Auf Gott vertrauen und mutig aufbrechen

Mannheimer Aufruf des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) zum Katholikentag 2012

Der Katholikentag 2012 findet in einer Zeit tief greifender Veränderung in Kirche und Gesellschaft statt. Zugleich erleben wir in der Welt vielfältigen Wandel. In dieser Situation braucht es Männer und Frauen, die sich mit Mut und Gottvertrauen engagieren.

Wir stellen uns unserer Verantwortung für unsere Kirche, für das Gemeinwohl in unserem Land und für ein gutes Miteinander in der Einen Welt.

Im Vertrauen auf Gottes Geist wollen wir einen neuen Aufbruch wagen: In unserer Kirche und in unserer Gesellschaft, in der europäischen und in der globalen Zusammenarbeit.

Wir engagieren uns für eine den Menschen dienende Kirche.

Auftrag und Sendung der Christinnen und Christen ist es, das Evangelium zu verkünden und den Menschen in ihrer jeweiligen Zeit und in ihrer konkreten Lebenssituation Gottes Wort und seine grenzenlose Liebe in Wort und Tat zu vermitteln.

In unserer Kirche sind viele "Selbstverständlichkeiten" früherer Zeiten verloren gegangen. Von außen und innen wird die Kirche herausgefordert durch eine wachsende Pluralisierung und Säkularisierung, durch Vertrauensverlust und Verunsicherungen, gerade auch über ihren Ort in der Welt von heute. Das Zweite Vatikanische Konzil, das vor 50 Jahren eröffnet wurde, war, wie die darauf folgenden Synoden in Würzburg und Dresden, ein neuer Aufbruch. Ihre Ergebnisse sind uns Fundament und Orientierung für die Aufgaben von heute. Deshalb bedürfen sie immer wieder neu der Vergegenwärtigung.

Der in unserer Kirche begonnene Dialogprozess ist der Weg und die Chance, um gemeinsam, im wechselseitigen Respekt, mit der Erfahrung der verschiedenen Glaubenswege und der Vielfalt der Frömmigkeit, eingedenk unserer jeweiligen Verantwortung in den Aufgaben und Diensten im gemeinsamen Priestertum, die richtigen Schlussfolgerungen für die Verkündigung des Glaubens und den Weg der katholischen Kirche in Deutschland zu finden.

Eine dienende Kirche muss die Lebenswirklichkeit der Menschen wahrnehmen.

In unserem Alltag nehmen wir oft eine große Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und der Lebenswirklichkeit vieler getaufter und gefirmter Katholikinnen und Katholiken wahr. Unsere Kirche ist nur dann eine dienende Kirche, wenn sie mit mehr Sensibilität und Barmherzigkeit auf die Lebenssituation der Menschen eingeht. Wir denken dabei zum Beispiel an wiederverheiratete Geschiedene, die sich oft von ihrer Kirche verlassen fühlen, oder an konfessionsverbindende Paare, die nicht gemeinsam zur Eucharistie gehen können. Wir treten ein für mehr Partnerschaftlichkeit in der Kirche: zwischen Frauen und Männern, zwischen Älteren und Jüngeren, zwischen Laien und Klerikern.

Wir sind dankbar für das, was in den vergangenen Jahrzehnten in der Ökumene erreicht wurde. Aber wir wollen dabei nicht stehen bleiben. Jesu Wort "Vater, lass alle eins sein" duldet weder Selbstgerechtigkeit noch Resignation.

Eine dienende Kirche sucht das Verbindende.

Mit Sorge sehen wir, wie verschiedene Gruppen innerhalb der Kirche für sich allein beanspruchen, den Willen Gottes authentisch auszulegen, das innerkirchliche Gespräch über den Glauben verweigern oder sich sogar das Katholischsein absprechen. Als Vertreterinnen und Vertreter von Räten, Verbänden und Gemeinschaften, als Frauen und Männer, die für die große Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken in Deutschland stehen, suchen wir das Verbindende und wollen dazu beitragen, dass das äußere Bild der Kirche nicht durch ihre inneren Konflikte bestimmt wird, sondern durch die Vergegenwärtigung der Botschaft Jesu in unserer Zeit.

Eine dienende Kirche gibt den Menschen Heimat.

Viele Katholikinnen und Katholiken bedrückt die Entwicklung zu immer größeren pastoralen Einheiten, die sich zumeist nur an der Zahl der zur Verfügung stehenden Priester und an finanziellen Ressourcen orientiert. Für viele Menschen ist das mit einem Verlust von Heimat verbunden – und oft auch mit der Empfindung, dass die Charismen und Fähigkeiten von Laien gering geschätzt werden.

Für die pastoralen Planungen ist die Förderung der Charismen in unserer Kirche von besonderer Bedeutung, vor allem der Einsatz der vielfältigen Begabungen der Laien, die als Getaufte und Gefirmte "nicht mehr nur als Mitarbeiter des Klerus betrachtet werden dürfen, sondern als wirklich mitverantwortlich für das Sein und Handeln der Kirche erkannt werden müssen, um die Festigung eines reifen und engagierten Laiendienstes zu fördern" (Papst Benedikt XVI., 26. Mai 2009). Wir rufen alle an diözesanen Umstrukturierungen Beteiligten dazu auf, diese Veränderungen im Geist des Dialogs gemeinsam auf den Weg zu bringen. Neue Strukturen mit größeren Pfarreien und neuen pastoralen Räumen dürfen nicht zu Rückschritten in der bewährten Zusammenarbeit von Laien und Priestern führen. Dazu gehört, auch die Charismen von Frauen anzuerkennen und zu fördern. Sie sind durch ihren Einsatz ein wichtiges Fundament der Kirche. Der Zugang von Frauen zu kirchlichen Führungspositionen sollte selbstverständlich sein.

Wir sind beunruhigt über Signale eines Rückzugs der katholischen Kirche aus der gesellschaftlichen Verantwortung. Wir bezweifeln nicht, dass auch reale finanzielle Engpässe mit zu solchen Entscheidungen führen. Aber wir haben die Sorge, dass eine Kirche, die sich allein dieser Logik unterwirft, nicht mehr den Weg zu den Menschen findet.

Eine dienende Kirche lebt vom Zeugnis aller ihrer Glieder.

Vieles deutet darauf hin, dass die Zeit der Volkskirche traditioneller Prägung sich ihrem Ende zuneigt. Niemand weiß genau, wie die Kirche von morgen aussehen wird. Sicher scheint nur: Sie muss eine dienende Kirche sein. Sie wird vor allem aus dem Zeugnis engagierter Christinnen und Christen leben. Das zu zeigen und das zu fördern, darin sehen wir unseren Auftrag.

Der Einsatz für das Gemeinwohl ist uns Auftrag und Verpflichtung aus unserem Glauben.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" die Richtung gewiesen: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi." Als Christen und Christinnen wissen wir, dass die Botschaft des Evangeliums in einer lebendigen Spannung zur gesellschaftlichen Realität und ihren Herausforderungen stehen kann. Diese Spannung wollen wir aushalten und fruchtbar machen.

Unser Platz ist an der Seite der Bedrängten, der Opfer und der Armen.

Das christliche Bild von der Würde des Menschen und damit aller Menschen ist unser Maßstab. Als engagierte Katholikinnen und Katholiken wollen wir mitknüpfen an einem Band, das die Menschen in unserem Land zusammenführt – unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Kultur und Religion. Wir werden nie tolerieren, dass in Deutschland gewalttätige Extremisten Menschen gegeneinander aufhetzen und selbst vor Morden nicht zurückschrecken. Als Christinnen und Christen ist unser Platz an der Seite der Opfer und der Armen. Unsere Solidarität gilt den Benachteiligten in unserem eigenen Land ebenso wie den Menschen in anderen Teilen der Welt.

Der Klimawandel, die künftige Energieversorgung, die Globalisierung von Wirtschaft, Finanzmärkten und Kommunikation, die politische Einigung Europas, die Verteilung von Armut und Reichtum in unserem Land und weltweit, Migrationsbewegungen, die künftige Welternährung, der demographische Wandel und andere Aufgaben unserer Zeit stellen uns vor große Herausforderungen.

Weltweit nehmen die Konflikte zwischen Kulturen und Religionen zu, weil Menschen im Prozess der Globalisierung und Modernisierung nach Halt suchen und auch, weil religiöse Überzeugungen mitunter als Waffe missbraucht werden. Umso wichtiger ist deshalb der Dialog zwischen den Religionen und Kulturen, dem wir uns in unserer Kirche besonders verpflichtet fühlen.

Wir setzen uns für eine zukunftsfähige Kultur ein.

Gemeinsam mit immer mehr Menschen erkennen wir, dass wir mit unserer heutigen Art zu leben, zu konsumieren und zu produzieren in einer Sackgasse sind. Künftige Generationen werden die Kosten unseres Lebensstils mittragen müssen. Papst Benedikt XVI. hat bei seiner Rede im Bundestag auf die Bedeutung einer umfassenden "Ökologie des Lebens" hingewiesen, die den Schutz des menschlichen Lebens und der natürlichen Lebensgrundlagen einschließt. Was wir brauchen, ist der Aufbruch zu einer zukunftsfähigen Kultur, die den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt für die Gestaltung der großen ökonomischen, ökologischen und sozialen Aufgaben unserer Zeit nutzt und die zugleich um ihre eigenen Grenzen weiß und zum Verzicht bereit ist.

Der Fortschritt braucht eine neue Richtung, eine neue Qualität. Nicht ein "Immer mehr", ein "Immer höher-schneller-weiter", sondern ein sparsamer, schonender Umgang mit den Gütern dieser Erde und eine sozial verträgliche Entwicklung muss unser Ziel sein. Orientierung auf diesem Weg geben uns die Prinzipien der Christlichen Gesellschaftslehre: Personalität, Solidarität und Subsidiarität sowie das Leitbild der Nachhaltigkeit.

Wir engagieren uns in Gesellschaft und Staat.

Unsere Antwort auf die Krisen in Kirche, Staat und Gesellschaft ist nicht Resignation, sondern Engagement. Wir wollen nicht zuschauen, sondern mitgestalten. Wir setzen uns dafür ein, dass möglichst viele Menschen sich mit ihren Überzeugungen und Talenten in die öffentlichen Belange einbringen. Und wir wollen dies auch selbst tun, denn als Christinnen und Christen haben wir aus unserem Glauben heraus einen Beitrag zur Gestaltung des Miteinanders in unserem Land zu leisten. Es ist wichtig, dass sich Christinnen und Christen im öffentlichen Leben engagieren, dass sie politische Verantwortung übernehmen und durch die kirchliche Verkündigung dazu ermutigt werden. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Bedingungen einer pluralen Gesellschaft und die damit oft verbundene Notwendigkeit kompromisshaften Handelns.

Der Katholikentag: Gemeinsam beten, diskutieren, feiern.

Der Katholikentag in Mannheim wird eine Kirche zeigen, die die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht aus dem Blick verliert, die barmherzig ist und die sich nicht ängstlich aus der Welt zurückzieht. Die Welt ist der Ort, an dem wir leben, lernen, arbeiten und glauben. Sie ist der Ort, an dem wir Zeugnis von unserer Hoffnung geben und missionarisch wirken.

Gemeinsam wollen wir ein Beispiel für guten Dialog, offene Gesprächskultur und auch respektvollen Streit geben.

Der Katholikentag ist das Forum, um in christlicher Verantwortung und Freiheit, in der Gemeinsamkeit des Glaubens und des gegenseitigen Respekts die drängenden Fragen und Aufgaben in unserer Kirche und in der Welt zu erörtern und im Gebet vor Gott zu tragen.

Lasst uns gemeinsam "Einen neuen Aufbruch wagen!" – Hier in Mannheim beim Katholikentag und überall in unserer Kirche und unserer Gesellschaft.

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