Eckpunkte zur Zukunft des Wehrdienstes
des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
Deutschland steht vor dem historischen Schritt der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht. In ihrer über 50jährigen Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland war sie sicherheitspolitisch geboten und gesellschaftspolitisch sinnvoll. So hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zuletzt im Jahr 2000 das Für und Wider der allgemeinen Wehrpflicht abgewogen und kam zu dem Schluss, dass unter den seinerzeit gegebenen Umständen die Gründe für die Beibehaltung der Wehrpflicht überwogen. Leitende Kriterien waren und sind auch heute die umfassende Aufrechterhaltung des Konzeptes der Inneren Führung und des "Staatsbürgers in Uniform", die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft, die Ermöglichung effizienter Krisenreaktionseinsätze und eines nicht eskalierend wirkenden Streitkräfteaufwuchses zur Landesverteidigung. Vor diesem Hintergrund spricht sich das ZdK für die Berücksichtigung folgender Eckpunkte aus:
1. Insbesondere die genuin sicherheitspolitischen Argumente haben inzwischen ihre Plausibilität eingebüßt, wie spätestens der jüngste Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr mit der Aussage, der Vollzug der Wehrpflicht sei sicherheitspolitisch nicht mehr notwendig, zeigt. Da die Wehrpflicht einen tiefen Einschnitt in die Freiheitsrechte der Bürger, in diesem Fall der jungen Männer, darstellt und insofern stets aufs Neue begründungspflichtig ist, muss das Entfallen des sicherheitspolitischen Motivs der Wehrpflicht folgerichtig zu ihrer Aussetzung führen. Nach den jüngsten politischen Entwicklungen kann nicht mehr ernsthaft an der künftigen Aussetzung der Wehrpflicht gezweifelt werden. Das ZdK begrüßt, dass die Bundesregierung diesen folgerichtigen, aber auch folgenreichen Schritt geht und es dafür einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens gibt. Zugleich stützt es die Beibehaltung der Möglichkeit der Einbeziehung zum Wehrdienst in Artikel 12a des Grundgesetzes.
2. Die Entwicklung zum Aussetzen der Wehrpflicht in der jetzigen Situation ist zwar erst durch die Haushaltskonsolidierung der Bundesregierung akut geworden, wurde aber spä-testens mit der Verkürzung des Grundwehrdienstes auf 6 Monate eingeläutet, da die Wehrpflicht unter diesen Rahmenbedingungen sicherheitspolitisch nicht mehr relevant war. Eine dem gewandelten Auftrag der Bundeswehr entsprechende Verwendung der Grundwehrdienstleistenden geriet außer Reichweite. Die zur Aufrechterhaltung benötig-ten Ausbildungskapazitäten waren sogar hinderlich für die Erfüllung des Auftrags, indem anderweitig benötigte Ressourcen gebunden wurden. Der sechsmonatige Grundwehr-dienst ist ein koalitionspolitisch gewollter, aber sicherheitspolitisch unredlicher Kompro-miss.
3. Es ist in negativer Hinsicht bezeichnend für die in mancher Hinsicht blockierte politische Kultur in Deutschland, dass eine annähernd ernsthafte Debatte über die angemessene Wehrform und eine entsprechende politische Entwicklung erst unter dem extern vorge-gebenen, nicht sicherheitspolitisch begründeten Spardruck in Gang gekommen ist. Es ist nicht gelungen, die Publikation des Weißbuchs zur Zukunft der Bundeswehr 2006 als an-gemessenen Anlass für eine breite öffentliche Diskussion zu nutzen. Auch fehlt die Debatte zur veränderten Armee angesichts des ressortübergreifenden Aktionsplans "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung". Doch wie dem auch sei, nun ist der Zeitpunkt gekommen, die Konsequenzen aus den langjährigen Entwicklungen, dem gewandelten Auftrag der Bundeswehr hin zu einer Armee im (Auslands-)Einsatz sowie der sparkursbedingten zunehmenden Mangelverwaltung innerhalb der Organisation, zu ziehen. In der politischen Diskussion der vergangenen Wochen sind die Bundeswehr und die Frage nach ihrer zukünftigen Gestalt immerhin in der Öffentlichkeit präsent gewesen, während zuvor ihr gegenüber ein "freundliches Desinteresse" (Horst Köhler) vorherrschte. Es ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft, für eine Präsenz der Bundeswehr in der "Mitte der Gesellschaft" Sorge zu tragen.
4. Denn während die sicherheitspolitischen Bedenken gegenüber einer Aussetzung der Wehrpflicht weitgehend ausgeräumt sind, bleibt die Herausforderung, die Prinzipien der Inneren Führung, des "Staatsbürgers in Uniform" und der "Parlamentsarmee" aufrecht zu erhalten und die Verankerung der Truppe in der Bevölkerung zu gewährleisten. Zwar gibt es nach einer über 50 Jahre währenden Entwicklung keinen Anlass zu der Annahme, das in der Bundeswehr verinnerlichte Prinzip des Staatsbürgers in Uniform sei nur in einer Wehrpflichtarmee umzusetzen. Doch es ist eine bleibende Aufgabe für den Deutschen Bundestag, seinen Wehrbeauftragten in der ihm eigenen Wächterfunktion und die Bundeswehr selbst, diese Markenzeichen zu pflegen und mit Leben zu füllen. Gerade die Erfahrungen in den Auslandseinsätzen erweisen die ungebrochene, wenn nicht gestiegene Bedeutung der Inneren Führung, da dort erwiesenermaßen ethisch und kulturell gebildete und sensible Soldaten gebraucht werden. Diese Kompetenzen gehören zu einem zeitgemäßen Verständnis von militärischem Professionalismus.
5. Mit der Umstellung von einer durch die allgemeine Wehrpflicht geprägten Armee hin zu einer Freiwilligenarmee wird nachvollzogen, was im Bewusstsein der meisten Grund-wehrdienstleistenden wie auch der Zivildienstleistenden bereits heute fest verankert ist: dass sie eine Auswahl zwischen zwei gleichwertigen Alternativen getroffen haben und dass sie ihren Dienst angesichts der faktischen Beteiligungsquote (d. h. auch der mangelnden Wehrgerechtigkeit) quasi freiwillig versehen. Diese Freiwilligkeit erhält mit dem offiziellen Status eine neue Qualität, die zugleich eine Herausforderung für die Bundeswehr sein wird. Mit allen anderen gesellschaftlich erwünschten Freiwilligendiensten hat der freiwillige Wehrdienst gemeinsam, dass erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um nach dem Entfallen der Pflichtdienste das erwünschte Aufkommen an Freiwilligen zu generieren. Für die Ableistung eines freiwilligen Wehrdienstes ist anzuführen und zu vermitteln, dass auch auf diese Weise junge Menschen etwas für ihr Land und zugleich für sich selbst tun können. Neben einem öffentlichen Klima der Wertschätzung und Anerkennung werden aber auch "handfeste" nicht-monetäre Anreize benötigt.
6. Ein künftiger freiwilliger Wehrdienst kann kein Freiwilligendienst wie alle anderen sein, da er in letzter Konsequenz mit dem Gebrauch von Waffengewalt verbunden ist. Es gibt in allen Diensten ein hohes gesellschaftliches Interesse daran, dass junge Menschen aus allen sozialen Schichten von ihnen angesprochen werden. In der Bundeswehr erscheint dies umso dringlicher für die Entwicklung der Organisation, da ihr Charakter sich, anders als bei anderen Anbietern von freiwilligen Diensten, maßgeblich ändern würde, wenn es nicht mehr gelänge, einen Bevölkerungsquerschnitt zu erreichen und auch längerfristig für die Bundeswehr zu gewinnen. Das rechtfertigt ggf. besondere Anreize (z. B. im Bereich beruflicher bzw. berufsbezogener Qualifikation).
7. Die Attraktivität der Bundeswehr und die Repräsentation aller Bevölkerungsschichten und -milieus bemessen sich nicht zuletzt an ihrer Konkurrenzfähigkeit als Arbeitgeber für Zeit- und Berufssoldatinnen und -soldaten. Dabei wird in Zukunft die Familienverträglich-keit wechselnder Einsatzorte im In- wie im Ausland noch bedeutsamer werden. Neben den abzufedernden psychosozialen Belastungen der Soldatinnen und Soldaten, ihrer Part-nerinnen, Partner und Kinder, für die die Präsenz der Militärseelsorge unerlässlich ist, wird es auch darum gehen, die beruflichen Perspektiven der Partnerinnen und Partner der Soldatinnen und Soldaten zu berücksichtigen.
8. Im Pflichtwehrdienst oder -zivildienst haben zahllose junge Männer eine wichtige Prägung für ihr Leben und ihre Berufslaufbahn erfahren, in vielen Fällen mit der Konsequenz, sich für einen längeren Zeitraum bei der Bundeswehr zu verpflichten oder in einen Beruf im Sozial- und Bildungswesen zu gehen. Dieser je unterschiedlich ausgeprägte Lerncharakter sollte auch in den künftigen freiwilligen Diensten unbedingt beibehalten bzw. ausgebaut werden. Für die Bundeswehr sind hier abermals das Prinzip der Inneren Führung und des "Staatsbürgers in Uniform" zu betonen, das auf die Persönlichkeitsentwicklung der Solda-ten angewiesen ist und bislang schon durch Angebote der politischen Bildung für Bundes-wehrangehörige unterlegt ist. Da schon heute in allen Diensten begleitende Bildungsangebote vorgesehen sind, ist es aus Sicht des ZdK im Sinne der gesellschaftlichen Integration erstrebenswert, die politische Bildung künftig wenigstens anteilig "dienstübergreifend" durchzuführen. Dies kann bei allen Beteiligten zu einer wertvollen Horizonterweiterung und zum Austausch zwischen unterschiedlichen sozialen Milieus beitragen. Dies wäre auch ein Beitrag zur Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft.