Eröffnungsstatement von Alois Glück
ZdK-Fachtagung "Kirche auf dem Weg der Nachhaltigkeit – 20 Jahre nach Rio" -Es gilt das gesprochene Wort.
UNKORRIGIERTES
REDEMANUSKRIPT
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich heiße Sie zu unserer heutigen Fachtagung mit dem Thema "Kirche auf dem Weg der Nachhaltigkeit – 20 Jahre nach Rio" herzlich willkommen. Diese Tagung veranstalten wir als Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend, dem Bund Katholischer Unternehmer, der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, der Katholischen Landvolk- und Landjugendbewegung Deutschlands und Misereor, deren Bundesvorsitzende, Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen mehrheitlich auch heute unter uns sind.
Wir freuen uns, dass diese Tagung in Politik, Kirche, Wirtschaft, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft auf so großes Interesse gestoßen ist und wir heute eine so vielfältige Teilnehmerschaft begrüßen können. Die bundespolitische Bedeutung dieser Veranstaltung lässt sich insbesondere daran festmachen, dass wir Frau Ursula Heinen-Esser als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium für diese Tagung als Gesprächspartnerin gewinnen konnten. Für die positive Resonanz aus der Wissenschaft steht neben anderen wissenschaftlichen Referenten sicherlich Herr Prof. Matthias Kleiner als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der das erste Podium moderieren wird. Wir freuen uns zudem über die zahlreichen Referentinnen und Referenten und Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den kirchlichen Verbänden, Organisationen und Diözesen sowie aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die an unserer Tagung mitwirken und partizipieren. Der ökumenische Charakter dieser Veranstaltung zeigt sich in der Teilnahme von Herrn Bischof Dr. Gregor Maria Hanke, aus Eichstätt an einer Podiumsveranstaltung sowie auch die Gegenwart von Herrn Landesbischof Dr. Ulrich Fischer, den wir heute als Gast hier willkommen heißen.
Generell möchte ich alle Referentinnen und Referenten, Moderatorinnen und Moderatoren und alle weiteren Mitwirkenden ganz herzlich begrüßen. Wir sind sehr gespannt auf Ihre Beiträge und danken Ihnen bereits jetzt für Ihr – oft ausschließlich ehrenamtliches – Engagement bei dieser Tagung.
Unsere heutige Art und Weise zu leben ist nicht zukunftsfähig. Dies haben verschiedene Krisen und Ereignisse in den letzten Jahren – namentlich die Wirtschafts- und Finanzkrise, die Katastrophe von Fukushima, die andauernde Ernährungs- und Hungerkrise sowie der sich verschärfende Klimawandel –deutlich gemacht. Wir erleben tiefgreifende Veränderungen, wie beispielsweise die Auswirkungen der demografischen Entwicklung, die extrem hohe Verschuldung zu Lasten der Nachkommen, eine zunehmende Knappheit der für uns lebensnotwendigen Ressourcen, ein hohes Weltbevölkerungswachstum sowie die zunehmende Instabilität im Weltgefüge durch kulturelle und soziale Konflikte. Gleichzeitig stehen wir vor gewaltigen Aufgaben, die mit dem Klimawandel und der Notwendigkeit einer umweltverträglichen Energieversorgung sowie der Bekämpfung des Hungers in der Welt einhergehen. Diese Herausforderungen und Veränderungen werden sich nicht allein mit technischen Innovationen und kleineren Kurskorrekturen bewältigen lassen. Wir brauchen grundsätzlich eine neue, nachhaltigere Gestaltung unserer Lebensweise – d.h. Nachhaltigkeit muss ein grundlegendes Prinzip für unsere Gesellschaft werden.
Was verbirgt sich jedoch hinter dem Begriff Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit ist ein Modewort geworden, auch ein Schlagwort. Aber Nachhaltigkeit wird nur wirksam, wenn sie gelebt wird. Nachhaltigkeit bedeutet vor allem, über die momentane Nützlichkeit hinaus langfristig zu denken und entsprechend Zukunftsverantwortung zu übernehmen. Sie umfasst die drei Zieldimensionen einer sozial fairen, ökonomisch effizienten und dauerhaft umweltgerechten Entwicklung, die in der Verantwortung und Solidarität mit den nachkommenden Generationen sowie in der Berücksichtigung der Bedürfnisse der gesamten Weltbevölkerung zum Ausdruck kommen. Eine so verstandene Nachhaltigkeit betrifft alle Ebenen der Politik und des Wirtschaftens: lokal, regional, national und global. Wenn wir einen guten Weg in die Zukunft gestalten wollen, muss uns das Prinzip Nachhaltigkeit ein zentraler Kompass sein und ein essentieller Pfeiler für unser politisches und gesellschaftliches Handeln – also für eine zukunftsfähige Kultur im umfassenden Sinne. Gleichzeitig ist es und bleibt es eine ungeheuerliche ethische Herausforderung.
Die erforderliche Umkehr zu einer nachhaltigeren Lebensweise ist keine neue Erkenntnis: Bereits 1972 warnte der Club of Rome in seiner Studie "Die Grenzen des Wachstums" vor der Fortführung unseres Wirtschaftsmodells in seiner bisherigen Form und forderte eine neue, nachhaltigere Wirtschaftsweise, die die Zukunft der Menschheit und die Erhaltung unserer lebensnotwendigen Ressourcen sichere.
Der entscheidende Impuls für den Durchbruch des Nachhaltigkeitsprinzips als internationales Leitprinzip kam mit der UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklungsfragen vom 3. bis 14. Juni 1992 in Rio de Janeiro. Mit diesem Gipfel wurde das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung als normatives, internationales Leitbild für die Staatengemeinschaft, die Weltwirtschaft und die Weltzivilgesellschaft und als Grundprinzip der Rio-Deklaration und der Agenda 21 fest verankert.
Im Fokus der Rio-Konferenz standen insbesondere die Neuausrichtung von Produktion und Konsum in den Industrieländern und die Bekämpfung der Armut in den Entwicklungsländern nach dem Maßstab Nachhaltigkeit. In den darauffolgenden Konferenzen wurde dieses Prinzip dann jeweils konkretisiert und die nationalen Regierungen dazu aufgefordert, eigene Umsetzungsstrategien zu entwickeln, wobei insbesondere der öffentliche und politische Druck engagierter zivilgesellschaftlicher Gruppe die Realisierung dieser Vorhaben vorangebracht haben. Die Bundesregierung verabschiedete im April 2002 ihre Strategie für eine nachhaltige Entwicklung unter dem Titel Perspektiven für Deutschland, in dem konkrete Handlungsvorschläge insbesondere in den Bereichen Energie- und Klimaschutz, Verkehr, Landwirtschaft sowie der globalen Verantwortung vorgelegt wurden. Diese Strategie wurde in den letzten Jahren zunehmend weiterentwickelt und – wie der aktuelle Fortschrittsbericht 2012 zeigt – an gegenwärtige Herausforderungen, wie die im Jahr 2011 beschlossene Energiewende, angepasst. Gerade am Beispiel der Gestaltung einer zukunftsfähigen Energieversorgung wird deutlich, dass die Verankerung des Prinzips der Nachhaltigkeit nur im Rahmen einer Gemeinschaftsanstrengung gelingen kann, die überparteilich und mit Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen erfolgen muss. Denn die "Energiewende" ist wegen ihrer technischen und ökonomischen Komplexität und der Vielzahl der Akteure m.E. das anspruchsvollste politische Managementprojekt, das es in der Bundesrepublik Deutschland je gab. Die im letzten Jahr eingesetzte Ethikkommission Sichere Energieversorgung hat daher sehr bewusst vom notwendigen "Gemeinschaftswerk Energiezukunft Deutschland" gesprochen.
Bei nüchterner Betrachtung und ehrlicher Bilanz muss man heute jedoch feststellen, dass seit dem Rio-Gipfel zu wenig geschehen ist. Nicht das viel bemühte Verantwortungsprinzip gegenüber den Nachkommen hat das Handeln der Weltgemeinschaft dominiert, sondern der Rausch der neuen Möglichkeiten, die sich durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse auftaten, sowie die absolute Konsumorientierung der westlichen Zivilisation.
Der Rio-Gipfel im Jahr 1992 stand für Kooperation und Integration, Aufbruch und neues Denken. 20 Jahre später ergreift die internationale Staatengemeinschaft die Chance, dies zu erneuern, zu verbreitern und mit Visionen zu verbinden. Der bevorstehende Rio+20-Gipfel fordert die Staatengemeinschaft heraus: Es geht um eine globale Architektur, die das Fundament für eine neue Kultur des Wirtschaftens, der gemeinsamen Verantwortung und der gegenseitigen Solidarität legt. Die Sackgasse bisheriger Formen des Wirtschaftens muss verlassen werden, weil sie trotz der Mehrung unseres materiellen Wohlstands ökologische, soziale und politische Krisen hervorgebracht hat und gleichzeitig das Versprechen auf integratives Wachstum und Verteilungsgerechtigkeit nie einlösen konnte. Eine neue Kultur des Wirtschaftens auf Basis des Nachhaltigkeitsprinzips soll die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen, die effiziente Nutzung von ökologischen Ressourcen, Dienstleistungen und deren Schutz voranbringen und die Kluft zwischen Arm und Reich innerhalb und zwischen Staatsgrenzen oder Regionen verringern.
Wir müssen dem Fortschritt eine neue Richtung, eine neue Qualität geben! Eine primär auf möglichst großes Wachstum ausgerichtete Entwicklung ist der schnellste Weg zum Ruin unserer Welt!
Als Christinnen und Christen haben wir mit unserer Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung und der Förderung von Frieden und Gerechtigkeit die Verpflichtung, uns in die gesellschaftspolitische Debatte für die Verankerung und Durchsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips als Querschnittsaufgabe in allen Politikfeldern einzubringen und uns für einen gesellschaftlichen Bewusstseinwandel zu engagieren. Zugegeben, Nachhaltigkeit ist kein Rezept, aber ein unverzichtbares Prinzip und ein ethischer Maßstab für gelebte Solidarität, ohne die auf Dauer kein gutes und friedliches Zusammenleben möglich ist. Ethische Grundsätze werden aber nicht wirksam, wenn wir dazu nicht alltagstaugliche Instrumente für deren Umsetzung entwickeln.
Ziel dieser Tagung ist es daher, im Rückblick auf den Rio-Gipfel im Jahr 1992 sowie mit Blick auf die bevorstehenden Rio+20-Konferenz über die notwendigen strukturellen Veränderungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene für die Verwirklichung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung zu diskutieren. Dazu wollen wir nach einem allgemeinen Bestandsaufnahme und der Erörterung grundlegender Weichenstellungen am heutigen Vormittag auch die dafür erforderliche Gestaltung konkreter Handlungsfelder diskutieren. Heute Nachmittag werden wir deshalb insbesondere die Möglichkeiten eines effizienteren Einsatzes unserer Energieressourcen, Wege für eine nachhaltigere Ernährungsweise, die Entwicklung zukunftsfähiger Mobilitäts- und Verkehrskonzepte sowie den verantwortlichen Umgang mit unseren Geldanlagen in den Blick nehmen.
Jedoch haben wir nicht nur den Auftrag, uns intensiv am gesellschaftlichen und öffentlichen Diskussionsprozess zu beteiligen, sondern mit eigenem konkretem Handeln Vorbild und Beispiel für eine nachhaltige und zukunftsfähige Lebensformen zu geben. Als Kirche können wir einen wichtigen Beitrag leisten, die mit dem Begriff Nachhaltigkeit verbundene Visionen, Herausforderungen und Aufgaben neu zu entdecken und zu neuem Engagement zu motivieren und zu befähigen. Nach Rio sind eine Vielzahl von ermutigenden Initiativen ergriffen worden. Als ZdK haben wir uns in verschiedenen Erklärungen für eine nachhaltigere Lebensweise und den dafür notwendigen Politikwandel ausgesprochen. Auch Diözesen, Pfarrgemeinden und Verbände haben sich z.B. in Agenda 21-Prozessen oder Klimaschutzprojekten engagiert. Auch durch unser individuelles Verhalten – insbesondere auch jetzt in der Fastenzeit – können wir zu einem Umdenken in unserem direkten Umfeld und der Gesellschaft beitragen. Der Handlungsdruck und die zu bewältigenden Probleme bleiben jedoch weiterhin groß, auch für uns als Kirche. Deshalb möchten wir im Rahmen dieser Tagung ebenfalls der Frage nachgehen, inwieweit wir als Kirche dieser Verantwortung bisher gerecht geworden sind und welche potentiellen Initiativen und Möglichkeiten für die Zukunft denkbar sind.
Ich freue mich nun auf spannende und ertragreiche Diskussionen und eröffne hiermit offiziell diese Fachtagung. Ich darf nun die Teilnehmer des ersten Podiums nach vorne bitten, damit wir pünktlich beginnen können.
Alois Glück Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken