Das Zusammenwirken von Charismen und Diensten im priesterlichen, prophetischen und königlichen Volk Gottes

Arbeitsthesen des Beirates "Priester und Laien" der Gemeinsamen Konferenz, entstanden aus der Projektgruppe 1 - Bensberg 2010

1. Sendungsauftrag der Kirche als maßgebliches Kriterium

Die Kirche ist „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Sie ist damit nicht Selbstzweck, sondern hat eine Dienstfunktion für die Verkündigung der Frohen Botschaft Gottes in der Welt von heute. Die Kirche gründet in der Sendung Jesu Christi und ist deshalb gesandt, „den Armen eine gute Nachricht zu bringen, den Gefangenen die Entlassung, den Blinden das Augenlicht und den Zerschlagenen die Freiheit“ (Lk 4,18f.). Dieser Sendungsauftrag ist zentraler Maßstab für das gemeinsame Wirken aller Glieder der Kirche. Auch das Zusammenwirken von „gemeinsamem Priestertum der Gläubigen“ und „Priestertum des Dienstes“ – beide dem Wesen nach verschieden (vgl. LG 10; im Folgenden ist der Einfachheit halber von „Laien“ und „Priestern“ die Rede) – ist kein Selbstzweck. Es hat sich an der Förderung der salus animarum jener Menschen zu orientieren, deren Heil der Kirche anvertraut ist.

 

2. Apostolizität verpflichtet

Die Apostolizität der Kirche hat eine retrospektive und eine prospektive Dimension: Sie ist zurückverwiesen auf die Zeitzeugenschaft der Apostel und damit auf die Anfänge der christlichen Sendung und der kirchlichen Praxis. Weil die Anfänge der christlichen Sendung bis zur Wiederkunft des Auferstandenen kein Ende kennen, bedeutet die Treue zum Ursprung zugleich die Treue zur Sendung im Heute und Morgen. Insofern muss die Kirche in der Treue zu ihrer Sendung immer auch die Zeichen der jeweiligen Zeit („Jetztzeit“) lesen und im Lichte ihres Auftrages ihre Praxis mit den jeweiligen Erfordernissen abstimmen. Auch darin bleibt sie ihrem Ursprung treu: Schnell zeigte sich im Leben der jungen christlichen Gemeinde das Erfordernis, für die Versorgung von Armen dem Episkopus den besonderen Dienst des Diakons an die Seite zu stellen. Die Geschichte der Kirche ist reich an Erfahrungen, wie die unterschiedlichen Dienste und Ämter sich ausbildeten, deren Zusammenwirken immer wieder neu aufeinander abgestimmt und darin die Normativität der apostolischen Zeit in den jeweiligen Erfordernissen der Geschichte („Zeichen der Zeit“) zur Geltung gebracht wurde.

 

3. Gemeinsames Priestertum der Gläubigen

Vor aller Ausdifferenzierung sind alle Glieder des Volkes Gottes gleich: „Wenn auch einige nach Gottes Willen als Lehrer, Ausspender der Geheimnisse und Hirten für die anderen bestellt sind, so waltet doch unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi“ (LG 32). Diese Gleichheit resultiert aus der Teilhabe jedes Getauften und Gefirmten am dreifachen Amt Christi: dem priesterlichen, dem prophetischen und dem königlichen Amt. Damit verbunden ist für die „Laien“ auch eine spezifische Teilhabe an der Trias des Heiligens, des Lehrens und des Leitens, die in der Autorität Christi auszuüben die erste Aufgabe ihrer Hirten darstellt (vgl. LG 32). Der Sendungsauftrag der „Laien“ und der „Priester“ wurzelt gleich-ursprünglich in Christus: Auch die „[Laien] bestellt er deshalb zu Zeugen und rüstet sie mit dem Glaubenssinn und der Gnade des Wortes aus“ (LG 35), so dass sie als Getaufte und Gefirmte ihre Aufgabe für die Kirche wahrnehmen.

 

4. Die Wesensverschiedenheit des Priestertums des Dienstes

Das Priestertum des Dienstes besitzt keinen privilegierten Zugang zum Göttlichen. Deshalb ist das Verhältnis von „Laien“ und „Priestern“ kein Verhältnis von Konkurrenz oder Kompensation, sondern von Kooperation im ursprünglichen Sinn des Wortes: Zusammenwirken zweier in ihrem unterschiedlichen Wesen unvertretbarer Glieder der Kirche Christi. Das Priestertum des Dienstes ist ein „sakramental hervorgehobenes (und darum amtlich-repräsentatives) Zeichen und Werkzeug für das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen, in dessen Dienst es steht“ (M. Kehl). Aufgabe der „Priester“ ist es, die „Laien“ für den Aufbau der Kirche zuzurüsten: „Und er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,11f.). Nur im Miteinander und Zueinander von „Priestertum des Dienstes“ und „gemeinsamen Priestertum der Gläubigen“, von „Priestern“ und „Laien“, wird das Priestertum Christi voll verwirklicht. Dieses Miteinander nimmt die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils auch für die Herzmitte der sakramentalen Vollzüge, für die Feier der Eucharistie in den Blick: Die Gläubigen „sollen Gott danksagen und die unbefleckte Opfergabe darbringen nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern auch gemeinsam mit ihm und dadurch sich selber darbringen lernen.“ Durch diese spezifische Mitwirkung „sollen sie durch Christus, den Mittler, von Tag zu Tag zu immer vollerer Einheit mit Gott und untereinander gelangen, damit schließlich Gott alles in allem sei“ (SC 48).

 

5. Vielfalt von Diensten und Ämtern in einer strukturellen Ausgestaltung

Die Teilhabe am Sendungsauftrag grundsätzlich aller Getauften und Gefirmten ist kein Menschenrecht, sondern Christenpflicht. Sie erstreckt sich auf alle Grundvollzüge der Kirche (martyria, liturgia und diakonia). Wer sich dieser Pflicht ohne Not entzieht oder ihre Ausübung erschwert und unterbindet, behindert die glaubhafte Verkündigung der Frohen Botschaft in Wort und Tat. Eine Kirche, die für die Menschen da sein will, braucht die Charismen und Kompetenzen aller Gläubigen, die mitwirken können und wollen. Der Sendungsauftrag aller wird vollzogen im Geist geschwisterlichen Zusammenwirkens (koinonia). Die Teilhabe am Sendungsauftrag und die von der Priesterweihe unabhängige Leitungsverantwortung in der Kirche müssen deutlicher herausgestellt und strukturell abgesichert sein.

Die Teilhabe am Sendungsauftrag kennt eine Vielfalt inhaltlicher Ausprägungen und struktureller Formen. Manches ergibt sich unmittelbar aus der Berufung durch Taufe und Firmung für das Leben als Christin und Christ, Gemeindeglied oder Mitglied eines kirchlichen Verbandes. Für bestimmte kirchliche Vollzüge ist aufgrund ihrer besonderen Funktion und Bedeutung eine ausdrückliche Beauftragung und Sendung durch den Ortsbischof sinnvoll. Das Zusammenwirken von Bischof als Leiter der Ortskirche und der Gemeinde als konkret sichtbare Kirche vor Ort wird dadurch sichtbar, wenn die vom Bischof förmlich Beauftragten und Gesandten von den Gemeinden, Gemeinschaften oder Verbänden vorgeschlagen werden. Es gibt schon heute eine große Bandbreite an kirchlichen (Leitungs-)Diensten für alle Gläubigen, die bislang noch nicht hinreichend bekannt sind und genutzt werden. Andere Entwicklungsräume sind neu auszuloten.

 

6. Zusammenwirken will kultiviert, gelernt und geistlich durchdrungen sein

Das für den Sendungsauftrag der Kirche notwendige Zusammenwirken von „Priestern“ und „Laien“ muss – bei allen ermutigenden Aufbrüchen – noch weiter verwirklicht werden. Die dazu erforderlichen Fähigkeiten müssen erlernt, kultiviert und geistlich durchdrungen werden. Notwendig ist ein fundamentaler Bewusstseinswandel im jeweiligen Selbstverständnis von „Priestern“ und „Laien“ und damit verbunden die jeweiligen gegenseitigen Erwartungshaltungen. Nimmt man den Wesenskern des Priestertums des Dienstes (Befähigungsdienst, Förderung aller Charismen) ernst, sind hier besonders die Priester gefordert. Ihnen muss freilich ausreichend Gelegenheit eröffnet werden, sich im Alltag ihres priesterlichen Dienstes ebenso wie in den Phasen ihrer Aus- und Weiterbildung mit den diesbezüglich anspruchsvollen Anforderungen ihrer Aufgaben auseinanderzusetzen und in ihren priesterlichen Dienst nicht zuletzt geistlich zu integrieren. In Katechese und Erwachsenenbildung, im konkreten Gemeindealltag muss für alle Glieder der Kirche ein Lernprozess angestoßen werden, um das Miteinander von „Priestern“ und „Laien“ neu zu verwirklichen.

 

7. Das Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche

Die je verschiedene Ausprägung des – in ihrer Würde gleichen – Menschseins von Frauen und Männern macht ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Frauen und Männern in allen Bereichen des kirchlichen Lebens erforderlich. Der Anspruch, „einer“ in Christus zu sein („Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau“ [Gal 3,28]), muss deutlicher als bisher am Leben der Kirche ablesbar sein. Die Kirche muss Frauen wie Männer mit ihren persönlichen Charismen am Leben und im Dienst der Kirche gleichermaßen beteiligen, um ihrem Auftrag, für das Heil der Menschen zu wirken, gerecht zu werden.

Um Frauen stärker an der Leitungs- und offiziellen Repräsentationsverantwortung der Kirche zu beteiligen, ist eine Entkoppelung der von der Priesterweihe unabhängigen Leitungsaufgaben vom Dienst der „Priester“ und eine Besetzung von kirchlichen Leitungs- und Schlüsselpositionen mit Frauen notwendig. Dann können Frauen auch stärker als bisher die Kirche in der Öffentlichkeit sichtbar machen. Die Möglichkeiten des Kirchenrechts sind hier bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.

Die allein Männern vorbehaltene Zulassung zur Priesterweihe ist seit 1994 mit dem Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ lehramtlich festgelegt. „Anders als die Frage nach dem Priestertum“ stellt sich den deutschen Bischöfen „die Frage nach der Zulassung von Frauen zum sakramentalen Diakonat“ (Die deutschen Bischöfe 30, 1981, S. 23). Eine Antwort auf die Bitte der Würzburger Synode von 1975 an den Papst, „die Frage des Diakonates der Frau entsprechend den heutigen theologischen Erkenntnissen zu prüfen und angesichts der gegenwärtigen pastoralen Situation womöglich Frauen zur Diakonatsweihe zuzulassen“ (Beschluss: „Die pastoralen Dienste der Gemeinde“ 7.1 Votum 3), im Hirtenwort von 1981 wiederholt, steht bis heute aus.

 

8. Notwendige Konkretionen

Die grundsätzlichen Überlegungen zum Zusammenwirken von „Priestern“ und „Laien“ im Sendungsauftrag der Kirche bedürfen weiterer Entfaltung. Dazu stecken die Themen des von der Deutschen Bischofskonferenz initiierten Gesprächsprozesses wichtige Handlungsfelder ab:

Compassio: Die mit-leidende Kirche muss eine Kirche sein, die den konkreten Menschen in den Blick nimmt und spürbar mit ihm „in Tuchfühlung“ geht. Um die Anwesenheit und Nähe der Kirche unter den Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen zu ermöglichen, bedarf es der personalen Präsenz durch gestufte Beauftragung von hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso wie durch ehrenamtliche Bezugspersonen in Gemeinden und in kategorialen Feldern der Seelsorge sowie der kirchlichen Gemeinwesenarbeit. Dabei ist gerade beim letzten zu beachten, dass der kirchliche Pastoralraum zwar in den sozialen Nahraum eingebunden, aber nicht einfach mit ihm identisch ist. Der Raum der Pastoral vollzieht sich zwar in den örtlichen Begebenheiten und Begrenzungen des vorgegebenen Sozialraumes, hat aber andere Raumkoordinaten, die die Dimensionen originär kirchlichen Handelns aufspannen: die Verkündigung durch das Wort (‚wortreich‘), durch das stumme Zeugnis der helfenden Tat (‚tatkräftig‘) und durch die dankbare Erfahrung und feierliche Lobpreisung der Gegenwart Gottes in der Liturgie.

Communicatio: Eine mit-leidende Kirche braucht Kundschafter und Netzwerkerinnen in den Lebenswelten der Menschen. Sie wird dadurch hörfähig und wieder sprachmächtig. Sie braucht Glaubenszeuginnen und -zeugen, die beredt und tatkräftig authentische Rechenschaft ablegen von der Hoffnung, die in ihnen lebt und nach außen drängt. Sie zu befähigen ist eine mindestens ebenso wichtige Aufgabe kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit wie die Neuordnung kirchlicher Zeitungen oder Internetauftritte. Hier müssen auch für die Fragen nach Gemeindeleitung und Predigtdienst neue Lösungen im Miteinander von „Laien“ und „Priestern“ gefunden werden.

Participatio: Die Kirche, die durch alle ihrer Glieder ihren Sendungsauftrag verwirklicht sieht, wird das Zusammenwirken aller Getauften nicht nur als strategische, sondern als praktisch gebotene und theologisch zwingende Aufgabe konzipieren und kultivieren. Dazu gehört die Weiterentwicklung des Zueinanders aller Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen ebenso wie die kollegiale Ausübung von Leitungsaufgaben auf allen Entscheidungsebenen der Kirche. Sie beginnt auf der Ebene der Gemeinde vor Ort und manifestiert sich hier beispielsweise auch in der Frage der kollegialen Verfügung über Ressourcen. Sie erstreckt sich dann über die Stärkung verbindlicher Mitentscheidung auf diözesaner Ebene bis hin zur Etablierung relevanter Synodalstrukturen, in denen sich der Glaubenssinn aller Gläubigen besser zur Geltung bringen kann.

 

Hinweis: Die Gemeinsame Konferenz hat die vorgelegten Arbeitsthesen am 15. Juni 2012 auf ihrer 70. Sitzung zustimmend zur Kenntnis genommen und sie damit zur Veröffentlichung freigegeben (vgl. § 8 Abs.3 Geschäftsordnung der GK). Gemäß § 2 Abs.1 empfiehlt die Gemeinsame Konferenz die Arbeitsthesen der Bischofskonferenz (insbesondere der Pastoralkommission (III) und der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste (IV)) und dem Zentralkomitee (insbesondere dem Sachbereich 1 „Pastorale Grundfragen“) zur weiteren Diskussion und Bearbeitung.

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