Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung

Stellungnahme des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Vorbemerkung

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist dankbar für den Aufruf von Papst Franziskus an alle Gläubigen, sich an der Vorbereitung der III. Außerordentlichen Bischofssynode zu „Pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“ zu beteiligen. Ein solcher Schritt ermöglicht eine stärkere Mitwirkung der Laien. Wir freuen uns, dass sich viele Laien in den Räten und Verbänden beteiligt haben.[1]

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat über viele Jahrzehnte gerade die gesellschaftliche Situation von Ehe und Familie, die Familienpolitik in Deutschland und die pastoralen Herausforderungen für die Kirche intensiv begleitet.[2]

Die Fragen, die Papst Franziskus mit dem Vorbereitungsdokument an die gesamte Weltkirche richtet, zeigen uns, dass viele pastorale Herausforderungen nicht nur die Kirche in Deutschland seit langem bedrängen. Wir denken hier etwa an die Frage nach der Zulassung der wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten, nach der Gestaltung der Sexualität insbesondere vor und in der Ehe, nach zeitgemäßen Rollenbildern für Männer und Frauen und nach gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften und der Verantwortung für die in diesen Gemeinschaften lebenden Kinder. Wir sind dankbar, dass sie im Rahmen der Bischofssynode zu Anliegen der Weltkirche werden.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken möchte auf der Grundlage seiner über viele Jahre gewachsenen Überzeugungen zu einigen der aufgerufenen Themen Stellung beziehen.[3]

Zu Abschnitt 3: Die Familienpastoral im Kontext der Evangelisierung

Ehepaare und Familien sind nicht nur Adressaten der Evangelisierung, sondern durch ihr Zeugnis und ihr Beispiel auch Akteure der Evangelisierung. Sie leben ganz unmittelbar die zentrale Evangeliumsbotschaft der Nächstenliebe vor, indem die Ehepartner sowie Eltern und Kinder (auch über mehrere Generationen hinweg) füreinander Verantwortung übernehmen und in guten wie in schlechten Tagen solidarisch zusammenstehen.

Insofern dient der Evangelisierung all das, was dem Lebensmodell von Ehe und Familie dient. Denn Familien benötigen eine Stärkung durch Kirche, Gesellschaft und Politik, sie benötigen Zuspruch und Wertschätzung ebenso wie materielle Unterstützung und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen, damit das so vielen Einflüssen ausgesetzte, verletzliche Familienleben gelingen kann. Darum legen wir sehr großen Wert auf unseren familienpolitischen Einsatz.

Für die Ehe- und Familienpastoral ergibt sich die Herausforderung, zur Stabilität und zum gemeinsamen und je individuellen Wachstum in Ehe und Familie beizutragen, den Menschen Rückenwind zu verleihen und sie für den häufig stürmischen Alltag zu stärken. Angebote der Ehe- und Familienpastoral, die dieser Herausforderung gerecht werden wollen, müssen zwar immer als katholische Angebote erkennbar sein und dürfen die Dimension von Gebet und Spiritualität nicht übergehen. Sie müssen aber vor allem lebensweltorientiert sein und auf das Vermitteln einer Haltung zielen, die mit Gottvertrauen und Realitätssinn den Alltag zu bewältigen hilft und im Alltag immer wieder eine Ahnung vom Reich Gottes erkennen lässt. Dazu gehören Familienkreise und Elternkurse ebenso wie das  umfassende Engagement unterschiedlicher kirchlicher Träger in der Kindertagesbetreuung.

Eine weitere große Herausforderung für die Pastoral ergibt sich aus dem sakramentalen Eheverständnis, nach dem die Ehe Zeichen und Werkzeug für die heilsame Gegenwart Gottes in dieser Welt ist. Für Männer und Frauen ist es von großer Bedeutung, dass ihnen die fundamental gleiche Würde zukommt und sie in ihrer Partnerschaft jeweils nicht auf tradierte Rollenzuweisungen festgelegt sind. Als  Eheleute dürfen sie in ihrem unbedingten Ja zum Anderen auch auf den unbedingten Beistand Gottes setzen. In einer christlichen Ehe können die Partner unter diesem Zuspruch Gottes für sich und andere, nicht zuletzt auch eigene Kinder, leben. Es ist sehr zu bedauern, dass diese Dimension der Sakramentalität selbst von vielen Gläubigen nicht als Stärkung, sondern als Einengung empfunden wird. Mit ihren Angeboten der Ehevorbereitung, mit der Begleitung von Ehepaaren und von Partnerschaften auf dem Weg zur Ehe, mit der Ermutigung und professionellen Beratung von Eheleuten in schwierigen Phasen, mit dem Beistand und der Unterstützung auch dann, wenn es zur Trennung der Eheleute kommt, steht die Kirche in Deutschland in außergewöhnlichem und  vielfältigem haupt- und ehrenamtlichem Engagement an der Seite der Ehepaare und ihrer Familien. Sie ist stets gefordert, diese Angebote zu überprüfen und weiter zu entwickeln, damit das Ehesakrament seine Kraft entfalten und von den Eheleuten als lebensdienlich und relevant für ihre je spezifische Situation erfahren werden kann.

Zu Abschnitt 4: Zur Pastoral für Gläubige in schwierigen Ehesituationen

Die Ehe ist unserer Überzeugung nach der beste, aber in Anerkennung der gesellschaftlichen Realität nicht der einzige Weg und die einzige Basis, Familie verantwortlich zu leben. Weiterhin ist seit vielen Jahren festzustellen, dass in der deutschen Gesellschaft nichteheliche Lebensgemeinschaften gerade auf dem Weg zur Ehe oder einer auf Dauer und Verbindlichkeit angelegten Partnerschaft inzwischen die Regel sind und es eher die Ausnahme darstellt, wenn ein Paar erst zur zivilen oder kirchlichen Eheschließung einen gemeinsamen Haushalt gründet.

Auch wenn die Partner sich das Eheversprechen ohne Befristung und Vorbedingung geben, haben sie niemals die Garantie für den Dauerbestand zwischenmenschlicher Liebe und wechselseitiger Verantwortung. Es ist eine gesellschaftliche und pastorale Realität, dass trotz redlicher Bemühungen der Partner viele Ehen scheitern. Längst nicht immer ist das Scheitern einer Ehe Ausdruck einer Leichtfertigkeit oder mangelnder Versöhnungsbereitschaft gegenüber dem Ehepartner.

Nicht wenige Gläubige wagen nach solchen Brüchen und einer Zeit der Verarbeitung und Reflexion einen Neuanfang mit einem anderen Partner und schließen zivil einen neuen Bund fürs Leben. Sie bemühen sich um eine Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, wie sie auch für eine Ehe typisch sind. Viele zivilrechtlich geschiedene und wiederverheiratete Gläubige leiden darunter, dass sie aus zentralen Bereichen der kirchlichen Gemeinschaft und insbesondere vom Empfang der Heiligen Kommunion ausgeschlossen sind.

An dieser Stelle wird besonders deutlich und schmerzlich bewusst, dass in unserem Alltag oft eine große Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und der Lebenswirklichkeit vieler getaufter und gefirmter Katholikinnen und Katholiken besteht. Wir sind überzeugt: Unsere Kirche ist nur dann eine dienende Kirche, wenn sie mit mehr Sensibilität und Barmherzigkeit auf die Lebenssituation der Menschen eingeht.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken begrüßt alle auf verschiedenen Ebenen angestoßenen Anstrengungen, diese seit vielen Jahren bedauerte Situation im Sinne des Heils der Menschen zu lösen. Es unterstützt ausdrücklich Vorschläge zu konkreten Fortschritten, wie sie etwa der Katholisch-Theologische Fakultätentag 2012 unter der Überschrift „Zum Kommunionempfang wiederverheiratet Geschiedener“ zum Dialogprozess der Deutschen Bischofskonferenz beigetragen hat und wie sie viele katholische Verbände in Stellungnahmen vorgestellt haben. Besonders begrüßt das ZdK die Bemühungen der deutschen Bischöfe, über die unmittelbar drängende Frage des Kommunionempfangs hinaus auch weitere Bereiche des kirchlichen Lebens einzubeziehen. Dies betrifft die Suche nach liturgischen Formen, um einerseits den Schmerz der Trennung, die eigene Schuldverstrickung und die Klage über erlittene Verletzungen vor Gott zu bringen, andererseits aber auch die Freude und Hoffnung, die mit einer zweiten verbindlichen Partnerschaft verbunden werden, unter Gottes Segen stellen zu können. Von besonderer Relevanz für die Kirche in Deutschland sind auch die arbeitsrechtlichen Konsequenzen einer veränderten Bewertung der konkreten Situation nach Trennung, Scheidung und ziviler Wiederheirat.

Der Weg einer begründeten, fundierten Gewissensentscheidung für den Sakramentenempfang hebt keineswegs den Grundsatz der Unauflöslichkeit der vor Gott geschlossenen Ehe auf. Im Vordergrund steht hier aber nicht das lehramtliche Gesetz. Zuerst kommt die Zuwendung zu den Menschen, die Vermittlung der Liebe Gottes zu allen Menschen statt der Ausgrenzung derjenigen, die an seinen und auch ihren eigenen Ansprüchen gescheitert sind. Wir sind überzeugt: Die Wertschätzung der unauflöslichen Ehe wird bei den Gläubigen wie in der Gesellschaft insgesamt steigen, wenn die Kirche zugleich die unverbrüchliche Liebe Gottes auch bei einem tragischen, ja sogar schuldbehafteten Scheitern durch ihr Tun lebensdienlich erfahrbar macht. Die (Mit-)Feier der Sakramente kann dann auch Quelle für eine Lebensführung sein, die sich – gerade mit der Erfahrung eigenen großen Scheiterns – erneut auf den Weg gemacht hat, unbedingte Verantwortung für einen neuen Lebenspartner sowie gegebenenfalls für eine neue Familie zu übernehmen.

Zu Abschnitt 5: Zu gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften

In Deutschland besteht seit 2001 die eingetragene Lebenspartnerschaft als Rechtsinstitut für auf Dauer angelegte gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Seitdem hat es eine Reihe von Schritten zur rechtlichen Gleichstellung mit der Ehe von Mann und Frau gegeben, zum Teil auf Initiative der Politik, zum Teil auch ausgelöst durch höchstrichterliche Urteile. Zuletzt wurde nach langjährigen Auseinandersetzungen die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe im Einkommenssteuerrecht gleichgestellt. Im Adoptionsrecht hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, die Möglichkeit der Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner rechtlich abzusichern. Ein weiteres Urteil zur Frage der Fremdadoption durch eingetragene Lebenspartnerschaften wird erwartet, wobei nicht die Frage der Gleichbehandlung von Ehepaaren und gleichgeschlechtlichen Paaren ausschlaggebend sein sollte, sondern die Frage nach der besten Gewährleistung des Kindeswohles.

Die katholische Kirche hat diese Entwicklung in weiten Teilen skeptisch und ablehnend begleitet, da sie von ihr jeweils als eine Relativierung des von der Kirche besonders hochgeachteten Lebensmodells der auf Ehe gegründeten Familie verstanden wurde. Es ist aber zugleich nicht von der Hand zu weisen, dass in einer auf Dauer und wechselseitige Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Verantwortung angelegten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft Werte wie in einer Ehe verwirklicht werden und daher alle ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen von Ehe und Lebenspartnerschaft nicht aufrecht erhalten werden sollten. Das darf aber nach unserer Überzeugung nicht auf eine völlige Nivellierung und Gleichsetzung von Ehe und Lebenspartnerschaft und eine Öffnung des Rechtsinstituts Ehe auch für gleichgeschlechtliche Partner hinauslaufen. Dann würde verkannt, dass es mindestens den einen fundamentalen Unterschied gibt: Nur die Verbindung von Mann und Frau hat aus sich heraus generatives Potential. Auch aus diesem Grund sollte unsere Gesellschaft am Schutz, an der Förderung und am Gelingen von Ehen ein besonders hohes Interesse haben.

Auch in unserer Kirche gibt es eine beträchtliche Anzahl von homosexuellen Frauen und Männern. Es gibt unter den Gläubigen unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen zur Homosexualität. Den einen gilt sie als eine moralisch nicht erlaubte Form menschlicher Sexualität. Viele andere sehen gleichgeschlechtliche Partnerschaften als Ausdruck und Form tiefer personaler Liebe, die moralisch nicht abgewertet werden sollte. Auch werten viele Gläubige die rechtliche Angleichung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften an die Ehe nicht als Abwertung, sondern sogar als Wertschätzung und Bestätigung des Modells der Ehe von Mann und Frau.

Darin sind gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften ernst zu nehmen – nicht zuletzt dann, wenn in ihnen Kinder leben, die von einem Lebenspartner entweder als leibliche oder als adoptierte Kinder in die Lebensgemeinschaft mit eingebracht werden. Auch diese Kinder haben einen Anspruch auf die volle Einbeziehung in die kirchliche Gemeinschaft und Glaubensunterweisung. Eine Zurückweisung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft ihrer Eltern bzw. ihrer Mutter oder ihres Vaters erschwert den Zugang der betroffenen Kinder zur Gemeinschaft der Kirche erheblich.

Zu Abschnitt 6: Zur Erziehung der Kinder in „irregulären“ Ehesituationen

Die Wirklichkeit familialer Lebensformen ist sehr vielfältig: Sie reicht von der ehebasierten Kleinfamilie mit Kindern über Einelternfamilien, mehrgenerative Großfamilien und Familien, in denen erwachsene Kinder mit ihren (pflegebedürftigen) alten Eltern leben, bis zu Wahlverwandtschaften. Auch bei der zwei Generationen umfassenden Kleinfamilie gibt es eine Reihe von Varianten zu der „regulären“ Situation der miteinander in erster Ehe verheirateten Eltern und ihrer minderjährigen Kinder. Neben den schon erwähnten gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, in denen eigene oder angenommene Kinder aufwachsen, sind hier insbesondere so genannte Patchwork- oder Stieffamilien zu nennen, in denen die Partner zusammen mit gemeinsamen Kindern oder mit Kindern aus ihren früheren Beziehungen, häufig aus einer früheren Ehe, leben. Die Konstellationen sind dabei häufig auch haushaltsübergreifend, indem Kinder nach der Trennung ihrer Eltern zwar hauptsächlich bei einem Elternteil leben, regelmäßig aber auch im Haushalt des anderen, getrennt lebenden Elternteils ihre Zeit verbringen, und dies nicht selten in beiden Haushalten mit den neuen Partnern ihrer Eltern und mit deren leiblichen Kindern. Schließlich ist noch die wachsende Gruppe der Kinder zu nennen, die mit ihren nicht miteinander verheirateten Eltern aufwachsen.

Diese gesellschaftliche Pluralität veranschaulichen einige Zahlen des BMFSFJ-Familienreports 2012[4]. Demnach lebten 2011 in Deutschland 8,1 Mio. Familien mit minderjährigen Kindern. In 5,7 Mio. Fällen lag eine Ehe vor, in 1,6 Mio. Fällen handelte es sich um Einelternfamilien mit alleinerziehenden Eltern (weit überwiegend Mütter). Bei den verbleibenden 750.000 Familien mit Kindern handelt es sich um nichteheliche Lebensgemeinschaften, darunter einige Tausend gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Von den ehebasierten Familien sind nach Schätzung des Familienreports 10 bis 14 Prozent Stieffamilien. Von den neugeborenen Kindern entfielen 2011 bundesweit 34 Prozent auf nicht verheiratete Mütter.

Nach wie vor sind also bei der großen Mehrheit der Familien mit Kindern die Eltern verheiratet. Die Verbindung von Ehe und Familie sollte als das mehrheitliche Lebensmodell in ihrer quantitativen und qualitativen Bedeutung keinesfalls kleiner gemacht werden, als sie tatsächlich ist. Doch zugleich ist auch festzustellen: Die gesellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland kann mit der Zuordnung zu den Kategorien „regulär / irregulär“ nicht angemessen erfasst werden. Dies umso mehr, da auch unter den 66 Prozent der Kinder, die von verheirateten Müttern geboren wurden, ein hoher Anteil sein dürfte, deren Mutter nicht in einer Ehe nach katholischem, sakramentalen Eheverständnis leben dürfte (was von der amtlichen Statistik nicht erfasst wird).

Es wäre daher geradezu abwegig, bei den Sakramenten, der Katechese und der Erteilung von Religionsunterricht zwischen den katholisch getauften Kindern aus den einen und den anderen Familien zu unterscheiden.

Zu Abschnitt 7: Zur Offenheit der Eheleute für das Leben

Die Enzyklika Humanae vitae wird von den meisten Gläubigen – wenn sie überhaupt bekannt ist – im Wesentlichen als Verbot der sogenannten ‚künstlichen Empfängnisverhütung‘ wahrgenommen. Die Aussagen der Enzyklika über verantwortete Elternschaft geraten damit bedauerlicherweise oftmals aus dem Blick. Die große Mehrzahl auch der praktizierenden Katholiken, verheiratet oder unverheiratet, lehnt diese Lehre entweder bewusst ab oder nimmt sie nicht zur Kenntnis. Nur eine zahlenmäßig schwer zu beziffernde Minderheit wird von Bemühungen kirchlicher Angebote erreicht, die geltende Lehre zu vermitteln und über Wege zu ihrer Einhaltung (z.B. „Natürliche Familienplanung“) zu beraten.

Viele Gläubige können nicht nachvollziehen, dass jeder eheliche Akt auf die Zeugung hin offen sein muss. Zwar erscheint ihnen grundsätzlich die Hinordnung ehelicher Sexualität auf die Zeugung von Kindern einsichtig. Gleichwohl sehen sie darin nicht den einzigen sinnstiftenden Aspekt menschlicher Sexualität. In diesem Zusammenhang können sie auch die lehramtliche moralische Bewertung nicht nachvollziehen, die zwischen (erlaubten) ‚natürlichen‘ und (verworfenen) ‚künstlichen‘ Methoden der Empfängnisregelung unterscheidet.

Dagegen herrscht in der Kirche ein sehr großer Konsens, dass sich alle Methoden der Empfängnisregelung daran messen lassen müssen, ob sie das Wohl und die Würde der Frauen und Männer gleichermaßen respektieren. Grundsätzlich ausgeschlossen sind dabei alle abortiven Methoden.

Die menschliche Sexualität ist mehr als die genitale Sexualität und der Geschlechtsakt, auf die sie häufig verkürzt wird. Sie ist auf den ganzen Menschen zu beziehen und trägt als wesentliches Element der persönlichen Identitätsbildung auch zum Aufbau gelungener zwischenmenschlicher Beziehungen insgesamt bei. Viele Gläubige erwarten eine Sexualmoral, die die personale Liebe in der Beziehung zwischen zwei Partnern, zu der auch die Sexualität gehört, in den Mittelpunkt stellt. Nur so scheint es auch möglich, der wachsenden Trivialisierung und Instrumentalisierung menschlicher Sexualität in vielen Bereichen der Gesellschaft zu begegnen. Nicht zuletzt ist eine aufgeklärte, beziehungsorientierte und lebensfreundliche Sexualmoral ein wichtiger Beitrag, den vielfältigsten Formen sexueller Gewalt besonders gegen Kinder und Jugendliche Einhalt zu gebieten.

Die katholische Sexualethik ist aber bei weitem nicht der einzige relevante Bezugspunkt, wenn es um die Offenheit der Eheleute für das Leben geht. Nicht weniger aufschlussreich ist ein Blick auf die Motive und die Blockaden von jungen Paaren, wenn es darum geht, einen Kinderwunsch zu realisieren. Laut Familienreport 2012 bekunden 80 Prozent (und damit deutlich mehr als noch vor 30 Jahren) der Menschen unter 30 Jahren, dass für sie Familie eine Voraussetzung  für das Lebensglück ist.[5] Trotz dieser überragenden Bedeutung der Familie für den einzelnen Menschen und für die Gesellschaft stehen aber die realen Lebensbedingungen für Familien, für Elternschaft und für Kinder oft im Widerspruch zu dieser großen Bedeutung. Viele junge Frauen und Männer wünschen sich Kinder. Aber viele von ihnen können wegen der strukturellen Rücksichtslosigkeiten gegenüber der Familie diesen Wunsch nicht verwirklichen. Vor allem die Anforderungen in der Arbeitswelt führen viele junge Menschen in Interessenskonflikte. Der Zwang zur Mobilität und Flexibilität sowie der rasche Wandel im beruflichen Umfeld können Familienzeiten zum Risiko für die Erwerbsbiographie und damit auch für soziale Absicherung werden lassen. Daher wird zu häufig der vorhandene Wunsch nach einem Familienleben mit Kindern wegen der Bedingungen im Erwerbsleben, in manchen Fällen auch in Verbindung mit Zukunftsängsten, nicht verwirklicht. Daneben gibt es nicht wenige Paare, die ungewollt kinderlos bleiben.

Wir kommen hier zurück auf die Aufgabe für die Kirche, sich in ihrer Pastoral, aber auch als Anwältin der Familie in Gesellschaft und Politik für ein lebensdienliches, familienfreundliches und verantwortungsermöglichendes Klima und entsprechende Rahmenbedingungen einzusetzen. Denn die Offenheit für das Leben ist mindestens so sehr eine sozialethische wie eine moraltheologische Herausforderung.

 

16.12.2013
Für das Präsidium des ZdK gez. Dr. Stefan Vesper Generalsekretär

 


[1]     Diese Rückmeldungen haben wir, soweit sie uns bekannt sind, auf der Internetseite http://www.zdk.de/ueber-uns/unsere-arbeit/projekte/einen-neuen-aufbruch-wagen/materialien/befragung-bischofssynode zusammengestellt. Die Übersicht wird laufend aktualisiert.
[2]    Zahlreiche Erklärungen, Stellungnahmen, Reden und Diskussionsbeiträge finden sich gleichfalls auf www.zdk.de.
[3]    Für eine Vertiefung der damit verbundenen theologischen und moralphilosophischen Fragen verweisen wir insbesondere auf die Stellungnahme des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin.
[4]    Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2013), Familienreport 2012 - Leistungen, Wirkungen, Trends, Download unter http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Familienreport-2012,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (abgerufen am 11.12.2013). Zu den statistischen Angaben vgl. S. 14ff.
[5]    Ebd. S. 12

 

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