Die Sendung der Verbände aus Taufe und Charismen

Begrüßung und Einführung von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch beim Tag der Verbände -es gilt das gesprochene Wort.

Begrüßung und Einleitung
des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz,

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch,
anlässlich des Treffens der Deutschen Bischofskonferenz
mit Vertretern von katholischen Personalverbänden

am 29. Mai 2013 im Haus am Dom in Frankfurt a. M.

 

 

 

 

Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Verbände,

liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlich begrüße ich Sie zu unserem heutigen Austausch! Ich freue mich, dass Sie, die Vertreterinnen und Vertreter von fast 30 Personalverbänden, meiner Einladung gefolgt sind. Ebenso herzlich heiße ich meine bischöflichen Mitbrüder willkommen, die aus ihren vielfältigen Verpflichtungen heraus heute nach Frankfurt gekommen sind. Gemeinsam wollen wir darüber ins Gespräch kommen, welches der besondere Anteil der Personalverbände an der Sendung der Kirche ist und welchen spezifischen missionarischen Beitrag sie zur Neu-Evangelisierung und auch zur Weiterentwicklung der pastoralen Räume in Deutschland erbringen können.

Mein Dank gilt dem Bereich Pastoral im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz sowie denjenigen aus der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Organisationen Deutschlands, die diese Begegnung inhaltlich und organisatorisch vorbereitet haben und auch heute begleiten. Der Leiter des Bereichs Pastoral, Herr Dr. Poirel, wird uns im Anschluss an meine Begrüßung einen Überblick über den organisatorischen Ablauf unserer Begegnung geben.

Wir alle wissen: Die Verbände und freien Zusammenschlüsse von Katholikinnen und Katholiken sind ein großer Aktivposten unserer Kirche in Deutschland. Sie sind gelebte und praktizierte Bereitschaft, Kirche, Politik und Gesellschaft mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen im Geiste Jesu Christi. Diese Haltung der Verantwortungsbereitschaft aus dem Glauben ist bei Vielen von Ihnen über Jahrzehnte der Verbandsgeschichte gewachsen und gereift. Ich sage Ihnen nichts Neues, wenn ich hervorhebe, dass nicht wenige Vertreter der Weltkirche auf die Situation in Deutschland geradezu mit Bewunderung blicken und uns um unser vielfältiges verbandliches Engagement beneiden. Auch ist es nach meiner Auffassung nicht übertrieben, zu sagen, dass das Gemeinwesen der Bundesrepublik Deutschland bei seinem Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur wesentlich beeinflusst wurde durch die katholischen Verbände, sondern in seiner Gestalt bis heute Vieles dem Einfluss der freien Zusammenschlüsse von Laien verdankt. Die katholischen Verbände und freien Zusammenschlüsse von katholischen Laien, von Erwachsenen wie Jugendlichen, von Männern wie Frauen sind ein aktiver Teil der Kirche, der die „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ (GS, 1) geschwisterlich teilt.

Sie setzen sich in vielen Gruppen, in thematischen Arbeitskreisen, auf Tagungen und Kongressen mit den Zeichen der Zeit auseinander und bezeugen die Frohe Botschaft auch in solchen gesellschaftlichen Bereichen, die von sich aus keine selbstverständliche Nähe zu Glaube und Religion haben. Viele Verbände laden suchende und fragende Menschen ein, gerade auch solche, die noch nicht mit Jesus Christus in Berührung gekommen sind. So haben sie Anteil an der Sendung der Kirche über alle Grenzen und kulturellen Milieus hinweg, die Frohe Botschaft zu bezeugen.

Mit großer Freude sehe ich daher, dass die Verbände und freien Zusammenschlüsse von katholischen Laien aus dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils leben und handeln. Die Sendung der Kirche in die Welt wäre ohne sie und ihre zahlreichen Gliedgemeinschaften sicherlich weniger vielfältig, weniger phantasievoll und weniger lebendig. Darin liegt das bleibende historische Verdienst, aber auch der wesentlich christliche Auftrag der Verbände für die Evangelisierung der Gesellschaft von heute. Sie, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Verbände, geben durch Ihr Tun und durch Ihre Aktivitäten der Kirche im Alltag der Menschen, am Arbeitsplatz, in Dörfern und Wohnvierteln ein Gesicht. So werden Ihre Gruppierungen und Vereinigungen zu Schnittstellen von Kirche und Welt, auf die die Kirche gerade in Zeiten des Umbruchs nicht verzichten kann.

Wir befinden uns in tief greifenden Veränderungen fast aller Lebensbereiche. Wir bezeugen heute unseren Glauben inmitten einer Vielfalt von Lebensentwürfen und Wertpräferenzen. Zu dieser in Bewegung geratenen Gesellschaft müssen wir das richtige Verhalten gestalten, das die froh machende Botschaft des Glaubens einbringt: Inmitten eines verwirrenden oder auch überfordernden Wandels bezeugen Christen ihre Hoffnung darauf, dass Gott alles zu einem guten Ende führen wird. Wir sehen die Grundlage dafür im Leben des Herrn, das der Tod nicht zerstören konnte, dass es die Perspektive auf eine Vollendung gibt.

Sie und mit Ihnen alle katholischen Laienvereinigungen stehen inmitten dieser Prozesse von Kirche und Gesellschaft. Sie bezeugen, dass Gott uns mehr verheißen hat, als wir durch menschliche Kraft herstellen und hervorbringen können. Mit dieser Hoffnung unterbrechen Sie die manchmal unmenschliche Logik des Zeitlaufs. Die Herrschaft Gottes ist eine Alternative zu jeder Herrschaft, die Menschen über Menschen ausüben. Die Sendung der Verbände und katholischen Laienvereinigungen besteht darin, Teil der gesellschaftlichen Prozesse zu sein und doch nicht in ihnen aufzugehen, sondern mitten in diesen Prozessen die befreiende Botschaft der Liebe unseres Herrn Jesus Christus zu bezeugen.

Liebe Anwesende! Diese missionarische Dimension der Sendung der Verbände gilt es wieder vermehrt ins Bewusstsein zu rufen. Die Verbände bezeugen dort, wo sie in der Gesellschaft stehen, Christus und seine Kirche. Die kirchlichen Verbände und Laienvereinigungen sind damit weit mehr als ein zusätzlicher Fachverband, der einen weiteren wichtigen Beitrag zur Sache liefert. Sie lassen erfahrbar werden, dass ihr Tun der Liebe Gottes entspringt; sonst sprechen wir zwar „in den Sprachen der Menschen“, laufen aber dennoch Gefahr, wie es Paulus sagt, nur „dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke zu sein.“ (1 Kor 13,1) Entscheidend für alle Verbände ist dabei, dass sich die Getauften und Gefirmten entsprechend ihrer Sendung durch ihr ehrenamtliches Engagement der Kirche dort einen Ort geben, wo die Kirche nur durch ehrenamtliche Laien „Salz der Erde sein kann“, wie es das Zweite Vatikanische Konzil ausdrückt (LG, 33).

Aus dieser Haltung und diesem laikalen Selbstbewusstsein kann dann auch ein erneuertes Bewusstsein für den spezifischen Beitrag der Verbände zur Gestaltung der neuen pastoralen Räume erwachsen. In den größer werdenden Pfarreien bzw. Seelsorgeeinheiten / Pfarreien-gemeinschaften kommt es darauf an, dass sich die Gläubigen aus der Freiheit ihrer Gotteskindschaft zu überschaubaren Gemeinschaften zusammentun, um sich über ihren Glauben und ihr Leben auszutauschen, sich gegenseitig beizustehen und das Evangelium in die Welt zu tragen.

Viele der Verbände gehören zu den Weg- und Glaubensgemeinschaften in unserer Kirche, die in ihrer Geschichte im hohen Maße das Leben der Kirche bereichert haben und von daher die Fähigkeit besitzen, den Menschen auch in veränderten Zeiten und in neuen pastoralen Kontexten Orte der Glaubensgemeinschaft zu schenken. Mit Blick auf die Kirche als Ganze und auf die Pfarrei bzw. die Seelsorgeeinheit vor Ort gilt es, diese Gaben und Charismen der Verbände neu zu entdecken. Eine rechte Gnadengabe trägt zum Aufbau der Kirche, des Leibes Christi, bei (1 Kor 14,12). Alles, was den Brüdern und Schwestern auf ihrem Weg zu Gott hilft und in eine tiefere Gemeinschaft mit ihm und seiner Kirche führt, das ist ein wirkliches Charisma.

Sehr geehrte Damen und Herren, es wird heute gerade auch um die Frage gehen, welchen spezifischen Beitrag die Verbände und katholischen Laienvereinigungen mit ihren Charismen zum Aufbau der Gemeinde geben können. Ich begrüße daher das Projekt im BDKJ, sich explizit der Frage einer „Theologie der Verbände“ zu widmen. Es zeigt das Bemühen, den ekklesiologischen Ort der Verbände heute neu auszuloten und weiter zu klären.

In der gegenwärtigen pastoralen Situation sind wir mehr als früher gedrängt, aus einem vertieften und erneuerten Taufbewusstsein neue Formen der Gemeinschaft und der gemeinsamen Arbeit sowie neue Handlungsmodelle kreativ zu erkunden und zu experimentieren. Aufbruch und auch Abschied, wie es im Pastoralplan der Erzdiözese Freiburg heißt, sind notwendig – auch für die Verbände! Das darf jedoch keineswegs mit einem Bruch gegenüber den Verbandstraditionen geschehen. Denn bewährte Modelle dürfen nicht einfach abgeschafft oder ersetzt werden. Sie müssen vielmehr weiter entwickelt und durch neue Formen verbandlichen Lebens ergänzt werden.

Insgesamt ist die Kirche in den letzten Jahren vielfältiger geworden. Die innere Pluralität ist gewachsen. Oft genug haben die kategoriale Seelsorge, Caritaseinrichtungen, kirchliche Bewegungen und auch die katholischen Verbände dazu beigetragen, dass die innere Vielfalt und damit der Reichtum der Kirche größer geworden sind. Für viele Verbände kommt es in Zukunft vermehrt darauf an, das Zusammenwirken in altbewährten und in neuen Arbeitsformen in den Pfarreien und Seelsorgeeinheiten und mit anderen kirchlichen Akteuren zu organisieren. Dass es dafür bereits viele gelungene Beispiele gibt, werden uns die gleich folgenden Zeugnisse aus den Verbänden zu missionarischem Aufbruch und Nähe zu den Menschen sicherlich vor Augen führen.

Im Jahr 2011 haben wir als Kirche in Deutschland einen Gesprächsprozess begonnen, der uns alle an das dynamische und missionarische Wesen der Kirche erinnern soll. Die Kirche ist, wenn sie Jesus Christus treu bleibt, der Welt und den Menschen zugewandt. Wie könnte sie sonst glaubwürdig von dem Gott reden, der sich seiner Schöpfung in der Menschwerdung seines Sohnes zugewandt hat. Ein solches missionarisch Kirche-Sein beinhaltet das selbstverantwortliche Engagement von Laien, das seine Kraft und Orientierung aus Taufe und Firmung empfängt und bestärkt wird in der Einheit der eucharistischen Gemeinschaft. Hier gilt es das oft spannungsreiche Verhältnis zwischen der je eigenen verbandlichen Identität und der Einheit in der Kirche je neu auszutarieren. Taufe und Firmung befähigen zur eigenen Sendung; die Eucharistie stärkt die Einheit. Viele Verbände und Laienvereinigungen halten diese Balance und haben auf unterschiedliche Weise Mitverantwortung übernommen, durch ihr Handeln und durch ihr Zeugnis Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die uns trägt (vgl. 1 Petr 3,15).

Für mich gibt es keinen Zweifel: Die Vielfalt der Charismen ist ein Reichtum der Kirche. Die Vielfalt der Verbände ist ein Reichtum der Kirche in Deutschland. Die verschiedenen Gruppierungen und freien Zusammenschlüsse setzen unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Arbeit. Sie kommen aus unterschiedlichen spirituellen Traditionen. Sie haben eigene Assoziations- und Praxisformen, an denen man sie erkennen kann. Sie wenden sich bestimmten Menschengruppen zu, und entfalten damit ihr eigenes Profil. Kurz: Die Vereinigungen von Laien sind frei, ihre Schwerpunkte im Leben der Kirche zu bestimmen – ganz gemäß ihrer Charismen. Und: nicht nur dürfen sie sich auf ihr Proprium konzentrieren, sie sollen es sogar. Man verlangt z. B. von der KAB, dass sie das Ganze und die unterschiedlichen Bedingungen von Arbeitnehmern im Blick hat, nicht aber, dass sie stets alle Arbeitgeberperspektiven mit bedenkt. Sie steht auf Seiten der Arbeitnehmer. Es ist gut, dass manche Gruppierungen das Gotteslob stark betonen oder die Weitergabe des Glaubens an kommende Generationen. Die Aufgabe der Bischöfe und des Amtes ist es, die Einheit der unterschiedlichen Charismen immer wieder zu stärken und herzustellen. Denn: Zusammen sind wir Kirche!

Verehrte Damen und Herren, die Aufgabe der Kirche ist es, von ihrem Ursprung her bis an die Grenzen der Welt die Frohe Botschaft zu verkünden (Mt 28,19). Dies hat uns Papst Franziskus zu Beginn seines Pontifikats noch einmal in Erinnerung gerufen. Als Vertreter der Verbände, von denen viele in den gesellschaftlichen Veränderungen und Modernisierungsschüben des 19. Jahrhunderts ihren Ursprung haben, verkörpern sie in besonderer Weise diese Hinwendung der Kirche zur Welt.

Die Herausforderungen für die Kirche sind heute zweifellos ähnlich groß wie damals. Mit Bischof Ketteler und Adolf Kolping, mit Pauline von Mallinckrodt und Gertrud Luckner, mit Alfred Delp und Vielen anderen im Rücken wird die Kirche auch die neuen Herausforderungen im Kontext der Postmoderne bestehen. Wie Christus aber unter den Bedingungen erhöhter Mobilität und der heutigen kulturellen Vielfalt, der Vervielfachung des Informationsaustausches und der Anforderung des lebenslangen Lernens verkündet werden kann, – dazu ist unsere Kreativität und Phantasie gefordert. Damit ist nicht zuletzt der Beitrag der Verbände in der sich rasant verändernden Welt gefordert, um neue Formen des Christseins zu entwickeln. Ich hoffe, dass wir heute viel von dieser Kreativität der Verbände hören werden, und ermutige Sie, Ihre Phantasie und Ihren Ideenreichtum zum Aufbau der Gemeinde in unsere Kirche einzubringen.

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch

 

 

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