Einige Thesen zur Diskussion und zum Diskurs

Friedensethik in veränderter Sicherheitslage"

Statement von General Karl-Heinz Lather im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

1. Moderne Sicherheits-, Außen- und Verteidigungspolitik verlangt einen ganzheitlichen Ansatz. Mir sind keine vernünftigen politischen und militärischen Verantwortungsträger bekannt, die dies im Grundsatz bestreiten würden. Wir sprechen heute von "Comprehensive Approach" oder von "Vernetzter Sicherheit" – dabei kommt es auf die Komplementarität des Handelns an, nicht jedoch auf Konfrontation oder einen Wettbewerb der Akteure.

2. "Nichts ist gut in Afghanistan!", so predigte eine Bischöfin. Ich sage: Nicht alles ist gut in Afghanistan! Vor allem das Osterwochenende hat uns das wieder vor Augen geführt. Aber vieles ist deutlich besser geworden, seit die internationale Gemeinschaft (VN, NATO, EU, Nichtregierungsorganisationen) beschlossen hat, sich für das afghanische Volk zu engagieren und den Einfluss der Aufständischen (Insurgents) zurückzudrängen und zu bekämpfen.

3. Immer sind folgende Fragen zu stellen und zu beantworten: Was wäre, wenn wir nicht handelten? Was wäre, wenn wir uns z. B. aus Afghanistan zurückzögen? Immer ist eine ethische Reflexion verlangt – von dem, der handeln will oder handelt, ebenso wie von jenem, der dies nicht will und im Betrachten verharrt. Christlich gesagt könnte man so oder so schuldig werden. Meines Erachtens verlangt die konkrete Realität der Gegenwart das Handeln für den Frieden und die Menschen. Bloßes Vertrauen und Hoffen auf diesen Frieden, apathisches Zuschauen und erschrockenes Passivverhalten sind unverantwortlich.

4. Glücklicherweise sind die Friedensethiken der katholischen und der evangelischen Kirche nahezu identisch. Beide lassen im äußersten Falle, als Ultima Ratio, die An-drohung und den Einsatz militärischer Gewalt zu. Wir dürfen militärische Gewalt nicht kategorisch ausschließen, weder humanitär, noch als Intervention in einen Unrechtsstaat, noch in einem zwischenstaatlichen Konflikt. Wir können sie vielmehr dann akzeptieren, wenn alle anderen Anstrengungen vergeblich geblieben sind. Als aktuelle Beispiele der jüngeren Vergangenheit mögen gelten: Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Irak, Afghanistan, Iran, Kampf gegen Piraterie, Sudan, Somalia, Kongo, Haiti.

5. "Ethik im Einsatz" verlangt die Beachtung des "Militärischen Schutzes" als oberstes Kriterium für militärische Professionalität. Auch bei der so genannten "COIN-Strate-gie", die ISAF derzeit in Afghanistan anwendet, steht der Schutz der Bevölkerung im Zentrum des Handelns. "COIN" (Counter Insurgency) bedeutet direkt übersetzt "Bekämpfung Aufständischer", meint aber, über den reinen, mit militärischen Mitteln geführten bewaffneten Kampf hinaus, die Isolierung der Aufständischen von der Bevölkerung mit allen erdenklichen Mitteln, um das Vertrauen in die rechtmäßige Staatsgewalt wiederherzustellen.

6. Soldaten sind zur Einhaltung der Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechtes verpflichtet. Sie haben sie vollständig zu beachten. Ergänzt werden diese Regeln durch nationale Vorschriften, durch "Rules of Engagement" (Einsatzregeln), durch Abkommen zu Aufenthaltsbestimmungen oder bei der Bundeswehr durch die "Taschenkarte des Soldaten", die u. a. detaillierte Vorgaben zur Anwendung von Gewalt machen. So wird Willkür vermieden, der Rechtsrahmen umschrieben und Handlungssicherheit erzielt. Übrigens: Wenn sich der Soldat im Sinne dieser Rechtsvorschriften und Normen nicht rechtskonform verhält, dann hat er sich zu verantworten – völkerstrafrechtlich, strafrechtlich und disziplinarrechtlich. Auch das ist Teil der "Ethik im Einsatz".

7. Deutsche Soldaten können nur mit einem Mandat des Deutschen Bundestages von der Bundesregierung in Einsätze entsandt werden. In der Regel handelt Deutschland nicht allein, sondern im internationalen Verbund. Meist werden ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein Beschluss der Mehrheit des Parlamentes einen Einsatz der Bundeswehr legitimieren. Die meisten mit uns verbündeten Staaten haben weniger komplexe Entscheidungsprozesse zu beachten, bevor sie ihr Militär einsetzen können.

8. "Reintegration and Reconciliation" (Wiedereingliederung und Versöhnung) – auch sie sind Teil des COIN-Ansatzes. Wiedereingliederung findet eher praktisch vor Ort statt, Versöhnung eher auf politischer, gesellschaftlicher Ebene. Wo Wiedereingliederung und Versöhnung nicht angestrebt werden, bleiben Krieg und Konflikt latent erhalten, weil die eigentlichen Ursachen der Auseinandersetzung nicht beseitigt werden. Positive, erfolgreiche Beispiele sind Nordirland, Südafrika, Deutschland – Frankreich. (Noch) negative Beispiele, weil ungelöste Konflikte, sind Israel – Palästina, Sudan, Korea, Sri Lanka.

General Karl-Heinz Lather

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