"Der Metzer Katholikentag 1913"

von Prof. Dr. Winfried Becker - es gilt das gesprochene Wort

Im Oktober 1848 trafen sich in Mainz 83 Teilnehmer zum ersten Katholikentag und gründeten den Katholischen Verein Deutschlands als den Dachverband für alle Vereine, die, nach dem Ende der Restaurationsperiode, für die Erringung der kirchlichen Freiheit eintraten. Die Mainzer Versammlung stellte den genuinen Beitrag der Katholiken zu der im Revolutionsjahr aufbrechenden demokratischen Bewegung dar. Sie überschritt den Umkreis rein kirchlicher Interessen und propagierte allgemeine Vereins-, Versammlungs- und Petitionsrechte, die Rede- und Pressefreiheit, so dass man diesen Katholischen Verein Deutschlands auch als einen „Verein der Bürgerfreiheit“ bezeichnen kann.

Die freiwillige Verbindung selbstbestimmter Individuen zu bestimmten Zielen, Zwecken und Aktionen war überhaupt ein das Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft prägender Prozess. Im Prinzip tagten die Generalversammlungen jährlich; es waren 71 zwischen 1848 und 1932. Sie zogen viele bestehende oder neu gegründete Vereine an sich heran. Daraus folgte 1858 die Namensänderung „Generalversammlung der katholischen Vereine Deutschlands“. Der Kreis der Teilnehmer erweiterte sich um die Redakteure katholischer Zeitungen, um bedeutende Persönlichkeiten, die keinem Verein angehören mussten, und katholische Parlamentarier. Frauen waren von Anfang an als „Hörende“ zugelassen und machten von dieser Erlaubnis fleißig Gebrauch.

1868/69 wurde ein allerdings nur kurzlebiges Zentralkomitee geschaffen, das für die Ausführung der Beschlüsse der Generalversammlungen sorgen und die Kontinuität der Arbeit außerhalb der Jahrestagungen gewährleisten sollte. Erster Präsident bzw. Kommissär der Generalversammlungen wurde der konservative und romtreue Standesherr Karl Fürst zu Löwenstein Wertheim-Rosenberg. Dieser „hundertarmige Laienapostel“ errang große Autorität und amtierte bis 1898. Nach seinem Rücktritt entstand wieder ein Zentralkomitee. Seit 1872 hießen die Katholikentage „Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands“, um das Risiko eines Vereinsverbots zu vermeiden. Nun erhielten alle erwachsenen katholischen deutschen Männer Sitz und Stimme auf den Katholikentagen.

Während der nächsten Jahrzehnte entwickelten sich die Generalversammlungen zu Repräsentationsorganen für die Gesamtheit der deutschen Katholiken und zur Massenbasis des Kirchenvolks. Von Anfang an tagten die Generalversammlungen in voller Solidarität mit der kirchlichen Hierarchie. Aber sie waren in erster Linie Zusammenkünfte kirchlich engagierter Laien, traten deshalb umso glaubwürdiger für die Belange der Kirche im öffentlichen Raum ein. Zwischen Kirche und Gesellschaft angesiedelt, verkörperten sie die soziale Breite des kirchentreuen katholischen Bevölkerungsteils.

Ein gewisses thematisches Spektrum von Anträgen und Beschlüssen kehrte jährlich auf den Katholikentagen wieder. Die Versammlungen traten für die Rechte des Papsttums, für die Belange der Bildung, Erziehung und Caritas, für die soziale Frage und für die speziellen Zwecke einzelner Vereine ein. Stets auf der Agenda blieben die Forderungen nach der Aufhebung der eingeschränkten Bewegungsfreiheit der Kirche und nach der seit der Großen Säkularisation verloren gegangenen Gleichberechtigung der Katholiken. Die Katholikentage rückten damit in politischer Hinsicht immer näher an die Seite der Deutschen Zentrumspartei.

Metz erschien von vornherein als eine ungewöhnliche Ortswahl, ein schwieriges Terrain für einen Katholikentag. Die Stadt lag an der Grenze, in der Problemzone des Reichslandes, ihr Hinterland war überwiegend bäuerlich geprägt und französischsprachig. Das aus den Bezirken Ober-, Unterelsaß und Lothringen bestehende Reichsland genoss nur eine Art Untertanenstatus, wurde als „Reichsprovinz“ betrachtet und zunächst von Berlin aus regiert. Eine Änderung zum Besseren bedeutete 1879 die Ersetzung des Oberpräsidenten in Straßburg durch einen Statthalter. Dieser „Landeskanzler“ unterstand zur Regelung der Angelegenheiten des Reichslands weiterhin direkt dem Kaiser. Ein eigenständiges (partei-)politisches Leben entfaltete sich nur zögernd. Erst die Verfassungsreform von 1911 schuf einen aus zwei Kammern bestehenden Landtag und eine aus dem Statthalter und vier Ministerien bestehende, konstitutionell verantwortliche Landesregierung. Erst 1903 entstanden landesweit aus zerstreuten Ansätzen drei politische Parteien: die Elsaß-lothringische Landespartei, die Liberale Landespartei und der Lothringer Block, ab 1907 Unabhängige Lothringische Partei, eine lose Vereinigung bürgerlicher, liberalkonservativer Notabeln mit Sympathien für Frankreich und antiklerikalem Einschlag. Die Sozialdemokratie hatte zunächst nur einen Abgeordneten im Landesausschuss. Elsaß-Lothringen war zu drei Vierteln katholisch, der Bezirk Lothringen zu 88,5 Prozent (1913). Die französischsprechende Bevölkerung betrug im Bezirk Lothringen 22,3 Prozent. Das Reichsland hatte den größten Katholikenanteil von allen Einzelstaaten des Reiches.
Örtliche Zentrumsvereine, teils getragen von Zugewanderten, schlossen sich 1906 zur Elsaß Lothringischen Zentrumspartei zusammen. In dieser ging die Elsaß-Lothringische Landespartei am 12. Juli auf. Diese bedeutete weder die Einverleibung in das deutsche Zentrum noch die Beibehaltung der Autonomie der Landespartei. Nach 1911 bildete sich eine „christlich-konservative Majorität“ im Landesausschuss heraus, getragen von der Zentrumspartei des Reichslands und dem Lothringer Block (Parti Lorrain, Parti Lorrain Indépendant). Das Wahlverhalten Lothringens glich sich dem des mittleren Saarbeckens und des Trierer Landes an, wo stabile Zentrumsmehrheiten vorherrschten. Ähnlich wie dort bildeten der Volksverein für das katholische Deutschland, die Windthorstbunde und katholische Vereine den dichten Unterbau der Elsaß Lothringischen Zentrumspartei.

Nach dem Erwerb durch Frankreich war Metz im 17. und 18. Jahrhundert zur befestigten Grenzstadt ausgebaut worden. Dies setzte die deutsche Regierung nach 1871 in umgedrehter Richtung gesteigert fort. Metz wurde zur modernen Festung ausgebaut und zu einer der größten Garnisonen des Reiches. Seit 1871 wurde die Bezirkshauptstadt Metz zum Sitz hoher Zivil- und Militärbehörden, des Bezirkspräsidenten von Lothringen und des Generalkommandos des 16. Preußischen Armeekorps. Das Stadtbild zierten ein Denkmal Kaiser Wilhelms I. (von 1892), aber auch des Marschalls Michel Ney (von 1855), der, aus Saarlouis gebürtig, mit großer Treue („le brave des braves“) Napoleon gedient hatte. Seit 1875 und verstärkt wieder seit 1890 erhöhte sich der deutsche Bevölkerungsanteil durch den Zuzug der „Altdeutschen“ meist aus Preußen, Baden und Bayern. Sie traten an die Stelle der meist den bürgerlichen Mittel- und Oberschichten entstammenden Optanten, die wegen der Annexion nach Frankreich ausgewandert waren. In der Stadt Metz bewirkte dieser Zuzug einen Bevölkerungswandel. Hier lebten 1910 ca. 70 000 Einwohner, noch 21 Prozent mit französischer Muttersprache; auf dem Metzer Land waren 46 Prozent der Bevölkerung französischsprachig. Von der Zivilbevölkerung in Metz waren 1910 41 290 katholischer, 11 486 evangelischer und 1849 israelitischer Konfession. Die Stadt, jahrhundertelang französisch geprägt, hatte zumindest äußerlich einen „deutschen Charakter“ gewonnen.

Doch hielten ansehnliche Kreise in Kirche, Gesellschaft und Presse die Erinnerung an die französische Prägung des Landes wach. Um 1900 schien nach der Phase der „inneren Emigration“ der Einheimischen ein „neues Gleichgewicht“ zwischen den Gruppen erreicht. Die Zuwanderung der „Altdeutschen“ stärkte das Heimatgefühl der Lothringer und schlug sich parteipolitisch in der dauerhaften Bildung des Lothringer Blocks nieder, der die Eigenart der Lothringer Heimat hochhielt. Allerdings regte sich ein Geist der Begegnung zwischen den Kulturen, den spätere, national geprägte historische Rückblicke übersehen haben.

Die Metzer christliche Tradition reichte bis ins 4. Jahrhundert zurück, zur civitas Mediomatricorum und zum fränkischen comitatus Mettensis. Der Bischofssitz ist ab 535 zweifelsfrei bezeugt. Die Reichskirchenpolitik der Ottonen und Salier ließ mächtige Hochstifte und Fürstbistümer entstehen. Zu ihnen gehörte auch Metz, das mit Toul und Verdun später die „trois évêchés“ Lothringens bildete. Vom Kloster Gorze ging im 9. und frühen 10. Jahrhundert die benediktinische Reformbewegung aus.

Obwohl die Bistümer Metz, Toul und Verdun 1552 und 1648 an die Krone Frankreich fielen, führten die Metzer Bischöfe „noch bis zur Französischen Revolution den Titel Fürsten des Heiligen Römischen Reichs“. Metz, ursprünglich der Metropolitankirche von Trier zugewandt, wurde 1801 Suffraganbistum des Erzbistums Besançon und 1874 von diesem Metropoliten eximiert.
Von 1901 bis 1919 war der Benediktiner Willibrord Benzler der 101. Bischof von Metz. Der bescheidene Ordensmann, vorher Abt von Maria Laach, hatte als Kompromisskandidat, der sowohl der Regierung in Berlin wie der Kurie genehm war, nach längerer Vakanz  den Metzer Stuhl übernommen. 1907 berief er den Eucharistischen Kongress nach Metz, ganz im Einklang mit den Dekreten Papst Pius‘ X. und dessen pastoralem Programm christologischer und eucharistischer Spiritualität.

Den Intentionen des Pius-Papstes entsprach auch Benzlers bemerkenswerte Aktivität auf dem Gebiet der katholischen Laienbewegung. Der Bischof unterstützte den seit langem in Frankreich wirkenden St. Franziskus-Salesius Verein der Glaubensverbreitung; den in Deutschland verbreiteten Borromäusverein und die Caritasverbände. Er veranlasste die Gründung des Katholischen Charitas Verbandes zu Metz/Fédération des oeuvres catholiques de charité de Metz. Er war ein warmer Freund und Förderer der Union populaire catholique, des Lothringer Pendants zum Volksverein. Dieser französischsprachige Zweig hatte 1913 über 10000 Anhänger, fast so viele wie der Lothringer deutsche Zweig. Die von Benzler geförderten katholischen Arbeitervereine waren 1912 zu einem 4000 Mitglieder starken Diözesanverband herangewachsen. Ebenso viele Angehörige besaß der 1912 gebildete Diözesanverband der Jugendvereine. 1913 berief Benzler den jungen Metzer Rechtsanwalt Dr. jur. Robert Schuman, der soeben sein zweites Assessorexamen abgelegt hatte, zum Präsidenten der katholischen Jugendverbände im Bistum Metz, der Fédération des Associations de jeunesse catholique diocésaine. Die Ernennung des Bischofs traf ihn nicht zufällig, war Schuman doch bereits in der katholischen Laienbewegung vernetzt. Beim Beginn seines Studiums 1904 in Bonn war er sogleich der Studentenverbindung Salia (Unitas) und der Görres-Gesellschaft beigetreten. Er blieb lebenslang Mitglied dieser Vereinigungen. Seit seiner Schulzeit kulturell nach Deutschland ausgerichtet, sollte Schuman sich angesichts schlimmer Erfahrungen, die er als Beamter der deutschen Zivilverwaltung 1914-1918 gemacht hatte, von Deutschland lossagen und Frankreich zuwenden. Schließlich wollte der spätere Politiker und Minister Schuman aber „nationale Maßstäbe nicht mehr als letzte Kriterien gelten“ lassen und bekannte im laizistischen Frankreich wiederholt, er fühle sich eigentlich als „catholique mosellan“.

Handelte es sich bei der Anberaumung des Katholikentags in Metz um eine neuerliche, freilich friedliche Besitzergreifung der Stadt durch Deutschland nach der Annexion von 1871? Die Vorgeschichte der Tagung gibt auf diese Frage eine erste Antwort. Die Entscheidung für Metz erfolgte nicht im Hauruck-Verfahren, sondern ergab sich aus der Abfolge vorheriger katholischer Tagungen. Lothringer Gäste hatten zu Tausenden den Straßburger Katholikentag von 1905 besucht. Dort brachte der Metzer Gymnasialprofessor Justin Kintzinger erstmals Metz als zukünftigen Tagungsort ins Gespräch. Fürsprecher dieser Idee wurde angesichts des „großartigen Verlaufs“ des 1907 in Metz abgehaltenen Internationalen Eucharistischen Kongresses der Vizepräsident der Generalversammlung von 1904, Max Graf Droste zu Vischering. Auch die Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland hatte ihre Jahresversammlungen 1910 in Metz und 1903 in Straßburg abgehalten. Auf dem Mainzer Katholikentag von 1911 boten der Rechtsanwalt Dr. Roger Forêt und der Metzer Arzt Dr. Wilhelm Ernst offiziös ihre Stadt für die Generalversammlung 1913 an. Forêt war der erste nach der Annexion aus Kreisen der Einheimischen gestellte Metzer Bürgermeister und wie der junge Schuman der Repräsentant eines jungen, neuen, aufsteigenden Bürgertums. Kintzinger bemühte sich während des Winters 1911/12 bei Besprechungen in kleinen Kreisen um die Klärung der Finanzierung des Kongresses und die gebührende Berücksichtigung der „Zweiteiligkeit der Bevölkerung nach Ursprung und Sprache“. Erst nachdem es Kenntnis von diesen Vorbereitungen erhalten hatte, erteilte das Zentralkomitee in Aachen 1912 seine vorläufige Zusage.
Die auch in Lothringen immer noch bestehenden Bedenken wurden durch die Arbeit zerstreut, die „ein ebenso starkes wie arbeitsfreudiges und opferwilliges Lokalkomitee“ aufnahm. Es konstituierte sich unter maßgeblicher Mitwirkung Benzlers am Ende 1912 und umfasste schließlich 500 Personen unter den Präsidenten Kintzinger, Wilhelm Ernst und Alfons Federspil, Regierungsrat in Metz. Das Lokalkomitee suchte und fand eine breite, pluralistische Basis, um die mit der Ortswahl verbundenen Bedenken und  Zweifel zu zerstreuen. „Herren der verschiedenen politischen Richtungen“, aus dem Zentrum und der Lothringer Gruppe, „aus Einheimischen und Eingewanderten“, wurden zugezogen, auch Personen, „die nur französisch sprechen und die schon mehr als einmal ‚Nationalisten‘ geschimpft worden sind“. Unter den vier Schriftführern des Lokalkomitees befand sich Robert Schuman. Das Ehrenpräsidium übernahm Bischof Benzler. Als Termin der Generalversammlung wurde der 17. bis 21. August festgelegt. Die sehr aufwändigen Vorbereitungsarbeiten wurden während acht Monaten von dreizehn Kommissionen sehr zufriedenstellend bewältigt. Die wichtigsten seien kurz genannt. Die Rednerkommission wählte die passenden Themen und Redner aus, zunächst zehn deutsche und sechs Redner für französische Vorträge. Die Pressekommission versah 200 Zeitungen mit Nachrichten, gab den Druck der vielen Publikationen und Eintrittskarten in Auftrag und legte pünktlich zum Beginn des Katholikentags die gewichtige Festschrift „Lothringen und seine Hauptstadt“ vor. Die Finanz- und Anmeldekommission konnte auf 5700 (real vorhandene) zahlende ständige Mitglieder zurückgreifen. Die Altarkommission stellte 140 Altäre in 53 Kirchen oder Kapellen für die vielen Gottesdienste bereit. Die Baukommission organisierte die Errichtung einer Festhalle. Die Stadt Metz gewährte dem Katholikentag einen Zuschuss von 12 000 Mark. Die eigens für den Metzer Katholikentag gebildete Werbekommission vereinigte an ihrer Spitze zwei Vorsitzende unterschiedlicher politischer Herkunft. Der erste Vorsitzende, der Ehrendomherr Henri Collin, Sohn eines französischen Gendarmen, Chefredakteur der Zeitung Le Lorrain, war „national“ (französisch) gesinnt, sprach nur französisch und vertrat den der Zentrumspartei kritisch gegenübertretenden Bloc Lorrain. Er war Leiter der karitativen Werke der Diözese und hatte bereits Erfahrung mit der Organisation des Eucharistischen Kongresses gesammelt. Der zweite Vorsitzende, der Abbé Georges Tilly, gehörte dem Zentrum an, bekundete einen gewissen deutschen Patriotismus und eine christlich soziale Einstellung, betrieb die Implantierung des Volksvereins, der Arbeitervereine und des Raiffeisenverbandes in Lothringen. Es war vor allem Collins Verdienst, dass bei den Einheimischen das Interesse am Katholikentag geweckt werden konnte. Das Lokalkomitee übergab die Geschäfte dem am 17. August gewählten Präsidium des Katholikentags. Präsident wurde wie schon in Straßburg 1905 Alois Fürst zu Löwenstein, Sohn Karl von Löwensteins. Zu Vizepräsidenten stiegen auf der Landtagsabgeordnete Franz Hoen, Mühlenbesitzer in Großblittersdorf, und der Rechtsanwalt Trunk, Stadtrat in Karlsruhe. Löwenstein bekannte sich sogleich mit Humor und Selbstironie zur „Doppelsprachigkeit der Verhandlungen“: „Da wird dem armen Präsidenten zugemutet, daß er aus der sehr geringen Kenntnis einer ihm fremden Sprache so etwas wie eine Rede zimmere und die dann in aller Öffentlichkeit noch vortrage“.

Im Vorfeld der Versammlung hatten liberale Blätter wie der Schwäbische Merkur und die Tägliche Rundschau geunkt, die in Metz zum Ausbruch kommenden nationalen und sprachlichen Gegensätze würden diesen Katholikentag zum Scheitern verurteilen. Der Schwäbische Merkur warnte die Regierung und die „Altdeutschen“ vor der in der Moselstadt drohenden Dominanz der französischen Sprache und des französischen Geistes. „Der […] aus Altdeutschland eingewanderte Katholik genießt natürlich unter den altangesessenen Katholiken nicht das größte Ansehen und steht als Deutscher im Geruch der Häresie, schon weil er aus dem Lande Luthers kommt“. Die katholische Kölnische Volkszeitung wies „Appell an die ‚nationalen‘ Instinkte“ zurück. „Wer aus der Ferne die Lage in Metz überschaut und glaubt, daß ‚die 43 Jahre‘ deutscher Herrschaft genügt hätten, um hier die deutsche Sprache alleinherrschend zu machen, in einer Stadt und in einem Teil des Landes, die nicht nur erst seit 1552, dem Jahre der französischen Besetzung, sondern von jeher romanisch waren und Französisch sprachen, auch als freie Reichsstadt des alten Deutschen Reiches, der hat kein Verständnis für die Entwickelung einer Volkskultur“. Nur durch den Gebrauch der Muttersprache werde es gelingen, den „Französisch-Lothringer […] in seiner tiefsten Seele zu interessieren, ihm seine Religion noch lieber zu machen und ihn mit dem katholischen Leben unserer Tage in unmittelbare Berührung zu bringen“: Auch die Rheinländer hätten nicht so leicht auf ihre deutsche Sprache verzichtet, wenn Teile des linksrheinischen Deutschlands 1871 an Frankreich gefallen wären.

Die sorgfältig vorbereitete, in Richtung Parität zielende Zulassung des Französischen als Kongresssprache machte die Kassandrarufe der Weltanschauungsgegner des Katholikentags obsolet. Ein für die Teilnehmer gedachter „Führer durch Metz“, verfasst von dem Metzer Museumsdirektor und Kunstkenner Johann Baptist Keune, erhielt ein Gegenstück im „Guide de Metz“, verfasst von Magnus Will aus Montigny. Neben zehn Nummern eines deutschen „Festblatts“ wurden fünf Nummern eines „Journal du Congrès“, außerdem ein deutsches illustriertes und ein französisches „Gedenkblatt“ gedruckt.
Es fanden drei öffentliche Versammlungen in französischer Sprache statt und unter den zahlreichen Nebenversammlungen der Vereine eine glänzend ablaufende Zusammenkunft der Union populaire. Diese letztere Sitzung wurde beschlossen mit dem französischen Volksund Kirchenlied: „Je suis Chrétien! Voilà ma gloire“. Die Rednerkommission hatte Schwierigkeiten gehabt, frankophone Redner zu finden. Sie konnte nun aufbieten: Henri Teitgen aus Rennes, ehemals Sekretär des Sillon lorrain, der von Marc Sangnier ins Leben gerufenen katholischen Jugendbewegung, Chefredakteur des Ouest-Éclair, nach 1918 Anhänger des Parti démocrate populaire, nach 1945 des Mouvement républicain populaire, den Chefredakteur der in Verdun erscheinenden Halbmonatsschrift Le Courrier de la Meuse, Maurice Malou, die belgischen Rechtsanwälte und Mitglieder der belgischen Kammer Dr. Auguste Mélot und Valentin Brifaut, zwei Luxemburger, den Rechtsanwalt Albert Philippe und den geistlichen Gymnasiallehrer Jacques Meyers, den Professor an der Katholisch- Theologischen Fakultät in Straßburg, Eugen Müller, den Bischof Michael Korum von Trier, aus Metz den Rechtsanwalt Robert Schuman, den Geistlichen und Redakteur Charles Ritz sowie die Domherren Gaston Louis und Collin. Nur zwei dieser Redner kamen aus Frankreich, die Redakteure Teitgen, der allerdings in Nancy geboren war, und Malou; zwei waren frankophone Belgier, zwei Luxemburger; fünf kamen aus Elsaß-Lothringen bzw. Metz: Schuman, Müller, Louis, Collin und Ritz; Korum war im Elsaß geboren. Die französische Rednerliste war eine Hommage an die Zweisprachigkeit des Reichslands. Auf ihr befanden sich glänzende und mitreißende Redner, ein Korum, Collin, Meyers. Bischof Benzler war offenbar peinlich bestrebt, die deutschen und die frankophonen Redner gleichmäßig mit seiner Anwesenheit zu beehren.

Auch im eindrucksvollen äußeren Erscheinungsbild der Generalversammlung behaupteten die Lothringer ihren Platz. 30 000 Teilnehmer strömten zu dem Festzug am Sonntag, dem 17. August. Neben zahlreichen Gruppen aus Süddeutschland, aus dem Rheinland, aus der Rheinpfalz, aus Trier und von der Saar erschienen „stattliche Vereine“ von Lothringern. „Die Lothringer“, so hielt es das Protokoll der Generalversammlung fest, „haben Farbensinn und Geschmack, es steckt Schick in den Uniformen der Jugendvereine und Schneid in den jungen Burschen, die, meist weiß gekleidet, mit hellblauen Schärpen um die Hüften und mit der kecken Baskenmütze auf dem Kopfe vorüberziehen […] Soviel farbig-frohe, schmucke Bilder hat selten noch ein Festzug gezeigt wie der Metzer“. Als Dolmetscher auf der Ehrentribüne fungierten der Bürgermeister Forêt und Präsident Kintzinger.

Natürlich wurde als Ausweis patriotischer Gesinnung die schon übliche Adresse an den Kaiser gesandt und von diesem umgehend beantwortet. Doch wie in deutschnationalen Feierstunden keineswegs üblich, gedachte Löwenstein des Revolutionsjahrs 1848 als des Gründungsjahrs der Katholikentage. Das föderalistische Verfassungsverständnis der Zentrumspartei, der er als Reichstagsabgeordneter angehörte, erleichterte es Löwenstein, die „Stammeseigentümlichkeiten“ Lothringens voll zu respektieren, wenngleich als einer „unzertrennlich“ dem „deutschen Vaterland“ eingegliederten Provinz, „deren Bewohner schon französisch gesprochen haben, als sie noch dem alten deutschen Reich angehörten […]“.

Das andere Motiv für die Berücksichtigung der Frankophonie bestand darin, das „Interesse“ oder den Universalismus der katholischen Religion über die Sprachdifferenz und die nationalen Identitätskonstruktionen zu stellen. Als verbindender lieu de mémoire grüßte die anreisenden „Katholikentagsfahrer aus Deutschland schon von weiter Ferne die prachtvolle Kathedrale von Metz“ Die Kölnische Volkszeitung erinnerte daran, dass in ihr die größten Meister der geistlichen Beredsamkeit Frankreichs auf der Kanzel standen: Jacques Bénigne Bossuet im 17. Jahrhundert, lange Zeit Kanonikus in Metz, die Dominikaner Dominique Lacordaire und Jacques-Marie-Louis Monsabré, die mit dem Second Empire zerfallenen Vorkämpfer religiöser Freiheit. Doch hatten die übernationalen konfessionellen Solidaritätsbekundungen Henri Collins Argwohn gegen nationale Fischzüge offenbar noch nicht überwunden, als er sich zu der ausschließlich religiösen statt einer politischen Zielsetzung des Kongresses bekannte. Doch leitete er die französische Sektion einsatzfreudig, verfasste selbst ein französisches Gegenstück zum deutschen Versammlungsbericht und versprach, fortan die katholische Bewegung energisch voranzutreiben nach dem Motto „Vive la Lorraine catholique“. Die Sitzung der Union populaire, auf der Schuman sprach, diente den autochthon definierten Zielen und Zwecken des frankophonen Volksvereinszweigs, also „weltanschaulichen“ und nicht nationalen Positionsbestimmungen.

Die frankophonen Redner behandelten die allgemeinen Themen des Katholikentags, brachten aber auch die Sichtweisen ihres Landes ein. Der prominenteste unter ihnen war der Bischof Korum, jetzt Inhaber des ältesten deutschen Bischofstuhls, doch bis zum 20. Lebensjahr französisch erzogen, nach der Vertreibung der Jesuiten aus dem Elsaß von 1872 bis 1880 französischer Domprediger am Straßburger Münster. Er griff sogleich das Leitmotiv des Kongresses auf, in Erinnerung an die sog. Konstantinische Wende, das Mailänder Edikt von 313, den der Kirche der Gegenwart gebührenden Freiheitsraum zu fordern. Ein aktueller Anlass war das durch den Bundesratsbeschluss Ende 1912 neu eingeschärfte Verbot des Jesuitenordens. Bischof Michael von Faulhaber aus dem benachbarten Bistum Speyer brachte die Botschaft des Mailänder Edikts auf die griffige Formel, dass nach 313 die Christen für ihren Glauben leben durften, statt dafür sterben zu müssen. Konstantin führe auch deswegen das Attribut der Große, „weil er als Erster unter den Zäsaren den Gedanken faßte, dass eine Religion von göttlichem Wahrheitsgehalt mit polizeilichen Maßnahmen nicht unterdrückt werden kann“. Allerdings lehnte Faulhaber eine Trennung von Kirche und Staat nach französischem und amerikanischem Muster ab und trat für ein Kooperationsmodell auf gegenseitiger Vertrauensbasis ein, da Kirche und Staat gemeinsame gesellschaftliche Interessen im Ehe-, Schul- und Armenrecht hätten. Seine Bekräftigung erhaltenswerter Strukturen entsprach dem überwiegend antirevolutionären Grundton vieler anderer Reden.

Diese Tendenz kann den rückschauenden Betrachter veranlassen, eine zweite Fragestellung aufzugreifen, das Verhältnis einer repräsentativen katholischen Versammlung zur Moderne.
Katholizismus und Moderne werden heute überwiegend als Gegensatzpaar interpretiert. Der katholischen Kirche wurde und wird damals wie heute eine rückwärtsgewandte, autoritär und hierarchisch grundierte Abwehr- und Verweigerungshaltung vorgeworfen. Die Auseinandersetzung mit einer die Moderne prägenden Signatur, dem breiten Phänomen der Säkularisierung, bildete tatsächlich ein beherrschendes Thema auch dieses Katholikentags. Mehrere Redner übten massive Kritik an den säkularistischen Entwicklungstendenzen der Zeit, an der „Entchristlichung des öffentlichen Lebens“. Der Vertreter des Zentralausschusses der Katholischen Union für Österreich, Freiherr von Fuchs, fragte angesichts der „Zeichen unserer Zeit“, „ob die Menschheit vor einer neuen Epoche sogenannter Entwicklung steht, ob wir vielleicht wirklich einer religio depopulata zusteuern“. Ihn beunruhigten „die immer höher geschraubten materiellen Ansprüche und die herostratische Begehrlichkeit eines Gutteiles der großen Massen“, der „Götze des Hypernationalismus, der heimlich der roten Internationale die unfreie Hand reicht“, eine „sittenlose Literatur und Presse, […] die Millionen Bajonette, zwischen welchen die Friedensgöttin kaum mehr eine Gasse sich bahnen kann“. Löwenstein hatte wegen der angespannten politischen Lage sogar um das Zustandekommen des Katholikentages gefürchtet: „Die Kriegsfurie, die drunten im Balkan tobte, drohte mehr als einmal Europa in Brand zu stecken, und dann hätte die Friedensarbeit unserer Tagung dem blutigen Ernst des Krieges weichen müssen“.


Besonders auf zwei Gebieten wurden bedrohliche Entwicklungen wahrgenommen, die engagierte Stellungnahmen provozierten. Es waren die Veränderungen, die sich im Bildungsbereich - Schulen, Volksbildung, Presse, Universitäten - vollzogen, sowie allgemein der soziale Wandel, aber nicht beschränkt auf die Arbeiterfrage. Der Redakteur Teitgen kritisierte weniger die sog. schlechte Presse, die sich in der Ausmalung aller „Schandtaten“ und „Schlechtigkeiten“ ergehe, als die sog. neutralen Zeitungen, die den Menschen eine vordergründige Aufklärung, ein ihrem Selbstwertgefühl schmeichelndes ‚Ich weiß schon‘ eingeben und die „Skandalsucht des Publikums“ anstacheln würden. Diese Presse begünstige einen schleichenden Mentalitätswandel, die Schwächung oder Entmachtung jener traditionellen Kommunikationsträger persönlicher und familiärer Begegnung, die in breiten Bevölkerungsschichten den Sinn für die Religion bisher mit getragen hätten. An positiven Maßnahmen schlug er vor, selbst die Macht der Presse zu nutzen, stets bestens informiert vor die Leser zu treten, sich den Bedürfnissen des Lesepublikums anzupassen, ohne die „Skandalsucht“ zu wecken oder auf die niedrigen Instinkte zu spekulieren und sich gegenseitig mit materieller Hilfe und freundschaftlichem Beistand zu unterstützen. Der Belgier Brifaut wandte sich gegen die auch in seinem Lande zu beobachtende, staatlich geförderte Säkularisierung des Lebens, die auf die „Bannung der Idee eines Gottes“ aus der Personenstandsgesetzgebung, aus den Schulen, der Armee, den Krankenhäusern, aus den karitativen Werken und selbst den Gefängnissen hinauslaufe. Ein weiteres Thema war die Situation der Katholiken an den Universitäten. Der Chefredakteur der Kölnischen Volkszeitung, Karl Hoeber, machte auf die „Einwände und Kritiken“ aufmerksam, die Vertreter der Geschichte und Naturwissenschaft, der philosophischen Richtungen des Rationalismus, Pantheismus und Materialismus gegen die missverstandene „Glaubens- und Sittenlehre der Kirche“ richten würden. Der Auszug der christlichen Religion aus Wissenschaft und Kunst zeige seine Wirkung in den Großstädten. Dort würden durch wissenschaftliche Vorträge, „konfessionslose ‚Sonntagspredigten‘ und freidenkerische ‚Andachten‘“ die „Theorien einer religionslosen Moral“ verbreitet. Hoeber empfahl als Gegenwehr das demonstrative Auftreten katholischer Gelehrter in der Öffentlichkeit, die Solidarisierung mit dem gläubigen Volk etwa bei den Fronleichnamsprozessionen, die Vereinigung katholischer Akademiker nicht nur auf der Ebene der Studentenverbände, die Einführung oder Vermehrung der Studentenseelsorge und die Organisation katholischer Vorträge, um Richtpunkte in einem glaubenslos gewordenen Lehrbetrieb aufzustellen. Hoeber entwickelte eine integrale Vorstellung vom Profil des gebildeten Laien, erinnerte in einer Stadt der Wohltätigkeit, „Metz la charitable“, an die Übung der Caritas und die von Frédéric Ozanam gegründeten Vinzenzvereine.
Hoeber lenkte „die Interessen des gebildeten Laien“ auch auf die Weltmission. Hier gelte es, dem „Idealismus“ protestantischer Organisationen nachzueifern, etwa der weltumspannenden Aktivität des 1895 von dem Nordamerikaner John R. Mott ins Leben gerufenen Christlichen Studenten-Weltbundes mit inzwischen 150 000 Mitgliedern und dem Ziel der „Evangelisation der Welt in dieser Generation“. Im Zeitalter des Imperialismus hatten „der Weltverkehr und die Weltpolitik der Kolonialmächte“ den Blick geöffnet für die weltweite Konkurrenz des Islam und des Buddhismus. Die religiös, innengeleiteten Ausgangspunkte der Begeisterung für die Mission kamen in Hoebers ökumenischem Ansatz zum Ausdruck, ähnlich auch in Matthias Erzbergers allerdings übertriebenem Hoffen auf einen von Europa ausgehenden „Missionsadvent“ in China, Indien und Japan.
Einer ebenfalls weltweiten Aufgabe der Evangelisierung, allerdings für katholische Auswanderer, widmete sich der schon seit 1871 bestehende St. Raphaelsverein. Seit seiner Gründung hatte der Verein über zwei Millionen Schützlinge betreut. Sein Generalsekretär Peter Cahensly berichtete über die sprunghaft angestiegene Auswanderung vor allem aus den slawischen Ländern der Donaumonarchie und aus Italien in die Vereinigten Staaten von Amerika.
Der Aachener Stiftspropst und Landtagsabgeordnete Dr. Franz Kaufmann forderte die Einführung des Religionsunterrichts an den nach der deutschen Gewerbeordnung vorgesehenen Fortbildungsschulen. Die religiöse Bildung schien ihm unerlässlich als notwendiges Gegengewicht zum Antiklerikalismus, in dem die sozialdemokratische Arbeiterjugend erzogen werde. Auch aus Paritätsgründen könne der Religionsunterricht, der an den Volksschulen und an den Gymnasien erteilt werde, den Berufsschülern nicht vorenthalten werden. Der Ausschuss für christliche Bildung machte sich diese Forderung in seinem Beschluss zu Eigen.
Während der Katholikentag für den Religionsunterricht in Deutschland nur die Verbesserung bewährter oder erkämpfter Strukturen zum Programm erheben musste, lenkte der Luxemburger Bischof Koppes die Blicke der Versammlung, auf den Prinzipienkampf, der in seinem Land um die Schulen tobte. 1912 hatte die Luxemburger Abgeordnetenkammer mit ein Schulgesetz verabschiedet, das den konfessionellen Charakter der Schulen vollständig beseitigte, die kirchliche Teilnahme an der Schulaufsicht aufhob und den Lehrern jede Art von Religionsunterricht unter strenger Strafe verbot. Da Schulzwang herrschte, war sowohl die Bildung freier Schulen als auch die in Frankreich und Belgien erlaubte Einsetzung geeigneter Lehrpersonen mit kirchlicher Approbation unmöglich. Der Klerus wurde mit der regulären Abhaltung eines auf bischöfliche Anordnung außerhalb der Schulen zu erteilenden Religionsunterrichts schwer belastet. Das Gesetz ging auf die Mehrheit der Sozialisten und Liberalen zurück, die seit den Teilwahlen von 1908 zu einem Block oder Kartell zusammengetreten waren. Auf der Seite des sogleich energisch Widerspruch einlegenden Bischofs standen besorgte Elternkreise, der starke Luxemburger Volksverein, andere katholische Vereine und die Tageszeitung Luxemburger Wort. Mit einem humorvollen Seitenhieb auf den „Pufferstaat“ Luxemburg, der den Zusammenstoß der „großen Maschinen Frankreich, Deutschland und Belgien“ verhindere, geißelte Koppes scharf das „unannehmbare“ neue Schulgesetz. Er beschwor das Zusammenstehen der Lothringer und Luxemburger im gemeinsamen Gebet zur Landespatronin Maria. Das freie Wort kam ihn teuer zu stehen. 21 Kammerdeputierte zeigten ihn wegen Verstoßes gegen den Luxemburger Kanzelparagraphen an und erreichten seine gerichtliche Verurteilung zu der horrenden Schadenersatzsumme von 328 000 Franken.

Wie seit jeher auf den Katholikentagen, so bildete auch in Metz die Arbeiterfrage einen Schwerpunkt der Verhandlungen. Im Vorfeld hatten liberale wie katholische Pressestimmen den offenen Ausbruch des Gewerkschaftsstreits und damit den Misserfolg des Kongresses vorausgesagt. Die Enzyklika „Singulari quadam“ hatte im Herbst 1912 die Erlaubnis zur Duldung christlicher Gewerkschaften unter bestimmten Bedingungen und mit Zustimmung des zuständigen Bischofs ausgesprochen, damit aber dem lange schwelenden Streit zwischen den christlichen Gewerkschaften und dem 1895 in Berlin gegründeten Verband katholischer Arbeitervereine nur ein vorläufiges Ende gesetzt. Die christlichen Gewerkschaften stellten die gemeinsamen Arbeiterinteressen in den Vordergrund und waren überkonfessionell orientiert, während die Arbeitervereine die enge religiöse Bindung des Arbeiters betonten.
Das Metz benachbarte Bistum Trier war eine Hochburg der Berlin-Trierer Richtung, die den Verband katholischer Arbeitervereine favorisierte. Doch hatten die christlichen Gewerkschaften im wichtigen Industriegebiet an der Saar Fuß gefasst. Ihr Sprachrohr war die Kölnische Volkszeitung; doch sie hatte sich Mühe gegeben, die Wogen zu glätten und diesen Streit vom Katholikentag fernzuhalten. Tatsächlich wurde der Ausbruch offener Feindseligkeiten in Metz vermieden. Der „Friede von Metz“ war auch auf die geschickte Geschäftsführung Löwensteins zurückzuführen. Der Präsident interpretierte die Papstbulle als autoritativen Aufruf, sich des Streites untereinander zu enthalten. Das Pochen auf die Verbindlichkeit der lehramtlichen Äußerung verband er widerspruchsfrei mit der pluralistischen Devise: „ „Achten Sie im anderen die Überzeugung, die Sie in sich selbst geachtet wissen wollen!“
Auch der Arbeitervertreter Joseph Joos, später führender Zentrumspolitiker der Weimarer Republik, ein „Vorkämpfer der deutsch-französischen Aussöhnung“, betonte das Verbindende. Er vergegenwärtigte seinen Zuhörern das „furchtbare Druckverhältnis“, dem der „katholische und kirchlich gesinnte Industriearbeiter“ von Seiten „gegnerischer Anschauungen und Organisationen“ an seiner Arbeitsstätte ausgesetzt sei. „Der christlich denkende Arbeiter fühlt sich in eine Welt von Feinden hineinversetzt“. „Der Außenstehende kann sich kein Bild davon machen, welche Formen dieser Meinungskampf in den Fabriken und Werkstätten mit sozialdemokratischer Durchsetzung angenommen hat. Es gibt eine Art zu quälen, die man nicht fassen, nicht nachweisen, die man nur fühlen kann. (Sehr richtig!) Wer nicht mitmachen will, ist gekennzeichnet. Man spricht nicht mit ihm, man hilft ihm nicht, wenn zusammengearbeitet werden soll. Braucht er Werkzeuge, dann sind sie verliehen, oder versteckt, oder stumpf gemacht. Er verliert Zeit und Lohn. Sie erklären, mit den Christlichen nicht mehr zusammenarbeiten zu wollen, und der Arbeitgeber weicht der Gewalt und entläßt den Mann. Das Arbeitsmonopol für sozialdemokratisch Organisierte ist nichts Seltenes mehr. Meine Damen und Herren! Wenn von Heldentum und Martyrium die Rede ist, dann gedenken Sie auch der Dulder und Helden in den Gruben und Werkstätten“.

Joos warb für die christlichen Gewerkschaften, die solchem Mobbing ein Ende machen könnten, gab ihnen aber eine grundlegendere Legitimation, jenseits der „Allmacht des Klassengedankens und des kollektiven Egoismus“. Auch der Fortschritt der Technik, die unbestreitbare „Verbesserung der äußeren Lebensverhältnisse“ und die „Sozialreform“, deren Werte und Erfolge er ausdrücklich anerkannte, konnten die sozialen Schäden nicht heilen, die mit dem heraufziehenden Industriezeitalter entstanden waren. Joos vertrat eine Theorie der Entfremdung und Entwurzelung. Die vielen Einzelnen standen isoliert in ihrer Arbeitswelt, gewannen keinen inneren Halt mehr, den die Stände der früheren Gesellschaften, etwa das Bauerntum, den arbeitenden Menschen und ihren Familien vermittelt hatten, wenn sie im Einklang mit Natur, Brauchtum und Religion ihr Berufsleben führten. Der „fortschreitende Mechanisierungsprozeß industrieller Arbeit“ drohte „Geist und Seele“ verkümmern zu lassen. Hier öffnete Joos die Perspektive auf einen neu wahrzunehmenden Kultur- und Gesellschaftsauftrag der Kirche und ihrer Gläubigen, der über „soziale Theorien und politische Pläne“ oder die Identifizierung mit einzelnen sozialen Forderungen hinausging. Joos nannte die Nächstenliebe, das Bemühen um die Nachfolge Christi, das Vertrauen auf die „Gotteskraft“ und das Vermögen, bei allem notwendigen „Wirklichkeitssinn“ doch „im Lichte des Ewigen die Rätsel des Lebens“ zu schauen. „Das Christentum hat die Völker gelehrt, mit dem Leben der Arbeit fertig zu werden, ja es als Mittel der Selbstheiligung zu gebrauchen. Seine volkserzieherische Kraft wird es auch im Zeitalter der Industrie beweisen. Wenn es nur Leben gewinnt in uns selbst.“ Praktisch sollte neben dem Wort die Tat zur Wirkung kommen, war etwa „das Erziehungsprogramm unserer Standesvereine“ zur Behebung konkreter Nöte auszuschöpfen: „Fortbildungsschulen für Jugendliche und Erwachsene beiderlei Geschlechts, regelmäßige Kurse zur Belehrung über Gesundheits- und Wohnungspflege, Hauswirtschaft, Kindererziehung“ und anders mehr. Es gelte, Unternehmer und Arbeiter wieder „in lebendige Fühlung“, in förderliche „Beziehungen“ zueinander treten zu lassen, „ein Stück bürgerliches Gemeinschaftsleben der Arbeiterfamilien mit denen anderer Stände“ wiederherzustellen. Die in der Industrie tätigen Arbeiter aller Lebensalter, ihre Berufskollegen und ihre Familien sollten die Beheimatung an einem sozialen Ort wiedergewinnen, integrierende Glieder einer kulturellen Stabilität werden, die sich als Frucht der Lebensgestaltung aus dem Glauben einstellen würde.
Die Gedankengänge von Joos‘ Leitreferat berührten sich mit den Ausführungen anderer Redner. In negativer wie positiver Argumentation wurde die Unerlässlichkeit der inneren Verbindung sozialer Tätigkeit mit der Religion unterstrichen. Der französische Journalist Malou sah die drei mit der Sozialkompetenz der Kirche konkurrierenden Angebote zur Lösung der sozialen Frage daran scheitern, dass sie die Religion aus ihren Theorien ausschlössen: der Sozialismus, den „omnipotenten Staat“, die wenig nachhaltige „die rein menschliche Philanthropie“. Der Kölner Zentrumsparlamentarier Carl Trimborn erläuterte am Beispiel des Volksvereins, dass, ausgehend vom religiösen Gebiet, doch dieses verlassend, eine „allgemeine soziale und staatsbürgerliche Schulung“ und Tätigkeit „in alle Kreise“ zu tragen sei. Dafür formulierte er einige Maximen: Mit einer optimistischen Haltung Beispiel zu geben, statt denen das Feld zu überlassen, die „Radikalismus und sozialen Pessimismus“ verbreiten würden; Bemühung um den Ausgleich der „wirtschaftlichen und sozialen Interessenkämpfe“, der „sozialen Gegensätze unter der höheren Einheit volkswirtschaftlicher und staatlicher Notwendigkeiten“; „Vermittlung“ zwischen der Arbeiterbewegung, dem Handwerk und Mittelstand; „Verständigung zwischen Kapital und Arbeit“. Ganz ähnlich sprach sich der Straßburger Theologieprofessor Eugen Müller für eine soziale Kultur des Miteinanders aus, verwarf er das grenzenlose „Sichausleben“ des Individuums wie der Nation, ebenso den „Klassenterrorismus und die einseitige Organisation bestimmter Klassen, wie nur des „vierten Standes“.
Trimborn verabschiedete die statische Vorstellung, die soziale Frage sei nach einer „für alle Verhältnisse und Zeiten gültigen Formel“ zu lösen. Der Wandel der „Wirtschafts- und Sozialordnungen, der von der Entwicklung der Technik, der Rechts- und Bildungsverhältnisse, der auf die „europäischen Nachbarn“ und die „Weltwirtschaft“ ausgedehnten Märkte verursacht wurde, war ebenso zu berücksichtigen wie der Wechsel der Staatsverfassungen.
Diese historische Betrachtungsweise führte Trimborn zu der Entdeckung der relativen Autonomie der weltlichen Sachbereiche. Die schwierigen Probleme wollten beurteilt sein „auch aus Gesetzen und Notwendigkeiten heraus, die dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben als solchem eigen sind“. Dass dies 1913 keine theoretische Einsicht blieb, zeigt das breite Spektrum der auf dem Katholikentag behandelten Themenbereiche, der darauf bezüglichen, teils von den Vereinen ausgehenden Anträge und Resolutionen. Neben den Arbeitern hielten auch die Angehörigen des Handelsberufe und des jungen Berufs der Angestellten auf dem Katholikentag zwei Veranstaltungen ab. Der Vorsitzende des Verbands der katholischen kaufmännischen Vereinigungen, Wilhelm Tewes, war selbst anwesend und versprach, die bisherigen „Vorurteile gegen die Bevölkerung der Reichslande“ fallenzulassen. Weitere Anträge, oft einstimmig verabschiedet, betrafen die Förderung des Zusammenschlusses akademisch gebildeter Katholiken mit ersten Anfängen in Düsseldorf, Köln und Essen, der Gesellschaft für christliche Kunst, des Borromäus- und Bonifatiusvereins, der verschiedenen Missionsvereine. Der katholischen Militär- bzw. Rekrutenfürsorge nahm sich der Oberstleutnant a.D. Emil Hasse aus Aachen an, der Obdachlosen- und Wandererfürsorge der christliche Gewerkschaftler Johann Giesberts. Den Jugendlichen und Erwachsenen, die auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Stadt oder von Stadt zu Stadt zogen, fehlten die seelsorgliche Betreuung, aber auch die Ledigenheime und Wohnungen. Der katholische Frauenbund wollte die katholische Glaubens-und Sittenlehre verteidigen und die Angriffe auf die Familie abwehren, doch auch den ihr „gebührenden Platz“ in der Frauenbewegung einnehmen und „alle Gebieten der Frauenbetätigung“ ausbauen.
Die Zuwendung zu diesen Sachbereichen resultierte auch aus der Entdeckung der Kategorie des Wandels. Bezogen manche Redner eine „larmoyante“ Abwehrposition gegenüber „modernen Anschauungen“, so akzeptierten andere die Erscheinungen des modernen Lebens, deren Unumkehrbarkeit und Anziehungskraft auf die Massen nicht zu übersehen war. Neben Trimborn sind hier Eugen Müller, Robert Schuman, Henri Teitgen und Georg Baumberger besonders zu nennen. Müller wollte „all das Große und Schöne, all das Wunderbare und Fruchtbare, was in unserer modernen Kultur liegt“, nicht angetastet wissen. Der junge Schuman ging einen Schritt weiter und ließ seine Ausführungen, zu denen auch Bischof Benzler eintraf, in dem Satz gipfeln: „Der Katholizismus ist das Prinzip des Fortschrittes“. Georg Baumberger von der Schweizerischen Konservativen Volkspartei begrüßte den Umschwung auf vielen Gebieten: Der Staat war ein „reicherer Kulturträger“ geworden, Schulbildung und Kunst waren auf ein höheres Niveau gehoben, eine „popularisierte Wissenschaft“ bereicherte die „moderne Volksbildung“, die Technik siegte über „alle Elemente“, der Verkehr „schuf neue Begriffe von Raum und Zeit“, eine neues „politisches Parteiwesen“ erreichte den „letzten Bürger“, ein von Fahnenseide rauschendes Vereinswesen und die unterhaltende Presse drangen bis in den „letzten Landeswinkel“ vor, „dann auch noch Sport jeder Art, Theater jeder Art, und der vielgeliebte Kino [!] sei auch nicht vergessen“. Jedoch machte Baumberger Zugeständnisse an ein gefährliches Konstrukt der Moderne, an den Volksbegriff. Er beteiligte sich an dessen Mystifikation, ohne allerdings das „mächtige Zukunftsvolk“, das er kommen sah, einer bestimmten Nation zuzuweisen.
Fassen wir zusammen: Warum gelang das Wagnis, einen Katholikentag im „Reichsland“, in Metz abzuhalten? Ein Wagnis, zweifellos, doch das Unterfangen war nicht ganz neu; schon vorher hatten in Elsaß-Lothringen deutsche und internationale katholische Versammlungen stattgefunden, die reibungslos verlaufen waren. Eine breite Werbekampagne und eine lange, sorgfältige Vorbereitung mobilisierten viele Teilnehmer aus Lothringen, aus dem Elsaß, aus dem Bistum Trier und dem zu Preußen gehörenden, benachbarten Saarbecken. Die Vorarbeit des Volksvereins und der Union populaire im Reichsland, aber auch die Jugendarbeit des Bischofs Benzler trugen ihre Früchte. Dank dem Engagement eines Collin und Schuman, des Vertreters der katholischen Jugend in Metz, wurde eine französischsprachige Sektion eingerichtet, die in Harmonie mit und neben den deutschen Versammlungen tagte. Die Lothringer erwiesen den Fremden ihre bekannte Gastfreundschaft. Sie zeigten sich ihrerseits für das Taktgefühl und die Herzlichkeit empfänglich, die der Präsident Löwenstein ausstrahlte. Die Perspektive einer neuerlichen deutschen Inbesitznahme Lothringens greift zu kurz. Der Katholikentag förderte zwar die Verständigung zwischen den Einheimischen und den Altdeutschen in Lothringen. Doch deren Basis war nicht in erster Linie das Nationalgefühl, sondern die Gemeinsamkeit der katholischen Konfession. Mit der Universalität, die vom katholischen Glauben ausging und über die Nationen hinweg verband, hatte man die Doppelsprachigkeit begründet, und diese war es auch, die den Beitrag französischer Redner von jenseits der Grenze, aus Verdun und der Bretagne, sicherte. Dadurch wurde die Grenze zwischen zwei sich feindselig gegenüberstehenden Großmächten zumindest etwas durchlässiger. Die Bewusstmachung religiöser Gemeinsamkeit schlug ein anderes Kapitel der Integration auf als die Akzentuierung nationaler Gemeinschaft. Collin sprach mit hoher Bewunderung von Ludwig Windthorst, dem Führer der katholischen Laien „unsterblichen Angedenkens“, freilich mit dem unüberhörbaren Unterton, dass er „das katholische Volk zum Sieg geführt über den allgewaltigen Bismarck“. Die Metzer Verständigung dürfte politisch einer Linie der fortschreitenden Integration bei Ausbau der gegebenen Ansätze zur Autonomie oder Bundesstaatlichkeit entsprochen haben. Doch waren das Heimatgefühl und die kulturelle französische Prägung nicht gänzlich dem Appell an die konfessionelle Solidarität gewichen.
Einem Schweizer Redner blieb es vorbehalten, auf die „bahnbrechend nach Osten und Westen“ wirkende militärische Stärke des Reiches hinzuweisen, um aber zugleich einschränkend hinzuzufügen, „die heutige deutsche Nation“ möge die ihr verliehene „große Kraft der Infiltration auf andere Völker“ im Sinne „der religiösen und sittlichen, der ethischen“ Verantwortung wahrnehmen, gleichsam als eine andere, „neue Wehrvorlage“. Verrät das Vokabular eine heute nicht mehr nachvollziehbare Faszination durch das Militärische oder war es ein Zugeständnis an die in der jesuitischen Tradition liegende ‚militia Christi‘? Gedacht war an die Verteidigung oder Ausbreitung als gemeinsam empfundener Werte, so der christlichen Schule in Lothringen und Luxemburg. Die Bahn zum Nationalismus, Imperialismus und ähnlichen Ideologien wurde erst geebnet, wenn es gelang, das vorstaatlich Menschliche einschließlich der religiösen Kultur, an deren kontinuierlicher Stärkung den Katholikentagen gelegen war, zu demontieren. Der  etzte Katholikentag des Kaiserreichs setzte so ein Zeichen der Hoffnung, die der Erste Weltkrieg vernichtete. Einen Platz in den Geschichtsbüchern hat er jedoch bis heute nicht erobert; den behauptet immer noch das Trauerspiel der Zabern-Affäre von 1913, die im Reichsland das Gefühl wecken musste, wieder einem Besatzungsregime unterworfen zu sein.

War der Katholikentag ein der Moderne entgegenstehendes Projekt? Er verdankte sich einer über Jahrzehnte aufrecht erhaltenen organisatorischen Anstrengung. Mit seinen 100 000 Teilnehmern am ersten Versammlungstag war er ein modernes Massenphänomen, wurzelnd in der vom Revolutionsjahr 1848 entbundenen Vereinsfreiheit. Die gut strukturierte Generalversammlung lebte wiederum aus der Mitarbeit einer Vielzahl von Vereinen, der religiösen, sozialen und caritativen, der Bildungs- und Studenten-Vereine. Der Rechnungsabschluss war mit der Summe von je 119 784, 65 Mark Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen. Der Festzug, die festlichen Mahlzeiten, die fünf Ausstellungen, die vielen Gottesdienste ergänzten das intellektuelle Angebot, packten die Menschen im Gemüt, boten etwas für Auge und Ohr. Die Rückblicke auf verdiente Gestalten des Katholizismus, besonders auf den ‚Gesellenvater‘ Adolf Kolping (1813-1865), dokumentierten eine dichte Erinnerungskultur. Als Beispiele für die Verbreitung des Ereignisses in der Presse können die 20 meist mehrspaltigen Berichte über den Katholikentag in der Kölnischen Volkszeitung angeführt werden. Die Rückkoppelung mit dem politischen Katholizismus fand wie üblich statt. Viele Abgeordnete der elsaß lothringischen Zentrumspartei waren erschienen, ebenso eine stattliche Abordnung der Deutschen Zentrumspartei mit den späteren Weimarer Kabinettsmitgliedern Trimborn, Giesberts, Erzberger und Wilhelm Marx. Die Tagung bot einen Brennpunkt des katholischen Milieus, war aber zugleich das Ergebnis permanenter Anstrengung und einer breit gestreuten Opferfreudigkeit, die sich in Publikationsofferten, im tätigem Einsatz und in der Spendenbereitschaft äußerte, ein Aspekt, den die blühende Milieuforschung, die eher von passivisch aufgefassten Prägungen ausgeht, leicht übersieht. Der Katholikentag unterschied sich aber deutlich von der Unverbindlichkeit und Offenheit vieler moderner Massenevents des 21. Jahrhunderts. Er entwickelte eine oft emotionale, der Selbstvergewisserung dienende Rhetorik, um einen Platz inmitten der immer noch konfrontativ aufgeladenen ‚Geisteskultur‘ seiner Zeit zu erringen. Das Bewusstsein, ein kämpfendes Lager zu repräsentieren, führte Priester und Laien zur Eintracht zusammen. Fünf Bischöfe waren anwesend, alle ergriffen, teils mehrmals, das Wort: Benzler von Metz, Korum von Trier, Koppes von Luxemburg, der Straßburger Bischof Adolf Fritzen und der Paderborner Weihbischof Heinrich Hähling von Lanzenauer. Der Katholikentag setzte einen Kontrapunkt zu der laizistischen Devise: La religion c’est l’affaire des curés“. Er bezog keine generelle Abwehrfront gegen  die moderne Kultur, sondern erhob dort entschieden Widerspruch, wo die Säkularisierung, verstanden im Sinne einer Überwindung der mit der modernen Geistesfreiheit angeblich unvereinbaren Glaubens- und Moralvorstellungen, zur Voraussetzung und Vorbedingung der modernen Kultur und Gesellschaft erklärt wurde. Er betonte demgegenüber die Notwendigkeit der religiösen Orientierung, um die Gesellschaft aus ihren Entwurzelungs- und Auflösungserscheinungen wieder zur Stabilität und Ausgeglichenheit zurückzuführen. Wenn dabei trotz der Anerkennung der Kategorie des Wandels und der modernen Errungenschaften auf vielen Gebieten, von der Technik und vom Verkehr bis hin zu dem neu entstandenen Vereins- und Parteiwesen, die Abwehrhaltung überwogen haben mag, so ging jedenfalls die jugendliche Stimme Robert Schumans mit ihrem unumwundenen Bekenntnis zum Fortschritt darüber hinaus. Allerdings wird dieser ‚Vater Europas‘ aus der Vergewisserung der eigenen Identität, die von der damals noch eigenständig „organisierten Aktivität der Gläubigen“ ausging, ehe an deren Stelle die Verkirchlichung“ der Laien, die „kirchlich geordnete Laientätigkeit“, trat, entscheidende Impulse für sein religiöses Leben und seine spätere politische Laufbahn erhalten haben. Die Überwindung nationaler Schranken und Sprachbarrieren, die für die Teilnehmer am Metzer Katholikentag Ereignis wurde, wies auf gemeinsame kulturelle Grundlagen zurück, die das Verhängnis des Ersten Weltkriegs wieder zurückgestaut hat, auf den ersten Aufschwung der gemeinsamen christlichen Zivilisation, der von dem lothringischen Kernland des karolingischen Europa ausgegangen war.

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