"Inszenieren – Inspirieren – Konfrontieren. Potentiale zwischen Kirche und Theater"

Eröffnungsansprache des Präsidenten des ZdK, Alois Glück, beim Werkstattgespräch im Kloster Weingarten vom 8. bis 11. September 2010

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch ich möchte Sie herzlich zu diesem Werkstattgespräch begrüßen. Ich freue mich sehr, dass Sie der Einladung der deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) nach Weingarten gefolgt sind. Vor uns liegen drei Tage unter der Überschrift "Inszenieren – Inspirieren – Konfrontieren. Potentiale zwischen Kirche und Theater" – drei Tage der Begegnung, des Dialogs und der Auseinandersetzung. Sie werden geprägt sein vom Erleben des Theaters hier vor Ort, von den Liturgien und vom Diskurs über die Beziehung von Theater und Kirche in ihren unterschiedlichen Facetten.

Den Dialog zwischen Kunst und Kirche zu suchen, ist ein beständiges Anliegen des ZdK, das wir mit der Deutschen Bischofkonferenz teilen. Ein wichtiger Anstoß dazu ging 1979 von der Tagung "Kirche, Wirklichkeit und Kunst" in Bonn aus, bei der auf Initiative des Zentralkomi-tees katholische Laien, Bischöfe, Wissenschaftler und Künstler wie Josef Beuys und Heinrich Böll ein gemeinsames Gespräch begannen, das vielfach weitergeführt wurde. Um dem damals von Hans Maier diagnostizierten Graben zwischen Kunst und Kirche, dem Schweigen und der gegenseitigen Gleichgültigkeit entgegenzutreten, entstand ein gemeinsames Projekt von Deutscher Bischofskonferenz und ZdK: die Werkstattgespräche. 1995 in Berlin unter dem Titel "Autonomie und Verantwortung – Religion und Künste am Ende des 20. Jahrhunderts" durchgeführt, waren die weiteren Werkstattgespräche je einer Kunstsparte gewidmet: 1997 in Kopenhagen der bildenden Kunst, 1998 in Telgte der Literatur, 2002 in Hirschberg der Musik. Nun stehen wir am Beginn des sechsten Werkstattgesprächs, in dem Drama und Theater im Zentrum stehen.

Das Verhältnis von Theater und Kirche ist nicht nur durch einen Graben gekennzeichnet, sondern auch durch eine Vielzahl bereits benannter Verknüpfungen. Als Vertreter der katho-lischen Laien ist mir ein weiterer Bezug wichtig, nämlich der der Weltgestaltung. Theater ist eine Kunstform, die sich in den gesellschaftlichen Diskurs einschaltet und Kontroversen an-stößt. Dies gilt insbesondere für das schon mehrfach totgesagte politische Theater. Nicht zuletzt Elfriede Jelinek und Christoph Schlingensief machen in ihrem Werk deutlich, wie pro-vozierend Theater sein kann. Wie das Theater eine Wirkung über den Theaterraum hinaus entfaltet, muss auch der christliche Glaube über den Kirchenraum hinaus wirksam werden, will er seine gesellschaftsgestaltende Kraft entfalten.

In diesem Sinne möchte ich ein Zitat von Dieter Dorn, Intendant des Bayerischen Staats-schauspiels, aufgreifen: "Das Theater unterliegt dem Paradox, dass es institutionelle staatliche Strukturen voraussetzt, aber in seiner künstlerischen Arbeit immer anti-staatlich ist, den Staat immer angreift und nie bestätigt. Der Grundkonflikt des abendländischen Theaters ist die Überzeugung, dass der einzelne Mensch und die Gesellschaft, nicht nur der Staat, dass die Gesellschaft und der Mensch nie zusammenpassen. Theater erprobt Lebensformen; ob das notwendig ist, ist die Frage. Die Künste sind weder notwendig noch überflüssig, sie sind. Ihre Welten ersetzen die Wirklichkeit nicht, verbessern sie auch nicht unbedingt, aber sie führen Leben vor und machen uns darauf aufmerksam, wie wir dieses Leben wahrnehmen. Nur so können wir aus den Grenzen unserer Wirklichkeit heraustreten und andere Möglichkeiten von Existenz erwägen. Das ist der 'Mehrwert' der Kunst, der nie eindeutig bestimmbar sein wird. Theater muss nicht sein, wenn es nur eine kulturelle Übung ist und damit nicht mehr bedeutet als Fahrkultur oder Unternehmenskultur. Aber wenn Theater als Kunst nicht vorhanden ist, gibt es keine öffentliche und fiktive und doch leibhaftige und reale Möglichkeit mehr, mit menschlichen Verhältnissen zu experimentieren. Denn wie man sich verhalten kann und welche Folgen das hat, zeigt uns das Theater", so Dieter Dorn.

Unser Anliegen, das offene Gespräch mit Künstlern und Kulturschaffenden zu suchen, führt bei den Werkstattgesprächen nicht notwendig zu einem greifbaren Ergebnis. Es schließt die-ses aber auch nicht aus, überlässt es vielmehr dem Prozess. Auf diese Weise konnten beim letzten Werkstattgespräch zur Musik sehr konkrete Projekte entwickelt werden: das Tübin-ger Kompositionsstipendium sowie die Vergabe einer Reihe von Auftragskompositionen an junge Komponisten, die ihre Kompositionen auf dem Festival für europäische Kirchenmusik uraufgeführt haben. Die Werkstattgespräche zielen keinen direkt messbaren öffentlichen "Output" an, auch wenn dieser sie begleiten kann. Gleichwohl sind sie von allergrößtem Wert, weil in ihnen Beziehungen geknüpft und Gesprächsfäden entwickelt werden, die lang-fristig in unser aller Handeln weiterwirken.

Ich möchte mich dem Dank meines Vorredners, Herrn Erzbischof Zollitsch, anschließen, der allen gilt, die dieses Werkstattgespräch vorbereitet haben und zu seinem Gelingen beitragen. Uns erwarten intensive Begegnungen und Gespräche, die wir in aller Offenheit führen wer-den. Während sich die katholischen Laien nach dem griechischen "laikos" als zum Volk Gottes gehörend verstehen, vermischen sich in unserem Dialog die Verständnisse von Laien. Unter uns sind zahlreiche Theaterexperten, es gibt auch "Laien" wie mich, die das Theater nur von der anderen Seite der Bühne, als Zuschauer kennen. Und dann darf natürlich auch das Laienschauspiel nicht vergessen werden. Unser Gespräch lebt von der Spannung der unterschiedlichen Erfahrung und Expertise, die wir alle einbringen. In diesem Sinne wünsche ich uns ein gutes Gelingen dieses Werkstattgesprächs.

Alois Glück Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

 

 

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