„Sicherheit gemeinsam gestalten“
Statement bei der Veranstaltung „Sicherheit gemeinsam gestalten“ des Beirats für Fragen der Inneren Führung und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 5. September 2012 in Berlin -es gilt das gesprochene Wort.
1.Die ethischen Abwägungen im Spannungsbogen von Krieg und Frieden und die damit verbundenen Konsequenzen fordern die christlichen Kirchen seit Jahrhunderten heraus. Der Spannungsbogen reicht dabei seit jeher und unverändert von konsequentem pazifistischen Nein zu jeder militärischen Gewalt bis zur Bejahung abwägender politischer Handlung, einschließlich gegebenenfalls notwendiger militärischer Aktion. Die deutschen katholischen Bischöfe haben in ihren Hirtenworten „Gerechter Friede“ vom September 2000 und „Soldaten als Diener des Friedens“ vom November 2005 dafür in die Aktualität dieser Zeit hinein Positionen beschrieben. Ich zitiere beispielhaft: „Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, so lehrt es das II. Vatikanische Konzil, betrachtet sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. In dem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.“ Und an anderer Stelle: „Das Prinzip der Gewaltfreiheit kann mit der Pflicht konkurrieren, Menschen davor zu schützen, massivem Unrecht und brutaler Gewalt wehrlos ausgeliefert zu sein.“ (beide Zitate aus der Publikation „Gerechter Friede“, September 2000)
2.Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Zusammenbruch des Traumes, dass damit der Weg frei wird, um aus Schwertern Pflugscharre zu schmieden, haben sich die Anforderungen an die Sicherheitspolitik und die damit verbundenen ethischen Fragestellungen verändert. Im September 2011 veröffentlichte die Bischofskonferenz die Denkschrift "Terrorismus als ethische Herausforderung. Menschenwürde und Menschenrechte." Eine ethische Reflexion zur veränderten Weltlage, zur Bekämpfung von Terrorismus unter der friedensethischen Perspektive, auch mit den Grenzen legitimer Gewaltanwendung an exemplarischen Themen der Innenpolitik.
Besonders bemerkenswert: die Menschenwürde und die Menschenrechte werden in den Mittelpunkt der ethischen Bewertungen und Abwägungen gestellt.
Aus der dualen Ost-West-Konstellation mit der dominanten Fragestellung des Einsatzes von Atomwaffen ist durch den Terrorismus und die Globalisierung eine viel kompliziertere Gemengelage erwachsen, damit auch für ethische Fragestellungen. Dafür sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr ein Schlüsselthema, dass sich dann insbesondere im Einsatz in Afghanistan konkretisiert und fokussiert hat. Dieser Einsatz wird von der offiziellen Position der katholischen Kirche insgesamt mitgetragen – und soweit ich sehe auch von der evangelischen Kirche. In der evangelischen Kirche ist aber die interne Debatte kontroverser.
3. Auch für die innerkirchlichen Debatten gilt, was für die allgemein öffentliche Debatte gilt:
Uns Bürgerinnen und Bürgern ist kaum bewusst, wie sehr wir in den letzten zwanzig Jahren eine weltweite Schicksalsgemeinschaft geworden sind, wie sehr unsere Situation und unsere Zukunftsperspektiven von Entwicklungen in anderen Regionen unserer Erde geprägt und abhängig sind. Dieses Defizit ist ein generelles Schlüsselproblem der politischen Debatte. Es gilt ja nicht nur für die sicherheitspolitische Diskussion, es gilt ebenso für die ökonomischen und ökologischen Zusammenhänge und viele andere Sachverhalte. Dieses Defizit ist aber auch ein Schlüsselproblem für unser heutiges Thema.
Daraus ergeben sich zwei Dimensionen:
a) Die der Abhängigkeiten, also unsere Betroffenheit und damit verbunden unsere reale Interessenslage;
b) Unsere gewachsene Verantwortung, unsere Mitverantwortung für die Lebenssituation der Menschen in anderen Teilen der Welt und für die weltpolitische Entwicklung insgesamt.
Für die sicherheitspolitische Debatte und Kursbestimmung ist es z.B. die Dimension der Schutz-verantwortung. Die Verantwortung für den Schutz von Menschen in anderen Ländern vor Gewalt ist ethisch noch zu wenig reflektiert und auch besonders komplex. Spätestens mit der Debatte um einen Einsatz westlicher Truppen in Libyen ist das Thema aber ganz offiziell auf der Tagesordnung.
4. Gerade für Christen muss gelten: Unser Handeln darf sich nicht auf die innenpolitische Nabelschau und auf unsere momentanen Interessen begrenzen. Wir müssen verständlich machen, dass sowohl von den sachlichen Zusammenhängen, insbesondere aber nach ethischen Gesichtspunkten die Themen Gemeinwohl in unserem Land und Weltgemeinwohl in einem inneren Zusammenhang stehen. Der Rat der evangelischen Kirche in Deutschland hat in der Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für einen gerechten Frieden sorgen“ im Oktober 2007 formuliert: „Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein. Gerechter Friede in der globalisierten Welt setzt den Ausbau der internationalen Rechtsordnung voraus. Staatliche Sicherheits- und Friedenspolitik muss zu den Konzepten der „menschlichen Sicherheit“ und der „menschlichen Entwicklung“ her gedacht werden.“ Diese Forderungen der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD entsprechen denen der katholischen Bischöfe Deutschlands, wenngleich in der EKD-Schrift der präventiven Friedensvorsorge auf allen Ebenen die höhere Priorität eingeräumt wird. Insgesamt gilt: Die evangelische Position prägen stärker pazifistische Züge als die der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
In der aktuellen Entwicklung wird die Sicherung der Religionsfreiheit, also die Sicherung der freien Religionsausübung als Menschenrecht, zu einem zentralen Maßstab der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Hier geht es nicht um eine Interessenslage in Religionsgemeinschaften, sondern um ein zentrales Menschenrecht.
Die zentrale Orientierung aller christlichen Überlegungen ist die Würde des Menschen und damit der Schutz des Menschen und der Menschenrechte.
Die Diskussionen und die Positionen in den christlichen Debatten waren seit je her stark geprägt von der vorsorglichen Friedenssicherung und damit von einem breiten Ansatz der Friedenspolitik, ausgehend von den Gefährdungen des Friedens.
5. Durch welche Sachverhalte und Entwicklungen werden der Friede, die Sicherheit, die Würde der Menschen gefährdet? Eine solche Bestandsaufnahme ist die Grundvoraussetzung für die Aufgabe „Sicherheit gemeinsam gestalten“. In der Veranstaltung wurden schon viele Sachverhalte benannt. (In der aktuellen Bestandsaufnahme finden wir hier seit jeher gegebene Konfliktfelder und ganz Neue. In der gebotenen Zeit hier nur in Stichworten: Soziale Konflikte durch Ungerechtigkeit, ungerechte Verteilung der Chancen und der Güter, politische Konflikte aus ethnischen und religiösen Gründen, wachsende Konflikte wegen knapper werdenden Rohstoffen, Energie und Wasser, Destabilisierungen durch Fluchtbewegungen als Folge der Ausdehnung der Wüsten usw.)
Ein Problemkreis scheint mir aber insgesamt noch zu wenig im Blickfeld: Wir erleben gegenwärtig Gärungsprozesse, Eskalation von Gewalt bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen als Folge kultureller und religiöser Konflikte, häufig noch verbunden mit ethnischen Konflikten. Und: Wir haben ein besonders großes Defizit solche Sachverhalte und Entwicklungen zu verstehen.Eine wesentliche Ursache für Konfliktentwicklungen und für schwerwiegende Fehleinschätzungen im politischen und militärischen Handeln ist fehlende Kenntnis und häufig wohl auch fehlende Bereitschaft, die kulturellen und religiösen Prägungen von Völkern zu verstehen. Ohne diese Kenntnisse sind aber die Verhaltensweisen, die Handlungen und die möglichen und nicht-möglichen Entwicklungsprozesse in einem Volk nicht zu verstehen. Hier haben wohl viele dramatische Fehlentwicklungen im Irak und in Afghanistan ihre Ursache. Wenn dann noch hinzukommt, dass wir unsere Werte und Maßstäbe anderen aufzwingen wollen, eskalieren die Konflikte.
Das Verhalten von Menschen und Gemeinschaften wird in allen Bereichen letztlich von der jeweils dominanten Wertvorstellung geprägt. Wir haben eine Art Wirkungskette der Abfolge: Die Werte, also das, was uns besonders wichtig ist als Mensch oder als Volk, prägen die Leitbilder. Diese Ziele bestimmen die Prioritäten im Einsatz unserer Ressourcen, Energie, Zeit, Geld. Aus den Leitbildern entwickeln sich die Strukturen und die Systeme, etwa der Gesellschaftsordnung, der Wirtschaftsordnung, der politischen Ordnung. Wer dies nicht sieht oder nicht sehen will, bringt nicht Frieden und Aufbau sondern neue Konflikte.
Meine Schlussfolgerung und meine Forderung: Es ist dringend notwendig, dass die Führungskräfte - und die dafür in Ausbildung Befindlichen - nicht nur Fakten und Daten vermittelt bekommen, sondern ein Grundverständnis für andere Kulturen, Religionen und Entwicklungen. Aber auch hier reicht nicht Faktenwissen. Ohne Demut, ohne Abbau der Hochnäsigkeit einer angeblich überlegenen westlich-aufgeklärten Welt, ohne Demut und Respekt vor anderen Kulturen, ist ein friedliches Zusammenleben und eine gedeihliche Entwicklung in diesen Völkern und Staaten nicht möglich. Auch keine wirksame Hilfe.
6.Global denken - lokal handeln! Dieser Leitgedanke aus der Umweltbewegung ist wichtiger denn je. Dazu zählt neben den ethischen Verpflichtungen gegenüber den Menschen in aller Welt auch die Einsicht, dass sich der Maßstab für das bei uns Notwendige – etwa im Sinne von Veränderung, Weiterentwicklung, Anstrengung, sich nicht aus dem ergibt, worauf wir uns innenpolitisch – möglichst schmerzfrei – einigen können, sondern aus den Entwicklungen und den Anstrengungen in den leistungsstarken Ländern dieser Erde, die mit uns auf den Märkten im Wettbewerb sind - und ebenso aus der Entwicklung in den Unruhezonen. Das gilt für die Ökonomie und den Wohlstand wie auch für die Ökologie und all die anderen Aufgabenfelder. Unsere Zukunft wird entscheidend abhängen von den Entwicklungen in anderen Ländern!
7.So ganzheitlich wie das Leben ist, so ganzheitlich muss der Ansatz einer gemeinsam gestalteten Sicherheit sein. Dies kann nicht nur Aufgabe des Militärs sein, dies ist in der Tat unsere gemeinsame Aufgabe.
Dies zu vermitteln ist die Bringschuld der Führungsverantwortlichen in den gesellschaftlichen Gruppen und in der Politik. Das Notwendige verständlich zu machen ist Führungsverantwortung. Wer Gefolgschaft will, muss Sinn vermitteln!
Statement bei der Veranstaltung „Sicherheit gemeinsam gestalten“ des Beirats für Fragen der Inneren Führung und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 5. September 2012 in Berlin gehalten hat.
Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken