Ansprache anlässlich 50 Jahre Gedenkkirche Maria Regina Martyrum

von Alois Glück -es gilt das gesprochene Wort.

Am 5. Mai 1963 wurde die Gedenkkirche Maria Regina Martyrum von Julius Kardinal Döpfner – damals schon Erzbischof von München-Freising – geweiht. Diese Gedenkkirche ist für ganz Deutschland von Bedeutung. Heute haben wir uns aus Anlass dieses Jubiläums zu einer festlichen Stunde zusammengefunden. Die katholische Laienbewegung in Deutschland, das Zentralkomitee der deutschen Ka-tholiken ist mit der Geschichte dieser Kirche besonders verbunden und wir fühlen uns auch in besonderer Weise verpflichtet, das Gedenken an die Märtyrer des Nationalsozia-lismus lebendig zu halten und ihr Erbe in dieser unserer Zeit als Verpflichtung weiterzut-ragen. Schon Anfang der 1950er Jahre gab es in Berlin die Idee, in der Nähe der Hinrichtungs-stätte Plötzensee eine Kirche zu bauen. Eine Kirche sollte es sein, nicht nur irgendein Denkmal. Aber erst der 78. Deutsche Katholikentag 1958 in Berlin brachte den Durchbruch: die deutschen Katholiken – Verbände, Diözesen, Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Bischofskonferenz und viele Einzelne machten den Bau dieser Kirche zu ihrer Aufgabe. Es kamen Spenden aus West und Ost, aus allen deutschen Landen – auch von der jüdi-schen Gemeinde in Berlin. Die Kirche ist gewidmet: „Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde und allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind.“ Maria Regina Martyrum ist zu einer zentralen Stätte des Gedenkens aus christlicher Ge-sinnung an die Männer und Frauen geworden, die am Plötzensee und anderen Orten im Widerstand gegen NS-Verbrechen und Gewaltherrschaft ihr Leben eingesetzt und verlo-ren haben, die für die Rechte der Menschen und der Freiheit gestorben sind – in Berlin und darüber hinaus.

Beim Richtfest im November 1961 formulierte Generalvikar Walter Adolf: „Geist und Gesinnung unserer Blutzeugen müssen unser Volk beseelen, weil wieder das Verderben droht, dass die Gesetze Gottes und damit Freiheit und Würde des Menschen verletzt werden.“ Freiheit und Würde des Menschen als Gesetz Gottes – eine sehr wichtige Orientierung!   Diese Gedenkkirche hat auch ein Märtyrergrab: Dr. Erich Klausener, hoher Beamter und wichtiger Führer der Katholiken in Berlin und Vertreter des Laienapostolats wurde bereits im Juni 1934 ermordet. Er wurde heute genau vor 50 Jahren am 4. Mai 1963 hier in der Krypta beigesetzt.

Zu dem Vermächtnis der starken Persönlichkeiten des Widerstands gehört die ökumeni-sche Zusammenarbeit. Deshalb ist es so wertvoll, dass zwei „Schwesterkirchen“ ganz in der Nähe errichtet wurden: 1964 „Sühne Christi“, jenseits der Stadtautobahn 1970 das evangelische Gemeindezentrum Plötzensee, direkt nebenan mit den berühmten Bildern des Totentanzes. Für die Gemeinsamkeit steht seit 1970 der gemeinsame, gewissermaßen ökumenische Glockenturm, der für beide Kirchen läutet. Viele gemeinsame Aktivitäten wie Gesprächskreise, Gottesdienst, Friedensgebet, vor allem der jährliche ökumenische Gottesdienst am 20. Juli in der Hinrichtungsstätte sind Ausdruck des lebendigen Geistes ökumenischer Zusammenarbeit, der in Widerstands-gruppen gewachsen ist. Das Ökumenische Gedenkzentrum Plötzensee informiert unter der Thematik „Christen und Widerstand“ über diese Wurzeln und über diese Pioniere dieser Ökumene. Dieses Zusammenwachsen evangelischer und katholischer Christen zum gemeinsamen Handeln gegen die Unmenschlichkeit ist ein wichtiger und verpflichtender Teil des Erbes. Evangelische und katholische Christen waren es auch, die aus diesen gemeinsamen bitteren Erfahrungen und den gemeinsamen Einsichten über die Grundlagen des verbrecherischen Systems nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialistischen Terrorsystems für den Aufbau des neuen Gemeinwesens und der neuen Demokratie die konfessionellen Ausrichtungen der Parteienlandschaft überwunden und zu gemeinsamen Handeln der Christen gefunden haben. Diese wurde die erste und große ökumenische Bewegung in Deutschland in einer Zeit, in der trotz gemeinsamer bitterer Erfahrungen die christlichen Kirchen noch weithin auf Abgrenzung, nicht selten auch auf Rivalität ausgerichtet waren. Papst Benedikt XVI. hat dies am 23. September 2011 in Erfurt bei der Begegnung mit den Vertretern des Rates der EKD so gewürdigt: „Wie uns die Märtyrer der Nazi-Zeit zueinander geführt und die große erste ökumenische Öffnung bewirkt haben, so ist auch heute der in einer säkularisierten Welt von innen gelebte Glaube die stärkste ökumenische Kraft, die uns zueinander führt, der Einheit in dem einen HERREN entgegen.“ Gemeinsam aus christlichem Geist die Lebensbedingungen der Menschen gestalten, dies sollte noch viel mehr Ziel der Ökumene sein. Wir sind immer noch zu sehr jeweils auf uns selbst, auf unsere Kirchen, auf unser Profil, auf unsere Wirkung fixiert. Den Frauen und Männern des Widerstandes verdanken wir auch, dass sie mit ihrem Lebenszeugnis, mit ihrer moralischen Autorität, mit ihrem Zeugnis des anderen Deutschlands Wegbereiter wurden für die Rückkehr unseres Volkes in die Völkergemeinschaft. Die bitteren Erfahrungen mit dem verbrecherischen System des Nationalsozialismus waren wegweisend für die Gestaltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutsch-land und vor allem für zwei grundlegende Orientierungen: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen […] hat sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben„ steht in der Präambel. Den Müttern und Vätern des Grundgesetzes war bewusst, dass die Gottlosigkeit dieser politischen Ideologie, ein Weltbild in dem der Mensch die oberste Instanz war und es keine Verantwortung vor Gott gab, der Treibsatz für die Maßlosigkeit und Orientierungslosigkeit dieses Handelns war. Und eine weitere grundlegende Orientierung für das neue Gemeinwesen hat ihren Impuls in diesen furchtbaren Erfahrungen. Der Satz in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflich-tung aller staatlicher Gewalt.“ Sie, die Mütter und Väter des Grundgesetzes, hatten in lebendiger Erinnerung, dass das Menschenbild des Nationalsozialismus die Grundlage des verbrecherischen Handelns war. Herrenmenschen und Untermenschen, Vernichtung sogenannten lebensunwerten Lebens, Terror gegen Andersdenkende – all dies haben ihren Ausgangspunkt in diesem Menschenbild. Die NS-Verbrechen an den europäischen Juden, den slawischen Völkern, den Sinti und Roma, aber auch an der eigenen Bevölkerung haben ihre Wurzeln und ihre Motive im Menschenbild des Nationalsozialismus. Dem wurde das Menschenbild der jüdisch-christlichen Tradition entgegen gesetzt, das Menschenbild, das seine Quelle im christlichen Verständnis hat, nämlich dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und deshalb jeder Mensch dieselbe Würde und dieselben Rechte hat. Das ist der Wegweiser für eine humane Zukunft.   Dieses Menschenbild ist hilfreich für die Unterscheidung der Geister und ist eine hoch-aktuelle Orientierung gegen neue totalitäre Ideologien und vor allem gegen die auch in unserem Land immer wieder aufwallenden rechtsextremen und rechtsradikalen Entwicklungen. Zu Viele erkennen nicht, dass mit dem Reden von Heimat, Gemeinschaft, Schutz des christlichen Abendlandes und was es sonst noch alles an ähnlichen Formulierungen gibt sehr häufig die Abwertung und die Ausgrenzung anderer Menschen verbunden ist: die schleichende Entwicklung nationalistischer Ideologien. Der Rechtsradikalismus in all seinen Facetten hat seine Antriebskraft ebenfalls in einem Menschenbild, das unserem Grundgesetz und dem christlichen Menschenbild diametral entgegen steht. Gerade die Entwicklung des Nationalsozialismus lehrt uns: Wehret den Anfängen. Dazu ist der Geist der Unterscheidung nötig. Primitive Rechts-radikale mit ihren dumpfen Parolen gegen alle, die ihrem Menschenbild nicht entspre-chen, sind für jedermann leicht erkennbar. Viel schwieriger zu erkennen, zu durchschauen und deshalb weit gefährlicher in ihrer Wirkung sind intellektuelle Verbreiter und Vorbereiter nationalistischen Gedankenguts. Der Ungeist rechter Ideolo-gien kann sich in der Gesellschaft einnisten, ohne dass er zunächst von vielen als solcher erkannt wird. Wir müssen leider feststellen, dass sich solche Tendenzen durchaus auch wieder in einigen Regionen Deutschlands und in gesellschaftlichen Grup-pen, die landläufig jetzt der Mitte zugeordnet werden, einnisten. Dort haben sich rechtsextremistische Einstellung und Verhaltensmuster in der Jugendkultur, aber auch in Gemeinden so breit gemacht, dass Widerspruch schon zur Mutprobe wird. Auch in unserer Zeit ist die erste Bürgertugend Zivilcourage! Zivilcourage bedeutet Wachsamkeit und Bereitschaft zum Widerspruch. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit.

Christinnen und Christen, die im Widerstand zum Nationalsozialismus lebten und starben sind zu großen Glaubenszeugen geworden. Wir hörten vorher: „Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war ist vergangen.“ Bei diesem Text kommen mir immer wieder in Erinnerung die Berichte, wie mutig und wie gelassen viele ihren letzten Weg zur Hinrichtung und zum Sterben gegangen sind. Aus diesen Extremsituationen des Lebens stammen Texte, die uns allen bekannt sind wie der Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ oder von Pater Alfred Delp „Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt“. Letzteres war auch unser Motto für den Katholikentag 1984 in München. Wie sehr brauchen häufig Verzagte in einer unruhigen Welt eine solche Orientierung, wie sehr könnte dieses große Gottvertrauen helfen, Ängstlichkeiten in unserer Kirche zu überwinden? In den Kerkern haben Männer wie Alfred Delp und Dietrich Bonhoeffer prophetische Kraft entwickelt. Als ich nach der Wahl von Papst Franziskus seine Rede in der General-kongregation lesen konnte, erinnerte ich mich an prophetische Sätze von Pater Alfred Delp. Er schrieb aus dem Gefängnis: „Von zwei Sachverhalten wird es abhängen, ob die Kirche nochmal einen Weg zu den Menschen finden wird. […] Der eine Sachverhalt meint die Rückkehr der Kirchen in die Diakonie: in den Dienst der Menschheit und zwar in einen Dienst den die Not der Menschheit bestimmt, nicht unser Geschmack einer noch so bewährten kirchlichen Ge-meinschaft. „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen.“ (Markus, 10,45) Man muss nur die verschiedenen Realitäten kirchlicher Existenz einmal unter dieses Gesetz rufen und an dieser Aussage messen und man weiß eigentlich genug. Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienste des physisch, psychisch, sozial, wirt-schaftlich, sittlich oder sonst wie kranken Menschen. …. Damit meine ich das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verloren-heiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm zu sein und gerade dann, wenn ihn Verlorenheit und Verstiegenheit umgeben.“ Dieser Text wurde 1944 geschrieben.

2013 formulierte der jetzige Papst Franziskus in der Rede vor den Kardinälen:

„Die Evangelisierung setzt apostolischen Eifer voraus. Sie setzt in der Kirche kühne Redefreiheit heraus, damit sie aus sich selbst herausgeht. Sie ist aufgerufen aus sich selbst heraus zu gehen und an die Ränder zu gehen. Nicht nur an die geographischen Ränder, sondern an die Grenzen der menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, die des Schmerzes, die der Ungerechtigkeit, die der Ignoranz, die der fehlenden religiösen Praxis, die des Denkens, die des jeglichen Elends.“

Das dankbare Gedenken an die Menschen denen diese Kirche und dieses ökumenische Zentrum gewidmet sind, soll uns vor allen Dingen auch der Orientierung dienen. Ihr Beispiel und ihr Lebensweg vermitteln, welche Kraft Gottvertrauen bringt. Ihr Lebenszeugnis und ihr Glaubenszeugnis hat auch in der heutigen Welt höchste Ak-tualität.

Wie die hohe Übereinstimmung der Texte von Pater Alfred Delp und Papst Franziskus belegt sind dies Wegweiser und Ermutigung für die Wanderung des pilgernden Gottes-volkes in dieser Zeit und für das Engagement von Christen in Kirche und Welt.

 

Alois Glück

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