"Globalisierung gerecht gestalten – Die Ernährungskrise in den Fokus der Krisenbekämpfung stellen
Einführung von Peter Weiß MdB im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Professor Ziegler,
sehr geehrter Herr Präsident Glück,
liebe Mitglieder des ZdK,
das Zentralkomitee der deutschen Katholiken soll heute einen Entschließungsantrag verabschieden, der sich mit der Ernährungskrise beschäftigt. Auf der internationalen Tagesordnung zur Bekämpfung der Finanz- und Kapitalmarktkrise muss nicht nur die Regulierung der Finanzmärkte, sondern ebenso die durch Spekulationen und Bodenraub verschärfte Nahrungsmittelkrise stehen.
Die Europäische Kommission hat jetzt im September einen ersten Vorschlag vorgelegt. Frankreich hat angekündigt, die Funktionsfähigkeit der internationalen Agrarmärkte zum zentralen Thema seiner G8 / G20 – Präsidentschaft im Jahr 2011 zu machen. Mit den Agrarmärkten hängt eine neue – nämlich internationale – Form der Bodenspekulation zusammen. Einige wohlhabende, auf Nahrungsmittelimporte angewiesene Länder kaufen in großem Umfang Agrarflächen in anderen Ländern auf, so z. B. Saudi-Arabien, das kürzlich 500.000 Hektar in Pakistan aufgekauft hat.
Unser zentrales Anliegen ist die gerechte Gestaltung der Globalisierung. Dazu hat sich das ZdK in den letzten Jahren mehrfach geäußert – die aktuelle Erklärung liegt auf einer Linie mit unseren Erklärungen zu den zu den internationalen Finanzmärkten (Gerechtigkeit braucht Regeln, 2003), zu den Millennium-entwicklungszielen (Versprechen einhalten – Armut wirksam bekämpfen, 2007) und zum Ethischen In-vestment (Mit Geldanlagen Verantwortung wahrnehmen, 2007).
Engagierte Christinnen und Christen wollen zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung beitragen und schauen dabei über den nationalen Tellerrand hinaus. Wir sehen mit großer Sorge, dass die Situation der hungernden Menschen in der Welt trotz unzähliger internationaler Vereinbarungen immer dramatischer wird. Wir freuen uns, dass wir mit Professor Jean Ziegler einen ausgewiesenen Experten zu diesem Thema gewinnen konnten, und danken Ihnen, lieber Jean Ziegler, dass Sie hier nach Bonn gekommen sind. Sie haben uns anschaulich vor Augen geführt: Alle 5 Sekunden stirbt ein Kind auf dieser Welt, 37.000 Menschen sterben pro Tag an Hunger, 2,2 Milliarden Menschen der südlichen Hemisphäre leben in absoluter Armut, ca. 1 Milliarde von ihnen hungern.
Es gibt viele Gründe für die fortwährende Ernährungskrise, einen Grund möchte das ZdK in seiner Rolle als "Anwalt für die Armen" besonders herausgreifen: die rein renditegetriebenen Spekulationen an den Märkten für Nahrungsmittel. Diese treiben die Preise täglich auf immer neue Höchststände und machen damit Nahrungsmittel für die Ärmsten auf der Welt immer teurer und damit unerschwinglich. Es wird geschätzt, dass allein durch die Spekulationen auf Grundnahrungsmittel in den letzten zwei Jahren 160 Millionen Menschen zusätzlich in den Hunger getrieben wurden.
In dem Buch von Jean Ziegler "Der Hass auf den Westen" wird anschaulich beschrieben, dass dieses Phänomen der Spekulation auf Nahrungsmittelpreise einen gewichtigen Anteil an dem seit Ende 2008 zu beobachtenden Preisanstieg hat: Die UNCTAD, Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Ent-wicklung, schätzt den Anteil der Spekulationsgewinne an dem weltweiten Preisanstieg für Grundnah-rungsmittel auf 50 bis 60 Prozent. Robert Zoellnick, Präsident der Weltbank, lastet den Spekulanten rund 37 Prozent der Preisentwicklung an. Dieser Trend hat eine fatale Ursache: Seit dem Crash Ende 2007 verlagern internationale Investoren (Hedgefonds und andere hochspekulative Fonds) ihre Handelsaktivitäten zunehmend an die Chicagoer Börse, um mit Nahrungsmittelpapieren in möglichst kurzer Zeit möglichst große Gewinne zu erzielen. Doch dahinter stecken eben nicht nur Aktien oder Immobilien, sondern die Lebensgrundlage für viele Millionen Menschen. Dieser fatalen Entwicklung können wir nicht länger tatenlos zusehen!
Für die Frage, wie die reine Spekulation angesichts des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gewinn sozialethisch zu beurteilen ist, schauen katholische Theologen auch heute noch gerne bei den Scholastikern nach. In einem 1558 erschienenen Werk von Domingo de Soto heißt es: "Dabei besteht noch der verderbliche Übelstand …, dass, da dieses Geschäft ohne viel Mühe und Schweiß ausgeübt wird, … arbeitsscheue und hochstaplerische Elemente … sich in diesen Abgrund stürzen, dergestalt, dass sie weder die räumliche noch die zeitliche Güterverteilung noch die Weiterverarbeitung der Ware bewirken, sondern aus reiner Profitgier alles Käufliche zusammenkaufen, um ohne alles Weitere Gewinn herauszupressen. … Dafür verdienen sie Zwangsabschiebung aus dem Staatsgebiet oder Zwangsarbeit in Berufen, in denen Mangel an Arbeitskräften besteht." (aus: Domingo de Soto, De iustitia et iure, Lyon, 1558).
Das ZdK appelliert an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft: Es gibt eine moralische Verpflichtung zur Bekämpfung des Hungers! Das ZdK fordert eine Reihe von konkreten Maßnahmen:
• Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer – das ZdK unterstützt die Kampagne "Steuer gegen Armut" und will ihr mit diesem Beschluss Nachdruck verleihen
• Konsequente Regulierung der Nahrungsmittelmärkte – das ZdK ist sich wohl bewusst, dass es kein vollständiges Verbot der Spekulationen mit Nahrungsmitteln geben kann, fordert aber Richtlinien, die den Missbrauch stoppen können
• Umsetzung einer gerechten Agrarpolitik – das ZdK begrüßt die angekündigte Initiative der Bundes-minister Aigner und Niebel zur Abschaffung aller Agrar-Exportsubventionen, den Worten müssen nun auch Taten folgen
• Fokussierung der Entwicklungspolitik auf die Förderung der einheimischen Landwirtschaftsstrukturen – Hauptziel muss Hunger- und Armutsbekämpfung durch Eigenversorgung sein
• Festhalten am ersten Millenniumentwicklungsziel – das ZdK verurteilt Äußerungen von Staats- und Regierungschefs, mit denen sie die Weiterverfolgung des vereinbarten Ziels, Hunger und Armut bis 2015 zu halbieren, leichtfertig in Frage stellen
• Ausbau der Mikrofinanzstrukturen als konkreter Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe für Kleinbauern – das ZdK sieht in Mikrofinanzfonds ein wirksames Instrument des ethischen Investments
• Ausschluss von Investments in Nahrungsmittelfonds und Agrarfonds aus dem ethischen Anlageuni-versum – das ZdK verurteilt, wenn Investoren von steigenden Preisen profitieren und Millionen Men-schen in den Hunger getrieben werden
• Ausrichtung unseres Lebensstils an Kriterien der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit – das ZdK möchte Bewusstsein dafür schaffen, dass wir mit unserem Konsumverhalten zur Verschärfung, aber eben auch zur Bekämpfung des Hungers beitragen können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und lade nun zur Aussprache und zur Beschlussfassung über den Entschließungsantrag ein.