und Anforderungen, mit denen sie alltäglich konfrontiert sind, in sinnvoller Weise miteinander in Balance bringen können, benötigen sie geeignete Handlungsspielräume. Auch für die Eröffnung und den Schutz dieser Spielräume lohnt sich der Einsatz der katholischen Verbände in ganz erheblichem Ausmaß. Unter dem Aspekt der Wahlmöglichkeiten und der Wahlfreiheit war in den zurückliegenden familienpolitischen Debatten hiervon immer wieder die Rede. Die katholischen Verbände tun sicher gut daran, an diesem Aspekt festzuhalten und ihn mit den Familien zusammen gegen neue Vereinseitigungen und mehr oder weniger gut gemeinte neue Konventionen zu verteidigen. Dazu gehört auch der kritische Umgang mit eindimensionalen Strategien in der Familienförderung.
3. Einsatz für die Ehe als Konstante der Humanität
Eine besondere Aufgabe besteht schließlich Im Einsatz für die Ehe. Hier stehen wir vor der Aufgabe, die Ehe auch gegen so manche Zeitströmung als zukunftsfähiges und zukunftseröffnendes Lebensmodell stark zu machen. Dabei kommt es tatsächlich in besonderer Weise darauf an, katholisches Profil zu zeigen. Die katholische Kirche hält ja aus guten Gründen an der Ehe einschließlich der unbedingten Verpflichtung der Eheleute zur gegenseitigen Treue fest. Sie sieht sich hierin nicht nur gebunden durch die Verkündigung Jesu und die Tradition der Kirche. Sie betrachtet diese Leitvorstellung auch als eine dem Menschen und seiner personalen Wesensstruktur angemessene Weise des Zusammenlebens in Partnerschaft und Elternschaft.
Viele Menschen reagieren auf diese Haltung der Kirche ambivalent. Einerseits erfahren wir, dass diese Prinzipientreue positiv bewertet, als Klarheit und Verbindlichkeit aufgefasst wird. Andererseits stellen sich Paare die Frage, ob sie diese Verbindlichkeit und Verpflichtung tatsächlich im eigenen Leben leisten können. Sorge, Angst und Zweifel verbinden sich mit der Gefahr des Scheiterns. Sich angesichts dieser Situation für die Ehe einzusetzen, kann je nach verbandlicher Grundausrichtung ganz verschiedene Formen haben: Von den stärkenden und stabilisierenden Angeboten für die Paare selbst bis zum politischen Einsatz für den Schutz der Ehe. Auch die pastorale Sorge für diejenigen, die am Lebensmodell der Ehe gescheitert sind, gehört übrigens in diesen Bereich.
Zum Einsatz für die Ehe möchte ich die Verbände in besonderer Weise ermutigen, einladen und ihnen für alles danken, was sie in diesem Sinne an vernehmbarer Anwaltschaft für Ehe und Familie in unserer Gesellschaft wahrnehmen.
Abschließend ist festzuhalten, dass die genannten Perspektiven den katholischen Verbänden ja keineswegs fremd sind. Insbesondere mit dem Familienbund der Katholiken, der zumindest teilweise auch die Funktion eines katholischen Dachverbandes in Sachen Ehe und Familie erfüllt, verbinden die deutschen Bischöfe und besonders die Kommission für Ehe und Familie der Deutschen Bischofskonferenz ein langjähriger konstruktiver Austausch und ein sehr gutes Miteinander.
In diesem Sinn verstehen sich die genannten Hinweise vielmehr als eine Bestärkung, auf dem gemeinsamen Weg weiter in die Zukunft zu gehen.
Bischof Dr. Franz-Peter Tebartz-van Elst