Den Wandel gestalten

Statement von Alois Glück bei der Dialogprozess-Veranstaltung in Stuttgart -es gilt das gesprochene Wort.

1. Der Dialogprozess hat eine starke integrierende Kraft für die katholische Kirche in Deutschland entwickelt.

Dies ist gerade im Hinblick auf die Ausgangssituation, die aufgewühlte und unruhige Stimmung im Zusammenhang mit den bitteren Erfahrungen des sexuellen Missbrauchs im Jahr 2010 und die ständig anwachsende Unruhe und Unzufriedenheit über die Stagnation bei notwendigen kirchlichen Reformen von außerordentlicher Bedeutung.

Mit den Strukturen des Dialogprozesses auf der Bundesebene und in der Folge in den Diözesen gab es für die notwendigen Erörterungen die Plattform. Es entwickelte sich die notwendige Gemeinsamkeit für den Austausch unterschiedlicher Positionen.

 

Der Dialogprozess auf der Bundesebene wurde ein starker Impuls für Gesprächsprozesse und Dialoge in vielen Diözesen, in den Verbänden und Gemeinschaften.

Exemplarisch dafür ist, dass die Homepage des ZdK www.einen-neuen-aufbruch-wagen.de in über 700 Meldungen von diesen Aktivitäten berichten kann.

 

 

2. Mit dem Dialogprozess ist innerhalb unserer Kirche ein neues Vertrauen gewachsen.

Vor der ersten Veranstaltung in Mannheim gab es bei allen Beteiligten,  Laien und Bischöfen, eine große Unsicherheit über die Möglichkeit und die Bereitschaft zum offenen Dialog. Man fragte sich: Wie werden die Bischöfe reagieren? Wie werden die Laien reagieren? Was kann und darf gesagt werden? Diese Fragen und Unsicherheiten standen im Raum.

Bezeichnend für die damalige Ausgangssituation war die eigentlich erschreckende Zustandsbeschreibung, dass an erster Stelle der Wünsche der Laien die Sehnsucht nach einer „angstfreien Kommunikation“ in unserer Kirche stand.

Deshalb ist es so wertvoll feststellen zu können, dass sich eine offenere, eine bessere Gesprächskultur entwickelt hat. In Mannheim und in den folgenden Dialogveranstaltungen auf Bundesebene wie auch bei vielen anderen Gelegenheiten konnten Themen benannt und erörtert werden, die bislang oft verdrängt und tabuisiert worden waren. Initiativen, die diese Themen aufgriffen, waren oft ausgegrenzt worden.

Wir erhoffen uns einen neuen Schub, neuen Mut und weniger Ängstlichkeit durch das Beispiel und Vorbild von Papst Franziskus. Er ist der Wegbereiter einer angstfreien Kommunikation und zu einer hörenden und dienenden Kirche.

 

 

3. Die Dialogveranstaltungen auf der Bundesebene haben gezeigt, dass es bei den engagierten Katholikinnen und Katholiken, die im Alltag das Leben unserer Kirche tragen und die die breite Mitte vertreten, eine hohe Übereinstimmung über die Situation und die notwendigen Veränderungen in unserer Kirche gibt. Der Ruf nach notwendigen Veränderungen ist nicht nur das Anliegen oft gescholtener „Reformkatholiken“ und „ewiger Kritiker“.

Der Dialogprozess hat auch gezeigt, dass es keinen Gegensatz zwischen der Reform von Strukturen und der Vertiefung des Glaubens gibt. Gerade diese Veranstaltung in Stuttgart zum Thema Liturgie ist dafür ein Beleg.

Für alle Überlegungen gilt aber auch: Reformen sind kein Selbstzweck, wie auch die Kirche kein Selbstzweck ist.

Bei allen Bemühungen geht es im Kern darum, den Menschen den Zugang zu der Botschaft Jesu Christi zu vermitteln.

 

 

4. Das zunächst wichtigste Ergebnis des bisherigen Prozesses ist eine neue Offenheit, eine neue innere Lebendigkeit in unserer Kirche als Voraussetzung dafür, dass uns unsere Kirche Heimat sein kann, dass durch innere Lebendigkeit eine neue Kraft wächst, dass damit eine neue Ausstrahlung und eine neue Anziehungskraft auf die Menschen entstehen.

Die Zukunft der Kirche wird wesentlich von ihrer geistlichen Kraft und Ausstrahlung geprägt sein. 

Die Veranstaltung in Hannover war eine wichtige Klärung und Richtungsbestimmung, dass Glaube und Diakonie eine untrennbare Einheit sind. Eine Absage zu einem Rückzug in  ein (innerkirchliches) „Kerngeschäft“.

 

5. In Hannover hat der Dialogprozess auf der Bundesebene durch die konkrete Benennung von Selbstverpflichtungen eine wichtige Konkretisierung erfahren. Er wurde damit auch eine große Ermutigung.

Damit verbinden sich aber auch Hoffnungen und Erwartungen an konkrete Ergebnisse.

Die Initiativen der Bischofskonferenz mit dem Studientag über die Rolle und die Aufgaben der Frauen in unserer Kirche mit den entsprechenden konkreten Schlussfolgerungen wie auch die beiden Arbeitsgruppen zur Situation von Menschen, die nach einer Scheidung wieder heiraten und gleichzeitig mit ihrer Kirche weiterleben möchten, ist dafür Ermutigung und gleichzeitig konkrete Herausforderung.

Die Aufgabe, pastorale und arbeitsrechtlich zufriedenstellende Lösungen für die Situation dieser Menschen in unserer Kirche zu finden, ist ein Schlüsselthema, das weit über die unmittelbar Betroffenen hinaus von großer Bedeutung ist.

Am Ergebnis dieser Beratungen wird für Viele exemplarisch sein, welche konkreten Veränderungen und Verbesserungen möglich sind. Schließlich reicht es nicht, dass wir über verschiedene Themen einfühlsamer und offener miteinander reden.

Ich bitte die Bischöfe eindringlich, entschieden, mutig und zügig zu Ergebnissen zu kommen, die diesen Menschen die volle Teilhabe am Leben in unserer Kirche eröffnen. Nochmals: Das ist ein Schlüsselthema für die gesamte weitere Entwicklung.

 

Außerdem ist für uns der Prozess der Neustrukturierung der Gemeindeseelsorge von großer Bedeutung.  Diese Strukturentscheidungen sind von außerordentlicher Bedeutung für die Präsenz der Kirche bei den Menschen. Die Kirche muss als Gemeinschaft der Glaubenden im Lebensraum der Menschen lebendig sein.

Dies ist nur möglich, wenn die Arbeitsergebnisse der Arbeitsgruppe der Gemeinsamen Konferenz zu den Charismen und Diensten in unserer Kirche dafür umgesetzt werden. http://www.zdk.de/veroeffentlichungen/erklaerungen/detail/Das-Zusammenwirken-von-Charismen-und-Diensten-im-priesterlichen-prophetischen-und-koeniglichen-Volk-Gottes-203u/

 

In diesem Zusammenhang kann ich dankbar berichten, dass sich in den letzten Jahren eine sehr vertrauensvolle und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee entwickelt hat, wofür vor allem die „Gemeinsame Konferenz“ steht. (Anm. Ein Gremium mit jeweils 10 Vertretern der Bischofskonferenz und des Zentralkomitees, das zweimal im Jahr verschiedene Themen miteinander berät.)

 

Schlussbemerkung:

Den Wandel gestalten oder den Wandel erleiden?

Vor dieser Alternative stehen wir immer wieder in Gesellschaft und Politik, aber auch in unserer Kirche. Mit Blick auf die Erfahrungen in unserer Kirche kamen mir wieder in Erinnerung die Erfahrungen in meiner  Zeit bei der Katholischen Landjugend in den 1960er/1970er Jahren mit dem tiefgreifenden Strukturwandel in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum. Als Katholische Landjugendbewegung waren wir außerordentlich engagiert im Ringen um sachgerechte Antworten auf den Strukturwandel in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum.

Die damalige Haltung des Bauernverbands habe ich beschrieben: „Hinhaltender Widerstand, um ehrenvoll zu kapitulieren.“

Diese Haltung beobachte ich auch sehr oft in unserer Kirche.

Die tragische Konsequenz dieser Haltung ist, dass man damit keine Gestaltungskraft entwickelt. Die Kräfte werden primär dafür verbraucht, wenn man sie denn schon nicht aufhalten kann, Veränderungen möglichst lange hinauszuziehen. Damit wird auch unendlich viel wertvolle Zeit und werden viele Möglichkeiten verspielt.

Um den Wandel gestalten zu können, ist zunächst Voraussetzung, dass wir ihn auch innerlich akzeptieren. Dafür ist wiederum  Voraussetzung, dass die Vergangenheit nicht verklärt wird und die Veränderungen nicht nur als eine Verlustgeschichte interpretiert werden. Dann wird der Blick für neue Chancen und neue Möglichkeiten verbaut.

Deshalb ist für den Dialogprozess grundlegend wichtig die Bereitschaft, den Wandel aktiv zu gestalten.

 

Alois Glück

 

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