Globalisierung gerecht gestalten - Die Ernährungskrise in den Fokus der Krisenbekämpfung stellen

Beschluss der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Die Finanz- und Wirtschaftskrise offenbart das Fehlen funktionierender internationaler Regeln und ist gleichzeitig Ausdruck einer Sinn- und Orientierungskrise der globalisierten Welt. Das ZdK hat bereits in seinen Erklärungen zu den internationalen Finanzmärkten (2003) und zur Sozialen Marktwirtschaft (2009) auf die Notwendigkeit einer internationalen Regulierung der Finanzmärkte und einer sozial gerechten Gestaltung der Globalisierung hingewiesen. Diese Themen stehen nach wie vor zu Recht auf der internationalen Tagesordnung. Das ZdK beobachtet mit Sorge die fortwährende Ernährungskrise, die seit 2007 durch steigende Nahrungsmittelpreise noch zusätzlich verschärft wird. Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Ernährungskrise und der Finanz- und Wirtschaftskrise, da internationale Investoren auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten verstärkt in Nahrungsmittelmärkte investieren und damit starke Preisschwankungen auslösen können.

Die Gründe für die Ernährungskrise sind vielfältig: Eine steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Energie aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und der Ausweitung wenig nachhaltiger Konsummuster trifft auf ein sinkendes Angebot, bedingt durch Ernteausfälle und Ernterückgänge infolge von Klima- und Umweltkrisen. Hinzu kommt ein Phänomen der aktuellen Landnutzung, das sogenannte "Land Grabbing". Die ständig knapper werdende Ressource Boden und die häufig damit verbundene Ressource Wasser, für viele Entwicklungsländer ihre letzten und wichtigsten Ressourcen, wurden in den letzten Jahren zu einem begehrten Objekt von internationalen Investoren und Staaten. Diese Rahmenbedingungen bieten den Nährboden für zunehmende Spekulationen auf Nahrungsmittel an den Finanzmärkten.

Die steigenden Nahrungsmittelpreise aufgrund von renditegetriebenen Spekulationen gefährden somit die Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität noch zusätzlich und verschärfen damit das weltweite Problem des Hungers. Die zwischenzeitlichen Erfolge bei dem ersten Millenniumsentwicklungsziel (Halbierung von Hunger und Armut bis 2015) werden damit in einigen Regionen wieder zunichte gemacht. Nach wie vor leben weltweit 1 Milliarde Menschen – davon 70 % Mädchen und Frauen – in Hunger und Armut, 80 % von ihnen auf dem Land bzw. von Einkommen aus landwirtschaftlicher Lohnarbeit oder Subsistenzlandwirtschaft. Sie leiden unter den Auswirkungen der aktuellen Preissteigerungen für Nahrungsmittel am meisten.

Das ZdK verurteilt rein renditegetriebene Spekulationen auf Nahrungsmittel:
1. Nahrungsmittel sind keine "Anlageklasse" wie andere Finanzmarktinstrumente. Während Investoren von steigenden Preisen profitieren, werden Millionen Menschen in den Hunger getrieben.
2. Der Börsenwert übersteigt die Produktionsmengen um ein Vielfaches. Diese Entkopplung von Real- und Finanzwirtschaft birgt enorme Risiken und macht die Nahrungsmittelmärkte zu einem Unruheherd mit kaum abschätzbaren Folgen.
3. Die Aussicht auf Spekulationsgewinne verleitet zum Horten von Ernteerträgen und ausländischen Hilfslieferungen, um sie später gewinnbringend auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Die Ärmsten der Armen tragen die Folgen.

Das Menschenrecht auf Nahrung und das Ziel der Ernährungssicherheit sind Prüfsteine für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung. Es gibt eine moralische Verpflichtung zur Bekämpfung des Hungers. Doch Hunger wird gemacht – und hier liegt der eigentliche Skandal. So sieht es auch Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika "Caritas in Veritate": "Hunger hängt weniger von einem materiellen Mangel ab, als vielmehr von einem Mangel an gesellschaftlichen Ressourcen … Es fehlt eine Ordnung wirtschaftlicher Institutionen, die in der Lage sind, sowohl einen der richtigen Ernährung angemessenen regulären Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln zu garantieren, als auch die Engpässe zu bewältigen, die mit den Grundbedürfnissen und dem Notstand im Fall echter Nahrungsmittelkrisen verbunden sind." (aus: Enzyklika "Caritas in Veritate", 2009, Nr.27)


Was können wir tun?

Das Problem der Ernährungsunsicherheit muss sowohl mit Sofortmaßnahmen als auch in einer langfristigen Perspektive in Angriff genommen werden. Preisschwankungen an den Nahrungsmittelmärkten können direkt bekämpft werden, strukturelle Ursachen und die landwirtschaftliche Entwicklung der ärmsten Länder bedürfen einer nachhaltigen Strategie.

Das ZdK schlägt dazu konkret folgende Maßnahmen vor:

Das ZdK fordert eine konsequente Regulierung der Nahrungsmittelmärkte, um den Missbrauch von Nahrungsmitteln als reine Spekulationsobjekte zu stoppen. Ein Instrument ist die Erweiterung der Transparenzvorschriften für Finanzprodukte, die auf der Spekulation mit Nahrungsmittelpreisen basieren. Die anstehende Überarbeitung der europäischen MiFID-Richtlinie (Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente) sollte hierfür genutzt werden.
 

  • Das ZdK fordert die Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer als Steuer auf alle spekulationsrelevanten Finanztransaktionen. Sie stellt ein Instrument zur Eindämmung riskanter, von realen Handelsmengen abgekoppelter Finanzgeschäfte dar und trägt damit zur Stabilisierung der
    Finanz- und somit auch der Nahrungsmittelmärkte bei. Die Einnahmen aus dieser Steuer sollten für die Bekämpfung der Armut und der Folgen des Klimawandels verwendet werden. 
  • Das ZdK fordert die Bundesregierung auf, sich auf internationaler Ebene für eine gerechte Agrar-politik einzusetzen. Dazu zählen die Förderung von bäuerlicher Landwirtschaft – und dabei insbesondere ihres Zugangs zu Land und Wasser – und von genossenschaftlichen Zusammenschlüssen, die Förderung lokaler Marktzugänge und der Aufbau einer tragfähigen, einkommensschaffenden Infrastruktur mit Beratungsdiensten. Da Frauen in Entwicklungsländern 70 % der Nahrungsmittel produzieren, müssen die Angebote auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe zugeschnitten werden. Für unabdingbar hält das ZdK die selbstkritische Überprüfung der europäischen Agrarexportsubventionen, die die lokalen Märkte in den Entwicklungsländern zerstören und die Nahrungsmittelpreise verzerren. Die anstehende EU-Agrarreform bietet den europäischen Staaten die Chance, entsprechende Veränderungen mit Signalwirkung herbeizuführen.
  • Das ZdK fordert die Bundesregierung auf, in der Entwicklungspolitik einen Schwerpunkt auf die För-derung einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung und der Gleichstellung von Frauen in den Ent-wicklungsländern zu setzen, um die Eigenversorgungsfähigkeit und Selbstständigkeit der ländlichen Bevölkerung zu stärken. Nachweislich führt die gesellschaftliche Verbesserung des Status der Frauen zu einer Verringerung des Hungerproblems. Zur Erzielung einer maximalen Wirkungskraft dieser Maßnahmen ist eine koordinierte Agrar-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung die zentrale Voraussetzung.
  • Das ZdK erwartet das konsequente Festhalten am ersten Millenniumsentwicklungsziel der Halbierung von Hunger und Armut. Um die Durchführung struktureller Reformen und den Schutz der Er-nährungssouveränität des Einzelnen auch über 2015 hinaus zu gewährleisten, müssen die 2004 von der FAO verabschiedeten "Freiwilligen Richtlinien zur Implementierung des Rechts auf Nahrung" schnellstmöglich umgesetzt werden. Die hierfür notwendigen Schritte sind bekannt, es bedarf nun des politischen Willens zu deren Umsetzung.
  • Das ZdK sieht nach wie vor in dem Ansatz der "Hilfe zur Selbsthilfe" einen sehr erfolgversprechenden Weg der modernen Entwicklungszusammenarbeit. Dieser Ansatz umschließt im Hinblick auf die Er-nährungskrise v. a. den Aufbau von lokal getragenen Beratungsstrukturen, die auf Grundlage des lokalen Wissens und der lokal verfügbaren Ressourcen standortgerecht beraten (vgl. dazu den 2008 veröffentlichten Weltagrarbericht). So kann die Produktivität in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft erhöht, die politische Aktions- und Artikulationsfähigkeit der Kleinbauern gestärkt und gleichzeitig ihre Verhandlungsposition gegenüber Agrarkonzernen gefördert werden. Darüber hinaus sind die Vergabe von mehr Mikrofinanz-Krediten an Kleinbauern sowie der Ausbau von Mikroversicherungen hilfreiche Instrumente zur Förderung einer nachhaltigen kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Allerdings sind hohe Standards bei Beratung und Begleitung Voraussetzung für die positive Wirkung dieser Instrumente.
  • Das ZdK schlägt die Ausweitung der Kriterien für Ethisches Investment vor. Zusätzlich zu den bekannten Kriterien unserer Handreichung von 2007 empfehlen wir Geldanlagen in Fonds, die sich der reinen Portfoliospekulation auf Nahrungsmittel enthalten (Positivkriterium) bzw. die kritische Überprüfung von Anteilen an Nahrungsmittel-Fonds (Negativkriterium).
  • Das ZdK appelliert an die Menschen und Regierungen in den Industrie- und Schwellenländern, sich ihres Einflusses auf die Gestaltung der Nahrungsmittelmärkte durch ihre Form des Wirtschaftens und ihr Konsumverhalten bewusst zu werden. Die Probleme der Welt mit dem Thema Hunger sind viel enger an unsere Lebensgewohnheiten zurückgebunden, als viele wahrhaben wollen. Deshalb liegt es an jedem Einzelnen, diese Verantwortung wahrzunehmen und seinen Lebensstil stärker nach Kriterien der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit auszurichten. Die Politik sollte hier mit positivem Beispiel vorangehen und soziale und ökologische Kriterien in den Vergaberichtlinien festschreiben sowie nachhaltige Wirtschafts- und Konsumformen wie den Fairen Handel stärker fördern.
  • Das ZdK unterstützt die Ziele der Global-Marshall-Plan-Initiative zur weltweiten Verbreitung der Öko-sozialen Marktwirtschaft auf Basis der UN-Millenniumsentwicklungsziele.
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