"Christen und Muslime – Partner in der pluralistischen Gesellschaft" (Hamideh Mohagheghi, Dr. Hansjörg Schmid)

Vorstellung der Erklärung des Gesprächskreises "Christen und Muslime" von Hamideh Mohagheghi, Dr. Hansjörg Schmid im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

1. Aktuelle Situation des christlich-islamischen Dialogs (I.2 und I.3[1])

MOHAGHEGHI: Der christlich-islamische Dialog ist Wandlungen und Entwicklungen unterworfen und wird auf unterschiedlichen Ebenen geführt. Dieser Dialog ist in den letzten Jahren stark mit der Sicherheitsfrage und der Integrationsdebatte verknüpft worden. Dies führt dazu, dass die Überlegungen zu den Anliegen der Muslime und die Akzeptanz, dass sie Teil dieser Gesellschaft sind, überwiegend mit Skepsis und Misstrauen begleitet werden. Um Vertrauen und Akzeptanz zu erlangen, sind gemeinsame Aktivitäten in unterschiedlichen Bereichen dringend notwendig. Das Beispiel christlich-islamischer Gesprächskreis zeigt, dass die gemeinsame Arbeit notwendig, aber auch mühselig ist und beide Seiten jahrelange Erfahrung benötigen, um sich gegenseitig verstehen und vertrauen zu können.

Der theologische Dialog erfährt in den letzten Jahren eine positive Wandlung. Durch den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen (überwiegend Modellversuche, in NRW und Niedersachsen die ersten Schritte zum regulären Religionsunterricht) und die islamische Religionspädagogik und Theologie an deutschen Universitäten wächst eine Generation von Muslimen heran, die sich wissenschaftlich fundiert und in deutscher Sprache theologisch artikulieren und diskutieren kann.

Die wachsende Sprachfähigkeit verändert die Wahrnehmung. Dies ermöglicht Annäherung und Verständnis füreinander und führt zur sensiblen partnerschaftlichen Zusammenarbeit in gesellschaftlichen Angelegenheiten.

 

2. Theologische Grundlagen (I.1 und II.1) und Deutungen von Pluralismus (II.2 bis II. 4)

SCHMID: Die Erklärung geht von gemeinsamen schöpfungstheologischen Grundlagen aus. Daraus resultieren Würde, Verantwortung für die gesamte Schöpfung, ethische Erkenntnisfähigkeit und Freiheit des Menschen. Es gibt hier eine weitreichende Überschneidung in den Menschenbildern beider Religionen. Pluralismus ist eine Folge der menschlichen Freiheit. Dabei bezieht sich Pluralismus auf eine Vielfalt der Lebensstile, Interessen, Institutionen und Überzeugungen. Er ist Kennzeichen moderner Gesellschaften und prägt auch die Religionen und Religionsgemeinschaften intern. Muslime und Christen sind damit gleichermaßen konfrontiert.

Pluralismus bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Die Erklärung antwortet nicht mit einem den Religionen übergeordneten System auf die Herausforderung des Pluralismus, sondern setzt Positionen beider Religionen miteinander in Beziehung und behandelt von da aus Einzelfragen.

MOHAGHEGHI: Nach islamischer Auffassung ist Pluralität "Plan Gottes" für die Schöpfung. Im Qur’an gibt es zahlreiche Stellen, die die Vielfalt in der Schöpfung als "Wunder" und als Zeichen Gottes bezeichnen. Die Aussage "wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht" in Sure 5 Vers 48 wird in diesem Zusammenhang herangezogen. In dieser Sure liegt der Hinweis, dass Unterschiede nicht Grund für Streit über Wahrheitsfragen sein sollen. Die Aufgabe der Menschen liegt in ihrer Verantwortung "sich für das Gute einzusetzen". Hierfür sollen sie die Zusammenarbeit mit anderen anstreben und dabei ihre eigene Identität und Überzeugung bewahren. Für mich persönlich ist der letzte Satz in diesem Vers eine entscheidende Aufforderung zum Dialog und eine Bejahung der Vielfalt: Darin wird verdeutlicht, dass der Streit um den alleinigen Wahrheitsanspruch ein Hindernis für die konstruktive Zusammenarbeit werden kann. Gott wird uns am Jüngsten Tag über die Streitfrage um die Wahrheit aufklären: "Zu Gott werdet ihr alle zurückkehren; und dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr uneins wart." Dies bedeutet nicht die Relativierung der eigenen Überzeugungen, sondern einen Aufruf, die anderen in ihrem Anderssein zu akzeptieren und zu respektieren, in der Vielfalt die Gemeinsamkeiten hervorzuheben, die zur "guten Tat" bewegen.

3. Grundlagen und Wege eines handlungsorientierten christlich-islamischen Dialogs (II.5 und II.6)

SCHMID: Im Rahmen pluralistischer Gesellschaften sind Christen und Muslime auf Partner angewiesen. Der "Dialog des Handelns" ist notwendigerweise interdisziplinär. Zunächst geht es darum, dass sich Muslime und Christen gemeinsam mit Sachfragen auseinandersetzen, die sich im gemeinsamen Kontext stellen. Hierbei ist auf Erkenntnisse verschiedener Wissenschaften aufzubauen. Daran schließt sich ein Dialog mit den jeweiligen religiösen Quellen und Prinzipien an. Es folgen Perspektiven für ein mögliches gemeinsames Handeln. Es handelt sich bei diesen Schritten um einen gemeinsamen Suchprozess, der sich nicht auf vorgefertigte Antworten beschränken kann.

Derartige Diskussionsprozesse können in pluralistischen Gesellschaften nicht auf religiöse Sonderwelten begrenzt bleiben. Partnerschaftliches Handeln von Christen und Muslimen dient dem Wohl aller Menschen. Aufgrund ihrer Vernunftbegabtheit sind alle Menschen zur ethischen Urteilsbildung fähig. Wo möglich sollen daher auch andere Gruppen und nicht-religiöse Positionen einbezogen werden.

4. Exemplarische Handlungsfelder (III.)

MOHAGHEGHI: Die Erklärung benennt exemplarisch eine Reihe von Handlungsfeldern, die auch in Bezug auf im ZdK vertretene Organisationen und Ebenen relevant sind. Im Anschluss daran möchte ich die folgenden Bereiche akzentuieren:

  • Bildung, vor allem für die junge Generation;
  • Religionsunterricht in der Schule;
  • Religionspädagogik und Theologie an den Hochschulen und Universitäten;
  • "Seelsorge" und Begleitung bei Notfällen, in Krankenhäusern, in Justizvollzugsanstalten;
  • ethische Fragestellungen.

5. Diskussion, kritische Anfragen und nächste Schritte

SCHMID: Eine Besonderheit der Erklärung besteht darin, dass sie gemeinsam von Christen und Muslimen verfasst wurde. Zwei kritische Anfragen prägten die bisherige Folgediskussion: zum einen die Frage nach der Repräsentativität der beteiligten Muslime, zum anderen die Frage nach stärker konflikthaften Themen. Da der Islam nicht über eine kirchenähnliche Struktur verfügt, ist die Frage der Repräsentativität nicht leicht zu beantworten. Im Gesprächskreis "Christen und Muslime" arbeiten prominente muslimische Einzelpersönlichkeiten und Institutionenvertreter mit. Mit der Erklärung sollen primär Möglichkeiten des Dialogs und nicht dessen Hindernisse aufgezeigt werden. Auch in einem solchen Rahmen kann es zu Konflikten kommen – etwa in der Einschätzung von Pluralismus oder zu bestimmten ethischen Fragen. Dabei gibt es aber manchmal eine größere Nähe zwischen als innerhalb der Religionen.

Mit der Erklärung ist ein Fundament für weitere Themen gelegt. Denkbar ist die Behandlung etwa bioethischer und wirtschaftsethischer Fragen. Die Vielgestaltigkeit katholischer Verbände kann als Entsprechung zu den vielfältigen islamischen Organisationsstrukturen angesehen werden, so dass das ZdK auch über die Katholikentage hinaus verstärkt als Akteur des christlich-islamischen Dialogs in Erscheinung treten könnte.

 


[1] Die Angaben in Klammern beziehen sich auf die entsprechenden Kapitel des Erklärungstextes

Hamideh Mohagheghi M.A., Universität Paderborn Dr. Hansjörg Schmid, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

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