Gott auf die Spur kommen: Kirche neu und an neuen Orten
Ein Grundlagenpapier des Arbeitskreises "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
Vorwort
Am Tag nach der "Entweltlichungs-Rede" von Benedikt XVI. in Freiburg mit dem Aufruf zur Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Welt besuchten die Mitglieder des ständigen Arbeitskreises "Pastorale Grundfragen" im Zentralkomitee der deutschen Katholiken die Citykirche in Wuppertal. Welcher Zufall – wir erlebten, wie neue Wege gemeinsam gelebten Glaubens nicht aus der Welt heraus, sondern mitten in sie hinein führen! Frankfurt mit der Jugendkirche Jona und die Internetkirche St. Bonifatius bestätigten uns, dass es in der Kirche eine neue, starke und zukunftsweisende Sensibilität für besondere Zielgruppen gibt. Wir besuchten zwei besondere Orte kirchlichen Lebens im Europapark Rust und auf dem größten Campingplatz Deutschlands in Schillig/Nordsee. Am Beispiel der umgewidmeten Sakralräume der Grabeskirche St. Josef Aachen und der Caritaskirche St. Nikolaus Duisburg sahen wir, wie veränderte Zweckbestimmungen sakraler Räume neue Zielgruppen erreichen können. Überall haben wir erlebt, was Papst Franziskus mit auf den Weg gibt: "Gott begegnet man im Heute."
Mit dem Grundlagenbeschluss vom 27. September 2013 berichten wir von unserem Suchen und Finden. Unter dem Motto "Kirche neu und an neuen Orten" machen wir unseren Reflexionsprozess darüber offen und ziehen daraus Schlüsse für kirchliche Präsenz im Heute. Von der "Gegenwartsfreude" bis zur "Selbstbestimmten Partizipation" sind acht Orientierungen formuliert, die für die Zukunft Bedeutung haben können. Der Bezug zu den Spuren Gottes ist uns wichtig – in der Gegenwart aller Menschen und in den besonderen Lebensäußerungen. "Theo-Logik" haben wir diesen Abschnitt genannt.
Unser Suchen nach "Kirche neu und an neuen Orten" findet mitten im Dialogprozess über den zukünftigen Weg der Kirche statt. Der Dialog zwischen Laien, Priestern und Bischöfen auf Augenhöhe war und ist für uns Aufforderung, mit großer Aufmerksamkeit die Wege zu entdecken, die kirchliches Leben heute nimmt. Wir möchten einen grundlegenden Beitrag leisten zur verbindlichen Neuorientierung, um "Gott auf die Spur" zu kommen.
Unser Papier will die vielen Aufbrüche kirchlichen Lebens an neuen und ungewöhnlichen Orten verstärken und die Suche danach anregen. Wir hoffen, dass uns über die Mailadresse info@einen-neuen-aufbruch-wagen.de des ZdK von vielen weiteren Beispielen berichtet wird. Vor allem aber rufen wir zum eigenen Experiment, zu neuen Lernwegen in der Kirche auf.
Ich danke allen, die wir besuchen konnten und die uns bereichert haben. Ich danke den Mitgliedern unseres Arbeitskreises im ZdK, die diesen Lernprozess mitgestaltet und diese Frucht formuliert haben.
Hans-Georg Hunstig
Sprecher für "Pastorale Grundfragen" des ZdK
1. Einführung
Das vorliegende Dokument ist die Frucht eines Projektes des Arbeitskreises "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Unter dem Titel "Kirche neu und an neuen Orten" haben die Mitglieder des Arbeitskreises in den Jahren 2011 und 2012 ausgewählte Stätten besucht, an denen Kirche sich an neuen Orten und/oder in neuer Weise realisiert. Es ging dabei weniger um "Projekte", die Gemeinschaften oder Einrichtungen in der Kirche "machen". Vielmehr wird Kirche "projekthaft", als Kirche in Bewegung und im Neuwerden wahrgenommen. Unter sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sucht sie nach einer veränderten Gestalt und Praxis, die ihrem eigentlichen Auftrag angemessen ist, im Leben nach den Spuren Gottes zu suchen, kurz: das Evangelium zu entdecken und so zu verkündigen.
Die betrachteten Realisierungsformen kirchlichen Lebens werden hier nicht im Sinne von Vorzeigeprojekten vorgestellt, die andere Suchbewegungen in der Kirche abwerten. Gleichwohl stellte sich uns in den Begegnungen die Frage, wie sich mit den dort bedachten Kriterien auch die "normale" Pastoral gestalten lässt. Die "neuen Orte" sollen nicht lediglich exklusive Sonderformen für spezielle Zielgruppen bleiben. Sie machen vielmehr auf Prozesse aufmerksam, in denen sich die Verkündigung des Evangeliums durch die Kirche grundlegend verändert, weil sie sich von den Menschen vor Ort anfragen lässt. Die hier untersuchten Initiativen und "neuen Orte" stehen stellvertretend für viele andere Lebensäußerungen von Kirche und zeigen die Umrisse einer sich verändernden Pastoral. Das betrifft Strukturen, Sozialformen, handelnde Akteure, Ziele, Grundhaltungen und Formen der Kommunikation. Darüber hinaus geht es um ein Verständnis von kirchlichem Handeln, das das Volk Gottes mit seinen Charismen als Subjekt der Pastoral neu wahrnimmt. Damit sind auch die Vertiefung des Gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen und die daraus resultierende Zuordnung verschiedener Dienste und Ämter verbunden.1
In den Begegnungen vor Ort haben wir die Kriterien der Beurteilung gewonnen, indem wir gefragt haben:
- Was ist das Neue und Inspirierende?
- Auf welche "Anfrage" der Situation und des Ortes reagiert die jeweilige neue kirchliche Lebensäußerung?
- Worin besteht eine möglicherweise problematisch gewordene Praxis, die als Hindernis für die Bezeugung des Evangeliums in der Welt von heute überwunden werden sollte?
- Welche Ambivalenzen sind zu bedenken, welche Widerstände zu berücksichtigen?
Der vorliegende Text richtet sich an alle, die auf unterschiedlichen Ebenen kirchengestaltend handeln. Er möchte die Erfahrungen und die Reflexion mit-teilen und so einen Beitrag leisten, sich im je eigenen Kontext gemeinsam auf die Suche nach angemessenen und glaubwürdigen Sozialformen einer lernenden Kirche zu machen und über sie in einen handlungsorientierten Dialog zu kommen.
2. Beispiele: "Kirche neu und an neuen Orten"
Die von unserem Arbeitskreis wahrgenommenen Lebensäußerungen von Kirche sind sehr verschieden und auf unterschiedlichen institutionellen und konzeptionellen Ebenen angesiedelt. Sie sind nicht notwendigerweise singulär, sondern werden in ähnlicher Weise auch an anderer Stelle gestaltet. Die kirchlichen Handlungsorte selbst verändern und entwickeln sich, nehmen manchmal neue und überraschende Züge an. Sie versuchen alle, die Situation vor Ort wahrzunehmen und sich dem Zuspruch und Anspruch des Evangeliums zu stellen. Nach einer knappen Beschreibung nennen wir inhaltliche Akzente, die uns Arbeitskreismitgliedern im Blick auf die jeweilige Gestalt von Kirche wichtig waren.
2.1. Citykirche Wuppertal (Erzbistum Köln)
Die Citykirche Wuppertal2 geht seit 2004 neue, kreative Wege zu den Menschen - auf den Straßen und Plätzen der Stadt, in Kaffeehäusern und Kinos, im Internet. In regelmäßigen Abständen wird ein Zelt in den Fußgängerzonen aufgebaut, in dem manchmal Projekte präsentiert werden, das aber auch als "Kirche vor Ort" gestaltet werden kann. Ein Flyer mit dem aktuellen Programm erleichtert die Kontaktaufnahme und ist für viele die Brücke für ein Gespräch, woraus sich oft längere Prozesse und über 1.000 Folgegespräche jährlich entwickeln. Der konkrete Mensch mit seinen Anliegen steht dabei im Mittelpunkt. Segensfeiern auf öffentlichen Plätzen (Tier- oder Motorradsegnungen) und besonders die Wuppertaler Graffiti-Krippe sprechen Menschen an. Sie wird seit 2009 in der Adventszeit von einem Graffiti-Künstler erstellt und wächst in der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Erst am Heiligen Abend wird die Krippe durch "Einsprühen" des Christkindes komplettiert. Sie bringt Menschen miteinander ins Gespräch und lässt die Adventszeit in einer ganz anderen Weise zu einer Zeit der Erwartung werden. Es werden verschiedene Internetprojekte betrieben, die teilweise auch als Apps für Smartphones verfügbar sind. Es gibt die mystagogische Kirchenführung (www.mystagogische-kirchenfuehrung.de) oder den Weblog "Kath 2:30" (www.kath-2-30.de), in dem Kurzvideos präsentiert werden, die Inhalte des Glaubens mit den Mitteln der Videoästhetik in der internetaffinen Form von Filmen darstellt. Die Zugriffszahlen auf diese Plattform steigen stetig an (2011 über 180.000 Besucher).
Die Citykirche Wuppertal zeigt, dass Kirche nicht mehr nur einen "Ort" hat, sondern unterwegs, mobil und fluide ist und sich an den Bewegungen und Prozessen heutiger Menschen orientiert. Sie "ereignet" sich, wird zu einer prozessorientierten Suchbewegung und geht kreativ mit unterschiedlichen Ästhetiken und Kommunikationsformen um.
"Wenn die traditio – die Überlieferung des Wortes Gottes in die Welt von heute – gelingen soll, kann die Kirche nicht immer mit den strukturellen Mitteln von gestern agieren. Aus einer 'ecclesia in situ' muss wieder die 'ecclesia in actu' werden. Das Wort Gottes bleibt, die Weise der Vermittlung ändert sich. Citypastorales Handeln stellt sich dieser Herausforderung in der Postmoderne. Sie nimmt die Lebensweise der Menschen ernst, die sich eben nicht mehr nur an einen Ort binden. Sie agiert in einer pluralen Gesellschaft, ohne eine eigene Parallelwelt zu erschaffen – und bleibt doch profiliert katholisch. Gott ist in der Stadt. Die Kirche braucht bloß hinzugehen. Citypastoral definiert sich durch ein stringentes 'Geh-hin'-Konzept, ist Mission, also Gesandt-Sein, im besten Sinn des Wortes."
Dr. Werner Kleine, Leiter der Citykirche Wuppertal
2.2. Internetkirche St. Bonifatius / funcity (Bistümer Osnabrück, Hildesheim, Offizialat Vechta)
Die Internetkirche3 befindet sich in einer virtuellen Stadt, der community funcity. Sie bietet ein Portal mit unterschiedlichen Begegnungsmöglichkeiten mit Ordensleuten und anderen Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Diese sind rund um die Uhr per E-Mail erreichbar, stellen sich auf der Internetseite aber auch bewusst mit Namen und Gesicht vor und sind persönlich ansprechbar, wenn es gewünscht ist. Außerdem werden regelmäßige Chat-Zeiten angeboten, die mit einem gemeinsamen Gebet beendet werden, ebenso geistliche Impulse wie Exerzitien im Alltag oder ein Online-Gemeindebrief.
Die Internetkirche erreicht Menschen aus verschiedenen Milieus und mit unterschiedlicher Nähe zur Kirche. St. Bonifatius, funcity, stammt aus einer Pionierphase der Internetseelsorge und es haben sich darin inzwischen viele neue Formen entwickelt. Die Gestaltung von Pastoral im Internet, insbesondere in den Sozialen Netzwerken, trägt der Entwicklung Rechnung, dass der Gegensatz zwischen "real" und "virtuell" zunehmend verschwimmt. Die Nutzung dieses Potenzials ist in der breiten Palette der Pastoral heute von großer Bedeutung.
"Wenn Sorgen groß und Gesprächsangebote klein sind, ist es gut, im Internet echte Ansprechpartner der Kirchen zu finden. Das Kirchenteam der St. Bonifatius-Kirche bietet in der kostenlosen Community www.funcity.de eine leicht zu erreichende und vor allem anonyme Möglichkeit des Kontaktes, der Begleitung und der Seelsorge an. Viele Menschen, die keinen oder kaum noch Kontakt zur 'Kirche vor Ort' haben, erleben Kirche dort ganz anders. Die Seelsorger sind klar erkennbar und mit einer Kurzbiographie sowie einem Bild im Pfarrhaus zu finden und auch außerhalb der Chat-Zeiten per Mail erreichbar."
Das Kirchenteam St. Bonifatius in funcity
2.3. Jugendkirche Jona, Frankfurt (Bistum Limburg)
Ein großer Kirchbau wird simultan auch als Jugendkirche genutzt: Sonntags versammelt sich darin weiterhin die Gemeinde St. Bonifatius, Frankfurt-Sachsenhausen. Für Leute zwischen 14 und 25 werden sonntags spezielle abendliche Gottesdienste angeboten. Sie werden von Jugendlichen-Teams vorbereitet. Dabei wird kreative Licht- und Musikgestaltung ebenso eingesetzt wie szenisches Spiel. Mit einem Priester und drei weiteren Hauptamtlichen werden spezielle Tage für Schüler/innen gestaltet. Ein Jugendcafé wurde eingerichtet, in dem Jugendliche Mitverantwortung tragen. Es haben sich diverse Kooperationen mit staatlichen Schulen entwickelt.
Die Jugendkirche Jona4 zeigt, dass im Kontext einer Großstadt personalintensiv neu für junge Menschen Kirche so gestaltet werden kann, dass die Zielgruppe andockt und sich auf ein befristetes Mittun einlässt.
"JONA will:
- ein Ort sein, an dem Jugendliche neue und positive Erfahrungen mit Kirche machen ...
- junge Menschen in Kontakt mit dem menschenfreundlichen, barmherzigen und lebendigen Gott Jesu Christi bringen und sie darin bestärken, ihren eigenen Glauben zu entdecken.
- Jugendlichen spirituelle Erfahrungsräume zur Verfügung stellen ...
- Jugendliche in ihrer Identitätsbildung fördern und sie darin unterstützen, soziale Kompetenzen wie Verantwortungsbewusstsein, Fairness, Solidarität und Konfliktfähigkeit zu entwickeln ...
- Jugendlichen attraktive Angebote machen, um ihr Leben in Schule und Freizeit sinnvoll und mit Freude zu gestalten, ihre Fähigkeiten und Begabungen zu fördern ...
- besonders auch diejenigen Jugendmilieus erreichen, die als besonders kirchenfern einzustufen sind ...
- die Jugendpastoral der Pastoralen Räume, Pfarreien und Verbände bereichern, unterstützen, ergänzen und vernetzen."
Die Leitung der Jugendkirche Jona
2.4. Kirche im Europapark Rust, Südbaden (Erzbistum Freiburg und Landeskirche Baden)
Mitten im Vergnügungspark bieten zwei Diakone in ökumenischem Miteinander einzelnen Besucherinnen und Besuchern sowie Gruppen christliche Glaubenszugänge im Kontext der Freizeitmöglichkeiten des Parks, Begegnung und Gespräch an. Oft erwachsen hieraus Gruppengottesdienste, Ehejubiläen, Hochzeiten, Taufen – letztlich längerfristige Kontakte.
Die Kirche im Europapark5 unterstützt Menschen auf der Suche nach Auszeiten in ihrem Leben und lädt ein, die Chance dieser offenen Momente als möglichen Ausgangspunkt veränderter Wahrnehmung zu nutzen. Neben gezielten Angeboten für einzelne Gruppen liegt ein Schwerpunkt auf Kasualien; es bildet sich eine Situationsgemeinde mit hoher Fluktuation. Kirche an einem kommerziellen Erlebnisort zu sein, stellt eine besondere Herausforderung dar. Dies betrifft einerseits die Frage nach Kooperation oder Abgrenzung sowie Nähe oder Distanz im Parkkontext, andererseits die Ambivalenz zwischen der "Inszenierung" des Christlichen und der positiven Irritation, die durch das Erleben von Kirche an ungewohntem Ort ausgelöst wird.
"Die eher zufällige Begegnung erhält im herzlichen Willkommen der Empfangenden und in der Offenheit der Besucher ihre Bedeutung und Würde, wie bei den Engeln von Mamre. Wird es möglich, Gehör mit meinem persönlichen Befinden, mit meiner Geschichte als Gast zu finden, so ist für die Beschenkten damit vielleicht ein kurzes Absetzen der Last, ja eine Steigerung des Wohlbefindens verbunden. Die Begegnung tut wohl und schenkt einen unerwarteten, tieferen Sinn. Gehör wirklich gefunden zu haben beglückt."
Andreas Wilhelm, Diakon im Europa-Park
2.5. Campingkirche in Schillig / Nordsee (Bistum Münster, Offizialat Vechta)
Mit einem modernen Kirchbau (Das Zelt Gottes unter den Menschen) ist die Kirche am größten Campingplatz Deutschlands präsent. Auf diesem selbst gehen die Aktivitäten vom Kirchenzelt der Urlauberseelsorge aus. Schwerpunkte sind Gottesdienste, Gespräche und Familienaktivitäten, die von engagierten ehrenamtlich tätigen Leitungsteams getragen werden. Viele Besuchende erfahren hier christliche Gemeinschaft ganz neu und kommen wirklich über Gott und die Welt ins Gespräch.
"Eigentlich bin ich ganz anders. Ich komme nur so selten dazu" (Ödön von Horváth). Im Urlaub6 haben Lebensfragen Raum, für die im Alltag oft kein Platz ist. Die Mußezeit des Urlaubs erscheint als Gegenwelt, die für religiöse Kommunikation offen ist. Camping als "alternative Lebensform" bringt eine Mentalität des "Aussteigens" mit sich. Diese Erfahrung des "Alternativen" öffnet die Perspektive der Außergewöhnlichkeit. Darin zeigt sich möglicherweise die Dimension des kollektiv und individuell Religiösen als "Unterbrechung".
"Was früher der Sonntag war, ist für viele Menschen heute der Urlaub. Darauf reagieren wir mit den besonderen Angeboten für campende Menschen außerhalb der üblichen Gemeindearbeit. Wir haben die Chance einer besonderen 'Spiritualität der Landschaft', mit der gerade auch Menschen erreicht werden, die 'fern' sind von ihrer jeweiligen Heimatgemeinde."
Lars Bratke, Pfarrer an St. Marien Wangerland (Schillig)
2.6. Grabeskirche St. Josef, Aachen (Bistum Aachen)
Die Kirche St. Josef ist ein Wahrzeichen im Aachener Stadtbild. Sie steht in einem Stadtviertel, das heute von einem multikulturellen Milieu geprägt ist. Im Kontext eines pastoralen Umstrukturierungsprozesses im Bistum Aachen wurde die Kirche 2006 zum Begräbnisort mit Urnenstelen umgewidmet und als Kirchenraum architektonisch völlig umgestaltet. Neben der Begräbnisliturgie und dem Totengedenken liegt der pastorale Schwerpunkt in der Trauerbegleitung und in der Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen rund um das Thema Sterben, Tod und Auferstehung.
Die Grabeskirche7 lässt sich als Innovation einer kirchlichen Tradition, nämlich des Begräbnisses im oder im Umfeld des Kirchenbaus, deuten. Die Erfahrung der Gemeinschaft wird in der Situation der Trauer als stärkend erlebt und gibt so der eschatologischen Hoffnung des Glaubens neuen Ausdruck. Der Tod rückt augenscheinlich inmitten des pulsierenden Lebens der Stadt in die Aufmerksamkeit von Passanten. Gleichzeitig wird darin die Ambivalenz der Umwidmung kirchlicher Orte deutlich. Kirche "stirbt", sie ist nicht mehr Herrin über ihre Orte, sie wird gewissermaßen "von außen" zur kreativen Umfunktionierung ihrer Orte gedrängt.
"Die Grabeskirche St. Josef steht für Kontinuität. Sie wird weiterhin – aber anders als zuvor – als 'Kirche' erlebt, nicht zuletzt aufgrund ihrer Ästhetik. Als katholischer Friedhof soll sie den christlichen Glauben an die Auferstehung bekunden. Auf einem kirchlichen Friedhof begräbt die Gemeinde ihre Toten, tröstet die Trauernden und mahnt die Lebenden zur Umkehr. Dies sind die Vorgaben für das 'pastorale Programm' an der Grabeskirche, deren Namen unwillkürlich an die Grabeskirche in Jerusalem denken lässt und somit bewusst den Bezug zu Tod und Auferstehung Jesu Christi herstellt. Pastoral an der Grabeskirche ist in mehrfacher Hinsicht Profilbildung."
Gabriele Eichelmann, Pastoralreferentin an der Grabeskirche St. Josef in Aachen
2.7. Caritaskirche St. Nikolaus, Duisburg-Buchholz (Bistum Essen)
Durch die Umstrukturierung im Bistum Essen entstand im Duisburger Süden eine Großpfarrei mit sehr unterschiedlicher Bevölkerungsstruktur. Eine der aufzugebenden Kirchen wurde baulich in ein Caritas-Zentrum umgewidmet. Die Kirche ist von außen als solche noch erkennbar. Im Innenraum entstanden Beratungs- und Konferenzräume, aber auch eine Kapelle, die für Gebetszeiten genutzt wird.
Der Grundvollzug der Diakonie hat in der Pfarrei St. Judas Thaddäus, Duisburg-Süd, durch die Caritas-Kirche St. Nikolaus8 einen festen Ort, der in die Pfarrei hinein wirkt. Die Vernetzung der Caritas zu den Gremien der Pfarrei und der Gemeinden stärkt den diakonalen Dienst der Kirche vor Ort. Die Caritas wird als Vollzug von Kirche wahrgenommen, und die Kirche wirkt durch die Caritas in den Lebensraum der Menschen hinein. Z. B. hat die Pfarrei durch die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden in einem Stadtteil, der von einem hohen Ausländeranteil geprägt ist, eine eigene Anlaufstelle des Caritas-Zentrums eröffnet. Hier steht der konkrete Dienst am Menschen im Vordergrund, durch den ganz praktische Hilfe für die Menschen in ihrer Lebenslage geleistet wird (Vermittlung zwischen Hauseigentümern und Mietern, Hausaufgabenhilfe, etc.). Caritas und Pfarrei wirken durch die Kirche und ihre Einbindung in die Gemeinden nicht nebeneinander her, sondern dienen abgestimmt und voneinander wissend den Menschen vor Ort und geben so ein Zeugnis des Glaubens im Sozialraum.
"In dem seiner Form nach erhaltenen Gotteshaus von St. Nikolaus steht nun nicht mehr die Liturgie, dafür aber gelebte Nächstenliebe im Fokus der Verkündigung. Es ist weiter als spiritueller Ort mit einem besonderen einladenden und offenen Charakter erkennbar und erlebbar. Entscheidend ist für uns, dass wir als Kirche mit bleibender Aufmerksamkeit auf das achten, was die Menschen vor Ort bewegt. Das gelingt durch die bewusste Einbeziehung der Gemeindecaritas. Dieses ist ressourcen- und nicht defizitorientiert. Sie gestaltet sich von den vorhandenen Charismen her."
Horst Ambaum, Fachbereich Gemeindecaritas, Caritascentrum Duisburg-Süd
3. Die "neuen Orte" und die Fragen der Menschen
Das 2. Vatikanische Konzil hat die Kirche in allen Bereichen ihres Handelns dazu ermutigt, die Anliegen der Menschen in ihrem alltäglichen Leben zum Ausgangsort der Verkündigung des Evangeliums zu wählen. Auf die "Rätsel des menschlichen Daseins" möchten alle Religionen eine Antwort geben (vgl. Nostra Aetate, Nr. 2) – so ist die hoffnungsvolle Perspektive der Konzilsväter. Dieser anthropologische Ansatz, der den Menschen zum Ausgangs- und zum Zielpunkt in der theologischen Reflexion wählt, geht davon aus, dass Gott den Menschen als ein Wesen erschaffen hat, das – bewusst oder unbewusst – immerzu auf der Suche nach einem glückenden Leben, nach Erfüllung der Hoffnung auf Ganzheit und Versöhnung ist.
Der einzelne Mensch erlebt insbesondere in seinem Leben in Gemeinschaft mit anderen die großen Fragen seiner Existenz: Woher komme ich, wohin gehe ich? Was ist der Sinn meines Daseins? Wieso ist das Leid so ungleich verteilt? Warum widerfährt gerade mir dies – im Guten wie im Bösen? Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? Wie geht alles weiter in den nächsten Generationen? Was müssen wir tun, was dürfen wir hoffen? Wer sorgt für Gerechtigkeit? Was bleibt am Ende meines Lebens von mir in Erinnerung?
Die neuen Orte in der Pastoral der Kirche(n) heute sind solche, an denen die alten Fragen einen weiten Raum erfahren: Die Fragen sind da – es bedarf einer Gelegenheit, sie zu äußern. Eine dynamische Kirche macht sich auf den Weg zu den Orten heutigen Lebens und hört auf die alten und neuen Fragen, die dort gestellt, und die Antworten, die dort gegeben werden. Eine hörende, lernfähige, sich selbst durch das Fremde bereichern lassende Pastoral ist gefragt. Zeiten, in denen Menschen an neuen Orten zur Ruhe kommen, sind geeignet für das Nachdenken über das Leben. Menschen machen schöne Pläne und erleben leider manchmal schon in jungen Jahren, dass Enttäuschungen, Brüche und Zwietracht in der eigenen Wirklichkeitswahrnehmung einen Ort beanspruchen und nach Antworten suchen lassen. Zugleich gibt es immer wieder Hoffnung auf ein gelingendes Leben in Gemeinschaft. Festfreude in den Rhythmen des Lebens der Menschen zu bereiten – auch dies ist ein Dienst in der kirchlichen Pastoral. Es braucht heute Orte – und das sind die beschriebenen – , an denen der Mensch einfach sein kann und an denen er mit andern aushält, was das Leben zumutet, und feiert, was das Leben schenkt.
4. Charakteristika kirchlicher Präsenz in der Welt von heute
Die von uns betrachteten "neuen Orte" rücken neu die Frage nach dem Auftrag der Kirche in den Fokus der Aufmerksamkeit: Raum zu schaffen für die kreative Begegnung von Evangelium und heutiger Existenz. Sie fragen neu nach der "Dienlichkeit" des christlichen Glaubens im Blick auf unterschiedliche Lebenssituationen und die existentiellen Fragen unterschiedlicher Menschen. Sie zeigen exemplarisch auf, dass sich die Sozialgestalt und die Pastoral der Kirche im Kontext gesellschaftlicher Wandlungsprozesse ihrerseits in einer deutlichen Veränderung befinden. Dieser Wandel scheint in seinem Umfang und seinen Dimensionen auf verschiedenen Ebenen erst allmählich und ansatzweise wahrgenommen zu werden, obwohl er bereits auf dem II. Vatikanum als radikaler Wandel prognostiziert wurde. Er stellt sich in Deutschland sehr differenziert dar, was die sozio-kulturellen Rahmenbedingungen in verschiedenen geografischen Regionen (Ost – West, Nord – Süd, Stadt – Land) betrifft. Die aktuelle Situation ist einerseits geprägt von einer Pluralität der Glaubensvorstellungen. "Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt" (Joseph Ratzinger). Ebenso sind übergreifend Prozesse von Entkirchlichung festzustellen: Kirche kann sich zumeist nicht mehr normativ, sondern nur noch situativ Bedeutsamkeit verschaffen.
Gesellschaftspolitische und sozialethische Themenkreise wie Neue Armut und Beteiligungsgerechtigkeit fordern in neuer Weise kirchliches Handeln heraus. Diese gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stellen derzeit Fragen nach der Zukunftsgestalt kirchlichen Lebens. Welche Kirche werden wir in Zukunft sein? Wie können statt der "Verwaltung des Mangels" Prozesse der Erneuerung gestaltet werden? In diesem Transformationsprozess stehen Neues und Altes manchmal (unverbunden) nebeneinander, oft genug sogar gegeneinander. Manchmal lässt sich das eine organisch aus dem anderen fortentwickeln. In diesem Horizont erhebt sich die Frage: Wie soll das Neue neben dem Alten ausprobiert werden? Was kann gelassen, was muss beibehalten werden?9 Wovon wollen wir Abschied nehmen?
In den vorgestellten kirchlichen Suchbewegungen kommen die menschlichen und gesellschaftlichen Ausgangssituationen neu in den Blick für die kreative Gestaltung dessen, was Kirche ist und sein soll: ein sichtbares und wirksames Zeichen für die Verheißung eines "Lebens in Fülle" (vgl. Joh 10,10).
An den "neuen Orten" wächst Kirche von denen her, die sie erreichen will. Und sie versucht die Spuren Gottes im Leben der Menschen zu lesen, die dort zusammenkommen. Den "neuen Orten" ist gemeinsam, dass die Adressaten belastbare Formen von Gemeinschaften finden, zu denen sie selbst sich versammeln wollen. Indem die Handelnden neue (auch non-verbale) Sprachformen des Glaubens (er-)finden, tragen sie dazu bei, neue Verkündigungsformen zu entwickeln. Dabei ist es entscheidend, den Kern des Christlichen – oft auch in seinem "Eigensinn" – zur Sprache zu bringen. Die "neuen Orte" entstehen durch Experimentierfreude, zeichnen sich durch eine hohe Lernbereitschaft und Innovationsfreude aus und haben zumeist eine starke Öffentlichkeits- und Gemeinwohlorientierung.
In der Reflexion dessen, was wir an den "neuen Orten" wahrgenommen haben, haben wir im Arbeitskreis folgende Kriterien entwickelt, die möglicherweise bei der Gestaltung anderer "neuer Orte" von Kirche unterstützen und Orientierung geben können:
• Gegenwartsfreude
Den neuen Orten der Kirche ist gemeinsam, dass sie wirkliche "Gegenwartsfreude" ausstrahlen: Freude an der Gegenwart der Menschen, so wie sie sind, hier in unserer spätmodernen Kultur, wie an der Gegenwart des Evangeliums unter ihnen. Denn Gott wirkt unter ihnen lange bevor es die Kirche tut. Die neuen Orte der Kirche orientieren sich an den Bedürfnissen derer, die zu ihnen kommen oder zu denen sie selbst gehen. Denn darin sehen sie eine ureigene Dimension des Glaubens ("Was willst du, dass ich dir tun soll?" Lk 18,41 und: "Dein Glaube hat Dir geholfen!" Lk 8,48).
• Innovationslust
Den neuen Orten der Kirche ist gemeinsam, dass sie experimentieren, dass sie lern- und innovationsbereit sind, Traditionen nicht um ihrer selbst willen fortführen, sondern in ihrer aktiven Kraft für Menschen heute erschließen – auch in ihrem kritischen Eigensinn. Die neuen Orte schaffen dabei neue "Räume", zum Beispiel auch, indem sie alte Räume neu nutzen, oder (für kirchliches Handeln) neue Räume mit alten Themen, Begriffen, Bildern und Symbolen konfrontieren.
• Gemeinwohlorientierung
Den neuen Orten der Kirche ist gemeinsam, dass sie am Gemeinwohl orientiert sind, dass sie daher den Sozialraum, in dem sie selbst verwurzelt sind, genau wahrnehmen und immer wieder überlegen, was die christliche Botschaft in ihm und für ihn konkret bedeutet und was sie daher fordert. Denn wenn der Ort die Charismen bereichert, dann können auch die Charismen die Orte der Gegenwart bereichern. Die neuen Orte der Pastoral meiden daher nicht die Öffentlichkeit: Sie suchen sie.
• Sichtbarkeit aller in den Liturgien
Den neuen Orten ist gemeinsam, dass sie der liturgischen Kompetenz aller Christinnen und Christen, ja aller Menschen Raum geben. Denn die Liturgie ist nicht unsere Tat und Leistung und auch nicht das Privileg weniger, sondern die demütige und freudige Antwort des Glaubens auf Gottes Heilshandeln. Sie ist der "Raum aller christlichen Räume", in dem jeder und jede vor Gott kommen kann, so wie er ist und mit allen seinen Freuden und Hoffnungen, mit seiner Trauer und seinen Ängsten.
• Unterbrechung im Alltag
Die religiöse Kommunikation an den "neuen Orten" orientiert sich am Bedürfnis derer, die aus eigenem Antrieb kommen. Sie ist bereit, sich auf fremde Lebenswelten einzulassen. Dabei scheinen es insbesondere außeralltägliche Situationen zu sein, die die Frage nach dem Verhältnis von Alltag und Unterbrechung als günstige Situationen für den Glaubensausdruck in neuer Weise aufwerfen.
• Lokale und überlokale Relevanz
Neue Orte und neue Räume bereichern die Charismen und ziehen diese an. Das Interesse und das Dasein vor Ort, sozialräumlich differenziert (Quartiere oder City-Zone, Orte der Freizeit oder des Konsums, Orte des Alltags oder der Außeralltäglichkeit), wird deutlich. Aber auch neue – überlokale – Räume des sozialen Kontakts, welche die neuen Kommunikationstechnologien bieten, werden aufgesucht oder geschaffen, um das Evangelium unter die Leute und zwischen sie zu bringen. Räume werden relational gedacht: als Anordnungen von Gütern und Menschen und Handlungen, ob sie nun durch Mauern eingehegt oder durch Dächer geschützt sind oder nicht. Durch die kreative Umwidmung oder Umgestaltung von Kirchengebäuden und durch das pastorale "Hineinzelten" auf Plätzen mit jeweils eigenen – primär nicht-religiösen – Logiken entstehen ebenso irritierende Neuanordnungen von Gütern und Menschen und Handlungen wie im virtuellen Raum. Die Räume bleiben nicht, was sie waren, und erhalten durch die kirchliche Präsenz eine transzendente, über sie hinausweisende Relation.
• Dienstleistung und Gemeinschaft
Die "neuen Orte" zeigen einen Paradigmenwechsel in der Begründung und Zielsetzung pastoraler Prioritäten insofern auf, als sie die vom II. Vatikanum postulierte zeitliche und logische Gleichwertigkeit von "Dienstleistung" und Gemeinschaft ("ministratio" und "communio", vgl. Lumen Gentium 4), Kirche also in ihrer Doppelstruktur ernst nehmen. So bieten sie leicht zugängliche Teilhabe ohne gemeinschaftliche Voraussetzungen und Absichten und unter Verzicht auf moralische Bewertungen an. Menschen können kommen und ohne schlechtes Gewissen wieder gehen. Vergemeinschaftung wird per se zwar nicht ausgeschlossen. Sie ist aber nicht als verpflichtende primär intendiert oder gar vorausgesetzt. Sie kann sich in unterschiedlichen Formen und Intensitäten entwickeln. Ein Schwerpunkt liegt auf der wertschätzenden Ansprache, welche die Biografie der Menschen ernst nimmt und authentisch gelebten Glauben anzielt. Der Stellenwert konfessioneller Binnenorientierung verringert sich zugunsten einer ökumenischen und allgemein-christlichen Ausrichtung.
• Selbstbestimmte Partizipation
Die neuen Orte wirken der Gefahr entgegen, dass eine einseitige und monopolartig gestaltete Gemeindegebundenheit zu Formen von Gemeinschaft führt, deren Kriterien oft einseitig von amtlich Verantwortlichen festgelegt werden. Im Gefolge der "Gemeindetheologie" werden zumeist sehr hohe Erwartungen an den Grad und die Art und Weise von Partizipation und Aktivität gestellt, und dies explizit oder implizit. Eine angenommene Selbst-Verständlichkeit von Kirche steht in der Gefahr, den Glauben in Ritualisierungen erstarren zu lassen. Veränderungsresistenz und Widerstände können zu einer "Gettoisierung" und "Exotisierung" des Glaubens führen, der dann seine tatsächliche Lebensrelevanz für viele Menschen nicht mehr zur Entfaltung bringen kann. Selbstherrlichkeit und Institutionalismus bei Laien und Klerikern, Geschlechterungerechtigkeiten und Bürokratisierung sind ebenfalls hindernde Faktoren, die einer veränderten Sozialgestalt von Kirche im Wege stehen können. Dem versuchen die neuen "Orte" von Kirche zu entgehen.
5. Ambivalenzen
An den wahrgenommenen "neuen Orten" zeigen sich Ambivalenzen. Oft werden in der Bezogenheit auf eine charismatische Leitfigur die Spannungen zwischen "Amt" und "Person" erkennbar. Eine weitere Ambivalenz stellt die von Fiktion und Authentizität dar: Wenn die Kirche in Räumen präsent ist, wo das Leben selbst das Libretto schreibt, ist sie herausgefordert, immer wieder danach zu fragen, was denn in ihrer eigenen "Inszenierung" Gehalt und Botschaft sind. Zur Positionierung fordern weiterhin heraus: die notwendige Profilierung kirchlicher Orte bei gleichzeitig zu sichernder Anschlussfähigkeit an andere (kirchliche) Orte, die Spannung zwischen Sozialkirche und Liturgiekirche und schließlich eine reflektierte Ästhetik im Blick auf die Menschen, die konkret dem "neuen kirchlichen Ort" sein Gepräge geben und geben sollen.
6. Theo-Logik
Es ist der eine und derselbe Gott, der allen Menschen immerzu an allen Orten ihres Lebens begegnet – so bekennen alle monotheistischen Religionen miteinander. Das Bekenntnis zu dem all-einen Gott ist eng verbunden mit dem Bekenntnis zu dem einen Schöpfer aller Wirklichkeit. Gottes ewiges Mitsein mit den Geschöpfen, wie es sich in Jesus Christus verdichtet, ist dabei so zum Ausdruck zu bringen, dass die sich wandelnden Weisen der menschlichen Erkenntnis des Daseins Gottes mitten im Lebensalltag Beachtung finden. Gott geht die Wege der Menschen durch alle Zeiten mit: in der Jugendzeit, in der Freizeit, im Urlaub, in der Sozialzeit und in der Zeit von Sterben und Trauer. Die Aufgabe der Kirche(n) ist es, auf die Spuren Gottes in der Gegenwart aller Menschen aufmerksam zu machen, sich dabei selbst auf Spurensuche zu begeben und sich selbst von diesen Spuren bei anderen überraschen zu lassen.
Es lassen sich im Blick auf die Bemühungen, neue Orte der Kirche von heute für morgen zu entdecken, viele theologische Reflexionen anstellen:
Die schöpfungstheologisch motivierte Rede von Gott mahnt auf der pastoralen Handlungsebene an, vorbehaltlos für alle Menschen da zu sein. Wer kommt, ist willkommen. Jeder Mensch ist in allem ernst zu nehmen. Mit seiner erlösenden Botschaft ist das Christentum wachsam darauf bedacht, jede Situation, in der Menschen eine Wende zum Guten erfahren, als eine Gabe Gottes zu betrachten. Spaß und Lebensfreude, Heil und Wohlergehen, Wertschätzung und Anerkennung – all dies sind Güter, die im Sinne Gottes möglichst vielen Menschen zuteil werden sollen. In Jesus Christus hat Gott von sich wissen lassen, dass er bereit ist, jeden Menschen – auch jeden Sünder und jede Sünderin – in der Gemeinschaft mit sich zu bewahren. Allein der Mensch selbst kann diese universale Beziehungswilligkeit Gottes ablehnen. Gott bleibt sich ewig treu in seiner Barmherzigkeit mit allen. In eschatologischer Hinsicht bedeutet dies, bereits im Diesseits eine Ahnung vom Jenseits zu ermöglichen: Einstmals wird keine Zwietracht mehr sein, keine Not, kein Hunger, kein Tod, keine Drangsal. Jede erlebbare Aussicht auf dieses Glück ist eine Gabe, die Gott ahnungsweise hier und heute bereits in der Alltäglichkeit und in den besonderen Zeiten des Lebens bereiten möchte.
7. Schluss
Wir, die Mitglieder des Arbeitskreises "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, verbinden mit diesem Grundlagenpapier die Hoffnung, dass möglichst viele Glieder der Kirche die exemplarischen "neuen Orte" als eine Aufforderung und Ermutigung aufnehmen, ihrerseits zu experimentieren, Kirche in neuer Weise zu gestalten und sich so auf gemeinsame Lernwege zu einer Kirche zu begeben, die Sinn und Bedeutung des Evangeliums für die Gegenwart und die Zukunft entdeckt und allen Menschen das Evangelium nahebringt.
Der Text wurde vom Arbeitskreis "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 27. September 2013 verabschiedet und vom Präsidium des ZdK zur Veröffentlichung freigegeben.
Anmerkungen
1 Vgl. hierzu die Erklärung der Gemeinsamen Konferenz von DBK und ZdK "Das Zusammenwirken von Charismen und Diensten im priesterlichen, prophetischen und königlichen Volk Gottes" (Arbeitsthesen des Beirates "Priester und Laien" der Gemeinsamen Konferenz), veröffentlicht am
4. Juli 2012.
2 Selbstverständlich gibt es unterschiedliche kontextuell entwickelte und gewachsene Modelle von Citypastoral. Die Auswahl Wuppertals will nicht eingrenzen, sondern eine spezifische Realisierung in den Fokus heben (www.katholische-citykirche-wuppertal.de). Ein entsprechender Bericht liegt vor: Hunstig, H.-G. / Kleine, W. Kirche neu und an neuen Orten. Kreative Wege zu den Menschen gehen, in: Salzkörner 17. Jg. Nr. 6 (22. Dezember 2011), 8f.
3 www.kirche.funcity.de
4 www.jugendkirche-frankfurt.bistumlimburg.de/
5 www.europapark.de/lang-de/Wissenswertes/Kirche-im-Europa-Park/Kooperation-KirchenEuropa-Park/c1034.html , vgl. auch Wilhelm, A., Kirche unter Menschen im Freizeitpark. Sauerteig-Erfahrung auf einer heutigen Agora, in: Salzkörner 18. Jg. Nr. 4 (15. September 2012), 10f.
6 www.katholische-kirche-wangerland.de/index.php/urlauberseelsorge-kkw/campingplatz-schillig-kkw
7 www.grabeskirche-aachen.de
8 www.caritas-duisburg.de/sued.html
9 Vgl. hierzu auch die Erklärung des ZdK vom 21. Mai 2008 "Für eine Pastoral der Weite. Ein Gesprächsanstoß".
Die Mitglieder des Arbeitskreises im Sachbereich "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sind:
Ursula Becker, Aachen
Prof. Dr. Rainer Bucher, Graz
Eva-Maria Dech, Linz
Prof. Dr. Sabine Demel, Regensburg
Ottmar Dillenburg, Köln
Prof. Dr. Michael N. Ebertz, Freiburg
Hans-Georg Hunstig, Paderborn (Sprecher)
Andrea Kett, Aachen
Bernd Klaschka, Essen
Magnus Koschig, Halle/Saale
Regina Masur, Magdeburg
PD Dr. Burkhard Neumann, Paderborn
Christa Nickels, Geilenkirchen
Simon Rapp, Düsseldorf
Dr. Dorothea Reininger, Lingen
Christel Ruppert, Ettenheim
Prof. Dr. Dorothea Sattler, Münster
Dr. Hubertus Schönemann, Erfurt
Dr. Bernhard Spielberg, Würzburg
Alfred Streib, Aschaffenburg
Bruder Paulus Terwitte, Frankfurt
Stefan-B. Eirich, Bonn (Geschäftsführung)