Den Geist nicht auslöschen und die Welt nicht freiwillig räumen: ein Aufbruch in christlicher Zuversicht

Arbeitsgruppe 5, Moderation von Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Wir werden den Aufbruch wagen müssen. Das ist unausweichlich, wenn wir, wenn jede und jeder Getaufte und Gefirmte wirklich "zugleich Zeuge und lebendiges Werkzeug der Sendung der Kirche" (LG 33) sein und in der "gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes" (LG 31) suchen will. Jeder Aufbruch beginnt aber mit einem Innehalten: Wo stehen wir und wohin sollen wir? Eine kritische Selbstvergewisserung tut Not. Das geht nur in einem intensiven Dialog, der angstfrei geführt werden kann, der vorbehaltlos alle wirklichen Problempunkte beim Namen nennt und der sich bestimmen lässt von der Überzeugungskraft der vorgetragenen Einschätzungen und Positionen – und der auch reale Folgen zeitigt und nicht in unverbindlichen Absichtserklärungen endet. Ein solcher Dialog ist nicht nur ein Ort des Sprechens, sondern vor allem ein Ort des Hörens. Und dieses Hören beabsichtigt nicht nur, im Reden der Anderen das wiederzuentdecken, was man selbst schon denkt und immer schon weiß. Ein dialogisches Hören lässt aufhorchen: auf das überraschend Neue und Ungewohnte, das der andere uns zu Gehör bringt. Es lässt nach-denken, ermöglicht neu-denken und auf-brechen. Nur so können wir als pilgernde Kirche aus den gegenwärtigen Zeichen der Zeit die nötigen Schlüsse ziehen.

Freilich, nicht wenige von uns fragen sich, warum der Aufbruch und vor allem: wozu? Viele unter uns sind müde geworden und manchmal sogar zermürbt. Dennoch haben wir Christinnen und Christen wahrlich Grund zur Hoffnung. Die biblische Tradition erzählt von mannigfaltigen Erfahrungen, in denen Menschen die Kraft Gottes, die besonders vom Mann aus Nazareth ausging, verspürten und mit ihr echte Neuanfänge gestalten konnten. Natürlich besteht unsere Hoffnung als Christen nicht in der Gewissheit, dass unser Aufbruch in jedem Fall von Erfolg gekrönt ist. Aber unsere christliche Hoffnung stiftet in uns die Zuversicht, dass die Nähe Gottes uns und die vielen in eine gute Zukunft führen und begleiten wird. Wir wollen den Geist Gottes nicht verlöschen, sondern in uns wirken lassen. Mit seiner Hilfe wollen wir alles prüfen und das Gute behalten (1 Thess 5, 18f). Mit seiner Hilfe werden wir die Welt nicht selbstzufrieden ihrem Schicksal überlassen und die Erde nicht freiwillig räumen. Mit seiner Hilfe können wir den Aufbruch wagen, um die Welt, die Gott, unser Schöpfer, unserer Sorge anvertraut hat, menschlicher zu gestalten.
"Die neue Kirche durchströmt immer neu der Schöpfergott. Aber welcher Gewalt und Gewaltsamkeit bedarf es oft, um sich durchzusetzen. Die Ämter der Kirche sind innerlich vom Geist geführt und verbürgt. Aber die Amtsstuben! Und die verbeamteten Repräsentanten. Und die so unerschütterlich sicher 'gläubigen'! Sie glauben an alles, an jede Zeremonie und jeden Brauch, nur nicht an den lebendigen Gott. Man muss bei diesen Gedanken sehr behutsam sein, nicht aus Angst, sondern aus Ehrfurcht. Aber es stehen so viele Erinnerungen auf an Haltungen und Gebärden gegen das Leben. Im Namen Gottes? Nein, im Namen der Ruhe, des Herkommens, des Gewöhnlichen, des Bequemen, des Ungefährlichen. Eigentlich im Namen des Bürgers, der das ungeeignetste Organ des Heiligen Geistes ist. Der Geist wird strömen und neu schaffen."

P. Alfred Delp SJ: Weihnachten 1944, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, hrsg. von Roman Bleistein,
Frankfurt a. M. 1984ff., S. 194f.

"Man kann nicht die Botschaft von diesem verschwenderischen Gott vernehmen und als religiöser Kleinbürger wieder weggehen, der nur wieder sorgt für sein eigenes Heil, seine eigene Frömmigkeit und der dieses andere nicht begreift, diesen inneren Anruf genugzutun, dazustehen für die anderen, einen Punkt (zu) finden, von dem man für das Ganze, für die anderen, für die Gemeinde die Sache wiederherstellt, wieder in Ordnung bringen kann, irgendwo in diese allgemeine Verantwortung hinein. Da sind Impulse, von denen aus man keine Rezepte schreiben kann. Von denen aus man aber Ahnungen haben kann und innere Befehle erhalten kann, von daher das Leben anders aussieht."

P. Alfred Delp SJ: Predigt am 01.07.1943 in der Pfarrei Heilig Blut, München-Bogenhausen Das Schicksal der Kirchen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 3, hrsg. von Roman Bleistein, Frankfurt a. M. 1984ff., S. 251

"Unsere Liebe zur Kirche verpflichtet uns nicht, in Aktionsformen und unter Vokabeln zu handeln, die offiziell kirchlich sind, wohl aber den Mut zu haben, unsere Lebensrinde aufbrechen zu lassen, damit in die Knospe der Liebe, die unsere Berufung darstellt, unser Lebenssaft einströme. Unsere Aufgabe ist nicht, eine Knospe aufs Papier zu malen nach dem Modell einer anderen; ein Schößling sprießt von innen. Sind wir den Imperativen der evangelischen Liebe wahrhaft treu, so können wir die Knospe sein, die Gott heute will, innendurch mit dem Stamm verbunden, Blatt auf Blatt entfaltend, auch bereit, abgerissen zu werden, falls sie unzeitgemäß ist, nie sicher, aus uns selber für morgen recht zu behalten, sicher aber, dass es nicht zwei 'Heilige Geister' gibt, dass es nicht schlimm ist, wenn wir uns einmal täuschen, falls man weiß, dass man irren kann, aber dass die Angst vor dem großen Abenteuer, die Angst vor jenem Geist, von dem man nicht weiß, woher er weht und wohin er treibt, unser größter Mangel an Liebe für die Kirche wäre."

Madeleine Delbrêl, Liebe zur Kirche [1953], in: dies., Wir Nachbarn der Kommunisten, Einsiedeln 1975,
S. 123f.

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